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Titel
On the Edge of the Cold War. American Diplomats and Spies in Postwar Prague


Autor(en)
Lukes, Igor
Erschienen
Anzahl Seiten
XII, 279 S.
Preis
£22.50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerhard Wettig, Kommen

Am Ende des Zweiten Weltkriegs war die Entwicklung in der ČSR – dem einzigen Land im sowjetisch eroberten Osteuropa mit demokratischer Tradition und einem demokratischen Präsidenten – für die USA der Testfall für das Verhältnis zur UdSSR. Würde sie das respektieren? War Demokratie in Stalins Machtbereich möglich? Auf einer breiten Basis amerikanischer und tschechischer Archivalien sowie Interviews mit damaligen Akteuren legt Igor Lukes dar, dass die Roosevelt-Administration bei ihrer Politik von Illusionen ausging, Eisenhower dem sowjetischen Wunsch nach Befreiung Prags durch die Rote Armee nachgab und US-Botschafter Laurence Steinhardt, der sich zuvor gegenüber dem Kreml überaus engagiert und kompetent verhalten hatte, doch nach heftiger Frustration über vorangegangene Missachtung seines Urteils und seiner Person in Washington wenig Interesse an seiner neuen Aufgabe in der ČSR zeigte, oberflächlich-schönfärberische Berichte nach Hause sandte und seine Aufmerksamkeit persönlichen Angelegenheiten zuwandte. Obwohl das State Department seinen Posten für besonders wichtig erklärt hatte, blieb er in der wichtigen Anfangszeit dem Ort seines Wirkens fern und war auch später meist abwesend, wenn dort entscheidende Dinge geschahen, vor allem als sich Anfang 1948 der Putsch der KPČ ankündigte und vollzog. Die amerikanischen Geheimdienstler agierten auf geradezu unglaublich naive und unprofessionelle Weise, waren daher ihren östlichen Widersachern nicht gewachsen und stürzten die einheimischen Kontakte und Mitarbeiter ins Verderben.

Wenn das amerikanische Personal in Prag seinen Aufgaben gerecht geworden wäre, hätte sich, so meint Lukes in Unkenntnis vor allem der sowjetischen Quellen, die kommunistische Machtergreifung verhindern lassen. Dabei bleibt die zentrale Rolle von Beneš als politischer Verbündeter des Kremls außer Betracht. Dieser hatte schon in den 1930er-Jahren eine enge Verbindung zur UdSSR gesucht und bei seiner Abreise aus Prag im Herbst 1938 gemäß einer Weisung Stalins einen großen Geldbetrag erhalten1. Ende 1943 reiste Beneš nach Moskau, um dort Unterstützung für seinen Plan der totalen „Abschiebung“ (odsun) der Minderheiten, vor allem der Deutschen, zu erlangen. Wie er voraussah, gab es dort – anders als im Westen – keine Bedenken dagegen, und er setzte sich daher mit aller Kraft dafür ein, dass sein Land bei Kriegsende in der Hand der Roten Arme sein würde. Er versprach Stalin und Molotov unbedingte und restlose außen-, sicherheits- und militärpolitische Gefolgschaft und akzeptierte alle Forderungen der Exilkader der KPČ, denen er schon von sich aus die Spitzenrolle in der ČSR zubilligte. Das wurde der Auftakt zu einem Prozess, in dessen Verlauf er immer mehr innenpolitische Zugeständnisse machte. Das erlaubte es den Kommunisten nach dem Kriegsende, entscheidende Positionen zu besetzen und die demokratischen Institutionen zu unterwandern. Damit war die Machtfrage faktisch schon entschieden, als die sowjetische Seite im Herbst 1947 erkannte, dass die KPČ bei den Wahlen im nächsten Jahr die – zur Rechtfertigung der künftigen Parteidiktatur ins Auge gefasste – absolute Mehrheit verfehlen und starke Stimmenverluste erleiden werde. Dem daraufhin im Februar 1948 eingeleiteten Putsch standen die demokratischen Kräfte rat- und hilflos gegenüber. Beneš, der untätig zusah, wurde von Emissären Stalins durch Erpressung zum Rücktritt genötigt.2

