J. Dendorfer u.a. (Hrsg.): Kardinäle in Mittelalter und Renaissance

Cover
Titel
Die Kardinäle des Mittelalters und der Frühen Renaissance.


Herausgeber
Dendorfer, Jürgen; Lützelschwab, Ralf
Reihe
Millennio Medievale 95 – Strumenti e studi n.s. 33
Erschienen
Anzahl Seiten
VII, 396 S.
Preis
€ 68,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tobias Daniels, Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte, Rom

Der vorzustellende Band versammelt die Beiträge der am Deutschen Historischen Institut in Rom veranstalteten Abschlusstagung des durch die DFG geförderten Netzwerks „Glieder des Papstleibes oder Nachfolger der Apostel? Die Kardinäle des Mittelalters (11. Jahrhundert – ca. 1500)“. Wie die Herausgeber betonen, spiegelt die so entstandene Aufsatzsammlung eher die Spezialinteressen der am Netzwerk beteiligten Wissenschaftler wider, während übergreifende Fragestellungen in der ebenso aus dem Netzwerk hervorgegangenen Publikation zur „Geschichte des Kardinalats im Mittelalter“ behandelt worden seien.1 Hier nun werden – in durchaus komplementärer und weiterführender Form – die Tagungsbeiträge in drei Sektionen präsentiert: erstens zu „personellen Netzwerken“, zweitens zur „Legatentätigkeit“ und drittens zu „Kommunikation und Habitus“.

Zunächst widmet sich Andreas Fischer der Wahrnehmung von Beziehungsnetzen der Kardinäle im 13. Jahrhundert unter Auswertung von Berichten englischer und aragonesischer Gesandter an der Kurie. Ein Ergebnis seiner Analyse ist, dass Kardinäle nicht unverbrüchlich den Interessen einer politischen Partei verbunden waren. Étienne Anheim zeigt daraufhin auf, welches Gewicht hingegen die Familiendynastien hatten. Institutionelle Identität konnten sie durch die Ausbildung eines „kollektiven Gedächtnisses“ (Halbwachs) im Zeitraum vom 13. bis zum 14. Jahrhundert auch trotz des Umzugs der Kurie von Rom nach Avignon beibehalten. In seinem anschließenden umfangreichen Beitrag geht Andreas Rehberg ganz ähnlichen Dynamiken nach, indem er für den beachtlichen Zeitraum von 300 Jahren (1277–1527) den familienstrategischen und klientelbezogenen Gruppenbildungen sowie Interessenwahrungen der Kardinäle aus Rom unter verschiedenen Gesichtspunkten nachspürt. Am konkreten Beispiel deutlich werden die somit übergreifend dargestellten Faktoren in dem herausragenden Beitrag Anna Espositos zu dem mächtigen Kardinal Guillaume d’Estouteville, dessen bedeutende Rolle auf dem römischen Parkett laut Esposito unter anderem auch mit seinem immensen Reichtum zusammenhing.

Die zweite Sektion eröffnet Claudia Zey als ausgewiesene Spezialistin auf dem Gebiet der Kardinalsforschung im Hochmittelalter. Sie zeigt anhand von Urkundenanalysen für das 11. und 12. Jahrhundert das ambivalente, mit Handlungsspielräumen versehene Verhältnis zwischen dem Papst und seinen als alter ego beauftragten und entsandten Kardinälen auf. Das Spektrum der Diplomatie des avignonesischen Papsttums durch seine Kardinallegaten im 14. Jahrhundert steht in Blake Beatties nachfolgendem Beitrag im Fokus. Beschrieben wird ein sich entwickelndes System europäischer Diplomatie mit einigen herausragenden Gestalten, das jedoch durch das große Schisma grundlegend verändert wurde.

