: Frederic von Rosenberg (1874–1937). Diplomat vom späten Kaiserreich bis zum Dritten Reich, Außenminister der Weimarer Republik. Göttingen 2011 : Vandenhoeck & Ruprecht, ISBN 978-3-525-36076-7 362 S. € 54,95

Becker, Winfried (Hrsg.): Frederic von Rosenberg. Korrespondenzen und Akten des deutschen Diplomaten und Außenministers 1913–1937. München 2011 : Oldenbourg Verlag, ISBN 978-3-486-70103-6 594 S. € 98,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Jonas, Helmut-Schmidt-Universität, Hamburg

Ein Gutes scheint die wissenschaftlich größtenteils unfruchtbare Diskussion um die Vergangenheit des Auswärtigen Amtes im „Dritten Reich“ und der frühen Bundesrepublik gehabt zu haben: Die deutsche Diplomatie lässt sich wieder beforschen, in der Tat intensiver als zu irgendeinem Zeitpunkt in den letzten drei Jahrzehnten, ohne dass man dabei unter einem binnendisziplinär schlechten Gewissen zu leiden hätte oder sich akademisch verunmöglichen würde.1 Im Gefolge des vom Amt in Auftrag gegebenen Bericht der Unabhängigen Historikerkommission, der 2010 als kommerziell höchst erfolgreiches Buch beim Blessing Verlag erschienen ist, entstanden und entstehen ungebrochen Arbeiten zu einer ganzen Bandbreite von Aspekten der deutschen Diplomatie vom Kaiserreich bis in die Bundesrepublik. Als eigentliche Form der historiographischen Annäherung und Darstellung überwiegt dabei die Biographie. Die Gründe hierfür sind offensichtlich und ergeben sich – über die Moden der Forschung hinaus – auch aus dem Gegenstand selber: Eines der wesentlichen Monita, wie sie von der fachlichen Kritik am Kommissionsbericht geäußert wurden, war dessen Mangel an „Binnendifferenzierung“.2 Bei einem stetig wachsenden Personalbestand von wenigen hundert Beamten des höheren Dienstes (1933: 436), über den das Auswärtige Amt seit dem Kaiserreich verfügte, bedingt die solcherart angemahnte differenzierende Betrachtung zwangsläufig eine kollektivbiographische oder biographische Annäherung an das Thema, gegebenenfalls erweitert um neuere methodische Impulse, unter anderem aus der Netzwerkforschung. So kommt es, dass sich vor dem Hintergrund der Kontroverse um „Das Amt und die Vergangenheit“ Hand in Hand zwei seit den 1970er- und 1980er-Jahren Totgeglaubte des geschichtswissenschaftlichen Forschungsdiskurses weiter munter rehabilitieren.3

Die hier besprochene Arbeit und die sie begleitende Quellenedition bewegen sich zwar im diskursiven Windschatten des Kommissionsberichts, sind aber unabhängig von diesem entstanden und als eigenständige Beiträge zur Geschichte des Auswärtigen Dienstes in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zu werten. Im Zentrum beider Veröffentlichungen stehen dabei die Biographie und das Wirken des Berufsdiplomaten Frederic von Rosenberg (1874–1937), dessen diplomatische Laufbahn in seiner vergleichsweise kurzen Amtszeit als Außenminister im Kabinett Cuno 1922/23 kulminierte und danach auf dem Gesandten- bzw. Botschafterposten in Stockholm respektive Ankara ausklang. Rosenbergs krankheitsbedingtes Ausscheiden aus dem Dienst 1935 und sein vergleichsweise früher Tod zwei Jahre darauf weisen ihn daher in erster Linie als Diplomaten des Kaiserreichs und der Weimarer Zeit aus.

Die vom Passauer Emeritus Winfried Becker 2011 zeitgleich vorgelegten Arbeiten bilden, dies ist vorauszuschicken, zweifelsohne einen gewichtigen Beitrag zur Forschung zum Auswärtigen Amt und zur deutschen Außenpolitik vom späten Kaiserreich bis in die frühe NS-Zeit. Sie bestehen aus gleich dreierlei: einer herausgeberischen Konventionen gewissenhaft folgenden Quellenedition (im Folgenden: I), die Rosenbergs Laufbahn im Auswärtigen Dienst in einer Auswahl seiner dienstlichen Korrespondenz dokumentiert und ergänzt wird um die annotierten gut 70-seitigen „Erinnerungen“ des vormaligen Außenministers, geschrieben nach dessen Versetzung in den Ruhestand 1935 und eigentlich für den Familiengebrauch und die Nachkommen bestimmt. Es handelt sich dabei freilich weniger um politische Memoiren im engeren Sinne als um eine vergleichsweise knappe, flüssig geschriebene und, wie nicht anders zu erwarten, anekdotensatte Autobiographie. Beides wird begleitet, ab und an kritisch relativiert und vor allem in ihren Zeitkontext gestellt von Beckers Biographie des Botschafters (im Folgenden: II). In ihrem dauernden Bezug aufeinander stellt sich bei der Lektüre der Schriften in der Tat jene vom Verfasser bzw. Herausgeber erhoffte perspektivische Dynamik ein – ein steter Wechsel zwischen der Nahsicht der zeitgenössischen Aktenüberlieferung, dem meinungsfroh-subjektiven Kolorit der zeitnahen autobiographischen Rückschau und der abwägenden Einordnung des Gegebenen in seinen weiteren diplomatie- und politikgeschichtlichen Zusammenhang.

