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Titel
Fremdes Essen. Die Geschichte der ausländischen Gastronomie in der Bundesrepublik Deutschland


Autor(en)
Möhring, Maren
Erschienen
München 2012: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
555 S., 16 Abb.
Preis
€ 59,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Manuel Schramm, Institut für Europäische Geschichte, Technische Universität Chemnitz

Es wäre nicht ganz zutreffend, wollte man behaupten, die Konsumgeschichte hätte neuerdings die transnationale Geschichte entdeckt. Schließlich beschäftigten sich Konsum- und Ernährungsgeschichte schon seit geraumer Zeit mit internationalen Transfers, zum Beispiel anhand der Geschichte einzelner Güter („Kolonialwaren“), Vertriebsformen oder Warenpräsentationen.1 Nichtsdestotrotz ist mit dem scheinbar ungebrochenen Aufschwung der transnationalen Geschichte als Thema der deutschen wie der internationalen Geschichtswissenschaft eine zunehmende Beliebtheit dieser Themen auch in der Konsumgeschichte zu konstatieren – und das zurecht, gibt es hier doch noch einige Forschungslücken zu schließen. So ist es verwunderlich, dass die Geschichte der ausländischen Gastronomie bisher noch keine geschlossene monographische Darstellung gefunden hatte – ein Versäumnis, das Maren Möhring mit ihrer Monographie „Fremdes Essen. Die Geschichte der ausländischen Gastronomie in der Bundesrepublik Deutschland“ nachholt.2

Die Konsumgeschichte bildet den ersten Bezugsrahmen der vorliegenden Studie, die als Habilitationsschrift an der Universität Köln angenommen wurde. Der zweite liegt im Feld der Migrationsgeschichte. Dort liegt der Fokus auf den „ethnic performances“ (S. 28), mit denen Ethnizität durch die Migrantinnen und Migranten selbst hergestellt wird. Im Zentrum der Studie steht die Frage nach der Veränderung der deutschen Esskultur durch Globalisierungsprozesse nach 1945. Sie möchte damit einen Beitrag zur „Genealogie sowohl bundesdeutscher Identität(en) als auch der politischen Kultur“ (S. 14) mittels der Analyse von Transferprozessen leisten.

Das Buch gliedert sich neben der Einleitung (erstes Kapitel) in fünf Teile: Das zweite Kapitel skizziert die Grundzüge der historischen und regionalen Diffusion der ausländischen Gastronomie in Deutschland. Die Autorin vermag zu zeigen, dass ausländische Gaststätten zumindest in den Großstädten eine längere Vorgeschichte besaßen und kein völlig neues Phänomen der Nachkriegszeit darstellten. Zudem stellt sie den vor allem in den 1970er-Jahren zu beobachtenden Aufschwung der ausländischen Gastronomie in den Kontext eines sich ausdifferenzierenden gastronomischen Angebots, was sich beispielsweise im parallelen Aufschwung der Regionalküchen manifestierte. Den Hintergrund bildete eine gestiegene Nachfrage durch die Zunahme der verfügbaren Einkommen, die Arbeitsmigration aus Süd- und Südosteuropa und den aufkommende Massentourismus. Außereuropäische Küchen waren bis in die 1980er-Jahre in der Bundesrepublik kaum vertreten, mit Ausnahme der China-Restaurants.

