H. Berghoff u.a. (Hrsg.): History by Generations

Titel
History by Generations. Generational Dynamics in Modern History


Herausgeber
Berghoff, Hartmut; Jensen, Uffa; Lubinski, Christina; Weisbrod, Bernd
Reihe
Göttinger Studien zur Generationenforschung 11
Erschienen
Göttingen 2013: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
299 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
David Templin, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg

Als Ergebnis einer Konferenz des Graduiertenkollegs „Generations in Modern History“ an der Universität Göttingen und des Deutschen Historischen Instituts Washington im Dezember 2010 entstand der vorliegende Sammelband, der vielfältige zeithistorische Perspektiven auf das Forschungsfeld „Generationen“ vereint. In 13 Beiträgen fragen Wissenschaftler/innen aus den USA und Europa nach Generationsdiskursen sowie nach der Bedeutung der Kategorie Generation für historischen Wandel und diskutieren neue Konzepte einer generationell orientierten Geschichtsschreibung. Die im Titel formulierte These einer „History by Generations“ wird allerdings schon in der Einleitung von den Herausgeber/innen relativiert, indem sie betonen: „It would be wrong to assume that history is being made by generations. History is being explained by and to generations.“ (S. 8)

Der US-amerikanische Demograph Elwood Carlson eröffnet den Band mit einer Einführung in Generationskonzepte, in der er die unterschiedlichen Begrifflichkeiten verständlich erläutert. Am Beispiel US-amerikanischer Generationen des 20. Jahrhunderts formuliert Carlson die These der zentralen Bedeutung demographischen Wandels für die Generationsbildung. Mit dieser Makro-Perspektive betont er das Gewicht struktureller Faktoren gegenüber bewussten Identitätskonstruktionen. Ob sich aus gleichen Ausgangsbedingungen allerdings automatisch eine „mechanical solidarity“ (S. 23) ergibt, wie Carlson annimmt, erscheint fraglich.

Die folgenden drei Beiträge sind vor dem Hintergrund dieser Skizze zu verorten. Während Sarah E. Chinn sich der Entstehung der Adoleszenz und einer generationellen Kluft zwischen Immigrant/innen und ihren in den USA geborenen Kindern um 1900 widmet, analysiert Johanna A. Brumberg die Ursprünge des Konzepts der „Baby Boomer“-Generation mit Blick auf den intellektuellen Diskurs der 1960er- und 1970er-Jahre. Chinn argumentiert, dass Immigranten-Kinder über die Aneignung US-amerikanischer Populärkultur gleichzeitig eine Brücke zwischen „alter“ und „neuer Welt“ bauten und sich von ihren Eltern abgrenzten. Über Sprache, Sexualität und Konsum schufen sich diese Jugendlichen der urbanen Arbeiterklasse eine eigene Identität, die wiederum auf die US-amerikanische Kultur zurückwirkte. Brumberg sucht in ihrem Beitrag nach den Wurzeln des Konzepts der „Baby Boomer“, das an der Wende zu den 1980er-Jahren in den USA auftauchte und die Kohorte der 1945–1965 Geborenen bezeichnet. Am Beispiel sozialwissenschaftlicher Diagnosen der 1960er-Jahre zeigt sie, wie diese mit Bezug auf die Jugend einen einzigartigen Persönlichkeitstyp oder kulturellen Stil ausmachten, den sie als Ausdruck einer neuen Generation werteten. Wie Chinn geht auch Brumberg auf die Klassendimension von Generationsbildung ein und weist nach, dass die zeitgenössischen Analysen faktisch nur Mittelklasse-Jugendliche untersuchten, deren Merkmale generationell verallgemeinert wurden. Sie historisiert damit überzeugend den Prozess der Bildung eines Generationsnarrativs.

