A. Sarantis (Hrsg.): War and Warfare in Late Antiquity

Cover
Titel
War and Warfare in Late Antiquity. Current Perspectives


Herausgeber
Sarantis, Alexander; Christie, Neil
Reihe
Late Antique Archaeology 8
Erschienen
Anzahl Seiten
XXV, 1084 S.
Preis
$ 329,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulrich Lambrecht, Institut für Geschichte, Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz

Das Sachthema Krieg und Kriegführung in der Antike wird namentlich von der im deutschen Sprachraum etablierten Forschung seit dem Zweiten Weltkrieg nur verhalten aufgegriffen, obwohl es ein für die Geschichtsschreibung des Altertums entscheidendes Sujet darstellt. Diese Zurückhaltung ist in den Altertumswissenschaften des anglophonen Sprachbereichs und anderwärts unbekannt. Dass sich unter diesem Einfluss auch hierzulande die Einstellungen allmählich ändern, davon künden neue Veröffentlichungen, die diese Scheu nach und nach ablegen und über den Zugang von Spezialstudien zu Einzelphänomenen hinaus dem Krieg in der Antike allgemeinere Gesamtüberblicke widmen, welche wiederum Ausgangspunkte für Detailforschung bilden können.1 Wichtige Impulse zur Etablierung und Weiterentwicklung kriegshistorischer Aspekte in den Altertumswissenschaften gehen aber nach wie vor von fremdsprachigen Veröffentlichungen aus. Unter diesen verdient der von Alexander Sarantis und Neil Christie herausgegebene, sozusagen alle relevanten Gesichtspunkte von Krieg und Kriegführung in der Spätantike berücksichtigende Sammelband besondere Beachtung, der aus einer im Jahre 2007 in Oxford abgehaltenen Tagung zu diesem Thema hervorgegangen ist. Mit dem nur auf dem Buchdeckel, nicht aber auf der Titelseite erscheinenden Untertitel „Current Perspectives“ wird ein Anspruch auf Gesamterfassung des derzeitigen Forschungsstandes mit Ausblick auf mögliche weiterführende Zugänge der Forschung erhoben, dem der Sammelband inhaltlich vollauf gerecht wird.

Das Augenmerk der kriegswissenschaftlichen Forschung lag hinsichtlich der römischen Geschichte lange Zeit eher auf der Prinzipatsepoche als auf der Spätantike.2 Der Sammelband leistet daher einen wichtigen Beitrag, um diese Lücke schließen zu helfen. Dabei steht nicht so sehr das Militär als Institution denn vielmehr die Kriegspraxis in ihren diversen Facetten und damit militärische Pragmatik im Mittelpunkt. Wie bereits die wissenschaftliche Reihe nahelegt, in der der Sammelband erscheint, liegt der Schwerpunkt auf archäologischem Material, ohne dass literarische Quellen vernachlässigt würden. Wie es der verbreiteten altertumswissenschaftlichen Praxis des englischen Sprachraums entspricht, wird – sinnvoll gerade im Hinblick auf den römischen Osten – der Zeitraum bis zur Ausbreitung des Islam in die Spätantike einbezogen, so dass der Untersuchungsgegenstand chronologisch die dreieinhalb Jahrhunderte vom Herrschaftsantritt Diokletians 284 n.Chr. bis zum Tode des Heraclius 641 n.Chr. und geographisch das Gesamtterritorium des Römischen Reiches umfasst.

