I. Madreiter: Stereotypisierung – Idealisierung – Indifferenz

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Titel
Stereotypisierung – Idealisierung – Indifferenz. Formen der Auseinandersetzung mit dem Achaimeniden-Reich in der griechischen Persika-Literatur


Autor(en)
Madreiter, Irene
Reihe
Classica et Orientalia 4
Erschienen
Wiesbaden 2012: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
XVI, 237 S.
Preis
€ 58,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Maria Brosius, Department of Near and Middle Eastern Civilizations, University of Toronto

In ihrer Monographie untersucht Irene Madreiter die Gründe für die kontinuierliche Beschäftigung der Griechen mit dem Perserreich in den literarischen Quellen. Der Autorin geht es dabei um eine kritische Analyse des von den Griechen konstruierten Fremdbildes, indem sie hinterfragt, auf welchem Hintergrund das Stereotyp zu den Persern in der griechischen Gesellschaft instrumentalisiert und insbesondere im 4. Jahrhundert v.Chr. aufrechterhalten wurde, obwohl das Achaimenidenreich zu diesem Zeitpunkt weitgehend keine politische und militärische Bedrohung mehr für Griechenland darstellte (S. 4). Um Differenzierung in dieser Problemlage bemüht, stellt sie weiterhin die Frage, inwieweit Kulturkontakte bestehende Stereotypen in Frage stellten. Die Aufgaben und Ziele der Arbeit sind klar dargelegt: die Diskussion konzentriert sich auf Ktesias, Dinon und Herakleides, bleibt also kontemporär zum Achaimenidenreich, wenngleich, wie die Autorin bereits anmerkt, das Feindbild der Perser auch nach Alexander dem Großen in den literarischen Zeugnissen weiterbesteht.

In methodisch sinnvoller Weise werden in einem Anfangskapitel zunächst Begriffe wie Stereotyp und Imagotyp auf der Basis moderner sozialpsychologischer und literaturwissenschaftlicher Forschung definiert und erläutert, um die Erkenntnisse dann – soweit übertragbar – auf die antiken Quellen zu beziehen (Kapitel 2). Die Betonung auf Definition und Erklärung der zentralen Abstrakta trägt wesentlich dazu bei, dass die darauffolgende Diskussion der literarisch-historischen Quellen auf einer für den Leser klaren, transparenten Basis verstanden werden kann. Madreiter erstellt eine Definition von „Stereotyp“ (S. 13), wobei es wichtig ist festzuhalten, dass nach Ansicht der Autorin geographische Distanz Stereotypen qualifiziert: je weiter entfernt der Autor vom Perserreich sei, desto pauschaler erfolge dessen Stereotypisierung. Dabei stützt sie sich auf vergleichbare Studien in der althistorischen Forschung (S. 18). Bei dem historischen Bild eines Landes, dem imago, handelt es sich um ethnische Vorstellungen, die als Strukturelemente in literarischen Werken vermittelt werden (S. 19).

Ausgehend von diesen Prämissen diskutiert Madreiter intensiv die Persika der obengenannten drei griechischen Autoren des späten 5. und 4. Jahrhunderts v.Chr., wobei aufgrund der Quellenlage die Persika des Ktesias den Großteil der folgenden Diskussion einnimmt (Kapitel 3, S. 33–133). Alle drei Werke zu den Persern werden systematisch nach den gleichen Themenschwerpunkten untersucht. Damit gelingt es der Autorin, trotz der unbalancierten Überlieferungslage der drei Quellen, durch ihren Ansatz ein gewisses Maß an Gleichheit zu erwirken: Sie beginnt mit dem Autor selbst, es folgen Betrachtungen zur jeweiligen Charakterisierung der Perser, eine Darstellung persischer Namen und Wörter, ausführliche Ethnographien, Untersuchungen zu den beschriebenen Institutionen, wobei König, Hof und Heer ebenso wie Sitten und Gebräuche beachtet werden, und zur Betonung besonderer Attribute von Persern sowie eine Diskussion zum literarischen Genre der jeweiligen Persika und der Wirkung des Textes.

Innerhalb dieser Abschnitte bietet Madreiter jeweils treffende Beschreibungen des Sachverhaltes oder der Problemstellung. Ihre enge Anknüpfung an die Quellen und an die relevante moderne Literatur tragen zur guten Qualität der Arbeit bei. Schwieriger ist es aber, trotz der intensiven Auseinandersetzung mit dem Quellenmaterial zu neuen Forschungsergebnissen zu kommen: Das eingeschränkte Wissen aller drei antiker Autoren über das „wirkliche“ Persien, ihr Mangel an Informationen aus erster Hand, fehlendes Wissen um die persische Sprache sowie der Gebrauch verschiedener Topoi zu Frauen, Luxus und Hofleben als ein Mittel, bestehende Stereotypen über die Perser zu untermauern – all diese Gesichtspunkte zu den Persika sind ebenso bekannt wie die Tatsache, dass diese drei Autoren – wie bereits Herodot – kein einseitig negatives Bild Persiens bieten, sondern durchaus positive Aspekte in ihren Beschreibungen miteinbringen. Allerdings vertieft Madreiter unser Wissen zu den drei Autoren durch ihre detaillierte Diskussion. Von ihrem Überblick zu diesen Perserdarstellungen werden daher sowohl Studenten wie auch Lehrende profitieren.

