G. Gersmann u.a. (Hrsg.): Im Banne Napoleons

Cover
Titel
Im Banne Napoleons. Rheinischer Adel unter französischer Herrschaft. Ein Quellenlesebuch


Herausgeber
Gersmann, Gudrun; Langbrandtner, Hans-Werner
Reihe
Vereinigte Adelsarchive im Rheinland e.V. – Schriften 4
Erschienen
Anzahl Seiten
336 S.
Preis
€ 24,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marlene Keßler, Historisches Seminar, Eberhard Karls Universität Tübingen

In den letzten beiden Jahrzehnten hat die Forschung zum Adel in der Moderne eine Konjunktur erlebt. Ein Hauptaugenmerk lag dabei auf dem Wandel um 1800, während dem sich die politischen und sozialen Rahmenbedingungen, denen der Adel in seinem Kampf ums Obenbleiben unterlag, rasant änderten. Gerade der rheinische Adel war stark vom Umbruch betroffen, brachte die französische Besetzung seiner Heimat doch den Verlust sämtlicher Standesprivilegien mit sich. Die Umwälzungen der „Franzosenzeit“ zwangen ihn, sein Selbstverständnis zu hinterfragen und sich angesichts der veränderten Gegebenheiten neu zu verorten. Beim erneuten Herrschaftswechsel 1815 schließlich, als die Rheinlande der preußischen Krone einverleibt wurden, eröffnete sich für den Adel die Chance, verloren geglaubte Privilegien wiederzugewinnen. Dennoch zeigte sich, dass eine vollständige Rückkehr zum alten ständischen Gesellschaftsmodell nicht mehr möglich war. Im Rheinland deutete sich somit früh eine Entwicklung an, die für den deutschen Adel im 19. Jahrhundert insgesamt kennzeichnend wurde: der Verlust der herausgehobenen Stellung qua Geburt machte veränderte Strategien zur Selbstbehauptung erforderlich, durch die sich der Adel tendenziell in Richtung einer Funktionselite entwickelte.

Obwohl die rheinische Adelslandschaft durch die zwei Jahrzehnte währende französische Herrschaft nachhaltig verändert wurde und dadurch einen Sonderstatus einnimmt, ist die Geschichte des rheinländischen Adels für die Zeit nach 1789 bislang wenig untersucht. Das vorliegende Quellenlesebuch will nun mit dazu beitragen, diese Forschungslücke zu schließen. Seine Entstehung verdankt sich einem Hauptseminar an der Universität zu Köln sowie mehreren Qualifikationsarbeiten, denen viele der einleitenden Texte und Erläuterungen entnommen sind. Die Sammlung schließt an einen 2009 erschienenen, breiter angelegten Quellenband an, der sich den „Adligen Lebenswelten im Rheinland“ während der gesamten Frühen Neuzeit widmet 1 und der seinen Ursprung wiederum in einem deutsch-französischen Forschungsprojekt zum rheinischen Adel in der so genannten Sattelzeit hat.

Das Lesebuch enthält eine vielfältige Auswahl von über hundert, meist erstmals publizierten Quellen. Größtenteils handelt es sich dabei um Ego-Dokumente, wie etwa Briefe aus der adligen Familienkorrespondenz. Abgedeckt wird die Zeit von 1794, als das linke Rheinufer – das von der Quellenauswahl her im Vordergrund steht – von den Revolutionstruppen militärisch besetzt wurde, bis 1815, als die Rheinlande Preußen zugesprochen wurden. Die Quellen sind größtenteils deutsch-, bisweilen auch französischsprachig. Auch einige Bilddokumente, die mit den Textquellen in Verbindung stehen, sind beigegeben; sie dienen vor allem dazu, das kulturelle Leben der Adligen zu illustrieren. Die Herausgeber schöpften bei der Zusammenstellung aus zwanzig privaten Adelsarchiven, zogen ergänzend aber auch die Materialien einiger öffentlicher Archive heran.

Der Band beginnt mit einer ausführlichen Einleitung, in der Gudrun Gersmann Konzept und Inhalt der Zusammenstellung erläutert. Erklärtes Ziel – das auch erreicht wird – ist es, „zumindest in groben Umrissen nach[zu]vollziehen, auf welche Art und Weise der Adel auf die politischen, sozialen und gesellschaftlichen Umbrüche des revolutionären Zeitalters reagierte“ (S. 20). Dabei fassen die Herausgeber aus pragmatischen Gründen als Akteursgruppe die Familien, die sich zu den „Vereinigten Adelsarchiven im Rheinland e.V.“ zusammengeschlossen haben. Dies ist durchaus legitim, gleichwohl wären einige Bemerkungen zur genaueren Charakterisierung der untersuchten Gruppe sinnvoll gewesen.

Aufgeteilt ist die Quellenauswahl in sieben größere Kapitel mit mehreren Unterkapiteln, wobei weitgehend chronologisch vorgegangen wird. Den (Unter-)Kapiteln gehen jeweils kurze Einleitungstexte unterschiedlicher Verfasser voran. Ganz bewusst will sich der Band als „Lesebuch“ verstanden wissen und sich sowohl an Historiker wie an interessierte Laien wenden. Diese Konzeption ist gelungen: Die Überschriften sind gut gewählt, die Begleittexte aussagekräftig und die Quellen vermitteln eindrücklich ein durchaus widersprüchliches Bild vom adeligen Leben und Handeln in der Zeit der französischen Herrschaft. Abgerundet wird die Quellensammlung durch Kurzbiografien zu den in den Quelltexten vorkommenden Personen, eine Zeitleiste, ein Glossar sowie eine Auswahlbibliographie. Lediglich ein Personenregister wäre noch wünschenswert gewesen, sein Fehlen ist wohl dem Lesebuchcharakter geschuldet.

