R. Pröve u.a. (Hrsg.): Übergänge schaffen

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Titel
Übergänge schaffen. Ritual und Performanz in der frühneuzeitlichen Militärgesellschaft


Herausgeber
Pröve, Ralf; Winkel, Carmen
Reihe
Herrschaft und soziale Systeme in der frühen Neuzeit 16
Erschienen
Göttingen 2012: V&R unipress
Anzahl Seiten
152 S.
Preis
€ 34,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Weise, Institut für Geschichte, Justus-Liebig-Universität Gießen

Im Jahr 2000 sprach der Potsdamer Militärhistoriker Ralf Pröve in seinem wegweisenden Aufsatz zur Lage und Entwicklung der „neuen“ Militärgeschichte in Deutschland von einem wahren Forschungsboom der neuen historischen Subdisziplin und antizipierte, dass die künftigen Forschungsergebnisse das Gesamtbild der Frühen Neuzeit mittelfristig verändern würden.1 Tatsächlich haben die vielen in der Zwischenzeit erschienenen Publikationen mit militärgeschichtlichen Fragestellungen das historische Wissen um die Frühe Neuzeit nicht nur ergänzt und erweitert, sondern mitunter auch korrigiert. Nun hat Pröve selbst, zusammen mit Carmen Winkel, einen Sammelband herausgegeben, der die kulturwissenschaftlich geprägten Konzepte „Ritual“ und „Performanz“ mit der Militärhistorie verknüpfen will. Ist die historische Ritualforschung vor allem durch den Münsteraner Sonderforschungsbereich 496 vorangetrieben worden, so kamen die Anregungen des „performative turn“ bislang vorwiegend aus der Theater-, Sprach- und Literaturwissenschaft.

In ihrer Einleitung weisen Pröve und Winkel auf bestehende Forschungsdesiderate hin, die sie insbesondere in den „Rituale[n] des Krieges“ (S. 17f.) verorten sowie in der Frage, inwiefern es überhaupt typisch militärische Rituale in der Frühen Neuzeit gegeben habe (S. 18). Begrifflich übernehmen die Herausgeber/innen die Unterscheidung zwischen Ritual und Zeremonie von Barbara Stollberg-Rilinger und betonen den Einfluss der Rituale auf die Performanzforschung, lassen sie sich doch als „performative Akte“ (S. 10) begreifen.2 Indem Winkel und Pröve den Vergemeinschaftungscharakter der Rituale betonen, grenzen sie sich gleichzeitig von politikwissenschaftlichen Ansätzen ab, die in Ritualen vor allem ein Zwangsmittel zur Herrschaftsdurchsetzung sehen. Die Herausgeber/innen unterscheiden hingegen zwischen obrigkeitlich angeordneten Ritualen und solchen, die von den Soldaten selbst geschaffen wurden (S. 16f.). Gerade letzteren komme eine Scharnierfunktion zwischen Militär- und Zivilgesellschaft zu, weshalb sie ein besonders lohnendes Untersuchungsfeld darstellten.

In ihrem eigenen Beitrag zu „Eid, Uniform und Wachdienst: Initiationsrituale im frühneuzeitlichen Offizierskorps“ untersucht Winkel anhand beider Ritualarten, wie der Übergang von der zivilen in die militärische Lebenswelt symbolisch inszeniert wurde. Ein zentrales Initiationsritual sieht die Autorin im Fahneneid, der zunächst einmal eine rechtliche Statusveränderung der Rekruten bewirkte – nämlich den Wechsel von der Jurisdiktion des Gutsherrn zur Militärgerichtsbarkeit. Seinen äußerlich sichtbaren Ausdruck fand dieser Statuswechsel in der Uniform, mit der die Soldaten eingekleidet wurden. Freilich waren die Eidesleistung und die neue Tracht nur zwei Glieder in einer „hochkomplexen Kette von symbolhaften Handlungen und Zeremonien“ (S. 34). Der Wachdienst stellt ein weiteres Ritual dar, das junge Offiziersanwärter durchlaufen mussten, um in den Soldatenstand aufgenommen zu werden. So mussten die Junker bei ihrer ersten Wache die ganze Mannschaft bewirten, um so symbolisch in deren Kreis aufgenommen zu werden. Darüber hinaus erfährt man allerdings relativ wenig über binnenmilitärische Rituale bzw. die Regimentskultur, obwohl die Mitherausgeberin deren Wichtigkeit immer wieder betont.

Aus einer ganz anderen Perspektive versucht Stephan Theilig, sich der Grenze zwischen ziviler und militärischer Lebenswelt zu nähern, indem er das Phänomen der „Türkentaufe“ zum Ausgangspunkt seiner Analyse macht. Im Taufritus sieht er allerdings nur einen Teil einer sechsgliedrigen Phase der Assimilierung von Kriegsgefangenen. Allerdings werden diese sechs Phasen weder an einem Beispiel konsequent durchgespielt, noch sonst in irgendeiner Form analytisch fruchtbar gemacht. Überhaupt lässt der Beitrag keine stringente Argumentation erkennen und weist zudem auch sprachlich und formal deutliche Mängel auf.

