P. Pirker: Der britische Kriegsgeheimdienst SOE in Österreich

Titel
Subversion deutscher Herrschaft. Der britische Kriegsgeheimdienst SOE und Österreich


Autor(en)
Pirker, Peter
Reihe
Zeitgeschichte im Kontext 6
Erschienen
Göttingen 2012: V&R unipress
Anzahl Seiten
583 S.
Preis
€ 67,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Barry McLoughlin, Institut für Geschichte, Universität Wien

Die Aktivitäten der Special Operations Executive (SOE) haben einen fixen Platz in der überaus beliebten Memoirenliteratur über den 2. Weltkrieg in Großbritannien. Dienst in der Organisation, die den bewaffneten Widerstand gegen die Achsenmächte fördern und unterstützen sollte, war „fashionable“ und zog britische Armeeoffiziere aus der Oberschicht an. Der vorliegende Band untersucht die Bemühungen der SOE, Kontakte zu angeblich aktiven Widerstandsgruppen in Österreich zu knüpfen, Guerillagruppen aufzubauen und Sabotageakte durchzuführen. Die Bilanz der opferreichen Einsätze war ernüchternd: abgesehen von der slowenischen Minderheit in Kärnten und kleineren Gruppen in der Steiermark und Oberösterreich, entwickelten sich bis zur Kapitulation Nazi-Deutschlands keine nennenswerten Kampfhandlungen seitens antifaschistischer Kräfte in der „Ostmark“.

Sektion X in der Abteilung SO 2 (Sabotage) der SOE war zuständig für Österreich in den Grenzen von 1937. Bei den maßgeblichen Beamten handelte es sich um ehemalige Mitarbeiter des Auslandsgeheimdienstes MI6, die lange Jahre an der britischen Botschaft in Wien gearbeitet hatten. Diese Gruppe, beeindruckt vom Aufbauwerk der Wiener Sozialdemokratie der Zwischenkriegszeit, favorisierte die Einbindung österreichischer Sozialisten im Londoner Exil. Diese Strategie schlug fehl, weil die Frage der Wiederherstellung eines österreichischen Staates, ein Ziel von Sektion X, zuerst auf erhebliche Ablehnung innerhalb von SOE und bei einigen wichtigen Repräsentanten der SDAPÖ im britischen Exil stieß. Dieser Aspekt der Planung fußte ohnehin auf falschen Prämissen, die auf verklärte Erinnerungen an den linken Widerstand im Ständestaat zurückzuführen waren, nämlich dass nach Kriegsausbruch 1939 in Österreich ein funktionierendes Netzwerk sozialdemokratischer Aktivisten bestünde. Zu dieser Annahme, für welche keine glaubhaften Beweise vorlagen, gesellte sich ein Veto bei der Rekrutierung: keine österreichischen Kommunisten. Dieser Grundsatz war fraglich, bildeten die Kommunisten im britischen Exil das stärkste und bestorganisierte Widerstandspotential, ganz zu schweigen von der führenden Rolle der KPÖ im antifaschistischen Kampf in der Heimat, von der allerdings weder London noch Moskau viel wussten. Eine Route nach Österreich ging über Istanbul, beaufsichtigt von dem langjährigen Informanten des MI6 und nunmehrigen SOE-Offizier G.E.R. Gedye, der aus seiner Zeit als Zeitungskorrespondent in Wien das Land gut kannte. Zusammen mit dem Sozialisten Stefan Wirlandner, der gefährliche Reisen nach Wien unternahm, konnte Gedye einen Kurierdienst und ein Kontaktnetz unter bewährten Sozialdemokraten in der österreichischen Hauptstadt aufbauen, aber diese Infrastruktur wurde von einem Schweizer Diplomaten 1944 an die Gestapo verraten. Dabei wurde nun auch der SOE klar, dass von einem aktiven sozialdemokratischen Widerstand keine Rede sein konnte.

Nach dem Moskauer Abkommen vom 1. Dezember 1943, welches auch eine Einigung der Alliierten über die Wiederherstellung eines unabhängigen österreichischen Staates brachte, lösten sich viele Kompetenzstreitigkeiten zwischen SOE und dem Außenministerium auf. Außerdem war Österreich geographisch näher gerückt, nun erreichbar mit RAF-Bombern von einem Flugfeld in Italien. Die SOE richtete eine „Agentenschule“ in Monopoli an der Ferse Italiens nahe Bari ein, von der aus die Einsätze von SOE-Fallschirmagenten unter den Sammeltitel „Clowder“ vorbereitet wurden. Absolventen der Kurse waren politische (oft jüdische) Flüchtlinge oder Deserteure bzw. Kriegsgefangene. Erste Nachrichten von den im Sommer 1944 nahe der italienisch-österreichischen Grenze abgeworfenen Widerstandskämpfern klangen vielversprechend, ein Kurier konnte mehrmals mit Hilfe der italienischen Partisanen die Grenze überqueren. Hubert Mayr, ein ehemaliger „Revolutionärer Sozialist“ aus Innsbruck, der in den Internationalen Brigaden in Spanien gekämpft und sich bereits 1942 in Nordafrika der SOE angeschlossen hatte, konnte sogar Kärnten erreichen. Er meldete jedoch eine apathische Stimmung, kaum Regungen von Widerstandsgeist. Mayr rechnete sich bessere Chancen bei den stockkonservativen katholischen Bauern im osttirolerischen Villengratental aus. Im Zuge einer massiven Konteroffensive deutscher Einheiten im „Bandenkrieg“ gegen die italienischen Partisanen gerieten Mayrs Gewährsleute durch Verrat in die Hände der Gestapo. Ein abgeschicktes Funkerteam konnte Mayr, der den deutschen Suchtrupps entkommen war, nicht mehr finden. Sein Schicksal ist seit dem Jänner 1945 unbekannt. Grundsätzlich gab es bei all diesen Einsätzen erhebliche Logistikschwierigkeiten. Es stand in Italien nur eine begrenzte Zahl von RAF-Flugzeugen zur Verfügung, überdies durfte ein „agent-drop“ nur bei Vollmond vor sich gehen. Außerdem hatten SOE-Missionen in Slowenien Priorität. Ein ausschließlich aus Wehrmachtsdeserteuren zusammengesetztes Quartett sprang im Oktober 1944 über einem Partisanenstützpunkt bei Tramonti im Friaul ab, landete indes in der Nähe einer Wehrmachtkaserne. Nur einer konnte entkommen, und Wolfgang Treichl, Spross einer Wiener Bankiersdynastie, erschoss sich vor der sicheren Verhaftung.

