K. Birngruber u.a. (Hrsg.): Adel, Burg und Herrschaft an der „Grenze“

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Titel
Adel, Burg und Herrschaft an der „Grenze“: Österreich und Böhmen. Beiträge der interdisziplinären und grenzüberschreitenden Tagung in Freistadt, Oberösterreich, 26. bis 28. Mai 2011


Herausgeber
Birngruber, Klaus; Schmid, Christina, unter Mitarbeit von Weigl, Herwig
Reihe
Studien zur Kulturgeschichte von Oberösterreich 34
Anzahl Seiten
240 S.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Joachim Schneider, Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Die Chancen einer interdisziplinären Erforschung von Adel und Burg wurden in den letzten Jahren bereits mehrfach ausgelotet. Der hier vorliegende Band vereint Beiträge von Historikern, Archäologen und Bauforschern und bringt zusätzlich den Aspekt der Grenze ins Spiel – der Grenze zwischen Böhmen und Österreich und der Bedeutung des Zusammenhangs von Burg und Adel diesseits und jenseits in historischer Zeit und in der heutigen Forschung.

Im Hintergrund steht ein inzwischen abgeschlossenes Forschungsprojekt, das die sozialen Beziehungen des Adels und die Rolle der Burgen im Unteren Mühlviertel in Oberösterreich im Grenzgebiet zu Böhmen insbesondere im 13. und 14. Jahrhundert archäologisch und historisch erforscht hat. Die wichtigsten Ergebnisse werden im ersten Beitrag des mit Klaus Birngruber, Alice Kaltenberger, Thomas Kühtreiber und Christina Schmid interdisziplinär arbeitenden Teams dokumentiert. Die akribische Durchmusterung der schriftlichen Quellen bringt eine seit dem 13. Jahrhundert, der Konsolidierungsphase der Landesherren, vielfältig geschichtete Adelspopulation zu Tage, deren genaue Lokalisierung aber mit Hilfe der Schriftquellen nur selten möglich ist. Andererseits sind die archäologischen Funde im Bereich der Keramik aber wenig aussagekräftig; nur Waffenteile verweisen auf den Adel – und dies auch nur für ältere, größere Burganlagen, wo sie die Schriftquellen ergänzen können, während der kleine Adel auf den erschlossenen Sitzen und Burgställen kaum durch Funde dokumentiert ist. Besser passen schriftliche und archäologische Quellenbefunde für die Frage nach der Grenze zusammen. Im Ergebnis wird einerseits die Annahme eines linearen Grenzverlaufs zurückgewiesen, andererseits aber die Distanz zwischen Österreich und Böhmen bei der adligen Herrschaftsbildung bis zum Ende des 13. Jahrhunderts hervorgehoben: So zeigt das im Umfeld von Mühlviertler Adelsburgen erfasste Scherbenrepertoire fast nur bayerische Formen und lässt daher auf schwache Kontakte nach Böhmen schließen. Zudem fehlen zunächst als Burgen anzusprechende Bauten in Böhmen überhaupt. Andererseits, und das führt zu einer Relativierung des modernen, linearen „Grenz-Begriffs“, konnten im Einzelfall noch um 1200 adlige Herren aus der Ostmark mit ihrem Burgenbau, mit oder ohne Duldung der böhmischen Könige, ins nördliche Böhmen ausgreifen. Voraussetzung einer stärker linear wahrgenommenen Grenzziehung war die herrschaftliche Konsolidierung und Durchdringung der großen Waldgebiete unter Führung der österreichischen Herzogsgewalt. Erst danach wurde aus einem offenen Übergangsbereich von Einflusszonen eine territorial nachvollziehbare Grenze. Dass diese für adlige Ansiedlung, Herrschaftsbildung und Verflechtung durch Konnubium und Ankauf von Adelsherrschaften weiterhin durchlässig war – ja wohl noch in viel stärkerem Maße als früher – bleibt in diesem Beitrag aufgrund seines zeitlichen Zuschnitts außer Betracht, wird jedoch in mehreren anderen Aufsätzen des Bandes deutlich, die von tschechischen Autoren beigesteuert wurden.

Recht konventionell nimmt sich der Beitrag von Franz-Reiner Erkens aus, der, ausgehend von der „Nordwaldschenkung“ Kaiser Heinrichs II., den Burgenbau durch Edelfreie und Passauer Ministeriale seit dem 11. Jahrhundert und dann die mit diesen Burgen verbundene „Burgenpolitik“ der Passauer Bischöfe nördlich der Donau resümiert, die Frage einer eigenständigen Passauischen Klientel burggesessenen Adels aber nur sporadisch beleuchtet.

Zwei weitere Beiträge stellen Forschungsergebnisse aus dem benachbarten Wald- bzw. Weinviertel in Niederösterreich aus archäologischer bzw. historischer Perspektive dar. Sabine Felgenhauer-Schmiedt arbeitet exemplarisch die Entwicklung von Herrschaftszentren in diesem Raum in mehreren, aufeinander folgenden Zeitschichten und Bautypen zwischen dem 10. und dem 13. Jahrhundert heraus. Bei den großen Burgen zeigen sich, archäologisch belegt, deutliche kulturelle Bezüge zum böhmisch-mährischen Raum. Der parallele Beitrag aus historischer Sicht von Roman Zehetmayer geht nicht exemplarisch vor, sondern stellt die „herrschaftliche Erschließung“ im nördlichen Wald- und Weinviertel durch den Adel vornehmlich additiv durch Sammlung aller Belege von Adel und Burgen vom 10. Jahrhundert bis 1150 dar. In einem zweiten Teil folgt aufgrund des zuvor ausgebreiteten Materials eine Analyse der „Adelsstruktur“ (unter anderem Modelle der Herrschaftsgründung durch die Herren selbst oder durch ihre Klientel, Anteil von Edelfreien, Eintritt Edelfreier in die Babenberger Ministerialität, Aufbau von Klientelverbänden).