Kapitel drei untersucht mit der Bedürfnisprüfung den rechtlichen Rahmen für die Eröffnung von Gaststätten durch Ausländer. Zwar hatte das Bundesverfassungsgericht bereits 1953 entschieden, dass eine (bis dahin übliche) Bedürfnisprüfung durch die Behörden vor der Eröffnung einer Gaststätte dem Recht auf freie Berufswahl widerspreche, jedoch dauerte es bis 1970, bis dieses Urteil in allen Ländern der Bundesrepublik umgesetzt wurde. Auch danach wurde die Bedürfnisprüfung im Fall von nicht-deutschen Antragstellern angewandt, war dann allerdings ausländerrechtlich begründet. Die Studie betont zurecht, dass die bundesdeutsche Wirtschaftsordnung im Vergleich zu den liberaleren Marktwirtschaften Großbritanniens oder der USA stärker reguliert war und dazu tendierte, ausländische Minderheiten auszuschließen. Ein Effekt dieser Bedürfnisprüfung war jedoch, dass die antragstellenden Gaststättenbetreiber sich gezwungen sahen, ihrer Gaststätte ein meist ethnisches Profil zu geben, um ein Bedürfnis im rechtlichen Sinn nachweisen zu können. Somit förderte diese Praxis die Ethnisierung der bundesdeutschen Gastronomie.

Kapitel vier bis sechs bilden Fallstudien zur italienischen, südosteuropäischen (jugoslawischen und griechischen) und türkischen Gastronomie. Hiermit sind drei der für die Bundesrepublik wichtigsten ausländischen Küchen erfasst. Zu bedauern ist aber, dass die chinesische Gastronomie ausgespart bleibt, die in gewisser Weise einen Sonderfall bildet. Sie war nicht nur lange Zeit die einzige außereuropäische Küche, die sich in der bundesdeutschen Gastronomie durchsetzen konnte, sondern sie basierte auch nicht auf der Kombination von Arbeitsmigration und Massentourismus, die für die anderen genannten Küchen einen wichtigen Erfolgsfaktor darstellte. Die einzelnen Kapitel behandeln die Struktur der jeweiligen Migration, die Art der Gaststätten, die dargebotenen angeblich „typischen“ Speisen, die Inszenierung von Ethnizität durch Innenraumgestaltung und Namensgebung, und die Repräsentation der ausländischen Küche in populären Filmen. Vor allem letzteres ist originell und lesenswert.

Wie bei transfergeschichtlichen Studien üblich, stehen die Veränderungen des transferierten Gutes im Mittelpunkt. Italienisches Essen in Deutschland war (und ist) etwas anderes als südlich der Alpen. Die italienischen wie die anderen ausländischen Gastronomen bemühten sich, die fremden Speisen an den deutschen Geschmack anzupassen. Natürlich provozierte dies als Gegenbewegung eine neue Distinktionsstrategie, die sich auf die Suche nach der „authentischen“ italienischen Küche machte. Zentral für den Erfolg der italienischen Küche war die massenmediale Präsentation des Landes als „südliches Sehnsuchtsland“ (S. 311). Die mit dem „Balkan“ verbundenen revanchistischen und rassistischen Wünsche wurden in folkloristische Bahnen gelenkt und dadurch teilweise neutralisiert. Im Fall der türkischen Küche gelang es den Gastronomen nur vereinzelt, das niedrigpreisige Imbisssegment zu verlassen. Kennzeichnend bleibt bis heute der Dönerkebab (oder -kebap), der zu Beginn der 1970er-Jahre in Berlin erfunden wurde und somit ein genuin hybrides deutsch-türkisches Produkt darstellt.

In ihrem Fazit verweist Möhring mit Blick auf das Ausländerrecht auf illiberale Kontinuitäten in der Bundesrepublik, die die These von der Liberalisierung der Bundesrepublik in den 1960er- und 1970er-Jahren relativieren. Hinsichtlich der Transnationalisierungsprozesse kommt sie zu dem Schluss, dass diese nicht erst mit dem bisweilen postulierten Strukturbruch zu Beginn der 1970er-Jahre anzusetzen sind, sondern die Anfänge bereits in den 1950er-Jahren liegen. Zudem zeige das Beispiel der Gastronomie, dass die Kultur der Bundesrepublik nicht nur amerikanisiert oder verwestlicht worden sei, sondern auch Bezüge zu den verlorenen Ostgebieten behalten habe. Das ist zwar zutreffend, soweit es sich auf die Anfänge bezieht; auf der anderen Seite zeigt aber die Studie selbst, wie gering die Eindringtiefe der Transnationalisierung in der frühen Bundesrepublik war. Die ausländische Gastronomie konnte sich außerhalb der Metropolen, beispielsweise in Städten wie Konstanz oder Flensburg, erst gegen Ende der 1960er-Jahre etablieren (S. 92, 98).

