: Franz Ferdinand. Die Biografie. Wien 2013 : Amalthea Signum, ISBN 978-3-85002-845-5 349 S. € 24,95

: Franz Ferdinand. Der eigensinnige Thronfolger. Wien 2013 : Böhlau Verlag, ISBN 978-3-205-78850-8 322 S. € 35,00

Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Friedrich Kießling, Department Geschichte, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Der 100. Jahrestag des Kriegsausbruchs von 1914 hat das Interesse einmal mehr auch auf den ermordeten österreichischen Thronfolger gelenkt. Und in der Tat ist die Frage, wie sich die Doppelmonarchie unter der Herrschaft Franz Ferdinands entwickelt hätte, ja auch für Historiker nicht ganz ohne Reiz. Hinzu kommt, dass sich – im populären Bild wie in der Forschung – einige recht starke Urteile über Franz Ferdinand ziemlich hartnäckig halten, etwa jenes, dass er ein Anhänger einer trialistischen Umgestaltung der Monarchie unter besonderer Einbeziehung der südslawischen Bevölkerungsgruppen gewesen sei und so die Attentäter in Sarajewo gewissermaßen einen Verbündeten getötet hätten. Entsprechend interessiert nimmt man die beiden neuen Biographien von Jean-Paul Bled und Alma Hannig zur Hand.

Bleds Buch stellt die Übersetzung seiner bereits 2012 auf Französisch erschienenen Arbeit dar. Dem ursprünglich französischen Publikum ist es möglicherweise geschuldet, dass der Pariser Professor und Experte für deutsche wie österreichische Geschichte seine Darstellung mit allgemeinen Informationen zu Struktur und Geschichte der Habsburgermonarchie beginnt. Es folgt eine Mischung aus politischer und stärker an persönlichen Fragen interessierter Biographie. Franz Ferdinands Jagdleidenschaft wird ebenso ausführlich dargestellt wie seine Tuberkuloseerkrankung, sein Verhältnis zu diversen Mitgliedern der kaiserlichen Familie, aber auch die „Nebenregierung“ im Belvedere oder die politischen Vorstellungen für eine Reform des Dualismus. Neben publizierten Quellen hat Bled für seine Biographie auch einige Archivbestände ausgewertet, so den Nachlass Franz Ferdinands im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv sowie die Bestände der Militärkanzlei des Thronfolgers. Auch wenn er damit wissenschaftliche Ansprüche verfolgt, ist seine Biographie doch ebenso deutlich an ein breiteres Publikum gerichtet. Ausführliche Auseinandersetzungen mit der Forschung findet man entsprechend nicht.

Bleds Urteil über die Person fällt wenig schmeichelhaft aus. Franz Ferdinand war demnach jähzornig, nachtragend, dabei von Minderwertigkeitsgefühlen und einer erheblichen Unduldsamkeit gegenüber Untergebenen geprägt. Ausgeglichen eigentlich nur durch einen ausgeprägten Familiensinn, sieht Bled in solchen Eigenschaften eine erhebliche Hypothek für eine gedachte Regierungsübernahme. Franz Ferdinand hätte erst seine „charakterlichen Defizite überwinden müssen – eine nicht ganz einfache Aufgabe“ (S. 297). Auch politisch ist das Urteil kaum günstig. Der Erzherzog Thronfolger war nicht nur antiliberal und antidemokratisch, regelmäßig äußerte er sich auch abschätzig gegenüber Juden, witterte Machenschaften von Freimaurern oder ließ seiner Antipathie gegenüber diversen Nationen des Vielvölkerstaats freien Lauf. Seine politischen Vorstellungen hält Bled insgesamt für deutlich autokratischer als die seines Onkels Franz Joseph. Dies alles ist von Bled dennoch nicht ohne Sympathie für den Thronfolger geschrieben. Mangelnde Ausbildung (zunächst rechnete kaum jemand damit, dass Franz Ferdinand Thronfolger werden würde), die langjährige Zurücksetzung am Hof in Folge seiner morganatischen Ehe und auch Franz Ferdinands Krankheit, deren Ausgang jahrelang unsicher war, können manches an diesem Bild erklären. Am Ende, so Bled, hätte aber auch Franz Ferdinand bestimmte innen- wie außenpolitische Realitäten der Habsburgermonarchie anerkennen müssen, so dass die Frage, wie er sich als Kaiser verhalten hätte, naturgemäß Spekulation bleiben muss.

Die Biographie der Bonner Historikerin Alma Hannig, Expertin für die Außenpolitik der Habsburgermonarchie vor 1914, ist deutlich politischer orientiert. Hannig geht von der Überlegung aus, dass die Frage, wie stark der Thronfolger die Politik Österreich-Ungarns bereits vor 1914 beeinflusst hat, im Grunde bis heute unbeantwortet ist. Dem Mythos weitgehender „Machtlosigkeit“ (S. 12) stünde der einer veritablen Nebenregierung gegenüber.

