R. Eisfeld: Ausgebürgert und doch angebräunt

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Titel
Ausgebürgert und doch angebräunt. Deutsche Politikwissenschaft 1920–1945. Mit einer Würdigung des Autors von Hubertus Buchstein. 2., überarbeitete Auflage [zuerst 1991]


Autor(en)
Eisfeld, Rainer
Erschienen
Baden-Baden 2013: Nomos Verlag
Anzahl Seiten
322 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wilhelm Bleek, Toronto / Kanada

Rainer Eisfeld, ein emeritierter Osnabrücker Politikwissenschaftler, hat jüngst in seinem Fach Geschichte gemacht. Seine 2011 in der „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft“ veröffentlichten Enthüllungen über die Verwicklungen Theodor Eschenburgs, eines Gründungsvaters der bundesrepublikanischen Politikwissenschaft, in das nationalsozialistische Regime1 haben zur Stornierung des nach Eschenburg benannten höchsten Preises der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW) geführt. Zuvor hatte Claus Offe, der Träger des politikwissenschaftlichen Lebenswerk-Preises für das Jahr 2012, in seiner Rede auf dem Tübinger Jahreskongress den Preis zwar dankend angenommen, aber Eisfelds Vorwürfe aufgegriffen und sich emphatisch von der Person Eschenburgs distanziert.2 Nach einer heftigen Debatte beschlossen die Gremien der DVPW im Herbst 2013, den Preis insgesamt aufzuheben.3 Dieser Beschluss ist in dem Fachverband und in der publizistischen Öffentlichkeit höchst umstritten; er hat zum Protest und Austritt mehrerer früherer DVPW-Vorsitzender sowie einer andauernden Diskussion über die braunen Flecken auf der weißen Weste der bundesrepublikanischen Politikwissenschaft geführt.4

Eisfeld kann sich durch diese Entwicklung bestätigt fühlen. Mit Genugtuung legt er nun eine Neuauflage seines Buches über die deutsche Politikwissenschaft von 1920 bis 1945 vor, in dem er sich 1991 erstmals ausführlich mit der Vorgeschichte des Faches in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus auseinandersetzte. Detailliert und pointiert arbeitet er heraus, dass die 1920 in Berlin gegründete Deutsche Hochschule für Politik (DHfP) keineswegs, wie lange Zeit angenommen, von den Wertvorstellungen einer „materialen Demokratie“ geprägt war. Vielmehr dominierten, so Eisfeld, an dieser Einrichtung von Anfang an bloß „funktionalistische“ Demokratiekonzeptionen von Vernunftrepublikanern wie Ernst Jäckh, Theodor Heuss und Gertrud Bäumer sowie die politischen Themen von „national-oppositionellen“ Anhängern eines außenpolitischen Revisionismus wie Otto Hoetzsch, Martin Spahn und Max Hildebert Böhm. Die letztgenannte Gruppe organisierte sich zunächst in dem ebenfalls 1920 gegründeten Politischen Kolleg, das ab 1927 in die DHfP integriert wurde und dort mit seinen Themen insbesondere zum Volks- und Auslandsdeutschtum den Lehr- und Forschungsbetrieb der Hochschule immer mehr prägte. So wundert es denn auch nicht, dass die DHfP nach der nationalsozialistischen Machtübernahme nicht aufgelöst wurde, sondern sich in einem Prozess weitgehender Selbstgleichschaltung dem neuen Regime anpasste. Die Einrichtung unterstand zunächst dem Reichspropagandaministerium und ging schließlich in der 1940 der Berliner Universität aufoktroyierten neuen Auslandswissenschaftlichen Fakultät auf, die unter ihrem Dekan Franz Alfred Six zum Instrument der „Gegnerforschung“ der SS und ihres Reichssicherhauptsamts wurde.5

Diese Zusammenhänge arbeitet Eisfeld anhand der Veröffentlichungen der involvierten Wissenschaftler und von archivalischen Nachlässen sowie Behördenkorrespondenzen sehr detailliert und pointiert heraus. Allerdings ist die Charakterisierung des Buchs als „2., überarbeitete Auflage“ etwas irreführend; richtiger wäre die Bezeichnung „erweiterte Neuauflage“: Der Hauptteil des 2013 veröffentlichten Textes beruht auf dem Wiederabdruck der Ausführungen von 1991; lediglich die knappen Ergänzungen zu Theodor Eschenburg und Michael Freund, einem anderen wichtigen Mitbegründer der bundesdeutschen Politikwissenschaft6, bringen gegenüber der Erstveröffentlichung von 1991 Neues.