Das Buch stellt die genannten Entwicklungen klar und überzeugend dar. Es ist gut lesbar, bisweilen ein echtes Lesevergnügen. Manches mag schon bekannt gewesen sein, etwa, dass in Italien (im Gegensatz zu Deutschland) ein Ristorante keine Pizza verkauft. Innovativ ist insbesondere die Untersuchung der Bedürfnisprüfung, sowie die Verknüpfung von Filmanalyse und Konsumgeschichte. Allerdings hat die Untersuchung auch deutliche Grenzen, die wahrscheinlich in der Quellenbasis begründet sind. So werden bestimmte Bereiche doch ausgeblendet. Der Leser wird in das Innere der Restaurants geführt, bekommt die Speisekarte gezeigt, die geographische Lage der Gaststätte erklärt – aber einen wirklichen Blick in die Küche kann er nicht werfen. Man erfährt wenig darüber, wer dort unter welchen Bedingungen arbeitete. Dasselbe gilt für die betriebswirtschaftliche Seite: Welches waren die spezifischen Kostenvorteile ausländischer Restaurants gegenüber deutschen? Damit hängt auch die Frage nach den Motiven der Konsumenten und Konsumentinnen zusammen. Ging es ihnen um das fremde Essen, die folkloristische Inszenierung oder doch eher um das Preis-Leistungs-Verhältnis? Leider sind außer Restaurantkritiken wenige Quellen von Konsumentenseite vorhanden, die solche Fragen beantworten könnten. Ein weiteres Desiderat stellt die Frage nach dem Einfluss des organisierten Verbrechens dar. Auch hier wäre es interessant zu erfahren, wie viele Gaststätten ihre Existenz weniger dem Interesse der Konsumenten an fremden Speisen verdankten, sondern schlicht zur Geldwäsche dienten.

Dies soll allerdings das Verdienst der Autorin nicht schmälern, erstmals die Geschichte der ausländischen Gastronomie in der Bundesrepublik Deutschland im Gesamtzusammenhang dargestellt zu haben. Dass manche Fragen offen bleiben, zeigt nur, wie anregend die Lektüre des Buches ist.

Anmerkungen:
1 Vgl. dazu Manuel Schramm, Einleitung: Vergleich und Transfer in der Konsumgeschichte, in: Manuel Schramm (Hrsg.), Vergleich und Transfer in der Konsumgeschichte, Leipzig 2010 (Comparativ. Zeitschrift für Globalgeschichte und Vergleichende Gesellschaftsforschung 6/2009), S. 7–15.
2 Allerdings sollten die Vorarbeiten von Patrick Bernhard, Dieter Richter, Eberhard Seidel-Pielen oder Ulrike Thoms nicht unerwähnt bleiben: z.B. Eberhard Seidel-Pielen, Aufgespießt. Wie der Döner über die Deutschen kam, Hamburg 1996; Patrick Bernhard, Die Pizza am Rhein. Zur Italienisierung der deutschen Küche und Gastronomie im 20. Jahrhundert, in: Jörg Calließ (Hrsg.), Die Geschichte des Erfolgsmodells BRD im internationalen Vergleich, Rehberg-Loccum 2006, S. 211–230; Ulrike Thoms, Sehnsucht nach dem guten Leben. Italienische Küche in Deutschland, in: Ruth-E. Mohrmann (Hrsg.), Essen und Trinken in der Moderne, Münster 2006, S. 23–61; Dieter Richter, Reisen und schmecken. Wie die Deutschen gelernt haben, italienisch zu essen, in: Voyage 5 (2002), S. 17–29.

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