A. Margara: Der Amerikanische Krieg

Cover
Titel
Der Amerikanische Krieg. Erinnerungskultur in Vietnam


Autor(en)
Margara, Andreas
Erschienen
Anzahl Seiten
154 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Oliver Tappe, Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung

Während der Zweite Indochinakrieg (1961–1975) in der westlichen Welt meist als Vietnamkrieg bekannt ist, gilt er in der Geschichtsschreibung und kollektiven Erinnerung Vietnams als „Amerikanischer Krieg“, als nationaler Befreiungskampf gegen einen scheinbar übermächtigen Aggressor. In seinem Buch „Der Amerikanische Krieg: Erinnerungskultur in Vietnam“, untersucht Andreas Margara die vietnamesische Perspektive auf diese gewaltsame Episode des Kalten Krieges. Fokus der Arbeit sind – inspiriert von Pierre Noras wegweisenden Arbeiten zu den französischen lieux de mémoire1 – Gedenkstätten und andere Erinnerungsorte, sowie die sich um diese Stätten rankenden Erinnerungsdiskurse. Die gelungene Studie illustriert das Spannungsverhältnis zwischen einer staatlich orchestrierten, revolutionären Verklärung der Vergangenheit und den komplexen gegenwärtigen Erinnerungs- und Identitätsdiskursen innerhalb der vietnamesischen Bevölkerung. Das historische Trauma der mehr als drei Millionen Kriegstoten wirkt bis heute nach und bleibt dabei eine ambivalente Ressource für die Kommunistische Partei Vietnams, die den heroischen Befreiungskampf als eine Grundlage ihrer Selbstlegitimation nutzt.

Die Arbeit verortet sich im Gefolge kulturwissenschaftlich geprägter Ansätze in der historischen Forschung zum Vietnam des 20. Jahrhunderts.2 Andreas Margara deutet die verschiedenen Formen der Geschichts- und Erinnerungskultur in Vietnam sowohl aus Staatssicht als auch aus alternativen Perspektiven, welche die komplexen gesellschaftlichen Verwerfungen in der Zeit nach den Doi Moi Reformen (ab 1986) repräsentieren. Klarsichtig arbeitet der Autor heraus, wie Hanoi seit der Wiedervereinigung 1976 das Leid des Krieges in einen patriotischen Diskurs von „Opferbereitschaft und Märtyrertum“ (S. 28) konvertiert. Soldatenfriedhöfe im kleinsten Dorf sowie heroische Denkmäler im Stil des sozialistischen Realismus versinnbildlichen das offizielle Bild des nationalen Befreiungskampfes – wobei die Opfer des ehemaligen Südvietnams zumeist ausgeblendet werden und entsprechend ein Teil der vietnamesischen Bevölkerung vom offiziellen Erinnerungsdiskurs ausgeschlossen bleibt. Es stellt sich die Frage, inwieweit sich die einstige politische Spaltung des Landes noch heute in unterschiedlichen Geschichtsbildern manifestiert.

Die offiziellen staatlichen Gedenkpraktiken und -orte sind Hauptgegenstand der Arbeit. Am Beispiel der zahlreichen Soldatenfriedhöfe und Kriegerdenkmäler illustriert Andreas Margara das vietnamesische Staatsideal der historischen „Märtyrer“ (liệt sĩ). Ein besonderes Genre sind dabei die Gedenkstätten für „patriotische“ Frauen, sowohl die ikonische trauernde Mutter – die meisten Soldaten waren sehr jung und hatten noch keine Familien gegründet – als auch die tapfere Soldatin.3 Solche die revolutionäre Vergangenheit glorifizierende Bilder prägen auch die Ausstellungen diverser Museen, die sich vorwiegend in der Hauptstadt Hanoi konzentrieren, darunter das Museum für Militärgeschichte und das ehemalige Kolonialgefängnis Hoa Lo. Einen besonderen Stellenwert haben die Gedenkstätten für den vietnamesischen Übervater Ho Chi Minh (1890–1969), von seinem bescheidenen ehemaligen Wohnhaus bis hin zum vielbesuchten, pompösen Mausoleum. Margara interpretiert sie als „Wallfahrtsorte mit sakraler Anziehungskraft für die Bevölkerung“ (S. 74), versäumt aber leider derartige Beobachtungen mit vietnamesischen Stimmen und Meinungen zu illustrieren.