Der Schwerpunkt von Aktenedition und Biographie liegt naturgemäß auf der noch nicht einmal einjährigen Amtszeit Rosenbergs im Kabinett Cuno zwischen November 1922 und August 1923, die – wie die gesamte Außenpolitik Weimars in den ersten Jahren – im Schatten von Versailles und insbesondere der Reparationsproblematik stand. Letztere fand ihren Höhepunkt in der katastrophalen Doppelkrise von Inflation und französischer Ruhrbesetzung, an der die Regierung Cuno schließlich im Sommer 1923 zerbrach. Becker zeichnet in diesem Kontext quellennah die Anstrengungen des Außenministers nach, den passiven Widerstand gegen die französische Besetzung des Ruhrgebiets durch eine systematische Internationalisierung der Reparationsfrage zu flankieren. Die Deeskalation der Krise und die an deren Ende stehende Einigung in Form des Dawes-Plans lässt sich dabei, so stellt Becker fest, zu einem nicht unbeträchtlichen Anteil auch auf Cunos und nicht zuletzt Rosenbergs „geduldige und unentbehrliche“ Vorarbeiten zurückführen (II, S. 178).

Rosenbergs keineswegs selbstverständliche Bereitschaft, dem Auswärtigen Amt in der krisenhaften Verdichtung der frühen 1920er-Jahre vorzustehen, veranschaulicht vor allem, wie weit sich der Diplomat auf die Republik eingelassen hatte. Schon im krisenhaften Herbst 1918 hatte er sich unter Ausnutzung seiner Verbindungen in die Politik intensiv darum bemüht, eine „tiefgreifende Erneuerung von Reich und Staat“ auch unter Einbeziehung der Mehrheitssozialdemokratie in die Wege zu leiten (I, S. 75 f.; II, S. 47 f.). Die radikalere Demokratisierung im Gefolge der Novemberrevolution und nicht zuletzt die für den Diplomaten schwer erträgliche Unterzeichnung des „Zwangsfriedens“ von Versailles ließen jedoch bei ihm – wie bei einem Großteil der höheren Beamtenschaft der Wilhelmstraße – Demissionsabsichten aufkommen (II, S. 286). Aus dem anfänglich defensiven, stets handlungs- und praxisnahen Rückbezug auf die eigene Behörde ergab sich freilich gerade in den Krisen- und Konsolidierungsjahren von Weimar die notwendige institutionelle und identitäre Kontinuität, um den monarchisch-konservativ empfindenden, allerdings auch liberalen Impulsen gegenüber aufgeschlossenen Rosenberg im Amt zu halten. „Kein Junkertyp“, so hatte ihn bei seinem Abschied von der Gesandtschaft in Kopenhagen im November 1922 eine dänische Zeitung treffend charakterisiert (II, S. 93), „eher der Typ eines Gelehrten, jedoch nicht von der sogenannten trockenen Art. Sein Wesen ist lebhaft, gewinnend und offen und er interessiert sich für alle neuen Strömungen“. Gerade angesichts seiner recht typischen Züge, was Herkunft, protestantische Konfession und konservativ-patriotisches Selbst- und Pflichtverständnis anbelangt, erscheint Rosenberg in vielem als beinahe ideale Gestalt des Übergangs vom Kaiserreich zur Republik. Die durch „Tradition und Funktion bedingte Rolle des Beamtentums“ als „Bewahrer der staatlichen Substanz“, wie es Hans Mommsen in seiner frühen Studie zum Beamtentum im „Dritten Reich“ formuliert hat, spiegelt sich in der ungewöhnlich dicht überlieferten Gedanken- und Gefühlswelt des pragmatisch anpassungsfähigen Berufsdiplomaten in eindrucksvoller wie exemplarischer Form.4

