R. Schlott: Papsttod und Weltöffentlichkeit

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Titel
Papsttod und Weltöffentlichkeit seit 1878. Die Medialisierung eines Rituals


Autor(en)
Schlott, René
Reihe
Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B, Forschungen 123
Erschienen
Paderborn 2013: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
269 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Eva Maria Holly, Institut für Geschichtswissenschaften II, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Die enorme Berichterstattung über den Tod Papst Johannes Pauls II. im Jahr 2005, der in seiner Dimension ein transnationales Medienereignis darstellte wie wahrscheinlich noch kein Papsttod zuvor, gibt René Schlott den Anlass zur vorliegenden kultur- und medienwissenschaftlichen Untersuchung, die auf einer Gießener Dissertation beruht. In vier Kapiteln wird die Berichterstattung über die Tode von Pius IX. (1878) bis Johannes Paul I. (1978) untersucht. Von den insgesamt neun Papsttoden markieren die von Pius IX. und Pius XII. den Anfang und das Ende der „medialen Sattelzeit“ (S. 28) zwischen 1860 und 1960. Diesen wird sich ausführlich in jeweils einem eigenen Kapitel gewidmet. Die übrigen Papsttode werden in zwei weiteren Kapiteln behandelt. Es wird danach gefragt, inwiefern sich der Papsttod schon immer als Medienereignis charakterisieren lässt und welche Aussagen sich über die Veränderung der Art und Intensität der medialen Aufmerksamkeit sowie der Rolle der Massenmedien treffen lassen (S. 13f.). Dabei fühlt sich die Arbeit dem von Frank Bösch formulierten Ansatz verpflichtet, nicht nur die durch Medien erzeugte Wirklichkeit zu untersuchen, sondern auch den Einfluss, den diese bei der Entstehung von Ereignissen, Handlungen und Vorstellungen haben (S. 15). Vor diesem Hintergrund soll erklärt werden, wie das Medienereignis Papsttod geschaffen wurde, welche Vorstellungen durch die Berichterstattung vermittelt wurden, welche Handlungen seitens des Vatikans als Reaktion auf die Medienaufmerksamkeit zu erkennen sind, welchen Einfluss dies auf die Rituale um den Papsttod hatte und wie die Rituale in „unterschiedlichen konfessionellen und gesellschaftlichen Verhältnissen“ medial dargestellt wurden (S. 15).

René Schlott zeigt überzeugend auf, welche Faszination der Papsttod seit 1878 für die Massenmedien sowie für die Menschen fortlaufend ausübt, was sich in der kontinuierlich steigenden Zahl trauernder Gläubiger und internationaler Staatsgäste zeigt. Eine kontinuierliche Intensivierung der medialen Aufmerksamkeit kann allerdings nicht beobachtet werden. Im Falle von Pius X. ist dies mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu erklären. Bei Johannes Paul I. sind sein plötzlicher Tod und die ausführliche Berichterstattung über den Tod seines Vorgängers als Gründe einer geringen medialen Aufmerksamkeit anzuführen. Die Anpassung des Vatikans an die Medienbedingungen wird plausibel dargestellt, insbesondere wie der Vatikan seine Medienorgane durch die Etablierung eines Pressebüros bis zur Nutzung von Internetauftritten erweitert. Letztere führt Schlott im Kontext der Vorbereitungen auf die Seligsprechung von Johannes Paul II. an (S. 224). Die starken Wechselwirkungen zwischen Medien und Ritual zeigt Schlott ebenfalls deutlich auf. So beschreibt er beispielsweise, welchen Fokus die Medien bei ihrer Berichterstattung auf das Ritual legen und wo eine „Öffnung“ stattfindet, wie zum Beispiel bei der erstmaligen öffentlichen Überführungsprozession des Leichnams Pius XI. (S. 103f.), oder bei öffentlichen Totengottesdiensten auf dem Petersplatz, die 1978 begannen und ihren Höhepunkt bei Johannes Paul II. fanden (S. 221). Aber auch retardierende Momente wie den Ausschluss der Journalisten bei der Beisetzung Johannes XIII. werden herausgestellt (S. 193).