Viel mehr Platz widmet Pirker der SOE-Mission in Slowenien, die nicht zuletzt wegen des mysteriösen Todes eines führenden britischen SOE-Offiziers großes Interesse in der englischsprachigen Geheimdienstliteratur geweckt hat. Die kärntner-slowenischen Partisanen, die nach der Aussiedlung slowenischer Familien aus Südkärnten 1942 einen Zustrom an neuen Kämpfern (einschließlich Wehrmachtsdeserteure) erfuhren, nahmen im Dezember 1943 die britischen SOE-Offiziere Peter Wilkinson und Alfgar Hesketh-Prichard mit der Zustimmung Titos bei sich auf. Wilkinson verbarg vor seinen kommunistischen Gesprächspartnern, die er für das Einsickern von Agenten nach Österreich brauchte, das geostrategische Ziel seiner Mission: die Verschickung von Agenten zunächst nach Österreich zum Aufbau von Widerstandgruppen in Zentral-und Osteuropa als „stay behind agents“ in den voraussichtlich bald von der Roten Armee eroberten Territorien. Der Plan war unausgegoren und unrealistisch, entsprach aber den „Planspielen“ von Winston Churchill, dem bereits 1943 eine „mitteleuropäische Konföderation“ gegen die UdSSR vorschwebte. Einflussreiche SOE-Leiter teilten solche Auffassungen, die auf eine Stärkung des britischen Weltreiches in einem Nachkriegsszenario abzielten. Zu seiner Verwunderung erfuhr Wilkinson, das auch die Tito-Partisanen Nachkriegspläne hegten, die allerdings britischen Stellungnahmen diametral entgegenliefen: Ansprüche auf alle von Slowenen besiedelten Teile Norditaliens und Kärntens, einschließlich der Städte Villach und Klagenfurt. Dieser Widerspruch führte schließlich zu der Ermordung von Hesketh-Prichard im Dezember 1944 durch einen slowenischen Offizier auf der Saualpe, als sich die Partisanen in einem Abwehrkampf gegen anrückende deutsche Polizeieinheiten befanden.

Die erfolgreichsten SOE-Einsätze in Österreich waren jene, welche die Ausschaltung lokaler NS-Struktur unmittelbar vor dem Eintreffen alliierter Kampfeinheiten im April 1945 zum Ziel hatten. Exemplarisch war die „Gruppe Ebensberg“ im Salzkammergut. Leiter der am 11. April 1945 gelandeten Einheit war Albrecht Gaiswinkler aus Bad Aussee, ehemaliger Schutzbundkommandant und KPÖ-Mitglied Mitte der 1930er-Jahre, der 1944 in Frankreich zu amerikanischen Truppen übergelaufen war. Er sorgte für die reibungslose Entmachtung der NS-Elite und dürfte an der Aufspürung und Verhaftung von Ernst Kaltenbrunner, Chef des deutschen Sicherheitsdienstes, beteiligt gewesen sein.

Der letzte Teil des Bandes behandelt das Schicksal der österreichischen SOE-Angehörigen nach Kriegsende in der Heimat. Viele wurden ausgegrenzt und als „Söldlinge“ und „Agenten“ diffamiert. Die allermeisten vermieden es tunlichst, über diesen Abschnitt ihres Lebens öffentlich zu sprechen. Sie waren von „pflichterfüllenden“ ex-Soldaten der Wehrmacht umgeben und lebten während des Kalten Krieges in einer selbststilisierten „Opfergesellschaft“, in der abweichende Meinungen nicht geduldet waren. Einige prominente, vormals im Dienst der SOE stehende Sozialdemokraten wie Stefan Wirlandner, Walter Hacker oder Albrecht Gaiswinkler konnten ihre politischen Vorstellungen innerhalb der SPÖ nicht durchsetzen, Gaiswinkler wurde sogar ausgeschlossen. In einer Zeit der Restauration und von „Ruhe bewahren“ war kein Platz an führender Stelle für Re-Emigranten und dezidierte Antifaschisten mit einem „good war record“. Pirkers akribische und ausgewogene Arbeit verdient mehr Verbreitung in einem Land, in dem anlässlich der Hundertjahresfeierlichkeiten zum Beginn des Ersten Weltkrieges eine neuerliche Habsburg-Nostalgiewelle zu befürchten ist.

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