Der „Waging War in Late Antiquity“ überschriebene, umfangreiche Einführungsaufsatz von Sarantis vermisst Raum, Zeit und Sachaspekte, denen sich der Sammelband widmet. Hier geht es um den allgemeinkulturellen Einfluss der Kriegführung, um die Ablösung des Dekadenzdiskurses durch Vorstellungen von Transformation und Innovation gerade auch auf militärischem Gebiet und insgesamt um „a holistic approach to the subject“ (S. 4), einen Anspruch, den zahlreiche speziellere Studien kaum einzulösen in der Lage seien. Am Beispiel von Befestigungsanlagen, einem zentralen Untersuchungsgegenstand des Sammelbandes, erläutert Sarantis die auf ganzheitliche Erfassung angelegte Konzeption des Buches: das innovative Potential von Befestigungen für die spätantike Kriegführung, ihre Architektur und geographische Verbreitung, nicht zuletzt ihre Bedeutung für die kriegerische Praxis in spätrömischer Zeit. Auf diese Weise zeigt Sarantis die notwendige Verbindung der Untersuchung von Befestigungsanlagen und Grenzsicherung auf der einen mit der Darstellung von Kriegsereignissen in der Historiographie auf der anderen Seite auf, verweist mithin auf die Kombination der Erforschung archäologischer und literarischer Quellen als Voraussetzung für die Erzielung wissenschaftlicher Fortschritte, die ganzheitlich angelegt sind. Dabei kommt es nicht nur auf organisatorische oder strukturelle Perspektiven wie die Mannschaftsstärke von Garnisonen an, sondern gerade auch auf deren Bezug zur literarischen Darstellung von Kriegsereignissen: Dies betrifft die zugrunde liegende Strategie und Taktik ebenso wie die Mechanismen der Kontrolle des römischen und nichtrömischen Grenzraumes unter Einbeziehung der betroffenen Bevölkerung; daraus ergeben sich zugleich Einschätzungen zum militärischen Erfolg bzw. zu den Erfolgsaussichten der Römer. Diese Gesichtspunkte und ihre Verknüpfung miteinander legt Sarantis der genaueren Darstellung dreier für das Gesamtthema wichtiger Bereiche zugrunde: den infrastrukturell orientierten Überlegungen zur strategischen Gesamtausrichtung der Römer im Vergleich zu regionalen Strategiekonzepten, ihrer Anwendung auf die Durchführung von Feldzügen und schließlich auf die von Belagerungen und Feldschlachten. Hieraus ergibt sich ein differenziertes Bild, das althergebrachte Vorstellungen – beispielsweise von entweder defensiv oder aber offensiv ausgerichteter römischer Strategie in der Spätantike – zugunsten individueller Zugänge ersetzt: Diese rechnen anhand der archäologischen und literarischen Quellenbefunde mit vielfältig verwobenen Wirkungszusammenhängen – unter Einschluss etwa der Bedeutung der Truppenmoral und des Verhältnisses der Soldaten zur Bevölkerung der Region, in der sie aktiv sind – und lassen keine schematischen Zuweisungen zu.3

Der erste Teilband des Sammelwerkes besteht im Übrigen aus acht bibliographischen Essays (drei von Conor Whately, die anderen von Sarantis, teilweise in Kooperation mit weiteren Wissenschaftlern), die die Zugänge zum Thema von verschiedenen Seiten aus abdecken: Zunächst geht es um Darstellungen zur Erfassung literarischer und archäologischer Quellen sowie um einschlägige Forschungsliteratur zum Thema allgemein, sodann in vier weiteren Essays um Spezialaspekte wie militärische Ausrüstung und Bewaffnung, Taktik, das militärische Leben und seine Organisation sowie Zusammenhänge von Strategie, Diplomatie und der Überwachung von Grenzen, schließlich in drei Essays um Befestigungsanlagen im Westen, in Afrika und – unter Einschluss des Balkanraumes – im Osten. Aufgrund der Gliederung dieser Literaturberichte durch Zwischenüberschriften ist eine schnelle Orientierung in den darstellenden Teilen auch zu speziellen Themenbereichen gewährleistet. Anders sieht es bei den an alle Unterkapitel der bibliographischen Essays angefügten Literaturlisten aus. Die einzelnen Literaturangaben sind hier nicht, wie bei den anderen Aufsätzen, alphabetisch nach Verfassern geordnet und voneinander übersichtlich abgesetzt, sondern nach Unterthemen gegliedert, zu denen die Literatur ohne Absätze fortlaufend aneinandergereiht wird, doch nicht in alphabetischer Ordnung, sondern von jüngeren zu älteren Publikationen fortschreitend, wobei dieses Prinzip gelegentlich auch durchbrochen wird. Daher hat der Leser des Öfteren Schwierigkeiten, bibliographische Kurzangaben aus dem darstellenden Text in der beigefügten Bibliographie zu verifizieren, weil man sich bei der Suche durch die hier aufgeführten sachlichen Untergliederungen, die überdies teilweise mit Untergliederungen nach unterschiedlichen Formen wissenschaftlichen Schrifttums kombiniert sind, ebenso wie durch die Anordnung nach Erscheinungsjahr durcharbeiten muss. Gerade für die bibliographischen Essays ist man auf die Literaturhinweise mehr als anderswo angewiesen und wäre für übersichtliche Orientierung – beispielsweise durch Bezug auf durchnummerierte bibliographische Angaben – dankbar.