Der Artikel von Gary Cross ist grundsätzlicher und zeitlich umfassender ausgerichtet, indem er die Bedeutung von Konsummustern für generationelle Identitäten im 20. Jahrhundert herausarbeitet. Cross vertritt die These einer Tendenz zu kürzeren „Konsumentenkohorten“, da sich spezifische Produktreihen immer rascher ablösten. Tendenziell reduziert er Generationen damit letztlich auf ihre spezifischen Konsumobjekte – und läuft Gefahr, selbst den von ihm benannten Werbestrategien auf den Leim zu gehen, die über die Verknüpfung eines Produkts mit einer Alterskohorte Konsumgut-„Generationen“ konstruieren. Am Beispiel von Jugendkulturen wendet Dirk Schumann die Perspektive der Konsumentengenerationen auf den deutschen Fall an. Die Erklärungskraft des hier vorherrschenden Konzepts „politischer Generationen“ bestreitet er nicht, macht durch den Fokus auf kulturelle Erfahrungen jedoch einen neuen analytischen Zugriff stark. Dabei argumentiert Schumann überzeugender als Cross, indem er nicht enge Verknüpfungen von Produkten und Generationen proklamiert, sondern nach Zäsuren und Schlüsselentwicklungen fragt. Aufbauend auf einer durch das Habitus-Konzept erweiterten Neulektüre Mannheims, betont er die Bedeutung von Konsum und Kultur für die Herausbildung generationeller Dispositionen. Mit Blick auf die deutsche Jugendbewegung des frühen 20. Jahrhunderts rückt Uffa Jensen eine der von Schumann skizzierten Generationen in den Fokus. Er nimmt eine performative Perspektive auf die Bildung von Generationen ein und erweitert das Konzept Mannheims überzeugend um die Dimension des „emotionalen Stils“. Emotionale Codes oder Stile trügen, so Jensen, mit dazu bei, generationelle Gemeinschaften zu schaffen und aufrechtzuerhalten – wie er im Vergleich des Wandervogels mit der Jugendkulturbewegung um Gustav Wyneken aufzeigt.

Die Artikel von María Fernández Moya und Olaf Brunninge/Anders Melander widmen sich der Frage der Generationsablösungen in Familienunternehmen. Mit dieser „genealogischen“ Perspektive wirken die beiden Beiträge in der Mitte des Bandes etwas unvermittelt. In einer Langzeitperspektive von jeweils über hundert Jahren fragen sie nach der Tradierung spezifischer Firmenstrategien, aber auch nach Brüchen und Zäsuren in der Generationenfolge. Während Fernández Moya am Beispiel zweier spanischer Verlage die Bedeutung der Nachfolgeplanung, des Wissenstransfers und der Weitergabe sozialen Kapitals hervorhebt, wenden Brunninge und Melander das um eine generationelle Perspektive erweiterte Konzept der „Organisationsidentität“ auf zwei schwedische Unternehmen der Zellstoff- und Papierindustrie an.

Generationelle Erfahrungen in Ostdeutschland werden in den Beiträge von Volker Benkert und Astrid Baerwolf über die Phase des politischen Systemwechsels von 1989/90 hinweg untersucht. Benkert stellt die Frage, warum sich keine „Generation ’89“ konstituiert habe. Auf der Basis von lebensgeschichtlichen Interviews mit 1967–73 geborenen Ostdeutschen arbeitet er sieben Typen von Vertreter/innen dieser Alterskohorte heraus, die sich durch unterschiedliche Ausgangsdispositionen und Transformationserfahrungen auszeichnen. Zwischen Dissidenz und Konformismus, Aufstiegs- und Verlusterfahrungen schwanken die stark fragmentierten generationellen Identifikationen. Baerwolf untersucht für dieselbe Periode die Wandlungen in den Konzepten von Mutterschaft, indem sie drei von ihr konstruierte „stille Generationen“ (Weisbrod) von Müttern vergleicht. Während die „DDR-Mütter“ vor dem Hintergrund einer ausgebauten öffentlichen Kinderbetreuung dem Leitbild einer pragmatischen Kombination von Vollzeitarbeit und Mutterschaft folgten, entwickelten sich im Zuge der Privatisierung von Betreuungseinrichtungen nach 1989 neue, „professionalisierte“ Standards von Mutterschaft.

