Company Towns of the Baťa Concern

Ševeček, Ondřej; Jemelka, Martin (Hrsg.): Company Towns of the Baťa Concern. History – Cases – Architecture. Stuttgart 2013 : Franz Steiner Verlag, ISBN 978-3-515-10376-3 311 S. € 54,00

: Bata. Schuhe für die Welt, Geschichten aus der Schweiz. Baden 2012 : hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte, ISBN 978-3-03919-256-4 174 S., zahlr. Abb. € 39,00

: Zrození Baťovy průmyslové metropole. Továrna, městský prostor a společnost ve Zlíně v letech 1900–1938 [Die Entstehung von Baťas Industriemetropole. Fabrik, städtischer Raum und Gesellschaft in Zlin in den Jahren 1900–1938]. České Budějovice 2009 : Veduta, ISBN 978-80-86829-42-5 408 S. Kč 449,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Blanka Koffer, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Als „stärkste Ausbeutung der Arbeiterschaft“ bezeichnete das Berliner Kammergericht in seinem Urteil vom 4. August 1929 die Arbeitsbedingungen im tschechischen Unternehmen T. und A. Baťa und folgte damit der Darstellung des Journalisten Rudolf Philipp.1 Auf diese und zahlreiche weitere juristische Feststellungen konnte sich die zeitgenössische Kritik an der Unternehmensführung des Schuhproduzenten Tomáš Baťa (1876–1932) und seines Nachfolgers Jan Baťa (1898–1965) stützen. Ungeachtet dessen zeichnen aktuelle Veröffentlichungen zur Geschichte des transnationalen Unternehmens meist genau das Bild, das die Firma selbst seit den 1920er-Jahren bis heute propagiert. Tomáš Baťa sei der Henry Ford Europas: Sein immenser Gewinn basiere auf dem klugen Einsatz von technischer Rationalisierung, leistungsorientierter Entlohnung und einem umfassenden Wohlfahrtsprogramm für seine Beschäftigten.

Vor allem die Architektur der Baťa-Siedlungen übt(e) eine große Faszination aus. Hier schien die Kombination von Funktion und Form, von Garten- und Industriestadt in idealer Weise verwirklicht. Die Geschichte dieser Siedlungen ist das Thema, das die Autoren des Sammelbandes „Company Towns of the Baťa Concern“ vereinen soll. Drei Aufsätze fallen aus diesem selbstgesteckten Rahmen. Martin Marek und Vít Strobach skizzieren Ansätze für einen neuen Zugang zum „Phänomen Baťa“ allgemein. Antonie Doležalová erörtert den ideengeschichtlichen Hintergrund für Tomáš Baťas Konzept der „sozialen Versöhnung“ und konstatiert lapidar, in Zlín sei dieses Konzept realisiert gewesen. Zachary Doleshal widmet sich der Firmenpräsentation auf der Weltausstellung von 1939 in New York. Die übrigen Autoren bieten Aufsätze im Umfang von vier bis 45 Seiten zu Baťa-Siedlungen in Polen, der Schweiz, der Slowakei, den Niederlanden, den USA, Kanada und Indien. Die Blaupause dieser Siedlungen, Zlín, findet ebenso ausführliche Erwähnung wie eine nicht realisierte Baťa-Siedlung in Kolín. Dass die einzelnen Beiträge in Qualität und Umfang stark differieren, ist sicher dem Entstehungszusammenhang des Sammelbandes zuzuschreiben, handelt es sich doch um die Publikation zur gleichnamigen Konferenz am Institut für Philosophie der Prager Akademie der Wissenschaften im Mai 2011.

