G. Staupe (Hrsg.): Das Museum als Lern- und Erfahrungsraum

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Titel
Das Museum als Lern- und Erfahrungsraum. Grundlagen und Praxisbeispiele


Herausgeber
Staupe, Gisela
Reihe
Schriften des Deutschen Hygiene-Museums Dresden 10
Erschienen
Köln 2012: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
168 S.
Preis
€ 17,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Kohler, Institut für Didaktik der Geschichte, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Die Bände der Schriftenreihe des Deutschen Hygiene-Museums thematisieren immer wieder praxisnah die Rolle des Museums als Ort kultureller Bildung und Wissensvermittlung unter Berücksichtigung sich stetig verändernder gesellschaftlicher Rahmenbedingungen.1 Ähnliches gilt auch für den vorliegenden zehnten Band „Das Museum als Lern- und Erfahrungsraum“, der von der stellvertretenden Direktorin des Hauses, Gisela Staupe, herausgegeben wird. Die Publikation entstand im Rahmen des Projekts „Kulturelle Bildung – Lernen im Museum“, einem Modellprojekt des Deutschen Hygiene-Museums zur Intensivierung der kulturellen Vermittlungsarbeit im Hinblick auf die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen.2 Mit dem vorliegenden Band wird auf ein im Verlauf des Projekts geäußertes Bedürfnis aller Beteiligten reagiert, sich über Rahmenbedingungen, Probleme, Chancen und Grenzen des Lernens im Museum auszutauschen. Ziel der Publikation ist es daher, „dem Nachdenken über die Bedingungen des Lernens im Museum Raum“ (S. 12) zu geben und „die Perspektiven der beteiligten Akteure miteinander in Dialog zu bringen“ (S. 13). Die Adressaten des Bandes sind demnach Kuratoren und Museumspädagogen, Lehrer und Erzieher.3 Aus dieser dialogorientierten Zielsetzung ergibt sich die eher ungewöhnliche Konzeption des Bandes, der sich durch eine Kombination von Aufsätzen und Experteninterviews auszeichnet.

Im Einführungsteil skizziert die Herausgeberin das Museum als Ort der kulturellen Bildung und benennt Herausforderungen, denen sich die Institution in der Gegenwart stellen müsse, um vor allem auch die Kinder und Jugendlichen als eine der wichtigsten Zielgruppen zum Besuch zu bewegen. Staupe verweist auf erfolgreiche Bildungs- und Kooperationsprojekte von Museen und Schulen, nennt gleichzeitig aber auch offene Fragen wie beispielsweise die nach Reichweite und Nachhaltigkeit. Dem Aufsatz folgt eine siebenseitige, nicht weiter erläuterte Bild-Collage mit dem Titel „Junge Lebenswelten“, welche die Zielgruppe in verschiedenen Lebenslagen zeigt. Ob die idyllischen Postkartenmotive die soziale und kulturelle Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen aller Gesellschaftsschichten realistisch abbilden, mag bezweifelt werden. Gleiches gilt für die Frage, ob Museen mit den gezeigten Aktivitäten konkurrieren können. Aber vielleicht sollten auch gerade diese Fragen provoziert werden. Den Abschluss des Einführungsteils bilden drei kurze Interviews, die mit der Leitfrage „Wozu Museen?“ überschrieben sind. An dieser Stelle wird das Potential des Bandes deutlich, wenn sich Leiter unterschiedlicher Institutionen (Deutsches Hygiene-Museum, Stiftung Klassik Weimar, Museum Neukölln) aus ihrer Perspektive über das jeweilige Selbstverständnis ihrer Einrichtungen und ihren Blick auf Kinder und Jugendliche als einer Zielgruppe ihrer Arbeit äußern. Durch ähnliche Interviewfragen wird ein Vergleich der Aussagen möglich. Leider sind dies die einzigen Interviews des Bandes, die auf entsprechende Weise geführt worden sind.

