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Titel
Authoring the Past. History, Autobiography, and Politics in Medieval Catalonia


Autor(en)
Aurell, Jaume
Erschienen
Anzahl Seiten
329 S.
Preis
€ 36,75
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Yanick Strauch, Historisches Institut, Universität zu Köln

Die mittelalterliche Historiografie Kataloniens ist in den letzten Jahren Gegenstand einschlägiger Untersuchungen gewesen, von welchen insbesondere die monumentale Arbeit Michel Zimmermanns zur lokalen Schriftkultur hervorzuheben ist.1 Jüngst konnte Stefano Maria Cingolani die kollektive Bedeutung der Quatres Grans Crònices herausarbeiten, deren zentrale Funktion sich in einer Kombination aus königlicher memoria und zeitgenössischer Geschichtsschreibung offenbart2. Bei diesen vier Werken aus dem 13. und 14. Jahrhundert handelt es sich um den Tatenbericht (llibre des fets3) des aragonesischen Königs Jakobs I. (‚der Eroberer’), die Chronik des Bernat Desclot4, die stark autobiografisch geprägte Chronik des katalanischen Ritters Ramon Muntanar5 sowie die Autobiografie König Peters IV. (‚der Zeremoniöse’) von Aragón6. Innerhalb der vorliegenden Studie bilden diese wohl bekanntesten Werke der katalanischen Historiografie die Quellengrundlage für Jaume Aurells Ausführungen, wobei er die Reihe um die Gesta Comitum Barcinonensem aus dem späten 12. Jahrhundert erweitert7 und diese an den Beginn seiner Untersuchung stellt. Den ersten Hauptteil des Buches bildet dabei eine chronologische Präsentation der fünf genannten Werke, während sich der zweite Teil vornehmlich der Auseinandersetzung mit der historischen Forschung widmet.

Das Buch verfolgt zwei zentrale Ziele: So sollen die zu untersuchenden zentralen Werke der mittelalterlichen Historiografie Kataloniens erneut analysiert werden, um die Verflechtungen von historischen Tatsachen und literarischen Motiven innerhalb der einzelnen Quellen aufzuzeigen. Methodisch bedient sich Aurell dabei ebenfalls literaturwissenschaftlicher Erkenntnisse, allerdings mit Einschränkungen, da er den ‚Tod des Autors‘ im Foucaultschen Sinne ablehnt. Demgegenüber misst Aurell dem Zeitpunkt der Verschriftlichung eines Werkes sowie den individuellen Motiven des Verfassers eine inhärente Bedeutung bei, der Autor spiele dabei „a concious role“ (S. 7). Beide Faktoren gelten ihm als entscheidende Werkzeuge zur Kontextualisierung von historischen Quellen. Zugleich warnt Aurell eindringlich davor die einzelnen Werke (insbesondere jene in katalanischer Sprache) hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit allein aus einer historisch-kritischen Perspektive heraus zu analysieren. Allein die Kombination mit literaturwissenschaftlichen Methoden vermag innerhalb der oft stark anekdotenhaften Texte Fiktion von Realität zu unterscheiden, wobei sich zugleich das soziale Umfeld offenbaren soll (vgl. S. 223), dessen Werte und Normen in diesen Werken paradigmatisch reflektiert werden.

Als zweites dezidiertes Ziel sollen die ausgewählten katalanisch-sprachigen Quellen mittels dieses in englischer Sprache verfassten Buches einem breiten Publikum präsentiert werden. Als Argument dient Aurell dabei die einfache Tatsache, dass jene Texte von der internationalen Forschung lange Zeit – wahrscheinlich aufgrund der sprachlichen Barriere – vernachlässigt worden sind, obwohl sie teils einzigartige Informationen zur mittelalterlichen Geschichte der Provence, Siziliens und Griechenlands tradieren.

Hinsichtlich der genealogisch-geprägten Gesta Comitum Barcinonensem hebt Aurell eine klare Funktion des Werkes besonders hervor. Die Illustration der erfolgreichen und rechtschaffenen Taten dieses Geschlechts diente am Ende des 12. Jahrhunderts als legitimierendes Argument für den Gewinn der Krone von Aragón durch Graf Ramon Berengar IV. von Barcelona, die er seinen Nachkommen durch die Heirat mit Petronelle – der Erbtochter des genannten Königreichs – sicherte. Die Geschichte seiner Vorfahren in Form einer Genealogie vermochte die politischen und sozialen Bestrebungen des Grafen zu rechtfertigen, während die Verdienste seines Geschlechts zugleich in der Tradition der Landesgeschichte verankert wurden (vgl. S. 37.).