Dort referierte neben anderen auch Tobias Ehrenbold über seine Bachelor-Arbeit, die inzwischen um einige „Geschichten aus der Schweiz“ und anderswo rund um Firma und Familie Baťa erweitert und reich bebildert vom Verlag hier+jetzt veröffentlicht wurde. Ebenso wie Ehrenbold, der für die Veranstaltungsorganisation des Möhliner Jubiläums „80 Jahre leben mit Baťa“ verantwortlich zeichnete und seit 2013 das firmeneigene „Bata Archives Project“ leitet, ist auch Ondřej Ševeček in einer Baťa-Stadt aufgewachsen. Ševeček legte 2005 seine Dissertation über die Geschichte Zlíns bis 1938 vor, die in überarbeiteter Fassung seit 2009 im Buchhandel erhältlich ist.

Welche neuen Erkenntnisse sind diesen drei unterschiedlichen Büchern zu Architektur, Arbeit und Freizeit in Baťas Siedlungen zu entnehmen? Gerade zu Fragen der Architektur und Stadtplanung entfaltete sich in den letzten Jahren eine rege Publikations- und Ausstellungstätigkeit. Ein Verdienst ist sicher, dass Ševeček/Jemelka 2013 und Ehrenbold 2012 Zlín verlassen und neue Baťa-Siedlungen in den Fokus nehmen. Das Leben in einer Baťa-Siedlung war geprägt durch eine funktionalistische Architektur und die Unterwerfung der städtischen Infrastruktur unter die Erfordernisse der Fabrik. Wie Theresa Adamski herausarbeitet, diente die Struktur der Fabrikwerkstätten als Portfolio für das Zlíner Wohnviertel Zálešná (Adamski in Ševeček/Jemelka 2013). Adamskis These, die nach dem Taylorschen Rationalisierungsschema schrittweise erfolgten räumlichen Umstrukturierungen innerhalb der Fabrik bildeten sich in der Anlage der Stadt Zlín ab, müsste noch mit Empirie unterfüttert werden. Die Einzigartigkeit der Baťa-Siedlungen hinterfragen Deborah Woodman und Elisabeth van Meer. Jenseits der lokalgeschichtlichen Bestandsaufnahmen, die in Ševeček/Jemelka 2013 versammelt sind, eröffnen diese beiden komparativ angelegten Aufsätze die Diskussion über Charakteristika der Company Towns im Allgemeinen und der Baťa-Siedlungen im Besonderen. Woodman thematisiert dabei die Selektivität des Zugangs zu dem im regionalen Vergleich hohen Lebensstandard der kanadischen Company Towns. Van Meer widmet sich dem Mythos, erst mit Baťa habe in den Jahren 1934 bis 1948 die Moderne Einzug in Nordbrabant gehalten. Die Autorin weist schlüssig nach, dass das genaue Gegenteil der Fall war. Das seit 1929 international expandierende Unternehmen Baťa fand in Best nahe Eindhoven ideale Bedingungen für die Entwicklung eines neuen Produktionsstandortes vor, gerade weil die Region seit langem von einer exportorientierten Gebrauchsgüterproduktion und speziell vom Schuhmacherhandwerk geprägt war. Auch die Siedlungsform der Company Town und das Prinzip des hierarchisierten Wohnkomforts waren nicht neu.

Dass jede Baťa-Siedlung mit modernen Krankenhäusern und Pflegeheimen sowie Freizeiteinrichtungen wie Schwimmbädern, Kinos und Sportstadien ausgestattet war, trug zu Baťas positivem Image bei. Leider ist in den hier rezensierten Publikationen nicht beschrieben, wie diese Einrichtungen genutzt wurden, ob – abgesehen von den Überstunden, die den Einzelnen vom Besuch abhielten – sich der Zugang nicht auch nach der Leistung am Arbeitsplatz richtete. Auch in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und die tatsächlich erzielten Löhne und Gehälter bleiben blinde Flecken in der Baťa-Forschung. Für die Kontextualisierung unerlässliche Kategorien wie Alter, Geschlecht, Berufsausbildung und -erfahrung, Dauer der Betriebszugehörigkeit und die gesetzlichen Bestimmungen jener Zeit werden nicht berücksichtigt. Für die Diskussion über die Disziplinierung der Baťa-Arbeiter schlagen Martin Marek und Vít Strobach einen neuen Zugang vor (Marek/Strobach in Ševeček/Jemelka 2013). Die Idee, Foucaults Überlegungen zu Macht und Unterwerfung auf die Beziehungen von Firmenleitung und Beschäftigten anzuwenden, ist originell. Ein wichtiger Unterschied zwischen den Institutionen, die Foucault meint, und den Orten der „Baťaisierung“ besteht allerdings in den Verträgen, die die Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen bei Baťa begründeten. So kann zwar darüber diskutiert werden, inwieweit die Freiwilligkeit der Arbeiter und Angestellten vor dem Hintergrund der begrenzten Wahlmöglichkeiten bei der Stellensuche eingeschränkt war, jedoch ist grundlegend für Foucaults Konzept gerade die Unmöglichkeit, sich dem Machtzugriff zu entziehen.