Im ersten großen thematischen Abschnitt der Publikation „Lernen in der dritten Dimension“ (S. 39–65) diskutieren Autoren aus unterschiedlichen Disziplinen das Lernen im Museum samt seiner Rahmenbedingungen und Voraussetzungen aus Perspektive der Wissenschaft. Lesern, die mit der Materie vertraut sind, bietet sich hierbei wenig Neues, aber für die von der Publikation besonders in den Blick genommenen „Einsteiger“ wird ein kompakter und fundierter Überblick geboten. Der Erziehungswissenschaftler Eckart Liebau modelliert Lern- und Bildungsprozesse als individuelle und soziale Vorgänge und sieht in der Befähigung des Besuchers zur selbstständigen Erschließung von Ausstellungen das Hauptziel musealer Vermittlungsarbeit. Stephan Schwan beschreibt aus lernpsychologischer Perspektive sehr pointiert den Prozess des Wissenserwerbs im Museum und stützt sich dabei verstärkt auf amerikanische Besucherstudien. Er betont unter anderem die Bedeutung von Vorwissen und persönlichem Interesse dafür, dass der Museumsbesuch eine nachhaltige Wirkung entfalten kann. Der Kultur- und Sozialwissenschaftler Thomas Thiemeyer nimmt die Museumsobjekte in den Blick, in deren emotionalem und epistemischem Potential er das Besondere der musealen Erfahrung sieht. Er fragt unter Rückgriff auf philosophische, semiotische und museologische Ansätze nach der Aussagekraft und der Bedeutung, die Objekten in der musealen Praxis der Gegenwart zukommen.4 Nicola Lepp widmet sich schließlich der musealen Ausstellung aus Perspektive einer Kuratorin. Sie plädiert dafür, Ausstellungen weniger als ein Medium der Wissensvermittlung, sondern als ein Medium der Wissensermittlung zu begreifen und stellt somit der weit verbreiteten implizit behavioristischen Auffassung von Präsentieren und Vermitteln ein konstruktivistisches Konzept gegenüber.

Anders als es die Überschrift „Jugendliche im Museum“ suggeriert, beschäftigen sich die Beiträge im zweiten Teil des Bandes (S. 69–129) nur teilweise direkt mit dieser Zielgruppe musealer Arbeit, sondern weisen vielmehr unterschiedliche inhaltliche Schwerpunktsetzungen auf. Aus Perspektive der Jugendforschung wird die Besuchergruppe der Jugendlichen genauer analysiert, wobei mögliche Einflussfaktoren diskutiert werden, die das Besuchsverhalten beeinflussen können (Susanne Keuchel). Ferner wird – ebenfalls auf empirischer Basis – ein Einblick in das Selbstbild von Jugendlichen geliefert, wobei jedoch unklar bleibt, warum in diesem Zusammenhang auf fast zwei Seiten über Lieblingsfernsehserien und -computerspiele von Heranwachsenden referiert werden muss (Birgit Richard). Eine neue Perspektive wird durch die Thematisierung der frühkindlichen Förderung im Museum eröffnet. Bildungspolitische Initiativen wie die von den Bundesländern vorgelegten Bildungs- und Erziehungspläne haben in jüngster Zeit dazu geführt, dass sich Museen auch der recht jungen Zielgruppe der Vorschulkinder zuwenden. In zwei Interviews werden Potentiale einer Zusammenarbeit von Museum und Kita aus Sicht einer Erziehungswissenschaftlerin und Museumspädagogin (Mila Ruempler-Wenk) und einer Kita-Leiterin (Peggy Kuttner) genauer beleuchtet. Während Ruempler-Wenk sich auf allgemeiner Ebene äußert und dadurch den in das Thema einführenden Beitrag von Carola Marx inhaltlich erweitert, greift Kuttner auf Erfahrungen zurück, die sie im Rahmen des Programms „LernStadtMuseum in Sachsen – Schüler entdecken Museen“ gemacht hat. Bildungspolitische Entwicklungen samt ihrer Auswirkungen auf das Museum und mögliche Kooperationsprojekte werden auch im Abschnitt über die Partnerschaft von Schule und Museum aufgegriffen. In Interviews werden die Bedeutung des schulischen Curriculums (Ralf Seifert), die Potentiale der Kooperation von Schule und Museum (Jens Reichel), die Kompetenzorientierung und historisches Lernen im Museum (Alfons Kenkmann) sowie die Gestaltung effektiver Museumsbesuche von Schulklassen unter Berücksichtigung motivationaler Aspekte (Doris Lewalter) diskutiert. Der letzte Beitrag in diesem Teil des Bandes, der trotz seiner inhaltlichen Relevanz etwas isoliert wirkt, eröffnet eine weitere Perspektive, indem anhand von Leitfragen empirisch fundiert über Erwartungen, die Lehrerinnen und Lehrer an Museumsbesuche haben, referiert wird (Valentin Steinhäuser).