Einen großen Horizont öffnet gewissermaßen von der anderen Seite her Tibor Jan, der in Abgrenzung zur holzschnittartigen These von einer Privatisierung des Staates und einer Usurpation von Herrschaftsrechten durch den Adel in Böhmen und Mähren gegen die Přemysliden-Dynastie autochthone Rechte und sehr unterschiedliche Wege der Privilegierung des Adels durch die böhmischen Könige hervorhebt. Er zeigt, wie diese insbesondere in den Grenzräumen Böhmens und Mährens zu Österreich den Adel auf königlichen Burgen einsetzten, die damit zu Mittelpunkten großer Herrschaftskomplexe des Adels wurden. Doch diese Entwicklung war nach Jan keine adlige Usurpation, sondern ein Dezentralisierungsprozess im Rahmen der königlichen Politik.

Zwei weitere Studien beschäftigen sich mit dem Thema Burg und Stadt anhand von Freistadt bzw. Tabor bis zum Ende des 15. Jahrhunderts – und damit anhand doch sehr unterschiedlicher Fallbeispiele. Freistadt erscheint, ohne dass größere historische Zäsuren erkennbar würden, als ein typischer Fall einer herzoglich dominierten Landstadt, bei der sich Interessen des Landesherrn und der Bürgerschaft eng auf wirtschaftlichem und militärischem Gebiet durchdringen. Der vornehmlich archäologisch-baugeschichtlich ausgerichtete Beitrag zu Tabor arbeitet in detaillierter Auseinandersetzung mit zum Teil kontroversen älteren und jüngeren Forschungen die Abfolge mehrerer Phasen heraus. Der Fall Tabor dürfte allerdings zumindest in zwei der drei Phasen einen, freilich sehr interessanten, Ausnahmefall im Rahmen der Beziehung von Burg und Stadt repräsentieren.

Eine für die Adelsgeschichte als Sozialgeschichte besonders ertragreiche Studie ist der Aufsatz von Robert Novotný zu den Rosenbergern sowie zu deren niederadliger Klientel. Nach einer Darstellung der Genese des „Imperiums“ der Witigonen bzw. Rosenberger Herren durch Burgenbau und Herrschaftsbildung im 13. und 14. Jahrhundert geht es im Weiteren um die Analyse des Rosenberger Klientelsystems. So findet Novotný diese niederadlige Klientel nicht nur in den Burggrafen auf den Rosenberger Burgen sowie bei anderen Lehens- und Dienstleuten der Rosenberger aus dem Niederadel. Vielmehr arbeitet er eine Gruppe von bei Bedarf aktivierbaren Niederadligen heraus, die im 15. Jahrhundert bei politisch besonders relevanten Urkunden als Siegler und damit als „informelles Gefolge“ der Rosenberger Politik im 15. Jahrhundert erscheinen.

Eine abschließende Gruppe von sechs Beiträgen dokumentiert Ergebnisse, aber auch offene Fragen der tschechischen archäologischen Forschung der letzten Jahre, auf die hier nicht bzw. nur noch knapp eingegangen werden kann: So spielen in einem der Beiträge Überlegungen zu einem Kultur- und Formentransfer beim Burgenbau von Österreich nach Böhmen eine Rolle (Zlata Gersdorfová über Krummau). Tomáš Durdík und Petr Chotěbor arbeiten den böhmischen Typus der Feste bzw. kleinen Burg anhand von typischen Bauformen untersuchter Fallbeispiele sowie der Terminologie in den schriftlichen Quellen heraus. Beachtenswert ist auch die minutiöse baugeschichtliche Untersuchung der Entwicklung zweier Festen, in der Michael Rykl über ein- bis zweihundert Jahre seit circa 1490 aus dem Wandel der Baugestalt auf einen jeweils sehr unterschiedlichen materiellen und sozialen Zuschnitt der adligen Inhaberfamilien zurückschließt.

Der Tagungsband enthält für eine archäologisch-historisch arbeitende Burgen- und Adelsforschung viele aufschlussreiche Beobachtungen. In diesem Sinne kann er nicht zuletzt der gegenseitigen Kenntnisnahme der beiden Disziplinen dienen. Dasselbe gilt in anderem Sinne auch für den Austausch zwischen deutsch- und tschechischsprachiger Forschung. Andererseits zeigt selbst der integrativ angelegte Beitrag zum Oberen Mühlviertel die Probleme auf, wenn man durch die interdisziplinäre Diskussion zwischen Archäologie bzw. Bauforschung und Historie zu wirklich neuen Ergebnissen gelangen möchte, die sonst nicht möglich wären. Allzu oft sind die jeweiligen Überlieferungsschichten bzw. der jeweilige Forschungsstand zeitlich bzw. räumlich nicht kongruent, ist man auf gleichsam zufällig vorliegende Editionen bzw. Fundsammlungen angewiesen. Eine gewisse konzeptionelle Schwäche des Bandes hingegen mag darin liegen, dass nur wenige der Beiträge den im Titel genannten Begriff der Grenze explizit thematisieren und systematisch nach der Wirkung der Lage im Grenzbereich zwischen böhmischem bzw. österreichischem Einfluss auf die Geschichte von Adel und Burgenbau fragen. Wenn auch die deutsche Seite hier weitgehend fehlt, was im Vorwort auch ausdrücklich bedauert wird: Gewinnbringend ist der grenzüberschreitende, möglichst auch historisch vergleichende Austausch zwischen Historikern aber allemal und das zeigt auch dieser Sammelband.