Am Beginn der dritten Sektion steht ein Beitrag von Matthias Thumser zu den Propagandaschriften des Kardinals Rainer von Viterbo gegen Kaiser Friedrich II., in dem es Thumser gelingt, Aufschlüsse zu der Arbeitsweise des Kardinals und zum Anteil seiner Kanzlei an der Ausarbeitung der Texte zu gewinnen. Eine Typologie und Entwicklungsgeschichte der Legatenkanzleien im 14. Jahrhundert legt Pierre Jugie im Anschluss vor. In die Ikonographie der Kardinäle führt Werner Maleczek den Leser ein, indem er Kardinalssiegel und andere Abbildungen von Kardinälen im 13. Jahrhundert auf der Grundlage einer eindrucksvollen Sammelarbeit vorstellt. Die durch Pio Francesco Pistilli vorgelegte Überblicksdarstellung zu den Kardinälen als Kunstmäzenen im 15. Jahrhundert tritt insbesondere für den Bereich der Grabmäler ergänzend hinzu. Zuvor allerdings steht ein origineller Beitrag von Claudia Märtl zum kardinalizischen Ornat. Die Autorin weist darin schlüssig nach, dass die Auffassung, Kardinäle seien in rot gekleidet, insofern trügerisch ist, als dass sich dieser Usus erst am Ende des 15. Jahrhunderts durchsetzte, während die Päpste bis dahin den Gebrauch der für sie reservierten Farbe zu unterbinden versucht hatten. Einen ähnlichen Rundumschlag wie denjenigen Andreas Rehbergs vollzieht Marco Pellegrini. Er stellt in großen Linien handbuchartig die numerische Vergrößerung, die Italianisierung des Kardinalskollegs, die Institutionalisierung im Kirchenstaat durch das Amt der Kardinalprotektoren, der Nuntiaturen, der Kardinalnepoten, des „Sopraintendente dello Stato ecclesiastico“ und so weiter und schließlich die Auswirkungen des Konzils von Trient sowie Prozesse der Bürokratisierung vom 15. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts vor.

Den Abschluss des Bandes bildet ein zusammenfassender Ausblick Ralf Lützelschwabs, der auch einige Desiderate benennt (S. 367ff.). Diesen könnten natürlich weitere hinzugefügt werden, denn in dem – im Einklang mit den Zielen des Netzwerks (vergleiche S. 4) – eher institutionellen Fragestellungen verpflichteten Sammelband fehlen insbesondere Fragen nach dem praktischen Agieren der Kardinäle2, nach ihrer Oratorik (auch Funeraloratorik)3 oder nach musikwissenschaftlich relevanten Aspekten (wie etwa den kardinalizischen Musikkapellen). Selbstverständlich kann ein Tagungsband immer nur Teilaspekte eines Forschungsfeldes berühren. Insgesamt zeigt der vorliegende Band gemeinsam mit seiner Schwesterpublikation dennoch sehr wohl den Nutzen der DFG-geförderten Netzwerkprojekte, die mit soliden Publikationen wie der hier besprochenen auf abgesteckten Forschungsfeldern neuen Überblick zu verschaffen und in speziellen Fragestellungen neue Erkenntnisse zu gewinnen vermögen.

Anmerkungen:
1 Jürgen Dendorfer / Ralf Lützelschwab (Hrsg.), Geschichte des Kardinalats im Mittelalter, Stuttgart 2011.
2 Siehe hier etwa Jessika Nowak, Ein Kardinal im Zeitalter der Renaissance. Die Karriere des Giovanni di Castiglione (ca. 1413–1460), Tübingen 2011.
3 Zu diesem wenig erforschten Aspekt einstweilen Tobias Daniels, „Ingredere, benedicte domini“. Persuasionsstrategien in zwei universitären Begrüßungsreden an apostolische Legaten (Wien, 1387 und Köln, 1449), in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 122,1 (2012), S. 4–38; ders., Germania in der Renaissancebiographik: Eine unbekannte Grabrede des Humanisten Raffaele Lippo Brandolini auf Kardinal Melchior von Meckau (Mit Anmerkungen zu Kardinal Giovanni dei Medici und der Baugeschichte des Palazzo Madama), in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 92 (2012), S. 214–269.

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