Neuere Forschungen zum Konterrevolutionär Waldemar Pabst

: Waldemar Pabst und die Gesellschaft zum Studium des Faschismus 1931–1934. . Berlin 2013 : Edition Organon, ISBN 978-3-931034-15-3 276 S. € 24,00

: Waldemar Pabst 1880–1970. Noskes „Bluthund“ oder Patriot?. Beltheim-Schnellbach 2012 : Verlag Bublies, ISBN 978-3-937820-17-0 348 S. EUR 24,80

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus Gietinger, Wilhelmshorst

Waldemar Pabst, eine bislang fast vergessene Figur der Konterrevolution 1918/19, genießt in den letzten Jahren erhöhte Aufmerksamkeit in der historischen Forschung. Manfred Wichmann beschäftigt sich in seiner Untersuchung mit einem weißen Fleck der historischen Faschismusforschung, der „Gesellschaft zum Studium des Faschismus“ (GSF), in der Pabst eine tragende Rolle spielte. Wichmanns von Wolfgang Wippermann betreute Dissertation ist das Ergebnis langjähriger Forschungen. In sechs Kapitel gegliedert, behandelt seine Arbeit zunächst die Rezeption des italienischen Faschismus in der deutschen Rechten und stellt dann die drei wichtigsten Akteure der GSF vor: die treibende Kraft, Waldemar Pabst, das Aushängeschild Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Giuseppe Renzetti, den Kontaktmann zu Benito Mussolini. Anschließend beschäftigt er sich sowohl mit der Entstehung der GSF als auch mit ihren über 100 ordentlichen Mitgliedern und 220 Studienmitgliedern, umreißt die Diktaturkonzepte anhand mehrerer wichtiger Autoren der Gesellschaft, darunter Friedrich Wilhelm (F. W.) Heinz, Eduard Stadtler und August Winnig, und behandelt das Ende der GSF im Jahr der „Machtübernahme“ Hitlers und der NSDAP 1933.

Pabst, der faktische „Generalstabsoffizier“ der Konterrevolution, war als Hauptverantwortlicher der Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs am 15. Januar 1919 und als Urheber des widerrechtlichen Schießbefehls des Oberbefehlshabers Gustav Noske (SPD) vom 9. März 1919, der die Tötung gefangener Revolutionäre oder auch nur als solcher Verdächtiger anordnete, die treibende Kraft der von Januar bis Mai 1919 von Freikorpstruppen begangenen Massaker an Revolutionären und Unbeteiligten. Zudem war er der maßgebliche organisatorische Kopf des Kapp-Putsches vom März 1920 und nach dessen Misslingen über zehn Jahre lang Motor der gegen die österreichische Demokratie gerichteten Heim(at)wehren. In diesem Zusammenhang agierte er nicht nur zeitweilig (1925–1928) als wohldotierter Agent des deutschen Außenministers Gustav Stresemann, sondern knüpfte auch wichtige Kontakte zum italienischen Faschismus, der ihm nicht nur als Waffenlieferant diente. Wieder zurück in Deutschland, versuchte er 1931 den Aufbau einer „weißen Internationale“, also den Zusammenschluss faschistischer Strömungen aus Italien, Ungarn, Österreich und Deutschland. Und als dies nicht gelang, war ihm der Versuch, den italienischen, schon seit 1923 regierenden Faschismus – in welcher Form auch immer – auf Deutschland zu übertragen, durchaus eine Anstrengung wert: Die Gründung der GSF war die Folge. Die Existenz der Gesellschaft und ihr Agieren können als ein weiterer Beleg dafür gelten, dass herrschende Eliten, Wirtschaftsfunktionäre, hohe Militärs und rechte einflussreiche Publizisten ab Ende der Zwanzigerjahre die parlamentarische Demokratie Weimars ins Fadenkreuz nahmen und eine faschistische Herrschaft anstrebten.

