S. Esmonde Cleary: The Roman West

Cover
Titel
The Roman West, AD 200–500. An Archaeological Study


Autor(en)
Esmonde Cleary, Simon
Erschienen
Anzahl Seiten
XV, 533 S.
Preis
£75.00 / $120.00 / € 89,70
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lennart Gilhaus, Institut für Geschichtswissenschaft, Abteilung Alte Geschichte, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Die lange Periode von 200 bis 500 n.Chr. in einem einzigen Band aus archäologischer Perspektive darzustellen ist ein gewaltiges Unterfangen. Simon Esmonde Cleary hat dieses Wagnis in Angriff genommen und das Ergebnis ist beachtlich. Auf mehr als 500 Seiten führt er nicht nur in diesen spannenden und widerspruchsvollen Zeitraum ein, sondern verliert auch nie seine Hauptthese aus den Augen. Ihm ist nämlich daran gelegen, die Zeitspanne von 200 bis 500 n.Chr. als eigenständige archäologische Epoche zu erweisen. Die Jahre um 200 und 500 n.Chr. markieren dabei für ihn wichtige Grenzpunkte. Innerhalb dieses Zeitraums ließen sich hingegen gemeinsame Strukturen in der materiellen Kultur erkennen, die die behandelten drei Jahrhunderte verbinden und gegenüber der vorangehenden und nachfolgenden Zeit abgrenzen würden.

Um sein Thema effektiv bearbeiten zu können, begrenzt sich Esmonde Clearys Arbeit auf den römischen Westen, genauer gesagt die iberische Halbinsel, Gallien und Germanien sowie Britannien. Zudem geht er an vielen Stellen exemplarisch vor, verliert dabei aber nie das Gesamtunterfangen aus dem Auge (vgl. S. 4–7). Gerade dieser Ansatz trägt sehr zur Lesbarkeit des Buchs und zur Verständlichkeit der Argumentation erheblich bei. Nichtsdestoweniger hat Esmonde Cleary eine gewaltige Menge an Literatur bearbeitet und zusammengefasst, sodass der Band durchaus als Handbuch der spätantiken Archäologie genutzt werden kann.

Seine These, dass der Zeitraum zwischen 200 und 500 n.Chr. als eigenständige archäologische Epoche aufzufassen ist, geht er auf verschiedene Wege an. Die ersten beiden Kapitel sind vor allem dem dritten und frühen vierten Jahrhundert gewidmet (Kapitel 1 und 2). Am Schluss beschäftigt er sich mit der zunehmend verändernden Lage im fünften Jahrhundert (Kapitel 8 und 9). Im Zentrum seiner Betrachtung steht aber vor allem das vierte Jahrhundert (Kapitel 3–7), in dem die Charakteristika der Epoche am deutlichsten ausgeprägt sind. Zunächst werden in diesem Teil die Entwicklungen in den Städten, religiöse Veränderungen und die Lebensweise der spätantiken Eliten (Kapitel 3–5) thematisiert1, bevor sich Esmonde Cleary in zwei Kapiteln den ökonomischen Strukturen der westlichen Provinzen widmet. Dabei kommt er zuerst auf ländliche Lebensformen und die landwirtschaftliche Produktion zu sprechen (Kapitel 6) und stellt genauer die Strukturen der spätantiken Wirtschaft vor (Kapitel 7). Immer wieder diskutiert Esmonde Cleary dabei die Themenkomplexe Regionalität, Integration/Desintegration und Identität, die er schon in der Einleitung als Leitkategorien herausgestellt hat (S. 9–15). In einem abschließenden zehnten Kapitel diskutiert er die Charakteristika der Zeit zwischen 200 und 500 n.Chr. und begründet die Abgrenzungen dieser Epoche nochmals ausführlich.

Zudem kommt Esmonde Cleary immer wieder auf die unterschiedlichen Erkenntnismöglichkeiten von historischen und archäologischen (Re-)Konstruktionen der Verhältnisse in der Spätantike zu sprechen; die Monographie ist daher auch in methodischer Hinsicht ein wertvoller Beitrag. Mehrfach betont er dabei die Unmöglichkeit, mithilfe von archäologischen Materialen auf bestimmte historische Ereignisse zurückzuschließen. Archäologie könne vor allem etwas über längerfristige Entwicklungen, Habitus und Strukturen aussagen und ermöglicht andere Perspektiven als eine rein historische Betrachtung. Nichtsdestoweniger bilden auch für Esmonde Cleary gerade im Hinblick auf mentale und kulturelle Dispositionen die Textquellen eine wichtige Grundlage für archäologische Interpretationen (vgl. S. 3–4 und besonders Kapitel 1).

Hier ist kein Platz, den Inhalt jedes Kapitels ausführlich darzustellen und kritisch zu würdigen. Vielmehr soll nur auf die meines Erachtens zentralen Aspekte der Argumentation eingegangen werden. Für Esmonde Cleary ist es vor allem wichtig, die Jahre um 200 und 500 n.Chr. als wichtige Grenzen auszumachen. Dem aktuellen Trend der Forschung folgend sieht er das dritte Jahrhundert nicht als ein Zeitalter der Krise an. Vielmehr seien im Westen des Reichs schon gegen 200 n.Chr. grundlegende Veränderungen sowohl in den Städten als auch im ländlichen Bereich festzustellen. Gegen Ende des zweiten Jahrhunderts hätten fast alle Städte ihre größte Ausdehnung erreicht. Danach lassen fast keine mehr Neubauten feststellen; auch die Setzung von Inschriften ging erheblich zurück. Zudem nahm ab dieser Zeit auch die Zahl der ruralen Fundstätten ab. Auch in ökonomischer Hinsicht verringerte sich die wirtschaftliche Bedeutung der behandelten westlichen Provinzen zugunsten anderer Gebiete wie Africa. Gleichzeitig lässt sich eine schleichende Militarisierung der Städte und Siedlungen in Nordostgallien und Germanien feststellen, die schon vor den Einfällen in das Reich einsetzte, durch diese wohl aber verstärkt wurde. Gründe für diese verschiedenen Veränderungen zu finden ist schwierig, zumal die Phänomene in vielerlei Hinsicht miteinander verbunden waren. Esmonde Clearys Überlegung, ob die „Antoninische Pest“ ein wesentlicher Katalysator gewesen sein könnte, bleibt reine Spekulation (dazu S. 464–466).