Auf über 600 Seiten werden sodann im zweiten Teilband aus verschiedenen Perspektiven unterschiedliche einschlägige Spezialthemen abgehandelt. Diese umfassen teilweise die primär Sachaspekten, teilweise primär geographischen Regionen zugeordnete Kriegführung. Hierzu gehören Studien zur militärischen Aufklärung, exemplifiziert an der mittelbyzantinischen Zeit (John Haldon), zur Funktion von Befestigungswerken für Verteidigungszwecke großer Städte und Grenzregionen des römischen Ostens (James Crow) sowie zur Belagerungstechnik und -taktik (Michael Whitby). Mit kulturellen Aspekten römischer Ausrüstung in der Spätantike – Akkulturation statt Barbarisierung – beschäftigt sich J. C. N. Coulston, während sich Michel Kazanski der Entwicklung der Militärausrüstung „barbarischer“ Kontingente unterschiedlicher Provenienz vom 3. bis 5. Jahrhundert widmet und John Conyard Erfahrungen der experimentellen Archäologie mit der Verwendung nachgebauter römischer Ausrüstung und Waffen beisteuert. Um diverse Probleme der Darstellung militärischer Aspekte in literarischen Quellen geht es in drei Aufsätzen von Ian Colvin über die Benutzung archivierter Schriftquellen durch Prokop und Agathias, von Christopher Lillington-Martin über römische und persische bzw. gotische Strategien unter besonderer Berücksichtigung topographischer Fragen im Kampf um Dara 530 und Rom 537/38 in der Darstellung Prokops sowie von Susannah Belcher zu der Übergabe von Nisibis an die Perser 363 nach der Wiedergabe des Augenzeugen Ammianus Marcellinus.

Es folgt eine Sequenz regional gegliederter Beiträge mit einem gewissen Schwerpunkt auf der Bedeutung archäologischer Zeugnisse von Krieg und Kriegführung: Im Westen geht es um Feldzüge an der Rheingrenze zwischen 284 und 423 (Hugh Elton), um Kriegführung in Gallien und besonders auf der Iberischen Halbinsel angesichts der hier tätigen wandernden Verbände im 5. Jahrhundert (Michael Kulikowski) und um Militärpräsenz in den Pyrenäen im 5./6. Jahrhundert, dargestellt an der Auswertung des Grabes eines Berberaffen und seiner Beigaben aus Iulia Libica (Oriol Olesti und andere). Für den Balkanraum gibt es kriegsarchäologische Studien, die sich auf das 3. bis 6. (John Wilkes) und auf das 6. und 7. Jahrhundert (Florian Curta) beziehen, während Sarantis die aktive Nordbalkan-Politik der Kaiser Anastasius und Justinian vorstellt. Auf den Osten beziehen sich die Aufsätze von James Howard-Johnston, der einen Überblick zur militärischen Infrastruktur in den römischen Provinzen nördlich und südlich des armenischen Taurus liefert, und von Whately, der an Schlussfolgerungen aus den Ausgrabungen des Kastells Legio in Palästina logistische Fragen im Zusammenhang mit der militärischen Präsenz an der Ostgrenze des Römischen Reiches im 6. Jahrhundert exemplifiziert. Die letzten beiden Beiträge gelten dem Bürgerkrieg: Christie weist auf die bislang gegenüber Textquellen vernachlässigten archäologischen Zeugnisse für Bürgerkriege im Westen des Römischen Reiches hin, und Maria Kouroumali erläutert an literarischen Quellen, vor allem Prokop, Wechselwirkungen zwischen den kaiserlichen Feldzügen, der ostgotischen Kriegspartei und der Bevölkerung Italiens im Rahmen des Gotenkrieges Justinians.

