Cover
Titel
BildÖkonomie. Haushalten mit Sichtbarkeiten


Herausgeber
Alloa, Emmanuel; Falk, Francesca
Reihe
eikones
Erschienen
München 2013: Wilhelm Fink Verlag
Anzahl Seiten
399 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Evelyn Runge, Institut für Medien, Theater und Populäre Kultur, Universität Hildesheim

Dieses Graffiti könnte eines von vielen sein, rasch an die Wand gesprüht in einer beliebigen Großstadt, eine Zeile Schrift, quer über eine leere Plakatwand gesprüht. Ein Passant, der daran entlang geht, hat keinen Blick dafür übrig. Das Graffiti lautet, im Original in Großbuchstaben: „The joy of not being sold anything“ – die Freude, nichts verkauft bekommen zu haben. Urheber ist der Künstler Banksy, aufgenommen wurde das Foto im Jahr 2008 in London. Es schmückt den Umschlag des Sammelbandes „BildÖkonomie. Haushalten mit Sichtbarkeiten“, herausgegeben von Emmanuel Alloa und Francesca Falk.

Der Künstler Banksy tritt als Person nicht in die Öffentlichkeit, nutzt aber den öffentlichen Raum als Galerie seiner Werke. Seine Werke werden auf dem Markt hoch gehandelt, seine Damien-Hirst-Persiflage „Keep it spotless“ wurde 2008 bei Sotheby’s verkauft – für 1,7 Millionen Dollar.1 Seine Street-Art-Werke sind Unikate, Verbreitung finden sie durch fotografische und massenmediale Reproduktion. Diese wiederum, befördert durch die Prominenz des Künstlernamens, tragen zur Steigerung der Wahrnehmung – oder Sichtbarkeit – bei, obwohl – oder gerade weil – der Künstler unsichtbar bleibt.

Alloa und Falk haben das Titelbild sehr klug gewählt, denn das Phänomen Banksy und der Schriftzug „The joy of not being sold anything“ fassen die Themen zusammen, denen sich die 14 Autoren in 16 Texten widmen. Im Klappentext heißt es, dass Bilder nicht nur Waren seien, sondern „einer immanenten Ökonomie [folgen], die bereits auf der Bildfläche beginnt: Wer ein Bild herstellt, muss seine pikturalen Mittel sorgfältig austarieren, mit Farben und Formen haushalten, um jene Aufmerksamkeit zu erlangen, die – wie schon die Bildfläche – immer nur begrenzt sein kann. Auf welche Weise verschwistern sich in der Moderne Sichtbarkeit und Wirtschaftlichkeit? Welchen Logiken gehorcht die Visualität als Kapital?“ Leider enthält der Sammelband keinen ein- oder ausleitenden Text, der diese wichtigen, nur im Klappentext angerissenen Fragen aufgreift und die veröffentlichten Aufsätze in engeren Zusammenhang stellt.

Dies leisten auch nicht die Einleitungen von Alloa und Falk zu den drei Kapiteln „Liberaler Modernismus?“, „Wirtschaft der Bilder, Bilder der Wirtschaft“ und „Kreisläufe des Begehrens“. Diese Einleitungen sind eigenständige Aufsätze; den jeweiligen Autoren, die die Kapitel bespielen, ist jeweils nur ein Abstract gewidmet. Die Mehrzahl der Autoren kommt aus der Kunstgeschichte. Sie greifen Fragen des Tausch- und Gebrauchswerts von Bildern, ästhetischen Wertvorstellungen und Veränderungen dieser Aspekte je nach Epoche und Ort auf. Doch nur wenige definieren den Begriff der Ökonomie und wenden ihn auf ihre Beispiele an.

Besonders gut gelingt das Ute Tellmann, die „Über die Sichtbarkeit der liberalen Ökonomie. Christian Petzolds Film Yella und das Denken der Bilder“ schreibt. Tellmann legt ihrer Argumentation Adam Smiths geflügeltes Wort der unsichtbaren Hand zugrunde: „Paradoxerweise unterläuft die Metapher der ‚unsichtbaren Hand‘ das politische Bilderverbot gegenüber der Ökonomie im gleichen Moment, da sie es ausspricht. Denn die ‚unsichtbare Hand‘ ist selbst eine sprachliche Verbildlichung eines umfassenden Blicks auf die liberale Ökonomie. Sie behauptet im Prinzip genau jene Einsicht in den inneren Mechanismus der ökonomischen Ordnungsbildung, den sie verneint.“ (S. 76) Tellmann arbeitet in ihrem Beitrag heraus, wie sie Bilder der Ökonomie und Bilder in der Ökonomie unterscheidet. (Ergänzend sei hier auf den Beitrag von Nicolaj van der Meulen verwiesen, der in „Warteschleifen/Werteschlaufen. Bemerkungen zur Ökonomie des Bildes“ noch die Kategorie „Ökonomie des Bildes“ aufführt (S. 168).) Nach Ute Tellmann visualisiert Petzolds Film Yella (2007)2 die Wirklichkeitsproduktion durch Ökonomie indirekt, und zwar über Raum- und Schuldverhältnisse, in denen die Protagonisten verfangen sind. Sie kommt zu dem Schluss: „Gerade die Finanzkrise, die in besonderem Maße ein Ergebnis von Schuldbeziehungen ist, macht dieses Denken der Bilder aktueller denn je.“ (S. 87)

