Cover
Titel
Des Kaisers Falke. Wirken und Nach-Wirken von Franz Conrad von Hötzendorf


Autor(en)
Dornik, Wolfram
Reihe
Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung 25
Erschienen
Innsbruck 2013: StudienVerlag
Anzahl Seiten
279 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anatol Schmied-Kowarzik, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien

Franz Ritter (ab 1910 Freiherr, 1918/19 Graf) Conrad von Hötzendorf, Chef des Generalstabs der Österreich-ungarischen Armee in den Jahren 1906–1911 und 1912–1917, ist eine der Schlüsselfiguren des Ersten Weltkriegs. Er forderte vor 1914 ständig einen Präventivkrieg der Habsburgermonarchie gegen Italien oder gegen Serbien und bestimmte mit Beginn des Weltkriegs die Geschicke dieser Monarchie bis 1917 nicht nur militärisch, sondern auch auf allen politischen und wirtschaftlichen Ebenen wesentlich mit. Da er zudem eine bis heute höchst umstrittene Person ist, ist eine neue Biografie über ihn – ungeachtet Lawrence Sondhaus’ Studie aus dem Jahr 20001 – im Prinzip wichtig und verdienstvoll.

Umso bedauerlicher ist es jedoch, dass sich der Autor des vorliegenden Werks anscheinend außerhalb des reinen militärischen Geschehens des Ersten Weltkriegs nicht gut auszukennen scheint. Das möglicherweise unter großem Zeitdruck entstandene Buch ist durchzogen von teilweise gravierenden faktischen und inhaltlichen Fehlern. Drei besonders schwerwiegende seien gleich einleitend exemplarisch herausgegriffen:

Dornik schreibt: „In der oktroyierten Märzverfassung von 1851 wurde ein neoabsolutistisches System festgeschrieben, […].“ (S. 16) Die Märzverfassung stammte aber aus dem Jahr 1849, und nicht sie schrieb das neoabsolutistische System fest, sondern gerade ihre Aufhebung durch die Silvesterpatente vom 31. Dezember 1851. Auf Seite 78 lesen wir: „[…] und plädierte für den sofortigen Krieg zur Eroberung Bosnien-Herzegowinas und auch gleich gegen Serbien.“ Da fragt sich der erstaunte Leser, warum Conrad eine Eroberung Bosnien-Herzegowinas forderte, nachdem das Land, wie Dornik selbst wenige Zeilen davor schreibt, „schon seit 20 [sic!, recte 30] Jahren“ besetzt war? Denn die Umwandlung der Okkupation in eine Annexion war ein staatsrechtlich-politischer und kein militärischer Akt, ganz im Gegenteil zu dem von Conrad geforderten Krieg gegen Serbien. Schließlich findet sich auch folgende, leider nicht belegte Behauptung: „1914/15 erreichten die Kriegsausgaben Österreich-Ungarns mit 81 bis 90 Milliarden Kronen ihren Höhepunkt. Ab diesem Zeitpunkt mussten die Ausgaben jährlich um 20 Prozent reduziert werden“ (S. 156). An dieser Aussage stimmt eigentlich gar nichts, weder das behauptete Faktum, dass 1914/15 (also zu Kriegsbeginn) der Höhepunkt der Kriegsausgaben erreicht worden sei, ebenso wenig dass sie in den folgenden Jahren überhaupt reduziert worden seien, noch die genannten Summe von 81 bis 90 Milliarden Kronen. Ohne über das Zustandekommen dieser Irrtümer zu spekulieren, seien die Dinge richtig gestellt: Die gesamten (zivilen und militärischen) Ausgaben Österreich-Ungarns betrugen im Budgetjahr 1914/15 16 Milliarden Kronen und stiegen jährlich an, auf 52 Milliarden in den letzten 16 Monaten des Krieges (Juli 1917 bis Oktober 1918), auf ein Jahr berechnet ca. 40 Milliarden. Davon waren 1914/15 reine Militärausgaben neun Milliarden und in den letzten 16 Monaten des Krieges 24 oder für zwölf Monate 18 Milliarden Kronen. Zusammen nahmen Österreich und Ungarn während des Krieges Kredite in Höhe von 100 Milliarden Kronen auf.