Den zweiten systemischen Übergang von der Agonie Weimars hin zur Etablierung des NS-Regimes vollzog Rosenberg aus der relativen Randständigkeit Stockholms mit. Die neun schwedischen Jahre, in seinen „Erinnerungen“ nur in wenigen Sätzen kommentiert, erwiesen sich gerade nach den erschöpfenden Kriegs- und Nachkriegsjahren als „Wohltat“ (II, S. 302). Mit der Regierungsübernahme Hitlers änderte sich dies grundlegend. Während Rosenberg und mit ihm nicht wenige Konservative „gutgläubig“ von einer mit Hitler einhergehenden „Konsolidierung der Verhältnisse in Deutschland ausgingen“, kritisierte die lebhafte liberale und sozialdemokratische Presselandschaft Schwedens das NS-Regime und seine Vertreter mit nur langsam ermüdender und von der schwedischen Regierung eingehegter Vehemenz (II, S. 204f.). Ausdrücklicher als Becker hat Daniel Roth in diesem Zusammenhang festgestellt, dass der Übergang vom Konservativen Rosenberg zum Protegé der NS-Führung, dem früh in Parteikreisen vernetzen Viktor Prinz zu Wied, zu keinem merklichen Kurswechsel oder einer etwaig zu erwartenden Radikalisierung geführt habe. Rosenbergs häufige Berichterstattung im Frühjahr 1933 deutet im Gegenteil weit eher auf die Bereitschaft des Gesandten und seiner Mission hin, „ihr Ansehen, ihre Beziehungen und ihre landesbezogene Sachkompetenz ohne jeden prinzipiellen Vorbehalt in den Dienst des neuen Regimes zu stellen“.5 Als dem entgegenstehend ließe sich das von Becker erwähnte und nur Entwurf gebliebene Rücktrittsgesuch Rosenbergs vom Sommer des Jahres begreifen, in dem der knapp Sechzigjährige den erbetenen Rückzug aus dem Auswärtigen Dienst mit dem Hinweis auf sein vermeintlich fortgeschrittenes Alter begründet, damit aber, so ist anzunehmen, substantiellere Beweggründe kaschiert (II, S. 205). Was immer den vormaligen Außenminister und nachmaligen Botschafter in Ankara zu dieser Erwägung veranlasst haben mag, für die „nationale Revolution“ mit ihren Konsequenzen schien er sich nach Generationszugehörigkeit und Temperament für ungeeignet zu halten. Bei aller „sanguinischen Betrachtungsweise“, bei allem leicht künstlich wirkenden Optimismus deutet seine Korrespondenz der letzten Monate doch an, dass Rosenberg eher sorgenvoll auf den „aufgerührten Hexenkessel der allgemeinen Lage“ blickte (I, S. 552ff.). Seine letzten brieflich geäußerten Gedanken kreisten dabei um die eigene Familie und die alte Behörde, die er bei der Amtsspitze um Außenminister Konstantin von Neurath gut aufgehoben zu wissen glaubte. Von ihr hinge, so Rosenberg in symptomatischer Überschätzung des Einflusses der Diplomaten auf die NS-Führung wie des Gewichts der Berufsdiplomatie insgesamt, „unser aller Schicksal“ ab (II, S. 232).

Anmerkungen:
1 Eckart Conze / Norbert Frei / Peter Hayes / Moshe Zimmermann, Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, München 2010; zur Kontroverse vgl. Martin Sabrow / Christian Mentel (Hrsg.), Das Auswärtige Amt und seine umstrittene Vergangenheit. Eine deutsche Debatte, Frankfurt am Main 2014.
2 Michael Mayer, Akteure, Verbrechen und Kontinuitäten. Das Auswärtige Amt im Dritten Reich – Eine Binnendifferenzierung, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 59 (2011), Heft 4, S. 509–532.
3 Die Renaissance der Biographie in der Zeitgeschichte setzt dabei zweifelsohne wesentlich früher ein, verbunden unter anderem mit Ulrich Herberts Best-Biographie: Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft. 1903–1989, Bonn 1996. Vgl. Thomas Etzemüller, Die Form „Biographie“ als Modus der Geschichtsschreibung. Überlegungen zum Thema Biographie und Nationalsozialismus, in: Michael Ruck / Karl Heinrich Pohl (Hrsg.), Regionen im Nationalsozialismus, Bielefeld 2003, S. 71–90; Wolfram Pyta, Biographisches Arbeiten als Methode: Geschichtswissenschaft, in: Christian Klein (Hrsg.), Handbuch Biographie. Methoden, Traditionen, Theorien, Stuttgart / Weimar 2009, S. 331-338; Alexander Gallus, Biographik und Zeitgeschichte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 1–2 (2005), S. 40–46.
4 Hans Mommsen, Beamtentum im Dritten Reich. Mit ausgewählten Quellen zur nationalsozialistischen Beamtenpolitik, Stuttgart 1966, S. 16.
5 Daniel Roth, Hitlers Brückenkopf in Schweden. Die deutsche Gesandtschaft in Stockholm 1933–1945, Berlin 2009, S. 56f.

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