Im Vergleich zur umfassenden Darstellung der staatlichen Repräsentation des Amerikanischen Krieges, die auch mit aussagekräftigem Bildmaterial veranschaulicht wird, macht die Untersuchung von alternativen und privaten Erinnerungskulturen bisweilen einen kursorischen Eindruck. Es werden einige spannende Themen angerissen – beispielsweise der heikle rituelle Umgang mit den Geistern gefallener Soldaten –, die eine tiefergehende Betrachtung verdient hätten. Im abschließenden Kapitel zur Transformation der vietnamesischen Erinnerungskultur nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion werden einige Alternativperspektiven zur offiziellen Gedenkpolitik – wenn auch meist nur schlaglichtartig – diskutiert. Dazu gehören kritische Positionen in Literatur und Malerei, aber auch die Kommerzialisierung des Amerikanischen Krieges für den Tourismus. Die Analyse der marktwirtschaftlichen Verwertung von Kriegsstätten wie den berühmten Tunnelsystemen von Củ Chi ist ein Höhepunkt des Buches. Andreas Margara greift hier die spannenden Ansätze von Christina Schwenkel auf, welche die widersprüchlichen Verflechtungen von revolutionärer Nostalgie und kapitalistischen Interessen im heutigen Vietnam sichtbar machen.4

Gerade wo das Buch den Bogen zwischen Vergangenheit und Gegenwart schlägt, zwischen politischer Rückwärtsgewandtheit und zukunftsorientierter Wirtschaftsdynamik, wird es zu einer erhellenden zeitgeschichtlichen Studie. Es ist zwar nicht zu übersehen, dass dem Buch eine Qualifikationsarbeit zugrunde liegt, doch hinterlassen die Themenvielfalt, die präzisen Einzelanalysen und die klare Sprache einen positiven Gesamteindruck. Ein wenig mehr historischer Kontext, auch was die französische Kolonialzeit und den Ersten Indochinakrieg betrifft, hätte die Arbeit abgerundet und besser zugänglich für Nicht-Landeskenner gemacht. Der Autor beklagt zurecht die schwierige Quellenlage zum Amerikanischen Krieg, versäumt allerdings die bestehende Sekundärliteratur auszuschöpfen.5 Dennoch bietet Andreas Margara mit seiner sehr gut lesbaren Abhandlung einen kenntnisreichen Überblick zu aktuellen gesellschaftlichen Tendenzen in einem der letzten kommunistisch regierten Staaten der Welt.

Anmerkungen:
1 Pierre Nora (Hrsg.), Les lieux de mémoire, 3 Bände, Paris 1984–1992.
2 Zum Beispiel Hue-Tam Ho Tai (Hrsg.), The Country of Memory. Remaking the Past in Late Socialist Vietnam, Berkeley 2001.
3 Kirsten Endres / Andrea Lauser, Contests of Commemoration. Virgin War Martyrs, State Memorials, and the Invocation of the Spirit World in Contemporary Vietnam, in: Kirsten Endres / Andrea Lauser (Hrsg.), Engaging the Spirit World. Popular Beliefs and Practices in Modern Southeast Asia, London 2012, S. 121–142.
4 Christina Schwenkel, The American War in Contemporary Vietnam. Transnational Remembrance and Representation, Bloomington 2009; Schwenkel, Christina, War Debris in Postwar Society. Managing Risk and Uncertainty in the Former DMZ, in: Vatthana Pholsena / Oliver Tappe (Hrsg.), Interactions with a Violent Past. Reading Post-Conflict Landscapes in Cambodia, Laos, and Vietnam, Singapore 2013, S. 135–156.
5 Beispielhaft genannt seien: Martin Grossheim, Die Partei und der Krieg. Debatten und Dissens in Nordvietnam, Berlin 2009; Patricia Pelley, Postcolonial Vietnam. New Histories of the National Past, Durham 2002.

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