Schlott hebt die gemeinschaftsstiftende Wirkung von Ritualen und Medien hervor, die sich im Falle einer Verknüpfung der beiden bis hin zur Entstehung einer „Weltöffentlichkeit“ ausweiten kann (S. 26). Der Begriff „Öffentlichkeit“ bleibt allerdings sehr vage. Eine differenziertere Erläuterung wäre aber durchaus wünschenswert, zumal der Terminus in unterschiedlicher Weise verwendet wird: Mal wird von „europäischer Öffentlichkeit“ (S. 92), mal von „Öffentlichkeit“ im Allgemeinen gesprochen. An anderer Stelle beschreibt Schlott einen durch mediale Berichterstattung hervorgerufenen „öffentlichen Diskurs“ (S. 84). Er spricht undifferenziert von „transnationaler Öffentlichkeit“, von „Öffentlichkeit“ in Abgrenzung zur „Privatheit“ (S. 114), von einem „transnationalen Kommunikationsraum“ (S. 136) und von „Weltöffentlichkeit“.

Sehr imposant wirkt die Auflistung der verwendeten Quellen, die er in vier Gruppen unterteilt: 1. Säkulare Medien: Es wurden Tages- wie Wochenzeitungen, überregionale Qualitätszeitungen bis hin zu Boulevardzeitungen der Länder Deutschland, Großbritannien und Frankreich in die Untersuchung eingebunden. Auswahlkriterien sind die Auflagenhöhe sowie der öffentliche Stellenwert. Auch illustrierte Zeitschriften wurden analysiert, um der wachsenden Bedeutung des Mediums Bild genüge zu tun. 2. Vatikanmedien: Hier wurden die italienische Ausgabe der Vatikanzeitung „Osservatore Romano“ und für die späteren Papsttode auch Radio Vatikan untersucht. 3. Vatikanakten: Rund 9.000 Dokumente aus Vatikanakten sowie Zeremonienbücher und kirchliche Publikationen wurden eingesehen. 4. Quellen der Mikroperspektive: Leserbriefe, Tagebücher von Journalisten oder Interviews mit Vatikanakteuren wurden ebenfalls einbezogen.

So eindrucksvoll dies zunächst erscheinen mag, so bleibt doch festzuhalten, dass die Untersuchung vorrangig auf die säkularen Medien, insbesondere Zeitungen und Zeitschriften, gestützt ist. Die Gruppen drei und vier fallen wenig ins Gewicht und auch die zweite Gruppe fällt deutlich hinter jene der säkularen Medien zurück. Diese werden in der Einleitung einzeln und namentlich angeführt, später verwendet Schlott dennoch häufiger Medien, die er vorne nicht erwähnt: zum Beispiel „Germania“ (u.a. S. 50ff.) und „Frankfurter Rundschau“ (S. 177ff.). Die Auswahl der Pressemedien erscheint recht undifferenziert und wird damit gerechtfertigt, „[…] ein möglichst breites Spektrum sowohl an politischer Ausrichtung der Blätter und als auch im Hinblick auf ihre Zielgruppen und ihre Lesermilieus“ abzubilden (S. 29). Der Anspruch, ein großes Spektrum abzudecken, ist zwar lobenswert, allerdings sollten oben genannte Faktoren, insbesondere hinsichtlich der Auswirkung auf die Gestaltung und Darstellung der Berichterstattung, reflektiert werden. Gründlichere Überlegungen, welchen Einfluss die Rolle des Papstes als (welt)politische Figur auf die Art der Berichterstattung hat, werden nicht angestellt. Auch konfessionelle Aspekte, wie eingangs noch erwähnt, fallen bei der Untersuchung nicht weiter ins Gewicht. Somit wird das Argument der Länderauswahl für die säkularen Medien, das maßgeblich auf der unterschiedlichen konfessionellen Prägung aufbaut, ebenfalls entkräftet (S. 29). Damit verbunden stellt sich auch die Frage, warum ausschließlich europäische Medien in die Untersuchung einbezogen werden.

Trotz einiger Ungenauigkeiten und nicht präzisierter Abgrenzungen des Öffentlichkeitsbegriffs liefert René Schlott eine lesenswerte Studie, in der der vielschichtige Einfluss der Massenmedien auf das Ereignis Papsttod und seine Akteure sowie die Wechselwirkungen zwischen Akteuren und Medien anschaulich dargestellt werden.

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