P.-M. Steinsiek u.a.: Umweltgeschichte in Niedersachsen

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Titel
Quellen zur Umweltgeschichte in Niedersachsen (18.–20. Jahrhundert). Ein thematischer Wegweiser durch die Bestände des Niedersächsischen Landesarchivs


Autor(en)
Steinsiek, Peter-Michael; Laufer, Johannes
Reihe
Veröffentlichungen der Niedersächsischen Archivverwaltung 64
Erschienen
Göttingen 2012: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
528 S. + CD-ROM
Preis
€ 150,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Möller, Bielefeld Graduate School in History and Sociology, Universität Bielefeld

Umweltgeschichte ist mittlerweile eine etablierte Disziplin in der historischen Forschungslandschaft, wie zahlreiche Einzelstudien und nicht zuletzt zwei im Jahr 2007 erschienene Einführungen in das Fach belegen.1 Das heterogene Forschungsfeld, dessen kleinster gemeinsamer Nenner die Untersuchung der Wechselverhältnisse zwischen Mensch und Natur bzw. Umwelt ist, weist ein breites Themenspektrum auf, das von der Geschichte der Naturvorstellungen über die Wald- und Forstgeschichte bis hin zur Klimageschichte oder Fragen der Ressourcenproblematik reichen kann, um nur einige wenige Beispiele zu nennen.2 Die Ansätze wählen daher in der Regel einen systematischen Zugriff auf verschiedene Quellengattungen mit sehr unterschiedlichen Provenienzen, die „quer“ zu den Überlieferungen in den Archiven liegen. Die üblichen Hilfsmittel, wie etwa sachthematische Inventare, sind für umwelthistorische Recherchen nicht ausreichend. Ein Führer zu umwelthistorisch relevanten Quellen ist daher ein schon seit langem beklagtes Desiderat der Forschung.3

Diesem Missstand wollen Peter-Michael Steinsiek und Johannes Laufer mit dem vorliegenden Wegweiser zu den Quellen der Umweltgeschichte im Bestand des niedersächsischen Landesarchivs entgegen treten. Den Autoren ist dieses Vorhaben auf anschauliche und konzise Art gelungen. Der in der Reihe der „Veröffentlichungen der Niedersächsischen Archivverwaltung“ erschienene Band richtet sich dabei nicht alleine an Historiker, sondern insbesondere auch an umwelthistorisch interessierte Wissenschaftler aus anderen Disziplinen, Vertreter von Verwaltungen – etwa Forst- und Naturschutzbeamte oder Landschafts- und Raumplaner – sowie Lehrer. Das Ziel der Autoren ist es, auch umwelthistorisch interessierten Laien einen Zugang zu den relevanten Akten aufzuzeigen sowie den Lesern mögliche Fragestellungen und ein Gespür für die verschiedenen Quellengruppen zu vermitteln.

Der Wegweiser gliedert sich in zwei Teile: Zunächst geben die Autoren einen allgemeinen Überblick über Quellen, Zugänge und Methoden der Umweltgeschichte. Sie führen den Leser in die niedersächsische Archivlandschaft sowie die Grundlagen der Archivarbeit ein und erläutern Aufbau und Hinweise zur Nutzung des Quellenführers. Das eigentliche Inventar umwelthistorischer Quellen im niedersächsischen Landesarchiv – der zweite Teil des Bandes – befindet sich zusammen mit einer umfangreichen, 60 Seiten umfassenden Bibliographie sowie 83 Abbildungen auf einer beigelegten CD-ROM.

In ihrem Wegweiser folgen die Autoren einer Definition des Umwelthistorikers Bernd Herrmann, der Umwelt als die vom Menschen durch Handeln und Wahrnehmung transformierte Natur versteht. Natur verfüge als historischer und gesellschaftlicher Raum, wie Steinsiek/Laufer aus einem kurzen ideengeschichtlichen Abriss mit Verweis auf die Arbeiten von Fernand Braudel ableiten, über eine eigene Geschichtlichkeit, der eine existentielle Beziehung zum Menschen inne wohne. Die Natur werde somit zu einem gleichwertigen Akteur in der Geschichte. Die Autoren erheben daran anlehnend die gegenseitige Beeinflussung von Mensch und Natur zum entscheidenden Thema ihres Buches.

Dieser prägnanten Einführung in die theoretischen Hintergründe der Umweltgeschichte folgt ein ebenso knapper Überblick über den Stand der Forschung. Dieser Abschnitt führt zwar zahlreiche gängige Forschungsschwerpunkte auf, lässt aber beispielsweise mit der Stadtumwelt- und Umweltbewegungsgeschichte wichtige Bereiche vermissen – ein Umstand, der wohl in erster Linie der Orientierung des Wegweisers an der Überlieferung des niedersächsischen Landesarchivs geschuldet ist.

