A. Bamji u.a. (Hrsg.): Counter-Reformation

Cover
Titel
The Ashgate Research Companion to the Counter-Reformation.


Herausgeber
Bamji, Alexandra; Janssen, Geert H.; Laven, Mary
Erschienen
Farnham 2013: Ashgate
Anzahl Seiten
XX, 488 S.
Preis
£76.50 / € 105,23
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang Reinhard, Freiburg im Breisgau

Es heißt, dass Geschichtswissenschaft immer die jeweilige eigene Gesellschaft und deren mentale Befindlichkeit legitimieren und in wissenschaftlicher Verkleidung reproduzieren muss. Das Konfessionalisierungsparadigma der 1980er-Jahre stellte bei den drei großen christlichen Bekenntnissen der europäischen frühen Neuzeit die planmäßige Anwendung gleichartiger Sozialtechniken zur Herstellung von Gruppenidentität fest und schrieb diesem Vorgang modernisierende Wirkungen für Politik und Gesellschaft zu. Es gehörte in eine Zeit, die makrohistorische Prozesse für entscheidend hielt und daran glaubte, diese im Sinne des unvollendeten Projekts der Moderne beeinflussen zu können. Wer als Religionshistoriker an diesem aggressiv säkularen Diskurs teilhaben wollte, musste Reformatoren und Trienter Konzilsväter als Macher von Modernität präsentieren – was sie in mancher Hinsicht unfreiwillig durchaus gewesen sind. Inzwischen ist der Glaube an die Herstellbarkeit einer besseren Welt verschwunden. Allenfalls können wir versuchen, den anonymen Kräften der Geschichte das eigene kleine Glück abzutrotzen. Demgemäß gibt es für die postmoderne Geschichtswissenschaft des frühen 21. Jahrhunderts keine Meistererzählung von einem Gesamtprozess, im Grunde gar keine Geschichte mehr, sondern nur noch Geschichten.

In diesem Sinn lässt das vorliegende Handbuch 100 Blumen blühen, genauer 24 Kapitel über verschiedene Themen, die es etwas verlegen unter dem veralteten Etikett „Gegenreformation“ zusammenfasst. Denn die einstige Kulturkampfparole ist heute eine inhaltsleere Worthülse, die einerseits alles abzudecken vermag, andererseits aber auch jedem potentiellen Käufer des Buches bekannt ist. Das ist möglich, weil die Forschung der letzten Jahrzehnte das Konfessionalisierungsparadigma in vieler Hinsicht korrigiert und ergänzt hat, es also neue Erkenntnisse auf den verschiedensten Feldern vorzustellen gibt. Zweitens hat der angesprochene jüngste soziale und mentale Wandel dazu geführt, dass Religion, sogar die katholische, wieder ernst genommen wird – selbst von Jürgen Habermas. Dass drei Herausgeber/innen, die sich als Nicht-Katholik/innen outen, ein aufwändiges Werk über frühneuzeitliche Katholik/innen vorlegen, wäre vor gar nicht langer Zeit undenkbar gewesen. Notabene: über Katholik/innen, nicht über Katholizismus, wie sie unvorsichtigerweise schreiben, denn Katholizismus ist ein Konfessionsbegriff und schließt daher eine institutionengeschichtliche Engführung ein, was sie beides hinter sich lassen wollten.

Doch was in den 24 Literaturberichten geboten wird, ist imposant. Offensichtlich ist das Forschungsdefizit, das John O’Malley noch im Jahr 2000 beklagte1, inzwischen überwunden. Die erste Gruppe von acht Kapiteln über „Conflict, Coexistence, and Conversion“ eröffnet Simon Ditchfield mit einer Dekonstruktion des Mythos vom tridentinischen Katholizismus und der Papstgeschichte. Denn die Reichweite des Konzils war begrenzt, und die Reform ging eher von Carlo Borromeo als von Konzil und Papst aus. Anschließend prüft Ute Lotz-Heumann mit Bezug auf ihr Irland-Buch, wie weit das Konfessionalisierungsparadigma für die Forschung heute noch von Nutzen sein kann. Meinem mikrohistorischen Frageraster2 billigt sie Überlebenschancen zu. Keith P. Luria und Geert H. Janssen befassen sich mit Themen, die bisher für Protestanten reserviert waren: dem Zusammenleben der Konfessionen und seinem Gegenteil, dem Exil. Neben den verschiedenen Formen der Koexistenz und ihrer Aushandlung ist der Zusammenhang von Exil und Identität von Interesse. Vor allem Männer flüchteten, Frauen hielten eher die Stellung. Aber geflüchtet wurde erst, wenn die konfessionelle Unterscheidung klar war (also doch!). Und im Exil wurden konfessionelle wie „nationale“ Identitäten regelmäßig verstärkt. Nicholas S. Davidson referiert die Forschungsentwicklung zu den drei Inquisitionen in Spanien, Portugal und Italien und die relative Rehabilitierung dieser Einrichtungen durch die Forschung. Buchdruck und Reformation galten bisher als Zwillinge. Andrew Pettegree zeigt, dass auch dies nicht zutrifft, sondern Katholiken vor allem in Frankreich einen erfolgreichen publizistischen Kampf führten. Mit katholischen Missionen in Asien und Amerika befassen sich Tara Alberts und Karin Vélez. In Asien liegt der Schwerpunkt auf der neueren Herausarbeitung der agency der Missionierten neben der längst gründlich erforschten der Missionare, in Amerika auf der Spannung zwischen Mobilität und Stabilität und der bisweilen erstaunlichen mentalen Verwandtschaft beider Seiten.