Besonders gravierend ist die Unkenntnis über das zugegebenermaßen sehr komplexe politische System der Doppelmonarchie. Das Kapitel „Zwei Staaten unter einer Krone“ umfasst lediglich eine Seite (S. 33). Hier bezeichnet Dornik den „permanent mit ‚leeren Säckeln‘ konfrontierten Finanzminister“ als ein „Symbol für den Gesamtstaat“. Damit kann wohl nur der gemeinsame Finanzminister gemeint sein; dieser verfügte aber ohnehin über keine – nennenswerten – eigenen Einnahmen, weil seine Agenda – von der Leitung der Verwaltung Bosnien-Herzegowinas abgesehen – sich rein auf Ausgabenverwaltung bezog. Die „leeren Säckel“ hatten die beiden Finanzminister der cisleithanischen und der ungarischen Regierung, und aus ihren Einnahmen wurden die gemeinsamen Ausgaben bestritten. Zudem ist die Aussage, Franz Joseph habe die Armee „als Drohmittel für eine statische Außenpolitik“ genutzt, für die Zeit ab 1867 bis zumindest 1913 schlicht falsch. Selbst die Annexion Bosnien-Herzegowinas wurde nicht wegen der eigenen militärischen Stärke, sondern trotz der eigenen Schwäche gewagt. Der hier als Beleg zitierte Johann Christoph Allmayer-Beck bezog sich auf die Zeit „nach 1851“ und meinte damit keineswegs „bis 1913/14“.

Das Verhältnis von gemeinsamer Monarchie zu ihren Teilen und der Beziehungen beider Teile zueinander (die Basis des rechtlichen Handlungsspielraums Conrads besonders bis 1914) hätten für dieses an sich wichtige Kapitel „Zwei Staaten unter einer Krone“ weit mehr als eine Seite notwendig gemacht. Dorniks mangelnde Kenntnisse über die inneren politischen Strukturen Österreich-Ungarns macht schon im Ansatz eine Würdigung der Auseinandersetzungen zwischen Conrad und dem Außenminister Alois Lexa Graf von Aehrenthal unmöglich, die besonders für die Zeit ab der sogenannten Bosnienkrise 1908/09 bis zur ersten Absetzung Conrads 1911 nicht nur für die Beurteilung der Vorkriegspolitik der Monarchie, sondern auch für Conrads Biografie zentral ist. Die Frage nach den verfassungsrechtlichen und realen Entscheidungs- und Einflussmöglichkeiten des gemeinsamen Außenministers und des Generalstabschefs bleibt unbestimmt und wird nicht weiter erläutert.

In seiner Einleitung legt der Autor dar: „Ein Leben zu fassen, heißt auch, Ecken und Kanten herauszuarbeiten, Widerspruchsvielfalt zu akzeptieren, Grauzonen zuzulassen, nichts glatt zu bügeln für eine ‚steile These‘.“ (S. 13) Grauzonen hat der Autor zugelassen und nichts „glattgebügelt“, jedoch mit der Folge, dass sein Werk damit letztlich gar keine These hat und alles zur „Grauzone“ wurde. Zumindest einer Frage ist der Autor aber besonders intensiv nachgegangen: Inwieweit war Conrad für den desaströsen Kriegsverlauf in den ersten Monaten des Weltkriegs verantwortlich? Obwohl Dornik auch dabei nicht klar Stellung bezieht, so scheint die Tendenz bei ihm doch dahin zu gehen, dass Conrad 1914 schwerwiegende Fehlentscheidungen getroffen habe. Mit dem Abschlussabsatz seines Buches (S. 199) hebt er diese Tendenz aber wieder auf, indem er hier unkommentiert den deutschen General Max Hoffmann zu Wort kommen lässt, der den eben verstorbenen Conrad als „größten Strategen“ bezeichnete. Dass Hoffmann abseits der üblichen Verklärungen für frisch Verstorbene ein handfestes Interesse hatte, das Ansehen Conrads hochzuhalten, um im Gegenzug jenes von Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff zu schmälern, mit denen er sich Anfang 1918 überworfen hatte, bleibt unerwähnt. Hingegen zog Dornik Rudolf Ritter von Brudermann, im Jahr 1914 Kommandant der 3. Armee, nicht als Quelle für Zitate heran: 1919 hatten Conrad und Brudermann in Zeitungen öffentlich eine intensiv geführte Auseinandersetzung über die Verantwortung des Desasters 1914 ausgetragen, deren Aussagen an Deutlichkeit nichts zu Wünschen übrig lassen.

