L. Di Cintio: L’„Interpretatio Visigothorum“ al „Codex Theodosianus“

Cover
Titel
L’„Interpretatio Visigothorum“ al „Codex Theodosianus“. Il libro IX


Autor(en)
Di Cintio, Lucia
Reihe
Collana della Rivista di diritto romano. Saggi
Erschienen
Milano 2013: LED
Anzahl Seiten
241 S.
Preis
€ 29,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Die antiken und frühmittelalterlichen Kommentare zu den spätantiken Gesetzescodices sind trotz aller Fortschritte der antiken Rechtsgeschichte noch immer weitgehend unbekannt und kaum erforscht. Umso erfreulicher ist es daher, wenn einem solchen Werk, das sonst meist nur Thema hochspezieller Aufsätze ist, gleich eine ganze Monographie gewidmet wird. Konkret untersucht Lucia Di Cintio in der hier zu besprechenden Arbeit die Interpretationes zu den Gesetzen des neunten Buches des Codex Theodosianus.

Da es sich bei diesen Interpretationes kaum um eine allgemein bekannte Quelle handelt, seien an dieser Stelle einige einführende Bemerkungen gegeben1: Bei dem Breviarium Alaricianum (auch Lex Romana Visigothorum) handelt es sich um eine im Jahre 506 publizierte westgotische Gesetzeskompilation, die unter anderem auch Gesetze des Codex Theodosianus enthält. Neben den eigentlichen Gesetzestexten, die für gewöhnlich gegenüber den Versionen aus dem Codex Theodosianus nur selten und dann meist unerhebliche Textvarianten aufweisen, finden sich zudem Interpretationes dieser Gesetze, die auch von Mommsen in seine Edition des Codex Theodosianus aufgenommen wurden. Bei diesen Interpretationes handelt es sich um umformulierte Fassungen der Gesetzestexte, die nicht selten etwa durch Erklärungen bestimmter Begriffe oder die Nennung konkreter Juristen als zusätzliche Autoritäten über den Text des Codex Theodosianus hinausgehende Informationen bieten, manchmal aber auch über stark verknappte Paraphrasen nicht hinausgehen. Der Wert dieser Texte besteht hauptsächlich in ihrem Charakter als Zeugnisse der Rechtsrezeption, zudem stellen sie eine Quelle für das Recht ihrer Gegenwart dar und bieten die Möglichkeit, die nur lückenhaft überlieferten frühen Bücher des Codex Theodosianus zu rekonstruieren.

Den Hauptteil des Buches macht der in fünf Kapitel unterteilte Vergleich zwischen Codex Theodosianus und den Interpretationes (S. 27–221) aus. Die Vorgehensweise erinnert hierbei an einen Kommentar, da die Texte in der Reihenfolge ihrer Anordnung im Breviarium Alaricianum (die mit der des Codex Theodosianus übereinstimmt) einzeln untersucht werden. Mit einem Kommentar hat Di Cintios Buch folglich auch gemeinsam, dass es eine Vielzahl von Einzelergebnissen zu den verschiedenen Gesetzen unterschiedlichster Thematik (beispielsweise zur Kerkerhaft, zu Münzfälschungen oder Magieverbrechen) bietet, deren Diskussion den Rahmen dieser Besprechung sprengen würde. Die Zusammenfassung (Sul senso della „Interpretatio“, S. 223–228), in der auf den Wert der Interpretationes als Quelle für das römische Recht im Westen hingewiesen wird, fällt hingegen trotz interessanter Beobachtungen (etwa S. 223 zum metrischen Schema der Interpretationes und der möglichen Nähe zu den Rhetorikschulen und zum Rechtsunterricht) etwas knapp aus, was aber sicher auch der Tatsache geschuldet ist, dass lediglich ein Bruchteil der Gesetze des Breviarium Alaricianum analysiert wurde.

Ein Merkmal des Buches ist der ausgesprochen umfangreiche Anmerkungsapparat, der eine Vielzahl von Forschungen zu den einzelnen Gesetzen verarbeitet und damit gleichzeitig auch bibliographische wie analytische Vorarbeiten für einen dringend erforderlichen Kommentar zum Codex Theodosianus leistet. Fehlstellen fielen hierbei nur wenige auf.2 Allerdings hätte davon abgesehen werden sollen, die Titelangaben lediglich in den Anmerkungen voll zu zitieren und statt eines Literaturverzeichnisses nur ein Register der zitierten Autoren (S. 237–241) anzufügen, zumal dieses stellenweise keinen besonders zuverlässigen Eindruck macht.3