Wie sehr Räumlichkeit und Kapitalismus in Film und Fotografie bereits Anfang des 20. Jahrhunderts verknüpft sind, verdeutlicht Philip Ursprung: In „Bilder des Kapitalismus. Paul Strands Blick auf die Wall Street“ untersucht er intermediale Verhältnisse zwischen Film, Fotografie und Architektur als Symbolwährungen. Ursprung stellt seinem Text ein Zitat von Michael Hardt und Antonio Negri voran, die das Finanzkapital als „riesige Abstraktionsmaschine“ bezeichnen (S. 55). Ursprung schreibt: „Einer der stärksten Motoren der Entstehung und Veränderung der Großstadt seit dem mittleren 19. Jahrhundert ist die Finanzindustrie.“ (S. 57) Sinnbildlich dafür stehe J.P. Morgans Bankgebäude in New York City. Paul Strands 1915 entstandene Fotografie des Gebäudes sei „zu einer Ikone der Großstadt geworden“ (S. 58). Später drehte Strand mit Charles Sheeler den Film Manhatta (1921)3, der einen Arbeitstag in der Stadt zeigt: „Die diversen Bedeutungsebenen, welche in der einen Fotografie komprimiert zusammenlaufen, sind im Film narrativ aneinander gereiht.“ (S. 62) Gemäß Ursprung stellen Strands Fotografie und Strands/Sheelers Film die Veränderungen der Großstadt durch den Kapitalismus in einer Weise dar, wie sie nach der Weltwirtschaftskrise 1929 nicht mehr möglich war: „In der visuellen Kultur der kapitalistischen Gesellschaften ist dies an der Tatsache ablesbar, dass einerseits die Subjekte und ihre Umgebung nicht mehr aus derselben Ebene darstellbar sind, dass also entweder die Subjekte oder die Stadt fokussiert werden.“ (S. 70)

Die Verbindung von Bildern und Öffentlichkeit beschäftigt auch Michael Renner, der einen Bericht aus der Praxis beisteuert. Renner schreibt: „Öffentliche Gebäude, Urkunden, Pässe und Banknoten prägen das Bild einer nationalen Identität und sind deshalb Untersuchungsgegenstände, welche die Aushandlungsprozesse von individueller Imagination und kollektivem Bildverständnis in einem historischen Kontext erkennbar machen.“ (S. 195) Der Professor für Visuelle Kommunikation an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel hat auch die Publikationsreihe eikones gestaltet, in der der Sammelband erscheint. In seinem Beitrag „Entwurfsstrategien. Ideenwettbewerb der 9. Banknotenserie der Schweizerischen Nationalbank“ gibt Renner einen Überblick über die verschiedenen Serien der Schweizerischen Nationalbank seit 1908 und beschreibt detailliert, wie er selbst, Dirk Koy und Simon Koschmieder ihre Entwürfe 2005 planten. Renner illustriert seinen Beitrag mit einer Vielzahl an Entwürfen, sowohl historische als auch jene seines Teams. Die Schweizerische Nationalbank hatte von den Wettbewerbsteilnehmern gefordert, „ein heute noch nicht eindeutig absehbares Bild einer zukünftigen Schweiz zu entwickeln“ (S. 200). Renners Team wollte keine „bekannten visuellen Klischees der Schweiz abermals […] verwenden“ (S. 201). Die Idee entstand, Landschaften als Basis zu nehmen, über die Umrisse von Menschen und Gebäuden gelegt wurden. Renner interpretiert Bilder auf Banknoten als „Mittel zur Aktualisierung des Selbstbildes der Schweiz“ und schreibt ihnen zu, dass sie „zur öffentlichen Reflexion über Bilder“ beitrügen sowie als „Mittel zur Weiterentwicklung der kollektiven Identität der Schweiz“ anzusehen seien (S. 215).

Trotz des Eindrucks, dass der Begriff „Ökonomie“ mitunter als Schlagwort verwendet wird, ist der Sammelband „Bild-Ökonomie“ wichtig: Er zeigt, in wie vielen Bild-Verhältnissen ökonomische Entscheidungen eine Rolle spielen und öffnet den Blick auf das Potenzial, das im Thema der Ökonomie der Bilder steckt, bei der Thematik „Haushalten mit Sichtbarkeiten“ auch im übertragenen Sinn. Denn das betrifft letztlich auch den Wissenschaftsbetrieb: Wo und mit welchen Themen werden Wissenschaftler sichtbar, und für wen? Wie relevant sind – je nach Disziplin – welche Journals und deren Impact Factor? Kündet eine ausufernde Publikationsliste von Exzellenz oder von ökonomischer Arbeitsweise?