Auch sei erwähnt, dass Dornik die gemeinsamen Ministerratskonferenzen, auf denen wichtige außen- und militärpolitische Weichen gestellt wurden, ausschließlich anhand von Sekundärquellen zitiert. Es mag sein, dass der von mir bearbeitete, 2011 erschienene Editionsband der gemeinsamen Ministerratsprotokolle 1908–19142 für ihn zu spät erschienen ist, der von Miklós Komjáthy bearbeitete Band für die Zeit 1914–1918 liegt aber bereits seit 1966 vor.3

Den Abschluss des Bandes bildet eine „Nachbetrachtung“ von Verena Moritz und Hannes Leidinger, in der diese das Bild von Conrad im Wandel der Zeit nachzeichnen. Auffallend ist dabei, dass sie primär seiner militärischen und nur ganz sekundär seiner politischen Beurteilung nachgehen und das sowohl für die Zeit vor als auch für die Zeit im Krieg. Diese Nachbetrachtung bleibt leider im Wesentlichen bei der Aufforderung Adam Wandruszkas aus dem Jahr 1966 stehen, die „Conrad-Legende“ zu revidieren. Spätere historische Studien, wie beispielsweise jene von Sondhaus oder von Günther Kronenbitter4, werden zwar zitiert, aber eben nicht als heutiger Stand der Forschung analysiert. Dafür kommt der österreichische General Edmund Entacher mit einer Wortmeldung von 2008 zu Wort (S. 219). So sucht man im Text der beiden Autoren „die bereits vor einigen Jahrzehnten begonnene kritische Sicht auf den ‚Feldmarschall‘“ (S. 220) vergeblich; diese wird zwar postuliert, aber nicht dargelegt. Als Beweis dafür, dass sich auch heute noch eine hagiographische Sicht auf Conrad in der „seriösen“ Geschichtswissenschaft halte, führen Moritz und Leidinger den Eintrag der Onlineausgabe des „Österreichischen Biographischen Lexikons“ zu Conrad an. Vermutlich ist ihnen dabei entgangen, dass diese Publikation eben nur die Onlineversion der Printausgabe ist, die – Band (A–Glä) – bereits 1954 im Druck erschienen ist und damals für Militärpersonen vom Kriegsarchiv Wien bearbeitet wurde. Als Beleg für den heutigen Forschungsstand ist das erwähnte Zitat jedenfalls ungeeignet. Das Kriegsarchiv wurde jedoch bis 1955 von Oskar Regele geleitet, dessen „Conrad-Hagiographie“, wie Moritz und Leidinger schrieben (S. 218), 1955 erschienen ist5 – im Literaturverzeichnis scheint diese Veröffentlichung allerdings nicht auf.

Das Buch lässt letztlich viele Fragen offen, besonders aber die, warum es von keinem fachkundigen Lektor kritisch gelesen wurde, um all diese Mängel vor Drucklegung zu bereinigen.

Anmerkungen:
1 Lawrence Sondhaus, Franz Conrad von Hötzendorf. Architekt der Apokalypse, Wien 2003. Im englischsprachigen Original: 2000.
2 Anatol Schmied-Kowarzik (Hrsg.), Die Ministerratsprotokolle Österreichs und der Österreichisch-Ungarischen Monarchie 1848–1918. Ser. 2, Die Protokolle des gemeinsamen Ministerrates der Österreichisch-Ungarischen Monarchie 1867–1918: 6. 1908–1914, Budapest 2011.
3 Miklós Komjáthy (Hrsg.), Protokolle des Gemeinsamen Ministerrates der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. 1914–1918, Budapest 1966.
4 Günther Kronenbitter, Krieg im Frieden. Die Führung der k.u.k. Armee und die Großmachtpolitik Österreich-Ungarns 1906–1914, München 2003.
5 Oskar Regele, Feldmarschall Conrad. Auftrag und Erfüllung 1906–1918, Wien 1955.

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