Gerade ausgrabungsbasierte archäologische Forschungen sind zunächst inhaltlich detailorientiert, auf bestimmte Regionen oder Lokalitäten bezogen und damit tendenziell hochspezialisiert. Aus der Anlage des Sammelbandes mit dem Einführungsaufsatz von Sarantis und den bibliographischen Essays, nicht zuletzt aber auch aus vielen seiner Einzelthemen gewidmeten Beiträge wird das Bemühen deutlich, zum einen die Resultate archäologischer Forschung mit der Auswertung von literarischen Quellen im Interesse ganzheitlicher Ergebnisse zu verknüpfen und zum andern die Inhalte sachlich speziell oder regional orientierter Untersuchungen in das verfolgte Gesamtanliegen spätantiker Kriegführung einzuordnen: So können Einzelstudien für eine ganzheitliche Betrachtung nutzbar gemacht werden, die zugleich innen- und außenpolitische Entwicklungen berücksichtigt. Dennoch vermag sich angesichts einer großen thematischen Breite an Aspekten sogar eine offenkundig allgemein angelegte Untersuchung von Krieg und Kriegführung in Details zu verlieren. Dieser Gefahr wird hier aber erfolgreich entgegengesteuert: durch die in verschiedenen Zusammenhängen immer wieder hervorgehobenen Verbindungen zwischen Politik und Kriegführung, durch die Herausstellung der Qualität infrastruktureller Bedingungen Roms und seiner Feinde als Voraussetzung für erfolgreiche Kriegführung oder auch durch die Einbeziehung einerseits sachgebundener und andererseits von Menschen abhängiger Prämissen.

Die beiden Bände sind insgesamt sorgfältig erstellt und ihre zahlreichen Beiträge zu unterschiedlichen Themen dem Gesamtanliegen verpflichtet, so dass das Sammelwerk vollauf den Intentionen dient, die die Herausgeber eingangs benennen. Die bibliographischen Essays sorgen für rasche Orientierung in der Forschungslandschaft, die Einzelbeiträge bieten praktische Beispiele für die Behandlung von Krieg und Kriegführung in der Spätantike unter Berücksichtigung vielfach verzweigter, zugleich aber zusammenhängender Aspekte des Themas, und das Gesamtwerk liefert hilfreiche und weiterführende Zugänge zu einem lange vernachlässigten Stoff. Den Aufsätzen sind zur schnellen Information über den Inhalt Zusammenfassungen vorangestellt. Ein umfangreicher Index erleichtert den schnellen Zugriff zu Einzelfragen.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa die Beiträge in dem Sammelband Burkhard Meißner u.a. (Hrsg.), Krieg – Gesellschaft – Institutionen. Beiträge zu einer vergleichenden Kriegsgeschichte, Berlin 2005; ferner die Überblicksdarstellungen Christian Mann, Militär und Kriegführung in der Antike, München 2013; Raimund Schulz, Feldherren, Krieger und Strategen. Krieg in der Antike von Achill bis Attila, Stuttgart 2012.
2 Vgl. Yann Le Bohec, L’armée romaine sous le Bas-Empire, Paris 2006, deutsch unter dem Titel: Das römische Heer in der Späten Kaiserzeit, Stuttgart 2010, S. 8f.
3 So lässt Sarantis etwa eine gewisse Distanz zu den Thesen erkennen, die Edward Luttwak, The Grand Strategy of the Roman Empire. From the First Century A.D. to the Third, Baltimore 1976, vertritt.

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