Ganz im Gegenteil dazu steht der Aufsatz von Ulrike Ludwig, der sich dem Duell als einem Ritual der Vergemeinschaftung widmet. Anhand eines Zweikampfs zwischen Offizieren des schwedischen Korps im Jahre 1658, bei dem einer der Kontrahenten starb, zeigt Ludwig sehr schön auf, dass die Auffassungen darüber, was unter einem Duell zu verstehen sei, selbst innerhalb einer sozial homogenen Gruppe sehr umstritten sein konnten. Denn der behandelte Konflikt entsprach nicht dem hochgradig formalisierten Verlauf, der sich in idealtypischer Weise zum Beispiel in Theodor Fontanes „Effi Briest“ findet. Vielmehr war das Duellverständnis gerade in Schweden deutungsoffen und bezog sich nicht auf eine bestimmte kulturelle Praktik, weshalb die Legitimität und Notwendigkeit dieser Form der Auseinandersetzung umstritten blieben. Das in dem untersuchten Duell dennoch ein performativer Akt der Vergemeinschaftung gesehen werden kann, verdeutlicht Ludwig unter Rückgriff auf Bourdieus Theorie der „ernsten Spiele des Wettbewerbs“. Demnach ist die Kommunikation zwischen Mitgliedern einer sozial homogenen Gruppe durch permanente Herausforderung geprägt – eine Art aggressiver Imagepflege (Erving Goffman) –, die jederzeit in einen bewaffneten Konflikt umschlagen kann, aber keinesfalls muss.

Eine Form der Wiederherstellung der verletzten militärischen Ehre untersucht Bastian Muth, der ein spektakuläres, gleichwohl kaum bekanntes Ereignis des Dreißigjährigen Krieges in den Blick nimmt. Die Hinrichtung des gesamten Regiments Madlo im Anschluss an die zweite Schlacht von Breitenfeld 1642 wegen Feldflucht stellt eine einzigartige Massenexekution dar. Muth zeichnet auf Grundlage einer zwölfseitigen Flugschrift detailliert nach, wie der militärische Strafprozess ablief und welche Bedeutung den einzelnen Ritualen zukam. So sollten die „Rituale der Infamie“ (S. 98) – Niederlegung der Waffen und Standarten, Schändung der Ehrsymbole – das unehrenhafte Verhalten der Delinquenten widerspiegeln. Gleichzeitig verweisen die verschiedenen Hinrichtungsarten der einzelnen Militärchargen auf die unterschiedlichen, standesabhängigen Ehrstufen. Zwar unterscheidet Muth nicht immer konsequent zwischen Zeremonie und Ritual respektive Inszenierung und Performanz, inhaltlich ist sein Beitrag aber ein Gewinn.

Deutlich gewaltärmer verliefen die Demissionen der preußischen Offiziere unter Friedrich II., die Angela Strauß zum Thema ihres Beitrags macht. Strauß zeigt, dass die Mehrzahl der Entlassungsgesuche vom preußischen König vorläufig abgelehnt wurde, woraufhin ein Kommunikationsprozess in Gang trat, in dem Friedrich die Deutungshoheit über den Ablauf der Demission symbolisch durchzusetzen suchte. Eine besondere Funktion schreibt die Autorin in diesem Kontext den Körpern der Offiziere als „Instrumente[n] der königlichen Macht“ zu (S. 119). Leider konkretisiert Strauß den Aspekt der Körperlichkeit aber nur in Bezug auf die Uniform, die als eine Art zweiter Haut gleichsam die Zugehörigkeit zum Militär visualisierte, darüber hinausgehende, neue Facetten bietet sie nicht an.

Der abschließende Aufsatz von Marian Füssel wendet sich Sterbe- und Beerdigungsritualen im Siebenjährigen Krieg zu. In seiner luziden Analyse exemplifiziert er instruktiv, wie anhand militärischer Rituale die sozialen Grundzüge der frühneuzeitlichen Gesellschaft sichtbar gemacht werden können. So lassen die deutlich differenten Begräbnispraktiken von (adeligen) Offizieren und gemeinen Soldaten noch nach dem Tod die unüberwindlichen Statusunterschiede erkennen. Am Beispiel mehrerer ehrenvoller Beerdigungen von feindlichen Offizieren kann Füssel nachweisen, dass es im Ancien Régime einen transnationalen Zusammenhalt zwischen den adeligen Militäreliten gab, der nationale Feindbilder (noch) überwog. Für den Autor zeigt sich gerade im Bereich des Totenkults der „Laborcharakter des Siebenjährigen Krieges“ (S. 151): Die Kriegführung wies bereits moderne Züge auf, die Bestattungen dagegen waren noch fest in der Kultur des Alten Reichs verankert.

Der vorliegende Sammelband wurde insgesamt zwar etwas nachlässig lektoriert, und auch die genretypischen Qualitätsschwankungen der einzelnen Beiträge müssen konstatiert werden. Letztlich veranschaulicht er aber, welchen Erkenntnisgewinn die „neue“ Militärgeschichte aus kulturwissenschaftlichen Fragestellungen schöpfen kann.

Anmerkungen:
1 Ralf Pröve, Vom Schmuddelkind zur anerkannten Subdisziplin? Die „neue Militärgeschichte“ der Frühen Neuzeit. Perspektiven, Entwicklungen, Probleme, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 51 (2000), S. 597–614, hier S. 597.
2 Barbara Stollberg-Rilinger, Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Begriffe, Thesen, Forschungsperspektiven, in: Zeitschrift für Historische Forschung 31 (2004), S. 489–527.

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