In den folgenden Abschnitten geben die Autoren einen praktischen Überblick verschiedener Institutionen und Datenserver im Internet, die sich mit der historischen Erforschung von Mensch-Umwelt-Verhältnissen befassen. Ebenso zweckmäßig, insbesondere für umwelthistorische Laien, ist eine stichpunktartige Auflistung, in der Steinsiek und Laufer den Lesern einen Vorschlag zur Periodisierung der Umweltgeschichte für die Zeit vor und nach 1800 sowie nach 1914 unterbreiten. Die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert verstehen die Autoren allerdings nicht als Zäsur, sondern als schlichten Platzhalter „für den sich in dieser Zeit abspielenden sozioökonomischen Epochenwandel“ (S. 31). Aus der umwelthistorischen Periodisierung leiten Steinsiek/Laufer denn auch die „besonders günstige[n] Voraussetzungen für umweltgeschichtliche Untersuchungen“ (S. 33) in Niedersachsen ab. Ein sicherlich zutreffender Befund, der aber umso mehr Gewicht bekommt, da es weniger ein spezifischer Kontext, als vielmehr der typische Charakter dieses stark agrarisch geprägten, von urbanen Inseln und unterschiedlichen Landschaftszonen durchzogenen Flächenlandes ist, der für die Umweltgeschichte so interessant erscheint.

Der weitaus größte Abschnitt des Buchs widmet sich den Quellen, ihrer Überlieferung und Kommentierung. Die Autoren ordnen die umwelthistorische Überlieferung im niedersächsischen Landesarchiv nach 13 Gliederungspunkten. Bei der Auswahl der Themen und Quellen orientierten sich Steinsiek/Laufer an einer Reihe von „Clustern“, die sie aus „einschlägigen Prozessen bzw. Faktoren und deren Wahrnehmung als Umweltveränderung“ herleiteten. Ein roter Faden, der sich durch die so geordneten Bestände zieht, ist der Verweis auf Krisen, Katastrophen und Verschmutzungen als Dokumentationsschwerpunkte in den einzelnen Konvoluten. Die Gliederungsabschnitte werden durch kurze historische Einführungen oder Ausblicke auf forschungsrelevante Aspekte vertieft. Den Einführungen folgen jeweils Verweise auf Parallelbestände in anderen Gliederungspunkten sowie ein knapper Verweis auf weiterführende Literatur. Die ausgewählten Beständegruppen, Bestände und Akten haben dabei einen exemplarischen Charakter und lassen sich auch in anderen Archiven wiederfinden. Mit der Auswahl erheben die Autoren darüber hinaus den Anspruch, für eventuell folgende Quellenführer nichtstaatlicher Archive und Dokumentensammlungen die Funktion einer „Pilotstudie“ zu erfüllen.

Die beigefügte CD-ROM enthält eine über 1.000 Seiten umfassende PDF-Datei, in der die Themen- und Quellengliederung mit konkretem Akten- und Kartenmaterial sowie Verweisen auf Parallelbestände abgelegt ist. Darüber hinaus enthält die PDF-Datei eine umfangreiche Bibliographie sowie eine Sammlung zahlreicher, umwelthistorisch relevanter Abbildungen.

Eine Recherche auf der beigefügten CD-ROM wirft allerdings auch einige kritische Fragen in Bezug auf die grundlegenden Ausführungen im Buchteil auf. So ist beispielsweise unklar, warum die beiden großen Binnenseen Niedersachsens – das Steinhuder Meer und der Dümmer – nicht stärker in der Kommentierung der Quellenstruktur auftauchen. Das wäre nicht nur in Bezug auf das umwelthistorische Untersuchungspotential dieser Räume, sondern auch aufgrund ihrer Häufigkeit im Quelleninventar – beide tauchen als Schlagwort etwa 20-mal auf der CD-ROM auf – mehr als gerechtfertigt gewesen. Des Weiteren fällt bei einer kritischen Lektüre auf, dass der Textteil einen deutlichen Schwerpunkt auf das 18. und 19. Jahrhundert legt. Die Zeitgeschichte sowie einzelne Forschungsansätze, wie die bereits erwähnte Stadtumwelt- oder Umweltbewegungsgeschichte, werden leider vernachlässigt.

Die Autoren haben trotz der kleineren Kritikpunkte einen umfassenden und auch für Laien brauchbaren Wegweiser zu den umwelthistorischen Quellen Niedersachsens vorgelegt. Es bleibt zu hoffen, dass weitere, vielleicht etwas preiswertere Beispiele folgen und auch die nichtstaatlichen Quellenbestände, die gerade für die Umweltgeschichte von großem Wert sind, aufbereitet werden. Darüber hinaus wären ähnliche Quellenführer natürlich auch für andere umwelthistorische Untersuchungsgebiete sehr begrüßenswert.

Anmerkungen:
1 Vgl. Verena Winiwarter / Martin Knoll, Umweltgeschichte. Eine Einführung, Köln 2007 sowie Frank Uekötter, Umweltgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert (=Enzyklopädie deutscher Geschichte 81), München 2007.
2 Ebd., S. 45–61. Vgl. Melanie Arndt, Umweltgeschichte, Version: 2.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 29. 10.2012, URL: <http://docupedia.de/zg/Umweltgeschichte_Version_2.0_Melanie_Arndt?oldid=86948> (19.11.2013).
3 Uekötter, Umweltgeschichte, S. 89.

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