Zur rezipierten Literatur zählt Ševeček 2009 unter anderem eine ältere Monographie von Heinz Reif über die Urbanisierung Oberhausens.2 Ševeček will zwar ebenso wie Reif eine umfassende Geschichte der Wechselwirkung von gesellschaftlichen, räumlichen, wirtschaftlichen und infrastrukturellen Veränderungen in einer industriegeprägten Stadt erzählen, kombiniert jedoch nicht die dafür notwendigen quantitativen und qualitativen Daten. Zudem fehlen an vielen Stellen Bezüge auf den aktuellen Forschungsstand. Beispielsweise basieren die Kapitel über die Technisierung und den Wandel der Arbeitsorganisation der Baťa-Werke auf Monographien von 1928, 1960, 1981, einer Zeitzeugenveröffentlichung und zeitgenössischen Texten von Firmenangehörigen. Dies fällt umso stärker ins Gewicht, als nur diese beiden Textabschnitte über die Arbeit bei Baťa informieren sollen. Ševečeks zentrale Aussage, in Zlín habe sich „eine besondere industrielle Subkultur“ herausgebildet (Ševeček 2009, S. 335), entbehrt einer belastbaren empirischen Grundlage, zumal der Autor nicht weiter ausführt, wie sich diese Subkultur konkret äußerte.

Positiv hervorzuheben sind die Namens- und Ortsregister bei Ševeček 2009 und die gemeinsamen Literatur-, Quellen- und Abbildungsverzeichnisse bei Ševeček/Jemelka 2013, die beide Bücher zu praktischen Nachschlagewerken machen. Die vielen Fotos in allen drei besprochenen Publikationen veranschaulichen den unverwechselbaren Stil und die Uniformität der Baťa-Siedlungen. Negativ anzumerken ist an manchen Stellen der Umgang mit Quellen und Sekundärliteratur. In einem Aufsatz sind Wikipedia-Einträge angegeben (Březovská in Ševeček/Jemelka 2013), Ehrenbold 2012 verzichtet ganz auf Fußnoten und ein konventionelles Literatur- und Quellenverzeichnis. Im Anhang sind die entsprechenden Angaben in launiger Prosaform vage den Kapiteln zugeordnet. Worauf sich die Aussagen und Zitate im Haupttext im Einzelnen beziehen, bleibt unklar. Gewöhnungsbedürftig ist auch Ehrenbolds boulevardesker Stil, selbst wenn man konzediert, dass es sich letztlich nicht um eine wissenschaftliche, sondern um eine Publikation anlässlich des Stadt- und Firmenjubiläums handelt.