Nach diesen eher konventionellen makrohistorischen Themen widmen sich die nächsten sieben Beiträge unter dem Titel: „Catholic Lives and Devotional Identities“ dem katholischen Individuum. Judith Pollmann stellt quellennah das Selbstverständnis verschiedener Katholiken vor und gelangt zu dem Schluss, dass Rekatholisierung eher von Vielfalt als von Einheit gelebt habe. Alexandra Bamji befasst sich mit dem von Sakramenten und Ritualen eingehegten katholischen Lebenszyklus und dem Problem, wie weit persönliche Frömmigkeit erkennbar wird. Die Entstehung, Verteidigung und Ausweitung von Sakrallandschaften stellt Alexandra Walsham dar, Clare Copeland die Produktion und Verehrung von Heiligen, beides katholische Spezifika. Wietse de Boer umkreist das modische, aber schwierige Thema „The Counter-Reformation of the Senses“ mit mehr Fragen als Antworten – und landet bei konfessioneller Disziplinierung, die es angeblich doch nicht gegeben hat! Auch in den nächsten beiden Beiträgen taucht diese Perspektive auf. Nicholas Terpstra betont die Kontinuität der lokal verwurzelten Laienspiritualität, nicht zuletzt in Bruderschaften, vom Mittelalter bis in 17. Jahrhundert, erkennt aber auch ein Streben nach Reinigung und Disziplin. Simone Laqua-O’Donnell untersucht deren Einbettung in die politischen Gemeinden analog zu Bernd Moellers Buch über die evangelischen Reichsstädte.3

Stärker konventionell, aber weit gespannt fallen die sechs Kapitel über „Ideas and Cultural Practices“ aus. Michael Edwards plädiert bei der Geschichte der intellektuellen Kultur unter anderem gegen deren bisherige Jesuiten-Zentriertheit, die in Nick Wildings Beitrag über die Naturwissenschaft immer noch angebracht ist. Noel O’Regan hält die post-tridentinische Musik mit ihrer Polyphonie und ihren ausdrucksvollen Texten für besonders kreativ. Wie in Paul Shores Beitrag über das Drama kommt diese Kreativität aber weithin „von unten“. Andrea Lepage gewinnt dem Thema bildende Kunst neue Aspekte ab, indem sie von der obligatorischen Hl. Theresa Berninis und Caravaggio zur Kunst des kolonialen Katholizismus übergeht. Das Kapitel von Silvia Evangelisti über die Materialität von Frömmigkeit befasst sich mit Bauten und Räumen, heiligen Orten und Reliquien sowie Devotionalien in Testamenten, Inventaren und auf Bildern.

Der überall auftretende religiöse Wandel wird in den letzten drei Beiträgen ausdrücklich thematisiert, zuerst von John H. Arnold aus mittelalterlicher Sicht. Er betont einerseits die Kontinuität der Entwicklung, anderseits die verschiedenen Wellen katholischer Reformationen in der Geschichte – ein Befund, der dem katholischen Traditionsprinzip wie der evangelischen „Zeugen-Historie“ gerecht werden kann. Dieser zeitlichen Großperspektive stellt Karen Melvin die räumliche gegenüber, indem sie anhand der weltweit verbreiteten Volksmissionen der Franziskaner und Jesuiten den Katholizismus als Globalisierungsinstanz vorstellt. Die Herausgeberin Mary Laven, von der auch die Einleitung stammt, behandelt abschließend „Legacies of the Counter-Reformation and the Origins of Modern Catholicism“. Wegen des von ihr selbst verkündeten Befunds der Uneinheitlichkeit der einen wie des anderen besteht sie zunächst erneut auf den Hybriditäten und Varietäten, unter anderem auch nationalen. Anschließend identifiziert sie anhand eines Falles als Hinterlassenschaft der Gegenreformation erstens den „missionary priest“, besser: den Priester als Seelsorger, zweitens die Materialität der katholischen Frömmigkeit, drittens das Wunder bzw. den Glauben daran, viertens die Streitbarkeit. Die Identitäten des modernen Katholizismus reduziert sie auf das eingeübte Bewusstsein, anders zu sein, das durch spezifische Frömmigkeit und Rituale gepflegt werde. Es genügt, das Buch gelesen zu haben, um diesen Befund für eine Karikatur zu halten – aber Karikaturen treffen leider oft den Punkt!

Das Buch enthält eine hilfreiche Fülle wissenschaftlicher Information. Mir fehlt nur ein eigenes Kapitel über die aktuelle Konvertitenforschung – aber diese ist eben nicht anglophon. Damit sind wir bei der Verarmung, die mit diesem Reichtum einhergeht. Selbstverständlich sind alle in Frage kommenden Länder als Gegenstände vertreten, aber die Forschung über sie findet anscheinend nur noch in englischer Sprache statt. Mit wenigen Ausnahmen wie dem ersten, zweiten und fünften Kapitel enthalten die üppigen Fußnoten und erst recht die jeweiligen Kurzbibliographien nur oder fast nur englische Titel. Dabei findet gerade zu diesem Thema die Forschung nun wirklich nicht allein in englischer Sprache statt. Aber offensichtlich ist sich die anglophone Wissenschaft wieder einmal selbst genug, und der Rest der Welt muss sich mit der strukturellen (notabene: nicht individuell verantworteten) Arroganz der Weltmacht abfinden.

Anmerkungen:
1 John O’Malley, Trent and All That. Renaming Catholicism in the Early Modern Era, Cambridge, MA 2000, S. 121.
2 Wolfgang Reinhard, Konfession und Konfessionalisierung in Europa (1981), in: Ders., Ausgewählte Abhandlungen, Berlin 1997, S. 103–125.
3 Bernd Moeller, Reichsstadt und Reformation, Gütersloh 1962.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension