Elizabeth Deeds Ermath: History in Discursive Condition

Cover
Titel
History in the Discursive Condition. Reconsidering the Tools of Thought


Autor(en)
Deeds Ermarth, Elizabeth
Erschienen
London 2011: Routledge
Anzahl Seiten
144 S.
Preis
£22.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Achim Landwehr, Historisches Seminar VIII, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Elizabeth Deeds Ermarth ist als Kulturhistorikerin und Kulturtheoretikerin schon des Öfteren mit theoretischen Arbeiten an die Öffentlichkeit getreten, die man der Postmoderne zurechnen könnte1 – was man aber nicht tun sollte, denn ein zentrales Argument dieses Bandes richtet sich gegen die Missverständnisse, die das Etikett „Postmoderne“ evoziert, und dementsprechend auch gegen seine Verwendung (S. 4). Ermarth spricht stattdessen von der „discursive condition“, was sich nicht ohne weiteres ins Deutsche übersetzen lässt und vielleicht mit ‚diskursiver Verfasstheit‘ oder ‚diskursivem Wissen‘2 umschrieben werden könnte.

Die wesentlichen Ziele von Ermarths Argumentation lassen sich in dreifacher Weise auffächern. Erstens ist sie bemüht, die „modern condition“ als eine historische Epoche zu identifizieren, die sich zwischen das Mittelalter und das „diskursive Wissen“ schiebt. Zeitlich liegt der Beginn dieses „modernen Wissens“ in der Renaissance, während sein Ende sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts in unterschiedlichen Bereichen konkretisiert. Als zentrale Bestandteile des modernen Wissens macht Ermarth nicht nur einen unübersehbaren Eurozentrismus aus, sondern vor allem eine Neutralisierung in den Konstruktionsweisen von Wirklichkeit. Damit spitzt Ermarth sicherlich ungemein komplexe Phänomene in hohem Maße zu, allerdings trifft sie auch einen wichtigen Kern, wie sie insbesondere in ihren Ausführungen zur Neutralisierung des Raums durch die Zentralperspektive und zur Neutralisierung der Zeit durch das Newtonsche Temporalmodell deutlich machen kann. Beide Dimensionen, grundlegend für jedes Wirklichkeitsmodell, wurden im Verlauf des modernen Wissens so konzipiert, dass sie menschlichem Zugriff und Einfluss entzogen erschienen und nur mehr als Container des sich darin abspielenden Geschehens dienten. In diesem Rahmen etablierten sich dann auch die klassischen historischen Beschreibungsweisen, die Zeit als ein Medium verstanden, in dem die Gegenstände historischer Betrachtung situiert sind – anstatt dieses Medium selbst zum Gegenstand der Betrachtung zu machen.

Zweitens geht es um die Möglichkeiten des diskursiven Wissens, und diese bestehen vor allem in der Infragestellung der modernen Neutralisierungseffekte. Mit Rückbezug auf Saussure (aber auch zahlreiche andere, häufiger genannte Gewährsleute aus Physik, Malerei, Literatur etc.) sieht Ermarth das diskursive Wissen geprägt durch die Aspekte Differenz, Sprache sowie die Distanz zwischen (sprachlichem) System und (realisierter) Praxis. Auf Basis dieser theoretischen Prämissen ist es im Rahmen diskursiven Wissens nicht mehr möglich, universale gemeinsame Nenner zum Verständnis der Welt zu benennen. Unter anderem wird damit auf theoretischer Ebene die Unmöglichkeit zum Ausdruck gebracht, ‚Geschichte‘ als Objekt wissenschaftlichen Bemühens verfügbar zu halten beziehungsweise ihrer ‚Wahrheit‘ auf den Grund gehen zu wollen. In unabwendbarer Weise bestimmt das diskursive Wissen ‚Geschichte‘ als Funktion einer jeweiligen Gegenwart.

Drittens geht es um die Auswirkungen des diskursiven Wissens insbesondere auf die Produktion von ‚Geschichte‘. In Zweifel gezogen wird damit unter anderem das moderne Subjekt als mit sich selbst identische und handlungsmächtige Schaltstelle historischer Prozesse. Demgegenüber ist auch der diskursive Subjektbegriff geprägt durch differenztheoretische Grundlagen, insofern Individuen niemals nur in ein System, sondern immer in mehrere diskursive Systeme gleichzeitig eingebunden sind. Mit Blick auf die historische Zeit ergeben sich aus den Überlegungen Ermarths möglicherweise die interessantesten, weil bisher noch eher spärlich bedachten Konsequenzen, wenn Zeit nämlich nicht mehr als Rahmung verstanden wird, in der sich Ereignisse ereignen, sondern als integraler Bestandteil solcher Geschehnisse. Auf methodischer und darstellerischer Ebene nimmt Ermarth zur Formulierung ihrer Konsequenzen zahlreiche Rückbezüge zu Literatur und Film, die sicherlich in einem weit größeren Ausmaß als bisher wichtige Anreger nicht nur für Darstellungsmöglichkeiten, sondern auch für geschichtstheoretische Grundsatzfragen sein können. Von diesen Vorbildern schaut sie sich beispielsweise den Einsatz iterativer anstatt streng chronologischer Darstellungsformen ab, die Betonung von Brüchen anstatt von Kontinuitäten in historischen Beschreibungen oder die Hervorhebung des Produktionsprozesses historischen Wissens anstatt seiner Verschleierung.

Viele Details der Studie müssen hier außen vor bleiben. Stattdessen sollen bei allen Sympathien, die man für die wesentlichen Argumente von Ermarth haben kann, argumentative Schwächen nicht unerwähnt bleiben. Das betrifft vor allem die konsequente Anwendung von Ermarths Position auf ihr eigenes geschichtstheoretisches Modell. Zwar argumentiert sie mit Blick auf dominierende Zeitkonzepte durchaus überzeugend dafür, Vorstellungen einer neutralen Newtonschen Zeit, historische Erklärungsweisen in einem kontinuierlichen und homogenen Geschichtsprozess sowie eindeutige chronologische Abfolgen historischer Epochen aufzugeben. Gleichzeitig praktiziert sie aber eben dieses Modell, wenn sie wiederholt von einer (historisch-epochalen) Ablösung des modernen Wissens durch diskursives Wissen plädiert. Die Moderne wird dabei recht klassisch zwischen ein diskontinuierliches Mittelalter und ein kontingentes, diskursives Wissen geklemmt, um damit genau das zu praktizieren, was doch angeblich so modern (und ablehnenswert) erscheint, nämlich die Zeit als Neutrum zu behandeln.

Dadurch vergibt sich Ermarth weitergehende Möglichkeiten eines Überdenkens geschichtstheoretischer Grundlagen im Rahmen des diskursiven Wissens. Wieso sollte es nicht möglich sein, oder besser gefragt: auf welche Weise sollte es möglich sein, die Parallelität und Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Gegebenheiten und ‚Epochen‘ zu thematisieren, heißen diese nun Moderne, Postmoderne, diskursives Wissen oder wie auch immer? Die jüngere Geschichte hat eindrücklich vor Augen geführt, dass wir nicht in der säkularisierten Neuzeit leben, die so lange vorausgesetzt wurde, dass vielmehr religiöse Lebensbedingungen weiterhin ihre Relevanz haben – ohne deswegen ‚vormodern‘ sein zu müssen. Für diese spezifische Tektonik paralleler historischer Wirklichkeiten fehlen noch angemessene Beschreibungsmodi. Ich fürchte, die Ausrufung einer Zeit diskursiven Wissens ist nicht die Lösung, insbesondere wenn man wie Ermarth – wenig überzeugend – den Begriff des Pluralismus zur Beschreibung dieser Wirklichkeiten ablehnt (S. 100–102).

Eine andere Form der Pluralität macht sich in dem Buch eher unangenehm bemerkbar, nämlich die Vielzahl der ursprünglichen Verwendungszusammenhänge, aus denen sich das Buch speist. Es handelt sich um eine Zusammenstellung verschiedener bereits publizierter Aufsätze, und leider lässt Ermarth das Bemühen vermissen, aus diesen verschiedenen Beiträgen tatsächlich eine Monographie zu machen. Die Argumentation baut zwar durchaus konsekutiv aufeinander auf, allerdings finden sich trotz des eher übersichtlichen Umfangs zahlreiche Wiederholungen einzelner Argumente und Beispiele, die immer wieder genannt werden. Einige Konzentrationen und Kürzungen hätten hier sicherlich gut getan.

Anmerkungen:
1 Neben zahlreichen Aufsätzen ist zu nennen: Elizabeth Deeds Ermarth, Sequel to History. Postmodernism and the Crisis of Representational Time, Princeton 1992.
2 Ermarth fasst ihren Begriff der „discursive condition“ in expliziter Parallele zu Jean-François Lyotards „La condition postmoderne“ (Paris 1979), das ins Deutsche als „Das postmoderne Wissen“ übersetzt wurde.

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