Das Hauptergebnis von Eisfelds Untersuchung ist eine erhebliche inhaltliche und personelle Kontinuität zwischen den politikwissenschaftlichen Bemühungen in der Weimarer Republik und den Residuen des Faches im NS-Staat sowie, wenn auch in beschränkterem Ausmaß, zwischen der Zeit vor und nach 1945. Eisfeld macht diese Kontinuitäten vor allem an den Namen Arnold Bergstraesser, Theodor Eschenburg, Michael Freund, Adolf Grabowsky und Ernst Jäckh fest. Es geht ihm darum, eine in der bundesdeutschen Politikwissenschaft bestehende „Legende“ von der Demokratietreue und Unschuld des Faches zu korrigieren. Doch was 1991 noch Mythen zerstörte, rennt bei der Zweitauflage des Buches 2013 offene Türen ein. Die politische Heterogenität der direkten Vorläufer des bundesrepublikanischen Faches ist diesem inzwischen weitgehend bewusst.7 Im Bestreben, eine „Legende“ im historischen Bewusstsein der Politikwissenschaft zu widerlegen, ist Eisfeld nicht dagegen gefeit, beim Leser eine neue Legende zu erzeugen, dass die „Deutsche Politikwissenschaft 1920–1945“ – so der Untertitel des Buches – weitgehend von demokratieskeptischen und -feindlichen Strömungen auf der politischen Rechten und der rechten Mitte dominiert worden sei. Der linke, demokratiezentrierte Flügel der Weimarer Politikwissenschaft, der nach 1933 überwiegend in die Emigration getrieben wurde und nach 1945 den Aufbau des bundesrepublikanischen Faches quantitativ wie qualitativ anführte, taucht in Eisfelds Text nur als knapper Verweis auf (S. 93–98).8

Diese konzeptionelle Schwäche behebt auch die Einleitung über den „Forschungsstand (2013)“ nicht. In ihr beschränkt sich Eisfeld vielmehr auf die Bewertung der seit der Erstauflage seines Buches erschienenen Literatur – unter dem Kriterium, ob sie seine These von der überwiegend autoritären und damit präfaschistischen Tendenz der Weimarer Politikwissenschaft unterstützt oder nicht. Ausführlich zitiert er schon in der Widmung der Neuauflage seines Buches den 2012 verstorbenen Michael Th. Greven und dessen Zustimmung in einer Rezension der Erstauflage.9 Besonders deutlich wird Eisfelds problematisches Verständnis von einer Debatte des Forschungsstandes, wenn es um Autoren geht, die sich seiner Position nicht anschließen. Dann greift er, wie im Fall des Verfassers dieser Rezension, zu Floskeln wie „ins Leere ging der von Wilhelm Bleek erhobene Vorwurf“ oder „Kopfschütteln hervorrufen musste Bleeks nachfolgende Behauptung“ (S. 20).

