: C.H. Beck 1763–2013. Der kulturwissenschaftliche Verlag und seine Geschichte. München 2013 : C.H. Beck Verlag, ISBN 978-3-406-65400-8 861 S. € 38,00

: 250 Jahre rechtswissenschaftlicher Verlag C.H. Beck. 1763–2013. München 2013 : C.H. Beck Verlag, ISBN 978-3-406-65634-7 591 S. € 38,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Siegfried Lokatis, Universität Leipzig

Unter Verlagshistorikern wird derzeit diskutiert, ob Jubiläumsgeschichten von Verlagen, speziell wenn sie deren NS-Vergangenheit behandeln, überhaupt wissenschaftlicher Charakter zugemessen werden könne. Das hängt keineswegs allein von der unbestechlichen Kompetenz des Autors ab, sondern es bedarf auch des Aufklärungswillens und der Großzügigkeit des Verlages, freien Archivzugang zu gewähren, aufwändige Detailstudien und Forschungsreisen zu unterstützen, die eigenen Mitarbeiter zu Interviews zu ermutigen und bereit zu sein, allen möglichen Ärger mit hämischen Kommentaren, beleidigten Autoren, vernachlässigten Mitarbeitern und erstaunten Lesern in Kauf zu nehmen – und historische Wahrheit kann in Deutschland einem Verlag leicht weh tun. Dem führenden deutschen Geschichtsverlag Wolfgang Becks, der sich so große Verdienste um die Erforschung des Nationalsozialismus und des Holocausts erworben, der sich eindrucksvoll um die jüdische Geschichte gekümmert hat, zu dessen Autoren ein Saul Friedländer zählt und in dem die NS-Geschichte der Deutschen Bank publiziert wurde, steht es jedenfalls gut zu Gesicht, dass er sich endlich auch um die kritische Aufarbeitung seiner eigenen Geschichte gekümmert hat.

Stefan Rebenich, der die Geschichte des kulturwissenschaftlichen Zweigs dargestellt hat, ist Althistoriker, und es war sein ursprüngliches Anliegen, sich um den Aufbau des breiten altgeschichtlichen Segments im Verlagsprogramm zu kümmern. Davon verblieben ist in seiner von 1763 bis 2013 reichenden Geschichte ein Kapitel über das „Handbuch der klassischen Altertumswissenschaft“ und eine gründliche Studie zu Hermann Bengtson, um den sich im Verlag eine kleine Mitläuferfabrik für belastete Althistoriker etablierte, und der die Auffrischung dieses Bereichs mit Autoren wie Moses I. Finley, Karl Christ oder Christian Meier gründlich behinderte. Hier gelingen faszinierende Innenansichten, gestützt auf ein Verlagsarchiv, das sich auch als ein Füllhorn voll mit Trouvaillen zu Heimito von Doderer, Hans von Lehndorff, Manfred Bieler und die Koproduktionen mit der Leipziger Kiepenheuer-Gruppe erweist. Den Neuzeit-Historiker wird eher die Schilderung der strategischen Akquise seiner Kollegen Thomas Nipperdey und Hans-Ulrich Wehler fesseln, die im Historikerstreit kaum unter einem Verlags-Dach zu halten waren. Allein dieser Teil des VII. Kapitels dürfte genügen, um hier eine klare Kauf- und Lektüreempfehlung auszusprechen. Geboten wird ein vergleichsweise offener Einblick in die jüngere Erfolgsgeschichte eines führenden H-Soz-u-Kult-Verlages. Am Schluss kommt dann doch noch der Festschrift-Charakter zur Geltung: Ein sympathischer Verlag zeigt sich auf Bildern mit all seinen Mitarbeitern in fröhlicher Festbeleuchtung, und auch das aktuelle Programm der letzten Jahre will gebührend erwähnt sein.

Die transparente Komposition und das eindrucksvolle Register erleichtern die selektive Lektüre des gewichtigen Werkes. Die ersten 180 Jahre leiden ein wenig unter der Zerstörung des Verlagsarchivs im letzten Weltkrieg. Doch glücklicherweise handelt es sich nicht um die erste Festschrift des traditionsstolzen Familienunternehmens, und die in den Vorläufern, etwa in dem 1938, 1963 wie 1988 erschienenen Verlags-Almanach „Aquädukt“ enthaltenen Bausteine wurden hauptsächlich aus Schriftstellernachlässen in Literaturarchiven ergänzt. Dabei geht es unter anderem um den Zürcher Juristen (!) Johann Caspar Bluntschli, um die berühmten Protagonisten der Zwischenkriegszeit Egon Friedell, Albert Schweitzer und Oswald Spengler oder um Walter Flex und dessen zählebiges Kriegskultbuch „Der Wanderer zwischen beiden Welten“ aus dem Jahr 1916.

