Titel
Ethnomarketing und Integration. Eine kulturwirtschaftliche Perspektive. Fallstudien aus Deutschland, den USA und Großbritannien


Autor(en)
Schammann, Hannes
Reihe
Kultur und soziale Praxis
Anzahl Seiten
Preis
€ 29,80
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Robert Birnbauer, Institut für Europäische Ethnologie, Humboldt-Universität zu Berlin

Mit seiner an der Universität Passau als Dissertation entstandenen Arbeit „Ethnomarketing und Integration“ legt der Diplom-Kulturwirt Hannes Schammann einen Versuch vor, eine kulturwissenschaftliche mit einer betriebswirtschaftlichen Sichtweise zu verbinden. Er nutzt dabei die Vielseitigkeit des Kulturwirtschaftsstudiums, um das Thema „Ethnomarketing“ aus beiden Perspektiven zu untersuchen und damit eine Lücke zu schließen: Während betriebswirtschaftliche Studien selten allgemein-gesellschaftliche Perspektiven verfolgten, sei das Manko kulturwissenschaftlicher Forschung die nur periphere Behandlung von Auswirkungen des Ethnomarketings auf Integrationsprozesse. So stellt Schammann nun genau den Zusammenhang von Integration und Ethnomarketing ins Zentrum. Ethnomarketing betrachtet er dabei zunächst aus betriebswirtschaftlicher Sicht, nutzt jedoch im Unterschied zu anderen einen ganzheitlichen Marketingbegriff, der über Werbung weit hinausgeht. Ihn interessiert zudem die kulturwissenschaftliche Frage, inwiefern ethnische Gruppen durch Marketinginstrumente aktiv hergestellt werden. Für seine Analyse entwickelt er einen mehrdimensionalen Integrationsbegriff.

In den ersten vier Kapiteln skizziert der Autor die theoretischen und methodischen Grundlagen seiner Analyse. Theoretisch knüpft Schammann zunächst an kulturwissenschaftliche Konzepte zu ethnischer Identität an, die den permanenten Prozess der Herstellung personaler Identität in Interaktion von Selbst- und Fremdzuschreibung betonen. Von kollektiver Identität könne entsprechend dann gesprochen werden, wenn sich das Kollektiv als solches empfände; ethnische Identität konzipiert er wiederum als spezifische Form kollektiver Identität, die ihr Fundament in imaginierten „Abstammungsgemeinsamkeiten“ (S. 41) finde, aber gesellschaftlich konstruiert sei.

Im zweiten Kapitel erläutert Schammann die betriebswirtschaftliche Sicht auf Ethnomarketing, wobei „der sogenannte Marketing-Mix potenziell alle unternehmerischen Aktivitäten umfassen kann“ (S. 44). Die Aspekte Produkt-, Preis- und Konditionen-, Distributions- und Kommunikationspolitik greift er in den Fallstudien wieder auf. Durch die Charakterisierung ethnischer Gruppen als homogen (durch kollektive Identität), heterogen (durch Abgrenzbarkeit nach außen) und für Nicht-Mitglieder wirtschaftlich effizient ansprechbar (durch objektive Feststellbarkeit aufgrund geteilter Merkmale) seien diese besonders geeignet, um sie für Marktforschungen zu „ethnisch geprägten Bedarfe[n]“ und der „Gestaltung spezieller Produkte“ (S. 49) heranzuziehen. Die Perzeption stabiler Zielgruppen durch Bestimmung von Homologien und die Verbindung von Individuen mittels abstrakter Konzepte bezeichnet Schammann dabei als „Achillesferse des Marketing“ (S. 48). Die Relevanz von Ethnomarketing für gesellschaftliche Integrationsprozesse sieht er in der Reproduktion existierender Zuschreibungen einerseits und der aktiven Gestaltung dieser Zuschreibungen andererseits.

Das dritte Kapitel setzt sich mit soziologischen Konzepten von Integration auseinander. Das Anliegen des Autors ist es, durch die von Lockwood 1 entworfene analytische Trennung „der idealtypischen Ebenen und Dimensionen von Integration […] etwas Klarheit in die begriffliche Konfusion“ (S. 61) zu bekommen. Indem er sich bezüglich der Sozialintegration des Rational Choice-Ansatzes von Esser bedient, wird jedoch der Integrationsbegriff selbst affirmiert. Individuelle Sozialintegration versteht Schammann entsprechend als Streben nach Teilhabe in den vier Dimensionen von struktureller, kultureller/kognitiver, sozialer und identifikativer Integration, deren Voraussetzungen wiederum auf kollektiver Ebene verhandelt werden. Er diskutiert die Vor- und Nachteile von Ethnisierungsprozessen für Integration, bewertet sie aber letztlich positiv, da sie individuelle Assimilationskosten zu verringern vermögen. Zudem verhelfe „die Ethnisierung einer Minderheit […] zusätzlich zu einem vertieften Bewusstsein des eigenen Zusammenhalts“ (78) angesichts einer ihr gegenüberstehenden Mehrheit. Es fehlt jedoch eine ebenso deutliche Explikation der negativen Folgen von Ethnisierung. Zudem zeigen sich hier Schwächen im Umgang mit dem Ethnizitätsbegriff: Die Feststellung, dass die Zugehörigkeit zu „einer ethnischen Minderheit unmittelbare sozio-ökonomische Benachteiligungen zur Folge hat“ (76) verknüpft vorschnell Ethnizität mit sozialer Lage – ein Zusammenhang, der allerdings schon von Esser in seinem „System der ethnischen Schichtung“ 2 hergestellt wird.