In ihren Schlussfolgerungen kommt Madreiter darüber hinaus zu folgenden Ergebnissen: Sie schlägt vor, die Persika des Ktesias als eine historiographische Metafiktion zu sehen, die durch die fließende Grenze zwischen Fakt und Fiktion bestimmt wird (S. 122). „Metafiktion“ soll den in der neueren Forschungsliteratur verwendeten Ausdruck „historische Fiktion“ für die Persika-Literatur ersetzen, da er bewusst beide Elemente, Fakt und Fiktion, zur Kreation des literarischen Werkes benutzt und sich literarischer Mittel – so etwa der angeblichen Augenzeugenschaft – bedient, um dem schriftlichen Werk Historizität zu verschaffen. Konkret, so Madreiter, ging es den Autoren der Persika darum, den Griechen selbst einen Spiegel vorzuhalten und durch die Beschreibung Persiens eigene Probleme zu beleuchten, die Achaimeniden also als exemplum darzustellen (S. 128ff.). Gezielt wird dabei auf die negativen Aspekte der Monarchie, auf den Einfluss der Frauen in der Gesellschaft oder die Bedrohung der Gesellschaft durch den Luxus eingegangen. Madreiter kommt zu dem Schluss: „Somit fungiert Persiens monarchische Regierungsform beziehungsweise vor allem dessen Elite als Warnbild vor der möglichen Entartung griechischer Hegemonialbestrebungen jener Zeit, seien es nun jene Athens, Spartas, oder später Thebens“ (S. 132).

In der Synthese (Kapitel 7) setzt Madreiter ihre Untersuchung in den größeren Kontext des griechischen Kulturlebens des 4. Jahrhunderts und argumentiert, dass die in den Persika präsentierten Stereotypen derart absurd und realitätsfremd seien, dass Hörer wie Leser dieser Literatur die Beschreibungen Persiens sofort als solche entlarvt hätten. Während die Persika somit als Geschichtswerke von geringer Bedeutung sind, sagen sie, so Madreiter, weitaus mehr über „die griechischen Erwartungshaltungen in Bezug auf männliche und weibliche Tugenden, den idealen Herrscher oder die beste Regierungsform“ aus (S. 194).

Ob Ktesias, Dinon und Herakleides allerdings tatsächlich derart um das moralisch-politische Wohl Athens oder Spartas bemüht waren und gerade diesen Städten Persien als „Warnung“ vor Augen halten wollten, ist letztendlich äußerst schwer zu beurteilen und wird zumindest von diesem Rezensenten bezweifelt. Um dies annehmen zu können, setzt es voraus, dass die Autoren eine enge Bindung zu Athen oder Sparta besaßen und es als ihre Aufgabe ansahen, die beiden griechischen Städte moralisch anzuweisen oder zu leiten; doch wissen wir zu wenig über die Zielaudienz der Persika. Alle drei Autoren waren in Kleinasien beheimatet, und ihre Geburtsorte standen den dominanten Städten des griechischen Festlandes nicht per se kontinuierlich freundlich gegenüber. Spätestens mit dem Königsfrieden von 387/86 v.Chr. und dem damit verbundenen athenischen „Ausverkauf“ der griechischen Städte Kleinasiens an den Perserkönig ist eine derart besorgte Haltung weder von Dinon noch von Herakleides zu erwarten.

In Bezug auf die Negativdarstellung der Perser und das Bemühen, ein weitaus differenziertes Bild in den Quellen zu präsentieren, reiht sich Madreiter in die neuere Forschungsdiskussion zum Thema ein. Dass dieses Bild aber trotz „positiver“ Kommentare vornehmlich negativ war, wird nicht zuletzt in dem von Madreiter präsentierten Differential deutlich (S. 175). Ob dieses überwiegend negative Fremdbild der Perser von der Hörer- und Leserschaft des 4. Jahrhunderts v.Chr. als überspitzt oder gar absurd durchschaut worden ist, mag dahingestellt bleiben. Angemerkt sei an dieser Stelle nur, dass es ja auch Sinn solcher Feindbildbeschreibungen ist, den Kontrast zur eigenen Gesellschaft herauszustellen: je politisch inkompetenter, je unmoralischer der „Andere“, der „Fremde“ dargestellt wird, desto stärker und moralisch gefestigter hält man sich selbst. Damit dient die Darstellung des Achaimenidenreiches, wie wir sie in den Persika finden, nicht nur als exemplum – sie dient den Griechen auch dazu, sich ihrer eigenen politischen und moralischen Überlegenheit zu vergewissern.

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