Mein hauptsächliches Bedenken gegen das Buch, zumal in dessen Neuauflage, betrifft aber das Geschichtsverständnis des Autors. Eisfeld legt bei der Erörterung vergangener Personen und Programme den Maßstab der von ihm vertretenen materialen, partizipativen Demokratiekonzeption zugrunde. Aus diesem Kriterium der Beurteilung wird dann schnell eine Verurteilung. So haben für ihn Bergstraesser, Eschenburg, Freund, Grabowsky und Jäckh „versagt“ – nicht nur weil ihre staatsautoritären Neigungen der nationalsozialistischen Diktatur Vorschub geleistet, sondern mehr noch, weil sie sich nach 1945 nicht mit ihrer eigenen „Fehlbarkeit“ auseinandergesetzt hätten (S. 39). Ein differenzierteres Verständnis von Geschichte lässt Eisfeld nur einmal kurz in dem 2013 eingefügten Satz aufleuchten: „Niemand kann heute für sich garantieren, wie er unter vergleichbaren Umständen gehandelt hätte.“ (ebd.) Doch beherzigt er dieses Caveat in der Gesamtheit seiner Untersuchung nicht, und das erscheint mir bedenklich. Für mich geht es bei geschichtlichen Untersuchungen stärker um Fragen nach dem „Warum“, um das Verstehen historischer Zusammenhänge und Entscheidungen. Damit soll keiner pauschalen Entschuldigung Vorschub geleistet werden. Vielmehr, so meine ich, erlaubt uns nur ein solches Verständnis der Historizität vergangener Ereignisse, aber auch unserer eigenen moralischen Position, ein Lernen aus der Geschichte. Sich mit Abscheu von autoritären Steigbügelhaltern der nationalsozialistischen Diktatur abzuwenden ist leicht, doch wesentlich schwerer ist es, die normative Verantwortung des Politikwissenschaftlers in der heutigen Demokratie zu praktizieren. Dieses Bedenken betrifft allerdings nicht nur die Darstellung Rainer Eisfelds, sondern beinhaltet auch eine allgemeine Herausforderung an die von der Debatte um Theodor Eschenburg geschüttelte bundesdeutsche Politikwissenschaft.

Anmerkungen:
1 Rainer Eisfeld, Theodor Eschenburg, Übrigens vergaß er noch zu erwähnen… Eine Studie zum Kontinuitätsproblem in der Politikwissenschaft, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 59 (2011), S. 27–44. Siehe auch ders., Theodor Eschenburg (II), „Der innere Widerstand gegen ein totalitäres Regime verlangte eben besondere Verhaltensweisen“, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 61 (2013), S. 522–542.
2 Rede des Preisträgers Claus Offe im Rahmen der Preisverleihung am 27.09.2012, URL: <http://www.hertie-school.org/fileadmin/images/Downloads/media_events/offe/---DVPW-Preis_Offe__2.pdf> (17.01.2014); inzwischen auch abgedruckt in: Politische Vierteljahresschrift 53 (2012), S. 601–606.
3 Beschluss von Vorstand und Beirat der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW), den Theodor-Eschenburg-Preis der DVPW für das Lebenswerk einer Politikwissenschaftlerin / eines Politikwissenschaftlers nicht weiter zu verleihen, vom 26. Oktober 2013, URL: <http://www.dvpw.de/eschenburg-debatte.html> (17.01.2014).
4 Auf der in der vorangehenden Anmerkung genannten Website der DVPW sind die meisten weiteren Beschlüsse, Gutachten, Kongressdebatten, Zeitschriften- und Zeitungsartikel zur Eschenburg-Debatte abrufbar.
5 Zur Berliner Auslandswissenschaftlichen Fakultät vgl. die detailreiche Untersuchung von Gideon Botsch, „Politische Wissenschaft“ im Zweiten Weltkrieg. Die „Deutschen Auslandswissenschaften“ im Einsatz 1940–1945, Paderborn 2006.
6 Zu Michael Freund vgl. die abgewogeneren Beiträge in: Wilhelm Knelangen / Tine Stein (Hrsg.), Kontinuität und Kontroverse. Die Geschichte der Politikwissenschaft an der Universität Kiel, Essen 2013.
7 Vgl. meine Überblicksdarstellung: Wilhelm Bleek, Geschichte der Politikwissenschaft in Deutschland, München 2001, insbes. S. 260ff.
8 Siehe zu diesem Themenkomplex insbesondere die Veröffentlichungen von Alfons Söllner, vor allem dessen Aufsatzsammlung: Deutsche Politikwissenschaftler in der Emigration. Studien zu ihrer Akkulturation und Wirkungsgeschichte. Mit einer Bibliographie, Opladen 1996.
9 Michael Th. Greven, Die „Geschichte der Politikwissenschaft“ sucht ihren Anfang in Deutschland, in: Politische Vierteljahresschrift 33 (1992), S. 140–145.

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