Dem Sammelband gut getan hätten zudem Texte, die ihre Thesen mehr auf Zahlen stützen. Selbst Matthias Bruhn, der das Standardwerk „Bildwirtschaft. Verwaltung und Verwertung der Sichtbarkeit“4 geschrieben hat, verzichtet in seinem Beitrag „Im Supermarkt der Bilder“ auf Preisvergleiche. Er befasst sich mit der Beschaffenheit von Gebrauchtbildern und -motiven, die von Agenturen vertrieben werden, und der Frage, wie es dabei zu einer „Ikonologie der Masse“ (S. 144ff.) kam. Bruhn beschreibt, wie Symbolfotos mit der ihnen eigenen Trivialität eine eigene Währung wurden, zeigt aber kaum die Ausdifferenzierung des Marktes der Bildagenturen. Wichtig wären beispielsweise Hinweise gewesen, wer an dieser Masse von Bildern verdient, wie und warum sich der Markt der Fotoagenturen in den vergangenen Jahren rasant geändert hat, welchen Einfluss dies auf die Preisgestaltung sowohl für Fotografen als auch für Käufer hat, und auf die Bildsprache von Laienfotografie.

In welchem Verhältnis stehen Gabe und Wiedergabe zueinander? Mit Fragen nach dem Begehren und der „ethische[n] Dimension einer Ästhetik der Gabe“ (S. 390) bezieht sich Kathrin Busch direkt auf Jacques Derridas Ökonomimesis. In „Gegeben sei: das Unsichtbare. Zur Anökonomie des Bildes“ diskutiert Busch die „These eines durch das Bild geweckten unstillbaren Blickbegehrens, das die Symmetrie zwischen Werk und Betrachter aus dem Gleichgewicht bringt“ (S. 381). Der Überschuss und Mehrwert eines Bildes bestehe gerade im Unsichtbaren: Erst wenn das Sichtbare überschritten ist, könne „von einer echten Gebung für die Wahrnehmung – von einer Wahrgebung, wenn man so will“ gesprochen werden (S. 371).

Nach Jacques Derrida – dessen 1975 publizierter Text „Ökonomimesis“ hier erstmals in deutscher Übersetzung vorliegt – verschwinden die Grenzen zwischen freier Kunst und Lohnkunst, zwischen reiner und dienender Tätigkeit, zwischen Ökonomie und Gabe, sobald „die freie Nachahmung der Freiheit (vonseiten des Genies) […] die göttliche Freiheit frei nachahmt“ (S. 341). Dem ökonomimetische Kreislauf zu entrinnen scheint unmöglich, da nach Immanuel Kant auch „das Hässliche, das Schlechte, das Falsche, das Monströse – das Negative allgemein – […] zu Kunst werden können“ (S. 362). Allein das Eklige sei ausgeschlossen, da Ekel „schlechthin undarstellbar und in seiner Singularität zugleich schlechthin unsagbar“ sei (S. 363).

Mitunter entfernen sich Bilder – oder zumindest Originale – selbst aus der Sichtbarkeit. Banksys eingangs erwähntes Werk bleibt als Graffiti zwangsläufig temporär: Es existiert, bis die Bilderputzer der Stadtreinigung es vernichten. In den Kreislauf der Bildökonomie kann es nur noch als fotografische Reproduktion eingespeist werden. Das Foto passt übrigens noch aus einem anderen Grund als Cover: Die Finanzkrise 2008 traf London als umsatzstärkstes Finanzzentrum der Welt hart. Tausende von Arbeitsplätzen gingen verloren, sowohl im Banken- als auch im Dienstleistungssektor. „Die Freude, nichts verkauft bekommen zu haben“ – Banksys Motto scheint die Bewegung der Downshifter vorwegzunehmen: Menschen, die sich entscheiden, weniger Geld zu haben, weniger zu konsumieren, aber mehr Zeit und Freiheit zu gewinnen.

Anmerkungen:
1 Verena Straub, Wer hat unseren Banksy geklaut?, 22.02.2013, in: FAZ.net, <http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunstmarkt/kunst-diebstahl-wer-hat-unseren-banksy-geklaut-12090636.html> (30.9.2013).
2 <http://www.yella-der-film.de/> (01.10.2013).
3 <http://archive.org/details/Manhatta_1921> (01.10.2013).
4 Matthias Bruhn, Bildwirtschaft. Verwaltung und Verwertung der Sichtbarkeit, Weimar 2003.

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