Di Cintio bietet eine Reihe nützlicher und lesenswerter Einzelstudien, deren Wert allerdings deutlich hätte gesteigert werden können. So lässt sie durch ihre Fokussierung auf den Vergleich zwischen dem Codex Theodosianus und den Interpretationes die Möglichkeit verstreichen, weitere Einsichten durch die parallele Heranziehung der übrigen vom Codex Theodosianus abhängigen Rechtstraditionen – insbesondere die Summaria antiqua und der nur gelegentlich (etwa S. 43, Anm. 89 oder S. 165, Anm. 411) gestreifte Codex Iustinianus – zu gewinnen. Dies ist insbesondere deswegen bedauerlich, da beide Quellen vergleichsweise zeitnah zum Breviarium Alaricianum sind und Erstere zudem wohl ebenfalls im Rahmen des Rechtsunterrichts verfasst wurde. Buch IX des Codex Theodosianus überliefert in 45 Titeln 222 Gesetze, von diesen sind 204 in der Summaria antiqua, 125 im Codex Iustinianus und 74 im Breviarium Alaricianum berücksichtigt und kommentiert. Bereits hieraus ergeben sich weitere Fragestellungen, die Di Cintio unberücksichtigt lässt: Wo stimmen die Interpretationes und die Summaria überein und wo nicht? Worin bestehen die Abweichungen in der Systematik bei der Aufnahme von Gesetzen durch Breviarium und Codex Iustinianus und lassen sich daraus Schlussfolgerungen für die Anforderungen an das Recht in West und Ost sowie in den verschiedenen Zeitabschnitten des 6. Jahrhunderts ausmachen? Wie lassen sich Umformungen bzw. Umformulierungen durch die verschiedenen Benutzer des Codex Theodosianus erklären? Weiterführende Studien werden diese Fragestellungen beantworten müssen.4

Somit bleibt festzustellen, dass Di Cintio ein durchaus nützliches Werk vorgelegt hat, das sowohl der Erforschung des Codex Theodosianus als auch der des Breviarium Alaricianum weitere Impulse gibt; zu begrüßen ist auch der besondere Fokus auf dem Breviarium Alaricianum, dessen besonderer Quellenwert durch Di Cintio hervorgehoben wird. Bedauerlich ist allerdings, dass ihre Studie nur die bekanntesten Rechtstexte erfasst und gerade auf die bislang vernachlässigten Quellen nicht eingeht.

Anmerkungen:
1 Als wichtigste Forschungsbeiträge mit Überblickscharakter sind zu nennen: Jean Gaudemet, Le Bréviaire d’Alaric et les Epitome, Mailand 1965 (= ders., La formation du droit canonique médiéval, London 1980, Nr. I) und John F. Matthews, Interpreting the Interpretationes of the Breviarium, in: Ralph W. Mathisen (Hrsg.), Law, Society, and Authority in Late Antiquity, Oxford 2001, S. 11–32 (= ders., Roman perspectives, Swansea 2010, S. 343–360).
2 Neben der (teilweise überarbeiteten) Zweitpublikation des in Anm. 1 zitierten Aufsatzes von Matthews wären zu nennen: Jens-Uwe Krause, Gefängnisse im römischen Reich, Stuttgart 1996; Olivia F. Robinson, Roman criminal law, rhetoric and reality: Some forms of rhetoric in the Theodosian Code, in: Maria Zablocka u.a. (Hrsg.), Mélanges de droit romain offerts à Witold Wołodkiewicz, Bd. 2, Warschau 2000, S. 765–785 (speziell zum neunten Buch); Johannes Heinrichs, Zwischen falsum und (laesa) maiestas. Münzdelikte im römischen Recht, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 166 (2008), S. 247–260; Kevin W. Wilkinson, Dedicated widows in Codex Theodosianus 9.25?, in: Journal of Early Christian Studies 20 (2012), S. 141–166.
3 Siehe etwa die permanente Durchbrechung der alphabetischen Anordnung bei den Buchstaben R und W auf S. 240f. Aus dem Ammianus-Kommentator Jan Willem Drijvers wird S. 81, Anm. 184 und S. 237 Brijvers und aus John Noël Dillon S. 73, Anm. 161 und S. 238 B. Dillon. Die Lemmata zu J. Barnes und Th. Barnes (was beides Timothy D. Barnes meint) verweisen beide auf S. 95, Anm. 214 (tatsächlich ist Anm. 214 aber S. 93 zu finden), wo aber keine Studie von Barnes zitiert ist, ebenso wenig S. 96, Anm. 216 (richtig wäre zudem S. 94, Anm. 216). Erst S. 95, Anm. 219 taucht Barnes (vom Register unbemerkt) auf. Die übrigen beiden Verweise sind dagegen korrekt. Ebenso führt der Verweis S. 17, Anm. 15 (korrekt wäre zudem S. 14f., Anm. 15) bei Robinson sowohl für die genannte Seite als auch für die genannte Anmerkung ins Leere; statt S. 117, Anm. 267 (richtig wäre zudem S. 113, Anm. 267) wird Robinson S. 113, Anm. 266 zitiert. Vollständig fehlt das Lemma zu dem S. 94, Anm. 216 und S. 95, Anm. 219 zitierten Buch von Robleda, wobei die zugehörige Angabe irrtümlich unter Robinson eingeordnet wurde. Daneben sei noch darauf hingewiesen, dass das Gesetz 9,25,2 aus dem Jahr 364, nicht 369 (so S. 224) stammt.
4 Eine erste Beobachtung als Anregung für weitere Forschungen sei hier geboten: Der Titel 9,19 des Codex Theodosianus (ad legam Corneliam de falso) enthält vier Gesetze, von denen alle oben genannten Benutzer nur drei berücksichtigen und mit 9,19,3 dieselbe Fehlstelle aufweisen.

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