Den Schwerpunkt der Auswahl bilden die verschiedenen Reaktionsweisen des Adels auf die Umwälzungen. Längst nicht alle Adeligen lehnten die Neuerungen der „Franzosenzeit“ so grundsätzlich ab, wie es etwa Johann Wilhelm von Mirbach-Harrf tat. Manch einer wusste sich im Gegenteil durchaus mit den Veränderungen zu arrangieren, allen voran Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck. Die Dokumente, die aus dessen Nachlass stammen, gehören zu den interessantesten Quellen, die in dem Lesebuch versammelt sind. Salm-Reifferscheidt-Dyck gelang das Kunststück, sowohl unter napoleonischer Herrschaft als auch in der preußischen Zeit zu den Profiteuren des jeweiligen Systems zu zählen. Obwohl er es unter Napoleon bis zum Comte d’Empire schaffte, Mitglied der Ehrenlegion wurde und auch freundschaftliche Kontakte zu den Franzosen knüpfte, scheint dies seiner Glaubwürdigkeit als loyaler Untertan nach dem Machtwechsel keinen Abbruch getan zu haben: Bereits 1816 erhält er von Friedrich Wilhelm I. den Fürstentitel wieder. Wie ebenfalls deutlich wird, hatten andere Adelsfamilien hingegen mit größeren Schwierigkeiten zu kämpfen. So verleiht Henriette von Groote 1811 angesichts der finanziellen Belastungen ihren Befürchtungen Ausdruck, dass die Familie bald kein standesgemäßes Leben mehr führen könne. Als ihren beiden Söhnen der Militärdienst droht, wünscht sie sich gar: „Ach wären wir doch alle ein Jahrhundert früher auf der Welt gewesen! Allein der liebe Gott weiß es allein, wofür es gut ist, daß wir dieses Schicksal erleben mußten“ (S. 149).

Spannend sind weiterhin die Quellen, die einen Eindruck vom Alltagsleben des Adels vermitteln. Sie zeigen, wie sehr sich der Adel auch kulturell an Paris und dem napoleonischen Geschmack orientierte. Zudem bieten sie einen Einblick in das adlige Unternehmertum, das, wie Gersmann in der Einleitung betont, nicht so konservativ war, wie gerne angenommen. Beispielsweise versuchte der Gutsbesitzer Franz Anton von Spee, den Ertrag seiner Schafszucht durch Kreuzung mit Merinoschafen zu verbessern. Leider finden sich in der Quellenauswahl jedoch keine Beispiele für adlige Innovationen außerhalb des agrarischen Bereichs, obwohl diese in der Einleitung explizit erwähnt und als Beleg dafür angeführt werden, dass der rheinische Adel „die Zeichen der Zeit – d.h. der beginnenden Industrialisierung – schon früh erkannt“ (S. 18) habe. Das Fehlen solcher Quellen ist insbesondere deshalb zu bedauern, da das Themenfeld Adel als Unternehmer für das 19. Jahrhundert noch weitgehend unerschlossen ist 2.

Das Lesebuch schließt mit einigen Quellen, die einen Eindruck vom Schicksal des Adels nach dem Ende der französischen Herrschaft vermitteln. Der Adel kämpfte darum, seine alte Stellung wiederzuerlangen, sah sich dabei jedoch mit bürgerlichen Publizisten konfrontiert, die ihm Opportunismus vorwarfen. Die hierzu abgedruckten Streitschriften sind fesselnd zu lesen. Sie spiegeln wider, wie sehr die bürgerliche Gesellschaft bereits auf dem Vormarsch war und welch nachhaltige Wirkung die in der „Franzosenzeit“ angestoßenen Veränderungen entfalteten.

Insgesamt führt die Quellensammlung eindrücklich die heterogene Situation der Adligen in der „Franzosenzeit“ vor. Sie zeigt, dass die Umwälzungen dieser Jahre für den rheinländischen Adel keineswegs ausschließlich Niedergang bedeuteten, sondern dass einigen Vertretern des Adels durchaus die Selbstbehauptung gelang – Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck ist wohl das herausragendste Beispiel hierfür. Auf diese Weise entfaltet sich beim Lesen ein facettenreiches, anregendes Bild des rheinländischen Adels um die Jahrhundertwende.

Anmerkungen:
1 Gudrun Gersmann / Hans-Werner Langbrandtner (Hrsg.), Adlige Lebenswelten im Rheinland. Kommentierte Quellen der Frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2009.
2 Vgl. Gert Kollmer-von Oheimb-Loup, Adelige als Unternehmer in der vorindustriellen Gesellschaft. Die Familie Palm als Paradigma, in: Ronald G. Asch / Václav Bůžek / Volker Trugenberger (Hrsg.), Adel in Südwestdeutschland und Böhmen 1450–1850, Stuttgart 2013, S. 189–205, bes. S. 189–197.