Jedenfalls hatten die Wandlungserscheinungen nach 200 n.Chr. eine deutliche Neudefinition der römischen Identität zur Folge. Römische Identität blieb zwar weiterhin eng mit der urbanen Zivilisation verbunden. Doch entwickelten sich die Städte in den verschiedenen Gebieten sehr ungleich; zunehmend wurde die Wehrhaftigkeit der Stadt betont, die Städte und die Selbstdarstellung der römischen Bürger im verstärkten Maße militarisiert, was oft eine Schrumpfung des Stadtgebiets im Vergleich zu den ausgedehnten Anlage der Kaiserzeit zur Folge hatte. Die lokalen Eliten investierten kaum mehr in die alten städtischen Zentren, sondern verwandten zumindest in einigen Regionen ihr Kapital vor allem zum Ausbau ihrer ländlichen Residenzen. Zudem suchten sie verstärkt die Nähe der römischen Administration. Ihr Repräsentationsverhalten zeigt vermehrt militärische Züge. Mit dieser zunehmenden Militarisierung und zur Schau gestellten Hierarchisierung ging seit dem vierten Jahrhundert die Christianisierung der römischen Gesellschaft einher. Die Bedeutung von „Römisch sein“ unterlag also deutlichen Veränderungen. Getragen wurden die gesellschaftlichen Strukturen durch eine Wirtschaft, die gerade für die elitäre Selbstdarstellung immer noch in der Lage war, Überschüsse zu erwirtschaften – wenn sich auch gerade im westlichen Gebieten Schwerpunktverschiebungen und Regionalisierungstendenzen zeigen.

Zum Ende des fünften Jahrhunderts änderten sich diese Verhältnisse allerdings erheblich. Überregionaler Handel lässt sich nur noch im geringen Maße fassen – dieser war nach Esmonde Clearys Auffassung im hohen Maße von den politischen Bedürfnissen der römischen Administration abhängig. Die Aufrechterhaltung eines aristokratischen Lebensstils und der städtischen Gesellschaften fiel daher wesentlich schwieriger. Für Esmonde Cleary war es also vor allem die politische und soziale Desintegration des (west-)römischen Reichs und seine Ersetzung durch eine Vielzahl von regna, die zu den gegen 500 n.Chr. deutlich hervortretenden Charakteristika einer neuen Epoche führten. „Römische“ Identitäten seien dabei zunehmend durch regionale Identifizierungen ersetzt worden. Lediglich die Kirche hätte in einer christlichen Version eine „römische“ Identität weiter transportiert. Insgesamt kann man Esmonde Clearys Standpunkt hinsichtlich der alten Dauerkontroverse um das „Ende“ oder die „Transformation“ der Spätantike also auf der Seite derjenigen einordnen, die eher die Brüche zwischen Spätantike und Mittelalter betonen, wie dies aus einer etwas anderen Perspektive zuletzt auch B. Ward-Perkins getan hat.2

Mag man diese Ansicht teilen oder nicht, der wichtigste Beitrag dieser Monographie liegt in der überzeugenden Rekonstruktion der gesellschaftlichen Verhältnisse und ihrer ökonomischen Grundlagen in der Spätantike, wie sie in den archäologischen Quellen zu fassen sind. Etwas unbefriedigend bleibt jedoch die Suche nach den Gründen für die um 200 n. Chr. hervortretenden Veränderungen – zumal sie meines Erachtens nicht in allen Regionen des Reichs gleichzeitig auftraten und so die Jahre um 200 n.Chr. keine klare Epochengrenze für das gesamte Reich bilden. In Nordafrika etwa lässt sich nämlich ein deutliches Nachlassen der Aufwendungen in den Städten und ein Rückgang der inschriftlichen Produktion erst ab circa 230 n.Chr. feststellen.3 Dann zeigen sich aber auch hier, in Italien und im Osten des Reichs ähnliche Entwicklungen wie im untersuchten Gebiet. Einige vergleichende Betrachtungen hätten jedenfalls das von Esmonde Cleary entworfene Bild abgerundet. Nichtsdestoweniger ist die Monographie ein gelungener Versuch, die archäologische Epoche von 200 bis 500 n.Chr. für europäischen Westprovinzen in ihren wesentlichen Charakteristika darzustellen. Wer sich zukünftig mit der Archäologie der Spätantike auseinandersetzen will, wird kaum an diesem Buch vorbeikommen.

Anmerkungen:
1 Gerade hinsichtlich dieser Aspekte kann man die vorliegende Monographie als Fortsetzung von Ray Laurence / Simon Esmonde Cleary / Gareth M. Sears, The City in the Roman West c. 250 BC – AD 250, Cambridge 2011 ansehen.
2 Bryan Ward-Perkins, The Fall of Rome and the End of Civilization, Oxford 2005.
3 Vgl. etwa Gabriele Wesch-Klein, Liberalitas in rem publicam. Private Aufwendungen zugunsten von Gemeinden im römischen Afrika bis 284 n. Chr., Bonn 1990.

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