Wichmann gelingt es, den Stellenwert der GSF innerhalb der zahlreichen Bestrebungen maßgeblicher und einflussreicher Eliten Richtung Diktatur zu verdeutlichen: Sie war ein politischer Klub, der sich hauptsächlich aus Mitgliedern dreier rechter politischer Strömungen speiste, die sich 1931 in der Harzburger Front zusammengeschlossen hatten: der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), dem Stahlhelm und der NSDAP. Pabst schwebte hier sozusagen eine „Weiße Nationale Vereinigung“ vor, die das Vorbild des italienischen Faschismus auf deutsche Verhältnisse durchzusetzen helfen sollte. Die Mitglieder waren sorgsam ausgesucht und repräsentierten – um nur einige Beispiele zu nennen – sowohl die NSDAP (Hermann Göring, Hjalmar Schacht, Hans Frank, Wilhelm Kube, Hans Hinkel), herrschende Wirtschaftseliten (Friedrich Minoux, G. Wolff), hohe Militärs bzw. Paramilitärs (Franz von Epp, Joachim von Stülpnagel. Wilhelm Reinhard, Theodor Duesterberg) als auch maßgebliche rechte Publizisten (Franz Schauwecker, F. W. Heinz, Eduard Stadtler, Hanns Heinz Ewers, Curt Hotzel), ehemalige Sozialdemokraten (August Winnig) und, last not least, den reaktionären Adel (Wilhelm von Hohenzollern, Georg Freiherr von Manteuffel). In Vortragsveranstaltungen und Arbeitsgruppen sollte die Anwendung des Faschismus durchexerziert werden.

Wichmann arbeitet den entscheidenden Nachteil der GSF heraus: Zwar saßen ihre Mitglieder in Verwaltung, Wirtschaft, Militär und Publizistik in einflussreichen Positionen, doch hatten sie weder eine Massenbasis noch eine Massenpartei, noch tatsächliche miliz-miltärische Gewalt hinter sich (wie Pabst noch 1919). Und so ging Pabsts Konzept des losen Zusammenschlusses faschistischer und konservativer Verbände, von Eliten und Denkern nicht auf. Hitlers Massenpartei, seine Massenbasis, seine Milizverbände (hauptsächlich SA) und schließlich auch sein Rückhalt in den herrschenden Eliten waren effektiver, weil autoritär auf ihn allein als charismatische Führerfigur zugeschnitten. Pabsts Versuch, die alte Putschstrategie (hier: einer Elite) wiederzubeleben, versagte vor der moderneren Strategie Hitlers, der ein von sich selbst bereits weitgehend lahmgelegtes parlamentarisches System nutzte, um mit Rückhalt in den herrschenden Eliten, einer gewalttätigen Miliz (SA) sowie mit der Zustimmung der Mittelschichten und Randgruppen der Arbeiterbewegung über Wahlen an die Macht zu kommen. Und genau in dem Jahr, in dem Hitler seine Macht mit brutalster Gewalt festigte, hatte die GSF – sehr gegen den Willen Pabsts – abzutreten. Er selbst hatte politisch ausgespielt und widmete sich als Wehrwirtschaftsführer und Rüstungslobbyist der Vorbereitung des Krieges.

Wichmanns Untersuchung glänzt auch durch den dokumentarischen Anhang, der u. a. eine Mitgliederliste der Gesellschaft liefert, sowie einen bestens ausgearbeiteten wissenschaftlichen Apparat. Mit seiner Arbeit schließt Wichmann eine wichtige Lücke.