Fast wie eine Entgegnung auf Bled (der allerdings an dieser Stelle nicht genannt wird) wirkt Hannigs Anspruch, die „bisherige Überbetonung des privaten Moments“ und dessen „Bedeutung für Franz Ferdinands politisches Denken und Handeln kritisch zu hinterfragen“ (S. 14). Ganz auf die persönliche Biographie verzichtet allerdings auch Hannig nicht. Den von Jean-Paul Bled benutzten Quellenbeständen fügt sie vor allem einige weitere Nachlässe aus der Umgebung von Franz Ferdinand hinzu. Vor allem auf Franz Ferdinands Weltreise, die ihn 1892/93 unter anderem nach Indien, China, Japan und in die USA führte, geht sie ausführlich ein. Sein wenige Jahre später teilweise publiziertes Reisetagebuch ist voll von immer wieder abschätzigen Bemerkungen über die besuchten Länder. Es finden sich aber auch interessante Einschätzungen über das politische System der USA oder die Bedeutung der Seemacht in der Weltpolitik. Für Hannig stellt die Reise „wahrscheinlich den wichtigsten Beitrag zur sonst defizitären Bildung des Thronfolgers im Erwachsenenalter“ dar (S. 41). Dass die USA Vorbild für die inneren Reformvorstellungen Franz Ferdinands für Österreich-Ungarn geworden sei, hält sie angesichts der Kritik an der amerikanischen Demokratie allerdings für unwahrscheinlich. Neues Licht auf Franz Ferdinand werfen Hannigs Abschlusskapitel zur zeitgenössischen Wahrnehmung bzw. dem Bild des Thronfolgers in Kunst, Literatur und Film. Deutlich wird, dass viele Zeitgenossen sich durchaus positiv über seine Person äußerten. Sein „Nachleben“ in Literatur und Film war dagegen lange eher negativ, dazu vergleichsweise begrenzt, obwohl sein Leben nicht zuletzt wegen seiner erkämpften Liebesheirat ohne Zweifel Stoff für eine populäre Verarbeitung geboten hätte. Sehr plausibel verweist Hannig auf die Bedeutung der literarischen Darstellungen in Joseph Roths ‚Radetzkymarsch‘ sowie Stefan Zweigs ‚Die Welt von Gestern‘. Obwohl Hannig bei ihrer Analyse der Reaktionen auf die Ermordung zu anderen Ergebnissen kommt, könne vor allem Zweigs Darstellung, wonach in Wien angesichts der Todesnachricht nur wenig Trauer oder sogar kaum verhohlene Freude geherrscht habe, in ihrer „Bedeutung für das Negativbild des Thronfolgers nicht hoch genug eingeschätzt werden“ (S. 264).

Alles in allem hat Jean-Paul Bled die farbigere Biographie vorgelegt. Alma Hannigs Buch ist wissenschaftlich anspruchsvoller. Während Bled Erklärungen eher in persönlichen Umständen sucht, betont Hannig das rationale, nüchtern-politische Kalkül. Im Ergebnis sind beide Biographien aber gar nicht so weit auseinander. Vor allem lassen sie uns den politischen Einfluss Franz Ferdinands vor 1914 klarer als bisher erkennen. Bled wie Hannig verweisen dabei auf die autokratischen Neigungen des Thronfolgers. Was seine angeblich trialistischen Pläne anbelangt, so war dies lediglich eine Möglichkeit unter den vielen innenpolitischen Überlegungen, die Franz Ferdinand sowie seine Berater anstellten. 1914 hatte er sich aber wohl davon verabschiedet. Dass er zunächst vor allem einen strafferen Zentralismus angestrebt hätte, ist wahrscheinlicher. Abgesehen von solchen Plänen sehen Bled und Hannig übereinstimmend vor allem in der Außenpolitik (neben Militärangelegenheiten) eine erhebliche politische Bedeutung des Thronfolgers. Außenminister Leopold Graf Berchtold etwa hielt regelmäßigen Kontakt und Franz Ferdinand gelang es auch zunehmend, Einfluss auf wichtige Personalentscheidungen zu nehmen. Von Ausnahmen abgesehen gehörte er grundsätzlich zur Friedenspartei im österreichisch-ungarischen Establishment. Erst nach einer inneren Konsolidierung hielt er eine offensivere Außenpolitik wieder für möglich, wobei eine erneuerte Dreikaiserallianz mit Deutschland und Russland zeitlebens sein Lieblingsprojekt blieb.

Letzteres war ganz und gar monarchisch gedacht, und darin liegt ein weiterer Befund, der sich aus beiden Biographien ergibt. Zwar faszinierten Franz Ferdinand, wie viele seiner Zeitgenossen, die rasanten Entwicklungen der Technik, den Ansprüchen einer modernen Öffentlichkeit entzog er sich aber fast vollständig. Legitimation im Populären, eine Vorstellung, die bei Kaiser Wilhelm II. oder im britischen Königshaus durchaus verbreitet war, suchte Franz Ferdinand nicht. So gesehen war der österreichische Thronfolger tatsächlich mehr als andere Vertreter der europäischen Herrschaftshäuser ein Repräsentant jener alten europäisch-monarchischen Welt, die mit seiner Ermordung und dem folgenden Weltkrieg zu Ende ging.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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