Juristische und betriebswirtschaftliche Elemente bleiben in allen drei Publikationen ausgespart. Quellen, die die Autoren selbst nennen, legen nahe, dass das Geheimnis des überwältigenden Erfolgs Baťas gerade in der Buchhaltung und in der Vertragsgestaltung zu finden ist. Ehrenbold bietet immerhin kleine, wenngleich anekdotenhafte Blicke auf Akteure dieser Bereiche. So wird deutlich, dass der Schweizer Anwalt Georg Wettstein, Vater von Sonja Baťa, und sein Kollege Charles Jucker eine wichtige Rolle bei der Expansion des Unternehmens seit 1929 und bei der Reorganisation seit dem Zweiten Weltkrieg spielten. 1945 wurden die Teile des Unternehmens auf tschechischem und slowakischem Boden auf Grundlage der Beneš-Dekrete enteignet. Nicht nur mit dieser politischen Entscheidung begann ein neuer Abschnitt der Unternehmensgeschichte. Folgenreicher waren die Gerichtsprozesse, die Tomáš Baťa junior gegen seinen Onkel bis zu dessen Tod im Jahr 1965 anstrengte, und seine vorzeitige Übernahme der Unternehmensführung im August 1945. Ehrenbold schildert die diesbezüglichen Aktivitäten des Sohnes des Firmengründers und seiner sachverständigen Helfer zwar mit klarer Sympathie für den „Leader“ (Ehrenbold 2012, S. 134), eröffnet aber vielversprechende Perspektiven für netzwerkanalytische Untersuchungen.

Leider lassen Ševeček/Jemelka 2013, Ehrenbold 2012 und Ševeček 2009 die zeitgenössischen Vorwürfe an den Geschäftsmethoden Baťas unberücksichtigt. Nicht nur wird das eingangs erwähnte Buch Rudolf Philipps, das trotz seiner Polemik und mangelnden Systematik als reichhaltiger Fundus an Verweisen für die wissenschaftliche Analyse genutzt werden kann, zwar benannt, seine Inhalte jedoch geflissentlich ignoriert. Problematischer erscheint es, dass die überwiegende Mehrheit der Autoren firmeneigenen Darstellungen, die man als korporative Ego-Dokumente bezeichnen könnte, den gleichen Stellenwert zuschreibt wie Auskünften von Zeitzeugen und Archivbeständen. Ohne den jeweiligen Entstehungszusammenhang und die zugrundeliegenden Interessen herauszuarbeiten, setzen die Autoren diese Quellen als Belege ein. Bei Ševeček 2009 finden sich zudem teils seitenlange Zitate aus Büchern und Aufsätzen der Baťa-Brüder und von prominenten Angestellten des Unternehmens.

Eventuell ist die Übernahme der firmeneigenen Narrative auch beeinflusst durch die Art der Finanzierung und die Wahl des Arbeitsortes: Ehrenbold betont, sein Buch im „Vorzimmer des ehemaligen Bata-Direktorenbüros in Möhlin“ geschrieben zu haben (S. 174), Ševečeks Veröffentlichung wurde von der Firma Baťa bezuschusst (Ševeček 2009, S. 4), die Konferenz „Company Towns of the Baťa Concern“ wurde von der Thomas Bata Foundation mitorganisiert und von Sonja Baťa, der Witwe von Tomáš Baťa junior, „persönlich unterstützt“ (Ševeček/Jemelka 2013, S. 12). So nimmt es nicht Wunder, dass der Tagungsband auf der Internetseite der Firma Baťa als „must-read“ beworben wird, „sure to go down in history as one of Bata’s precious family heirlooms.“3 Der geschichtswissenschaftlichen Diskussion um Aufstieg und Wandel eines der großen Unternehmen Europas im 20. Jahrhundert ist dieses Schicksal lieber nicht zu wünschen.

Anmerkungen:
1 Das Urteil im Prozeß Bata contra Philipp. Eine vernichtende Kritik der Arbeits- und Entlohnungsbedingungen im Bata’schen Betriebe, in: Schuhfabrikanten-Zeitung, 14.8.1929, S. 1–19; Rudolf Philipp, Der unbekannte Diktator Thomas Baťa, Berlin 1928.
2 Heinz Reif, Die verspätete Stadt. Industrialisierung, städtischer Raum und Politik in Oberhausen 1846–1929, Köln 1993.
3 <http://world.bata.com/news/2013/company-town-bata-concern-must-read> (25.02.2014).

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