Die von Michael Heinz unter dem Pseudonym Rüdiger Konrad vorgelegte Biografie „Waldemar Pabst 1880–1970. Noskes ‚Bluthund‘ oder Patriot?“ will man dagegen schon nach der Lektüre des Vorworts beiseite legen. Michael Heinz ist der Sohn des Freikorpsoffiziers und maßgeblichen Mitglieds der Terrorgruppe Organisation Consul (OC) F. W. Heinz, welcher nicht nur am Kapp-Putsch beteiligt war, sondern auch an der Vorbereitung der Ermordung Matthias Erzbergers und Walther Rathenaus. Später zählte Heinz allerdings – im Gegensatz zu Pabst – zu den Putschisten gegen Hitler1 und baute nach dem Zweiten Weltkrieg (hier wieder mit Pabst d’accord) den ersten Geheimdienst der Bundesrepublik auf.2 So ging Pabst in den Fünfziger- und Sechzigerjahren im Hause Heinz aus und ein und war dem jungen Michael Heinz als „Onkel Waldemar“ bestens bekannt. Aus diesem Zusammenhang heraus ist er ganz offensichtlich bemüht, mit seinem Buch eine Art Ehrenrettung Pabsts zu betreiben. Schon im Vorwort klingen Verschwörungstheorien an, „deutsche Massenmedien“, „moderne Geschichtsbücher“ und „bestimmte Internetlexika“ beschrieben die „spartakistischen Protagonisten“ als „hehre Lichtgestalten“ (S. 10) und Friedrich Ebert und Gustav Noske dagegen „als blutrünstig und antidemokratisch“ (S. 12). Dafür fehlt allerdings jeglicher Beleg. Einige Zeilen später versucht Michael Heinz, die selbst im Zuge des Zusammenbruchs des sogenannten Realsozialismus obsolet gebliebene These von der Verhinderung des Bolschewismus durch Mehrheitssozialisten (SPD) und Freiwilligenverbände 1918–1920 wiederzubeleben. Das ganze Buch hindurch arbeitet er sich daran ab, dies zu beweisen, indem er – teilweise fehlerhaft kommentiert3 – Originaltexte Pabsts (hauptsächlich sein unveröffentlichtes Memoirenfragment) vor dem Leser ausbreitet. Heinz, der im Besitz von Pabsts Bibliothek und (unvollständigen) Kopien seines Nachlasses ist, macht sich dabei weder die Mühe, Pabsts auf zwei Bundesarchiv-Standorte (Freiburg und Berlin) verteilten Gesamtnachlass durchzuarbeiten, geschweige denn dessen Hinterlassenschaften in Tirol (Landesarchiv Innsbruck) und der Schweiz (Bundesarchiv Bern), noch berücksichtigt er neuere Erkenntnisse der in den letzen Jahren erschienenen Sekundärliteratur4, woraus erhebliche Erkenntnis- und Darstellungslücken resultieren. Weder taucht die „weiße Internationale“ auf noch die GSF (obwohl sein Vater Mitglied war), noch Pabsts Kampf für den italienischen und den Austrofaschismus, schon gar nicht sein Anbandeln mit NS-Splittergruppen (Walther Stennes, Gebrüder Straßer). Dies hat einen praktischen Grund: In seinem Bestreben, Pabsts braune Weste weiß zu waschen, muss Heinz dies alles ausblenden. Entgegen seiner Absicht, vornehmlich seinen „Helden“ sprechen zu lassen, fehlen solche Zitate von Pabst, die nicht in Heinz’ Konzept passen. Nur zwei Beispiele: Als man sich am 10. Dezember 1929 in einer Besprechung der Bundesleitung der österreichischen Heimwehren in Wien noch nicht stark genug für einen Putsch fühlte, stellte Pabst fest: „Ich fasse zusammen: Wir werden versuchen, auf dem demokratischen Wege Einfluss im Parlament zu gewinnen, wir müssen aber diesen Weg möglichst bald durch den faschistischen ersetzen“5, und am 22. März 1933 erklärte er im zum Hugenberg-Konzern gehörenden Berliner Lokalanzeiger, dass sich die Ziele der NSDAP und der Heimwehr „in den meisten Fällen“ deckten und dass Österreich nun das zu versuchen habe, „was wir in Deutschland in einer wunderbaren Erhebung des gesamten nationalistischen Volkes am 30. Januar 1933 geschaffen haben“.6 Hier spricht nun wirklich nicht, wie von Heinz behauptet, ein Konservativer, dem „eine konstitutionelle Monarchie englischen Beispiels“ (S. 10) vorschwebte.