Anschließend schildert Aurell, wie die historische Genealogie diese Funktion zu Gunsten der chronikalisch-geprägten Autobiografie einbüßte. Der Tatenbericht Jakobs I. markiert dabei den Anfang, wobei der König seine eigene Geschichte nutze, um der Nachwelt „a dynamic and dramatic document“ (S. 54) seiner Taten und Person zu hinterlassen, in welchem sich der Herrscher als Werkzeug Gottes zu porträtieren suchte, wodurch seine aggressive und expansive Politik die höchste Form der Legitimation erfuhr. Aurell attestiert dem König „a strong testimonial element“ (S. 140), welches sich nicht zuletzt in dessen Weigerung offenbart, Gegebenheiten, die er selbst nicht erlebt hatte, zum Gegenstand seines Werkes zu machen. Der König schrieb (in der ersten Person) aus seiner Perspektive die Taten auf, die er allein begangen hatte – ço que nós hauríem feyt (S. 39) – und die umgangssprachliche katalanische Sprache diente ihm dabei zugleich als Mittel der prosaischen Ausgestaltung.

Auch bei den autobiografisch geprägten Chroniken Bernat Desclots und Ramon Muntanars liegt der Fokus auf der Rechtfertigung der Eroberungen der katalanisch-aragonesischen Könige. Dabei lassen sich jedoch auch Unterschiede feststellen. Während man Bernat Desclot hinsichtlich des erlebten Zeitabschnitts – die späteren Herrschaftsjahre Jakobs I. (circa 1230er–1276) und die Peters III. (1276–1285) – durchaus eine oftmals nüchterne Berichterstattung akkreditieren kann, so tritt bei Ramon Muntanar die Intention hinzu, die aus seiner Sicht ruhmvollen Taten der Katalanen – wie die Eroberung Siziliens 1282 und Griechenlands 1303–1311 – an denen er selbst Teil genommen hatte, nach ritterlichen Idealen zu glorifizieren.

Schließlich kann die Autobiografie Peters IV. (König 1336–1387) als Schlusspunkt der klassischen katalanisch-sprachigen Historiografie des Mittelalters gelten. Peter IV. gedachte ein Werk zu schaffen, welches weniger die Legitimität seines Herrschaftsgeschlechtes unterstrich, sondern als Rechtfertigung für seine autoritären politischen Praktiken dienen konnte (vgl. S. 222). Aurell betont einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Werk Peters IV. und den anderen drei Chroniken. Arrangierten Jakob I., Bernat Desclot und Ramon Muntanar ihre Werke in chronologischer Reihenfolge, so setzte Peter auf Symbolismus und Betonung wie auch Überzeichnung einzelner „thematic sections“ (S. 93), um seine Herrschaft in apologetischer Form zu erklären.

Als unnötige Komplikation stellt sich in Aurells Buch das Fehlen eines Literaturverzeichnisses heraus. Der prinzipiell sehr wissenschaftliche Charakter der Publikation – Aurell belegt seine Aussagen detailreich und offenbart dabei eine exakte Kenntnis der einschlägigen Literatur – wird aufgrund dessen aber nur unmerklich gemindert.

Beachtet man abschließend, wie stringent die Konzeption und Zielsetzung des Werkes umgesetzt wurden, so kann man Jaume Aurells Buch nur als gelungen bezeichnen, da es einen fundierten Einstieg und Überblick in die Thematik bietet und den Tenor der untersuchten Quellen anhand von repräsentativen Zitaten gekonnt vermittelt, welche sich perfekt in die anschauliche und nie langweilige Sprache des Autors eingliedern. So bleibt nur zu hoffen, dass dem Buch eine breite Leserschaft vergönnt sein wird, sodass es das Anliegen Aurells erfüllen kann und das Interesse an der katalanisch-sprachigen Historiografie auch außerhalb der angestammten wissenschaftlichen Bereiche neu entfacht wird.

Anmerkungen:
1 Michel Zimmermann, Écrire et lire en Catalogne: (IXe-XIIe siècle), Bd. 1, Madrid 2003.
2 Stefano Maria Cingolani, La memòria dels reis. Les quatre grans cròniques i la historiografia catalana, des del segle X fins al XIV, Barcelona 2007.
3 Les Quatre grans Cròniques, 1: Llibre dels feits del rei en Jaume, ed. Josep Massot i Muntaner, revisió filològica de Jordi Bruguera/revisió històrica de M. Teresa Ferrer i Mallol, Barcelona 2008.
4 Les Quatre grans Cròniques, 2 : Crònica de Bernat Desclot, ed. Josep Massot i Muntaner, revisió filològica de Jordi Bruguera/revisió històrica de M. Teresa Ferrer i Mallol, Barcelona 2008.
5 Les Quatre grans Cròniques, 3: Crònica de Ramon Muntaner, ed. Josep Massot i Muntaner, revisió filològica de Jordi Bruguera/revisió històrica de M. Teresa Ferrer i Mallol, Barcelona 2011.
6 Crónica del rey d'Arago en Pere IV lo ceremoniós, ó del punyalet, escrita per lo mateix monarca ab un prólech de Joseph Coroleu, ed. Josep Coroleu, Barcelona 1885.
7 Gesta comitum Barcinonensium, ed. L. Barrau Dihigo i J. Massó Torrents, textos llatí i català, Barcelona 2007.

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