Apropos: es gibt noch eine zweite aktuelle Verlagsgeschichte, die an dieser Stelle vergleichend hinzugezogen werden sollte, das tiefgründige Werk des grandiosen Rechtshistorikers Uwe Wesel über den seit den 1930er-Jahren zunehmend staatstragenden rechtswissenschaftlichen Verlag, den der ältere Bruder (und mit seinen Lektoren Koautor!) Hans Dietrich Beck virtuos leitet. Dass zu einem Verlagsjubiläum gleich zwei Festschriften vorgelegt werden, erscheint als ein Unikum, ist es aber nicht, sondern erinnert an gewisse Gepflogenheiten des Kalten Krieges, als Unternehmen wie Brockhaus, Reclam und der Inselverlag noch zweifach präsent waren.

Die von Wesel und Rebenich vorgelegten Bücher beackern hinreichend breite Felder, um sich kaum in die Quere zu kommen und sich vielmehr zu ergänzen. Auch erhöht es das Lesevergnügen, beider Schreibstrategien, ordnende Konzeptionen und Belegtechniken miteinander zu vergleichen, um die hier und dort versteckten polemischen Spitzen zu finden. Während Rebenich sein Interesse weniger auf den Verlag als auf dessen Bücher richten will, wagt sich Wesel tapfer auf die verminten Felder der frühen Buchhandelsgeschichte vor, um beispielsweise den älteren Naturaltausch des „Bücherverstechens“ vom Merkantilismus abzuleiten.

Aus verlagsgeschichtlicher Sicht ist bei beiden Autoren die entschiedene Ausblendung der ökonomischen Entwicklungen und konkreter Zahlen zu bedauern. Wesel bewertet die Produktivität der sechs Verlegergenerationen mit Hilfe des kläglichen Maßstabs der Titelstatistik, statt die daraus gewachsenen Nachauflagen in die Rechnung mit einzubeziehen. Man erführe gern mehr über die Höhe besagter Neuauflagen, denen Beck seinen Reichtum verdankt, und über deren Abverkauf vor der fälligen Überarbeitung. Diese konkrete Unterfütterung würde eine Verlagsgeschichte erlauben, die ökonomische Zwänge und Gefährdungen, Marktperspektiven und Interessenlagen rekonstruiert, um auch problematische verlegerische Entscheidungen vor ihrem damaligen Handlungshorizont nüchtern bewerten zu können. Die konsequente Instrumentalisierung von Autoren wie Oswald Spengler und dem abservierten Egon Friedell als moralisches Alibi erweist sich hingegen leicht als zu brüchiger Schutzschild – jedenfalls für den Nichtpimpf.

Die kritische Auseinandersetzung mit den Spuren der NS-Vergangenheit im Beck-Verlag ist zu wichtig, um das Thema allein den Juristen zu überlassen. Und das juristische Fachpublikum sollte sich endlich mit einem allzu lange verdrängten Kapitel der eigenen bundesrepublikanischen Frühgeschichte befassen, mit der dominierenden Rolle nationalsozialistisch belasteter Juristen und ihrer Schriften im führenden Beck-Verlag. Mit einem geschickt inszenierten Skandal ist es Wesel gelungen, die öffentliche Aufmerksamkeit auf die heikelste Phase der Verlagsgeschichte zu fokussieren, die sonst in den beiden Wälzern zuverlässig versteckt geblieben wäre. Bei der Vorstellung der beiden Bände auf der Frankfurter Buchmesse im Herbst 2013 kritisierte er, wie die Presse meint, „töricht“ Rebenichs methodisch reflektierte und gründlicher recherchierte Darstellung und Interpretation der Arisierung des Otto Liebmann Verlages durch Heinrich Beck Ende 1933. Denn Rebenichs Darstellung liefert den Schlüssel, um Wesels (vielleicht aus Rücksicht auf ein befangenes Zielpublikum) möglichst behutsam formulierte, tatsächlich jedoch im Vergleich zu der Verlagsfestschrift „Juristen im Porträt“ von 1988 sensationell offene biographische Studien zur NS-Vergangenheit maßgeblicher Juristen, die das Fundament unserer Rechtskultur legten, mit der gebotenen Schärfe zu interpretieren. Es lohnt sich also, beide Bücher zu lesen.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Weitere Informationen
C.H. Beck 1763–2013
Sprache der Publikation
250 Jahre rechtswissenschaftlicher Verlag C.H. Beck
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension