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Titel
„The Party is Over“?. Britische Wirtschaftspolitik und das Narrativ des „Decline“, 1970–1976


Autor(en)
Ebke, Almuth
Reihe
Moderne Geschichte und Politik 24
Erschienen
Frankfurt am Main 2012: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
123 S.
Preis
€ 22,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Elfie Rembold, Berlin

Großbritanniens wirtschaftliche Entwicklung der Nachkriegszeit ist in der Forschung und auch bei den Zeitgenossen lange mit dem Etikett des „relative decline“ belegt worden. Besonders die 1970er-Jahre wurden als Krisenjahrzehnt wahrgenommen. Erst jüngst werden diese Deutungsmuster zur Erklärung des Wandels von einer einstigen Weltmacht hin zu einer europäischen Mittelmacht in der Forschung kritisch hinterfragt. In dem hier vorliegenden Band möchte Almuth Ebke zeigen, wie dieser Topos des „relative decline“ die Wirtschaftspolitik der Regierungen in der ersten Hälfte der 1970er-Jahre ideologisch begleitete. Ihre zeitliche Rahmensetzung, der Titel: „The Party is Over“? sowie die Tatsache, dass dieses schmale Bändchen als Magisterarbeit am Historischen Seminar in Tübingen bei Anselm Doering-Manteuffel vorgelegt wurde, ordnet es in den Tübinger-Trierer Forschungsverbund1 ein, in dem Doering-Manteuffel und Lutz Raphael die Strukturbrüche der 1970er-Jahre in den Blick nehmen. Die mit dem problematischen Begriff der Krise2 bezeichneten Jahre werden jetzt als Zäsur und als Beginn der Geschichte der Gegenwart begriffen. Ereignisse wie das Ende des Währungssystems von Bretton Woods 1971 oder die Ölkrise 1973/74 bilden dabei die gegenwartsformenden Zäsuren.

Ebke hat sich vorgenommen, die erste Hälfte der 1970er-Jahre aus der Perspektive der Wirtschaftspolitik zu untersuchen. Sie beginnt mit dem Jahr 1970, dem Regierungsantritt der Konservativen Regierung unter Edward Heath und endet 1976 mit der Machtübergabe des Labour Premiers Harold Wilson an seinen Nachfolger James Callaghan. Diese Auswahl bedarf der Begründung. Die Autorin sieht diese einmal ideengeschichtlich in dem Wahlprogramm der Konservativen, die 1970 einen Kurswechsel zur Modernisierung von Politik und Wirtschaft versprachen; zum anderen in den politischen Entscheidungen während der Sterlingkrise 1976, die der Labour-Regierung einen Sparhaushalt aufzwang. Ebke vertritt hier die These, dass diese Jahre den Anfang der ideologischen Wende hin zum Neoliberalismus und politischen Monetarismus der Thatcher-Ära markieren und damit die sukzessive Abkehr vom Nachkriegskonsens des praktizierten Keynesianismus. Da es primär um die Analyse der 1970er-Jahre geht, untergliedert Ebke diesen Zeitraum in drei Kapitel, die sie lapidar mit den Jahreszahlen 1971/72, 1973/74, 1976 betitelt und es damit dem Leser nicht immer leicht macht, der Logik ihrer Argumentation zu folgen. Die Problematik einer solchen Gliederung wird offensichtlich, wenn „Labours wirtschaftspolitischer Kurswechsel 1975“ innerhalb des zweiten Kapitels „1973/74“ verhandelt wird.

Um auf nur gut einhundert Seiten die Wirtschaftspolitik dieser Jahre analysieren zu können, beschränkt sich Ebke methodisch auf sogenannte „Ereignisknoten“, in denen sich „die wirtschaftlichen und industriellen Transformationsprozesse zu einer kritischen Masse verdichteten, die als krisenhaft empfunden wurde“ (S. 14). Zur Analyse politischer Prozesse eignen sie sich deshalb, weil, so Ebke, „in ihnen in der Wahrnehmung der unmittelbar Beteiligten Problemstellungen auf eine Entscheidung zugespitzt werden“ (ebd.). In dieser These steckt ein ganzes Forschungsprogramm. Hier soll Struktur- mit Ereignis- und Kulturgeschichte kombiniert werden – ein hehrer Anspruch, zumal im Rahmen einer Magisterarbeit. Methodische Anleihen macht sie dafür bei der Bielefelder „Neuen Politikgeschichte“.3 Diese findet nach Ute Frevert ihren Gegenstand „nicht primär in einem ‚Sachgebiet‘ [Schmitt] […], sondern in den Modalitäten und Mechanismen von Grenzziehungen“.4 Bezogen auf die britische Politik der 1970er-Jahre heißt das, zu fragen, wie weit die Regierung bzw. der Staat in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben hineinregieren bzw. die industriellen Beziehungen zwischen Unternehmern und Gewerkschaften regulieren konnten. Ebke verfolgt dieses Spannungsverhältnis zwischen Regierung, Unternehmen und Gewerkschaften gemäß dem Anliegen des Forschungsverbundes in den Kategorien des Wettstreits zwischen den politischen Ideologemen des Keynesianismus und des Monetarismus.

Im ersten Kapitel: „1971/72“ zeigt die Autorin anhand von drei Politikfeldern, inwieweit die konservative Regierung ihrem Credo des Zurückdrängens des Staates tatsächlich folgen konnte. Als zwei Repräsentanten der alten Industrie, die Glasgower Werften und die Motoren- und Turbinenwerke Rolls Royce, vor der Insolvenz standen, unterstützte sie die Regierung entgegen ihrer Überzeugung und beeinflusst von der öffentlichen Meinung mit staatlichen Subventionen und setzte damit die keynesianische Politik der Nachkriegsjahre fort. Einerseits schritt sie im Bereich der Arbeitsbeziehungen regulierend ein und dehnte damit den Bereich des Politischen weiter aus, während sie andererseits den Finanzmarkt über das Medium der expansiven Geldpolitik deregulierte. Dadurch wurde die britische Wirtschaft zwar kurzfristig belebt, mittelfristig führte diese Politik aber in die Börsenkrise von 1973/74. Der Autorin kommt hier das Verdienst zu, nicht auf der Analyseebene stehen zu bleiben, sondern ihren Befund des politischen pragmatischen Handelns der Heath-Regierung mit der Historiografie vor allem der 1980er-Jahre abzugleichen. Wird dort von „u-turns“, also politischen Kehrtwendungen der Konservativen gesprochen, enttarnt sie diese als ideologische Geschichtsschreibung, deren Interesse es war, die Heath-Regierung als inkonsequent darzustellen, um den Neoliberalismus der Thatcher-Ära zu legitimieren.

Das zweite Kapitel: „1973/74“ behandelt die Auseinandersetzungen der Heath-Regierung mit der Bergarbeitergewerkschaft, deren Streik in den Wintermonaten 1973/74 die Auswirkungen der Ölkrise für alle Briten spürbar machte. Die Regierung war nicht bereit, den Lohnforderungen der Gewerkschaft nachzugeben und entschied sich stattdessen zu Neuwahlen im Februar 1974 unter dem Slogan: „Who governs Britain?“. Die Tatsache, dass das Wählervotum darauf keine klare Antwort gab und letztlich eine Labour-Minderheitsregierung in die Downing Street schickte, könnte dahingehend interpretiert werden, dass die Öffentlichkeit den Gewerkschaften ein legitimes Machtpotenzial innerhalb des politischen Handelns zusprach. Eine diskursive Analyse des Wahlkampfs wäre hier sicherlich aufschlussreich gewesen. Ebke konzentriert sich jedoch auf die politischen Entscheidungsprozesse innerhalb der Regierung und zeigt, wie Labour im Zusammenspiel mit den Gewerkschaften Maßnahmen auszuhandeln versuchte, die die hohe Inflationsrate und das Haushaltsdefizit eindämmen konnten, ohne dass Haushaltskürzungen – und damit die Abkehr von Keynesianismus – erneute Streikwellen provozierten. Die konträren Perspektiven der beiden Parteien auf die Gewerkschaften und deren Rolle im politischen Prozess werden nur angerissen. Eine Erörterung dieser Thematik hätte den Raum des Politischen näher bestimmt, aber auch den Rahmen einer Magisterarbeit gesprengt.

Im dritten und letzten Kapitel ihrer Arbeit räumt Ebke dem kommunikativen Aspekt politischen Handelns schließlich mehr Raum ein und erörtert die Reaktionsmöglichkeiten und politischen Alternativen innerhalb der Labour Party auf die Sterlingkrise von 1976. Die Entscheidung von Premierministers Callaghan, den Vorgaben der internationalen Finanzinstitute für eine Kreditvergabe durch einschneidende Haushaltskürzungen zu folgen, diskutiert die Autorin wiederum vor der Folie jener Historiografie, die Labour 1976 die Konversion zum Monetarismus und die Verletzung des Nachkriegskonsenses unterstellt.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass Ebkes Arbeit einen neuen Blick auf die Historiografie der 1970er-Jahre bietet. Sie erweitert die traditionelle Geschichtsschreibung der „High Politics“, also der regierungspolitischen Entscheidungen, um die kulturgeschichtliche Perspektive und ordnet sie historiografisch ein. Trotz oder vielleicht wegen ihrer Konzentration auf sogenannten Ereignisknoten gelingt es der Autorin aber nur bedingt, das regierungspolitische Handeln zu kontextualisieren. Biografische Hintergründe politischer Entscheidungsträger werden nur angerissen, zeitgenössische Diskurse nur unzureichend berücksichtigt. Dies wäre aber nötig gewesen, wollte man das Narrativ des „Decline“ für die erste Hälfte der 1970er-Jahre dekonstruieren und seine Verwendung über die Funktion des politischen Kampfbegriffs hinaus nachweisen. Im Ganzen leidet der Band unter dem Anspruch, einen kurzen Zeitraum mit einen komplexen Forschungsansatz auf nur gut hundert Seiten abhandeln zu wollen. Insgesamt wäre weniger hier mehr gewesen.

Anmerkungen:
1 „Nach dem Boom. Forschungen zur Entwicklung westeuropäischer Industriegesellschaften seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts“, vgl. die Website <http://www.nach-dem-boom.uni-tuebingen.de/index.php> (28.08.2013). Siehe auch Anselm Doering-Manteuffel / Lutz Raphael, Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte nach 1970, 3. Aufl., Göttingen 2012 (1. Aufl. 2008); vgl. die Rezension von Nils Freytag, in: H-Soz-u-Kult, 26.03.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-1-248> (28.08.2013).
2 Henning Grunwald / Manfred Pfister (Hrsg.), Krisis! Krisenszenarien. Diagnosen. Diskusstrategien, München 2007.
3 Ute Frevert / Heinz-Gerhard Haupt (Hrsg.), Neue Politikgeschichte. Perspektiven einer historischen Politikforschung, Frankfurt am Main 2005; vgl. die Rezension von Gabriele Metzler, in: H-Soz-u-Kult, 29.10.2005, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-4-064> (28.08.2013).
4 Ebd., S. 24.

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