Zur Bearbeitung von Fragen der Systemintegration zieht der Autor Foucaults Diskurstheorie heran. Systemintegration versteht er als prozesshaftes Ringen gesellschaftlicher Diskursfelder um Synchronität, jenseits des direkten Einflusses der Akteure. Die Verbindung der beiden theoretischen Säulen der Arbeit ist dabei nicht völlig überzeugend, stützt sich Schammann doch auf eine nur vage formulierte Hinwendung Foucaults zum Subjekt (S. 67) und zudem auf ebenso vage beschriebene Mechanismen der Systemintegration Essers (S. 85), die er als Parallele zu Foucault betrachtet.

Wie in Kapitel vier dargelegt, schließt die Arbeit methodisch an Robert Yins Case Study Research 3 an. Schammann nutzt entsprechend unterschiedliche Daten(sorten) – vom TV-Spot bis zum Interview, die er im Sinne einer qualitativen Inhaltsanalyse auswertet.

In den Kapiteln fünf bis sieben diskutiert der Autor die „betriebswirtschaftliche Strategie“, die „Ethnisierung der Zielgruppe“, „Individuelle“ und „Kollektive Sozialintegration“ sowie „Prozesse der Systemintegration“ am Beispiel von Ethnomarketingkampagnen von Automobilherstellern in drei Ländern, in denen ähnliche ökonomische Bedingungen unterschiedlichen Ausprägungen der Integrationsdebatten gegenüberstünden. Im Fokus der Analyse steht jeweils die „größte ethnische Minderheit“ (S. 13) desjenigen Landes, in dem die Kampagne durchgeführt wurde. Im Einzelnen geht es um eine Kampagne von Volkswagen in Deutschland, die Fahrzeuge bei „Deutschtürken“ bewirbt (Kapitel fünf), um die Kampagne „Somos muchos“ von Toyota in den USA, die „Hispanics“ zur Zielgruppe hat (Kapitel sechs), sowie um das Bewerben von Gebrauchtwagen bei „British Asians“, wie sie von Mercedes in Großbritannien durchgeführt wurde (Kapitel sieben).

Die Ergebnisse der Untersuchung fasst der Autor in 13 fallübergreifenden Hypothesen zusammen. Damit will er zur Theoriebildung zu Ethnomarketing und deren Diskussion beitragen (S. 226). So stellt er fest, dass Ethnomarketing unabhängig vom gesellschaftlichen und kulturellen Kontext „auf eine Homogenisierung der Zielgruppe“ hinwirke (S. 227), dass Ethnomarketing „eine Grenzziehung zwischen Mehrheit und Minderheit befördern“ könne (S. 229), es „stets eine Verbindung zwischen den angesprochenen ethnischen Minderheit und dem jeweiligen Nationalstaat“ herstelle, in dem die Zielgruppe lebt, oder dass es „ein Mindestmaß an Assimilation“ propagiere (S. 238). Als „Gesamtstrategie stabilisiert [es] das gesellschaftliche System durch die Reproduktion dominierender Diskurse“ (241).

Mit seiner Arbeit „Ethnomarketing und Integration“ gelingt Hannes Schammann der Entwurf einer kulturwissenschaftlich informierten Perspektive auf ein betriebswirtschaftliches Phänomen. Insofern erreicht der Autor sein Ziel, „Ethnomarketing und Integration theoretisch und methodisch zueinander in Beziehung zu setzen“ (S. 10). Der ganzheitliche Blick auf den Marketing-Mix stellt den Kultur- und Sozialwissenschaften eine umfassende Analyse des Phänomens Ethnomarketing zur Verfügung.

Durch diese Verbindung ergeben sich allerdings auch Schwierigkeiten. Selbst wenn eine Kritik des Ethnomarketings an sich nicht Ziel der Arbeit ist, so wäre aus kulturwissenschaftlicher Sicht eine kritische Auseinandersetzung mit Begriffen wie Integration, Ethnizität, Assimilation und Parallelgesellschaft – oder gar Leitkultur –, beispielsweise unter dem hier nur beiläufig thematisierten Stichwort „othering“, unerlässlich. Dort, wo die Arbeit kulturwissenschaftliche Stärken ausspielen könnte, zeigt sie also Schwächen, die auch in Schammanns Umgang mit dem Ethnizitätsbegriff begründet liegen. Er befördert durch die starre Gegenüberstellung von vermeintlich nicht ethnischer Mehrheit und ethnisierter Minderheit marginalisierende Diskurse, die Durchlässigkeit und der fließende Charakter ethnischer Grenzziehungen werden hingegen nicht ausreichend thematisiert. Darüber hinaus nimmt durch die Verwendung Essers ein soziologisches Paradigma eine zentrale Position für eine vermeintlich kulturwirtschaftliche Perspektive ein, die eine stärkere Auseinandersetzung mit kulturwissenschaftlichen Paradigmen insgesamt vermissen lässt. Die Arbeit vermag es nicht, Kritik am Ethnomarketing umfassend deutlich werden zu lassen oder die Bedenken gegenüber seinen marginalisierenden Effekten zu entkräften. Sie bietet aber eine gründliche und tief reichende Analyse eines im deutschen Wissenschaftskontext bislang unterbelichteten Phänomens und liefert somit nicht nur den Anstoß zur Theoriebildung zum Thema Ethnomarketing, sondern auch zur Diskussion um die produktive Verknüpfung kulturwissenschaftlicher Konzepte mit betriebswirtschaftlichen Phänomenen.

Anmerkungen:
1 David Lockwood, Social Integration and System Integration, in: George K. Zollschan / Walter Hirsch (Hrsg.), Explorations in Social Change, London 1964, S. 244–257.
2 Hartmut Esser, Integration und ethnische Schichtung, Mannheim 2001.
3 Robert K. Yin, Case Study Research. Design and Methods, Thousand Oaks 2009.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Kooperation
Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/