Auch beim Mord an Liebknecht und Luxemburg, den Heinz bisweilen auch nur als „Tötung“ bezeichnet (S. 167, 172), verwickelt er sich in Widersprüche. So zitiert er seitenlang das „Rechtsgutachten“ eines Pabst-Freundes, das den Mord als „Staatsnotstand“ rechtfertigte (S. 167–172), und bringt Pabsts Handlungsweise als vermeintlichem Bewahrer vor dem „Bolschewismus“ Verständnis entgegen (S.163–165, S. 172, S. 188), um dann wieder zu schreiben, dass es „aus heutiger Sicht keine juristische“ Rechtfertigung dieser Tat gebe (S. 172). Dass er hier ausdrücklich nur von der juristischen Ebene, nicht jedoch von der moralischen spricht, ist bezeichnend. Die Verstrickung Gustav Noskes bezweifelt Heinz an einer Stelle (S. 165), kurz darauf spricht er jedoch von „indirekter Absprache mit Regierungsstellen“ (S. 167) und noch später gar von „politischer Mittäterschaft“ der SPD-Regierung (S. 187). Dass er sich hierzu aus der oben genannten Sekundärliteratur – wo es ihm nützlich erscheint – ohne Quellenangabe bedient (S. 160, 174ff.), sie aber gleichzeitig ohne Namens- oder Titelnennung und ohne Zitat in Bausch und Bogen (schon im Vorwort) verwirft, ist schlichtweg ärgerlich.

2008 scheiterte in Berlin eine Platzbenennung nach Waldemar Pabst. Antragstellerin war die NPD, als deren Wähler sich Pabst in einem Brief in den Sechzigerjahren geoutet hatte. Immerhin wird auch Michael Heinz’ Buch Pabst – und dies erscheint erfreulich – nicht zur historischen Gallionsfigur der Neuen Rechten erheben. Dazu ist dessen Massentauglichkeit – auch wenn er nicht schlechter schrieb als Hitler – zu gering.

1 Susanne Meinl, Nationalsozialisten gegen Hitler. Die nationalrevolutionäre Opposition um Friedrich Wilhelm Heinz, Berlin 2000.
2 Susanne Meinl / Dieter Krüger, Der politische Weg von Friedrich Wilhelm Heinz. Vom Freikorpskämpfer zum Leiter des Nachrichtendienstes im Bundeskanzleramt, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 42 (1994), S. 39–69.
3 So behauptet er (S. 195), es habe auf beiden Seiten nur „selten Pardon“ gegeben. Dies ist erwiesenermaßen falsch. Kein gefangener Regierungssoldat wurde je in Berlin an die Wand gestellt und erschossen. Bei den Märzkämpfen in Berlin 1919 – wohlgemerkt hier im Kampf – kamen ca. 70 Regierungssoldaten um, aber auf der Gegenseite über 1200 der revoltierenden Arbeiter, die massenhaft – dem widerrechtlichen Schießbefehl Pabsts/Noskes entsprechend – als Gefangene nach dem Kampf an die Wand gestellt wurden. Auch ging der Schießbefehl Pabsts/Noskes auf eine bewusst von Pabsts Presseabteilung (federführend: Fritz Grabowsky) verbreitete Zeitungsente zurück, es seien unzählige Polizisten umgebracht worden. Auch diese Meldung war falsch. Niemand wurde in den Märzkämpfen „in bestialischer Weise“ von den „Spartakisten“ umgebracht, wie von Heinz (S. 197) weiter behauptet. Da wiegt schon weniger schwer, dass er die Märzkämpfe als die „Marneschlacht der Roten Revolution“ bezeichnet (S. 193). Dieser Begriff wurde von Rudolf Hilferding nur für die Januarkämpfe 1919 und ohne die Farbe „rot“ verwendet.
4 Manfred Wichmann, Gesellschaft zum Studium des Faschismus. Antidemokratisches Netzwerk zwischen Rechtskonservatismus und Nationalsozialismus, in: Bulletin für Faschismus- und Weltkriegsforschung, H. 31/32, Berlin 2008, S. 72–104; Doris Kachulle, Waldemar Pabst und die Gegenrevolution. Vorträge, Aufsätze aus dem Nachlass. Hrsg. von Karl Heinz Roth (Bulletin für Faschismus- und Weltkriegsforschung, H. 5), Berlin 2007; Klaus Gietinger, Der Konterrevolutionär. Waldemar Pabst – eine deutsche Karriere, Hamburg 2009.
5 Tiroler Landesarchiv, Akten der Selbstschutzverbände, XII12, 1929, Bl. 804.
6 Waldemar Pabst, Einigt euch in Österreich, in: Berliner Lokalanzeiger vom 22.3.1933, nachgewiesen in: Bundesarchiv Berlin, R 8034 III (Zeitungsausschnittsammlung Reichslandbund), Nr. 342.

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