Die letzten drei Beiträge wenden sich politischen Generationen in osteuropäischen Ländern zu: den Absolvent/innen der NÉKOSZ-Hochschulen der 1940er-Jahre in Ungarn (Judith Szapor), den tschechischen „68ern“ (Ondřej Matějka) und den jungen Protestgenerationen in Polen und der DDR in den 1980er-Jahren (Kirsten Gerland). Mit Blick auf die Absolvent/innen der zwischen 1946 und 1949 bestehenden ungarischen „Volksuniversitäten“ spricht Szapor von einer „generation denied“, deren „Geburtsrecht“, zur Elite des Landes zu werden, ihr vom politischen Regime verweigert worden sei (S. 257). Damit tendiert sie dazu, den von ihr skizzierten NÈKOSZ-Mythos selbst zu reproduzieren und die verpasste Chance eines demokratischen Sozialismus in Gestalt einer neuen Elite zu beklagen.

Matějka untersucht eine vergleichbare Alterskohorte in der Tschechoslowakei. Im bemerkenswerten Kontrast zum deutschen Fall, in dem die in den 1940er-Jahren Geborenen als „68er“ firmieren, handelt es sich hier um die 1920–1930 geborenen Vertreter des tschechischen Reformkommunismus. Ausgehend vom negativen Image dieser Generation fragt Matějka nach den Phasen der Konstruktion und Diskussion des „68er“-Labels. Bis in den antifaschistischen Widerstand verfolgt er die Selbstgenerationalisierung ihrer Angehörigen, die sich früh als „generation that will construct socialism“ präsentierten (S. 263) – seit 1953/56 abgelöst von einem Diskurs der schuldhaften Verstrickung in den Stalinismus und der Rehabilitation der sozialistischen Idee. In den Jahren nach 1968 wurden diese Selbstbilder von Vertretern einer jüngeren Alterskohorte attackiert und die „68er“ als „alternde Revolutionäre“ und „Gefangene ihrer jugendlichen Illusionen“ portraitiert (S. 269f.). Matějka gelingt es überzeugend, die mobilisierende Kraft des Generationsnarrativs ebenso wie die generationellen Aufladungen der Richtungskämpfe innerhalb der tschechischen Dissidenten-Szene aufzuzeigen.

Im letzten Beitrag des Bandes vergleicht Gerland die Vergangenheitsbilder und Zukunftsvisionen des polnischen Jugendprotestes mit denen des ostdeutschen. Sie geht von der generationsbildenden Kraft geteilter zeitgenössischer Erfahrungen in Kombination mit retrospektiven Narrativen aus. Während in Polen das Zugehörigkeitsgefühl zu einer „neuen, jungen Generation“ in den Protesten um 1980 stark war und an den Mythos des jungen, kämpfenden Nationalhelden anknüpfte, war das Generationsbewusstsein ostdeutscher Jugendlicher um 1989 deutlich schwächer ausgeprägt. Anders als in Polen konnte sich dort keine starke generationelle Selbstdeutung herausbilden, was Gerland unter anderem auf den prägenden Einfluss des staatlich propagierten „Generationenbands“ zurückführt.

Der Band vereint unterschiedliche Verwendungsweisen des Generationen-Begriffs. Während insbesondere in Carlsons Beitrag der Gedanke von Generationen „an sich“, die sich auf Basis struktureller Prozesse konstituieren, stark gemacht wird, arbeiten andere Autor/innen stärker die diskursiven Konstruktionsleistungen in der Bildung von Generationen heraus. Ein Großteil der Beiträger/innen lehnt sich an Mannheim an, dessen Ansatz mit unterschiedlichen neuen Konzepten erweitert oder reformuliert wird. Innovativ für die historische Generationsforschung in Deutschland erscheint vor allem der Fokus auf die Bedeutung von Konsum. Insgesamt handelt es sich um einen ausgesprochen lesenswerten Sammelband, der vielfältige generationelle Perspektiven eröffnet und Anregungen für weitere Forschungen in diesem Feld bietet.

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