Der dritte und letzte Teil der Publikation (S. 132–155) wendet sich stärker der Pragmatik zu. Carola Marx präsentiert neun Empfehlungen für den Museumsbesuch mit Kindern und Jugendlichen, die sie auf Grundlage wissenschaftlicher Untersuchungen, aus Gesprächen mit Experten sowie mit Kindern und Jugendlichen ableitet. Den Ausführungen schließen sich knappe Beschreibungen von neun Praxisbeispielen an, die exemplarisch Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Schule bzw. Kita und Museum aufzeigen und Anregung für die Entwicklung eigener Projekte bieten. Ihre Auswahl folgt bekannten Schwerpunktsetzungen: Vor- und Nachbereitung von Museumsbesuchen, Forschendes Lernen im Museum sowie Kompetenzförderung und Wertevermittlung.

Insgesamt kann festgehalten werden, dass durch die Beiträge das in der Einleitung formulierte Ziel erreicht wird, obwohl alle Autoren in irgendeiner Weise museal „vorbelastet“ sind und verhältnismäßig wenig Lehrer und Erzieher direkt zu Wort kommen, von Kindern und Jugendlichen ganz zu schweigen. Im Hinblick auf die gewählten Interviewformen wäre zudem zu überlegen, ob Gruppeninterviews nicht geeigneter gewesen wären, um den gewünschten Dialog herbeizuführen und Gemeinsamkeiten wie Unterschiede in den Positionen deutlicher zu machen. Für die Entwicklung von Kooperationsprojekten zwischen Kita bzw. Schule und Museum bietet der Band jedoch gute Anregungen, weil er für Potentiale, Wünsche und Erwartungen aber auch mögliche Schwierigkeiten aus unterschiedlichen Perspektiven sensibilisiert.

Anmerkungen:
1 Exemplarisch: Annette Lepenies, Wissen vermitteln im Museum, Köln 2003; Anke te Heesen / Petra Lutz (Hrsg.), Dingwelten. Das Museum als Erkenntnisort, Köln 2005; Karl-Siegbert Rehberg / Giesela Staupe / Ralph Lindner (Hrsg.), Kultur als Chance. Konsequenzen des demografischen Wandels, Wien 2011; Anja Tervooren / Jürgen Weber (Hrsg.), Wege zur Kultur. Barrieren und Barrierefreiheit in Kultur- und Bildungseinrichtungen, Köln 2012.
2 Deutsches Hygiene-Museum Dresden: Kulturelle Bildung – Lernen im Museum <http://www.dhmd.de/index.php?id=1823> (24.09.2013).
3 Der Band fügt sich damit thematisch in eine Reihe anderer Publikationen ein, die die Möglichkeiten entsprechender Kooperationsprojekte diskutieren. Exemplarisch: Barbara Christoph / Günter Dippold (Hrsg.), Museum und Schule – Erfolgreiche Partner?, Bayreuth 2010; Hannelore Kunz-Ott (Hrsg.), Museum und Schule. Wege zu einer erfolgreichen Partnerschaft, München 2005; Silke Traub, Das Museum als Lernort für Schulklassen. Eine Bestandsaufnahme aus Sicht von Museen und Schulen mit praxiserprobten Beispielen erfolgreicher Zusammenarbeit, Hamburg 2003; Ernst Wagner / Monika Dreykorn (Hrsg.), Museum, Schule, Bildung. Aktuelle Diskurse – Innovative Modelle – Erprobte Methoden, München 2007.
4 Der Aufsatz ist bereits in nur leicht veränderter Form an anderer Stelle publiziert worden. Thomas Thiemeyer, Die Sprache der Dinge. Museumsobjekte zwischen Zeichen und Erscheinung, in: Museen für Geschichte (Hrsg.), Online-Publikation der Beiträge des Symposiums „Geschichtsbilder im Museum“ im Deutschen Historischen Museum Berlin, Februar 2011 <http://www.museenfuergeschichte.de/downloads/news/Thomas_Thiemeyer-Die_Sprache_der_Dinge.pdf> (24.09.2013).

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