Die Transformation der ČSR zu einer Satrapie des sowjetischen Imperiums beruhte mithin nicht darauf, dass sich die Kommunisten vor Ort die durch die Präsenz der sowjetischen Panzer geschaffene Lage für ihre Zwecke zunutze machten, sondern war das Ergebnis eines langfristig angelegten, auf die Moskau Exil-KPČ gestützten Konzepts der UdSSR, in dem Beneš die ihm zugewiesene Rolle spielte. Die USA hätten allenfalls dann, wenn sie nach Prag und noch darüber hinaus vorgedrungen wären, eine gewisse Chance zur Einflussnahme auf das politische Schicksal des Landes gehabt. In der Annahme, dass Stalin dafür zumindest in der ČSR die demokratische Ordnung respektieren werde, suchten aber nicht nur Eisenhower und längere Zeit auch Truman auf Stalins Wünsche einzugehen, und hielten daher den Aufbau von Positionen der Gegenmacht nicht für angebracht. Dazu trug Beneš bei, indem er dem Kreml möglichst viele Trümpfe gegenüber den Westmächten zuspielte und in Washington – etwa im Gespräch mit Roosevelt – den Eindruck verbreitete, sein gutes Verhältnis zu Stalin sei geradezu ein Glücksfall für die amerikanische Politik. Der „metaphysische Glaube an Beneš“, den Lukes in diesem Kontext feststellt, veranlasste die USA dazu, die Dinge laufen zu lassen, wo energisches Handeln geboten gewesen wäre, und mag auch erklären, wieso Botschafter Steinhardts Passivität vom State Department kritiklos hingenommen wurde.

Die Amerikaner täuschten sich auch, als sie davon ausgingen, die UdSSR betreibe gegenüber der ČSR eine wesentlich andere Politik als sonst im eroberten Osteuropa. Der Unterschied war nur, dass Stalin wegen der Tatsache, dass er hier einen anerkannten nationalen Führer als Gallionsfigur hatte, weniger Gebrauch von der Roten Armee machen musste. Das hätte er offensichtlich überall vorgezogen, denn er wollte die Anti-Hitler-Koalition der Kriegszeit mit den angelsächsischen Mächten fortsetzen, um keine Konfrontation mit den weit stärkeren USA zu riskieren und sich deren materielle Hilfe für sein weithin kriegszerstörtes Land zu verschaffen, ohne darum auf die Transformation von Herrschaft und System in den eroberten Ländern zu verzichten. Deshalb bedurfte es einer demokratischen Fassade, die dem Westen den Eindruck vermittelte, dass die innenpolitische Entwicklung in seinem Sinne verlaufe. Das ließ sich am besten machen, wenn die Sowjetmacht im Hintergrund blieb und scheinbar eine nicht-kommunistisch dominierte einheimische Führung die Entscheidungen traf. Nur wenn sich das wegen der bestehenden Umstände nicht so machen ließ, wie dies außerhalb der ČSR stets der Fall war, kam die Macht der Roten Armee zum Einsatz. Stalins Maßnahmenkatalog war aber überall identisch: Die gleichen „demokratischen Reformen“ zielten darauf ab, am Ende den Sowjetsozialismus und die Diktatur der Partei zu etablieren.3

Dazu gehört die – von der amerikanischen Botschaft erstaunt registrierte – Nationalisierung der größeren Industriebetriebe, des Bankwesens, der Energiewirtschaft, des Bergbaus usw., insgesamt ein Schritt, der die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt zu mehr als zwei Dritteln in die Hand linker, zumeist kommunistischer Funktionäre brachte, auch die nicht betroffenen Betriebe abhängig machte und nicht nur das Großbürgertum, sondern auch weite Teile der Mittelschichten in den Städten ihrer ökonomischen Basis beraubte. Mit gleicher Ausrichtung wurde auch eine Währungsreform durchgeführt. Wie rücksichtslos der Kreml mit Beneš umsprang und wie willig sich dieser auch dann fügte, zeigen die von Lukes neu ans Licht gebrachten Vorgänge um die Rückkehr nach Prag 1945. Der Präsident wurde dazu veranlasst, auf die Reisekameradschaft anderer Mitglieder seiner Londoner Exilregierung zu verzichten (denen sehr lange keine Heimkehr ermöglicht wurde), den Weg über Moskau zu nehmen und dort geheimdienstliche Begleitung zu akzeptieren, die ihn gegen die Außenwelt abschirmte. Nachdem er im slowakischen Košice die Unterschrift unter das Regierungsprogramm gesetzt hatte, das im Kreml formuliert worden war, folgte er unterwegs der sowjetischen Order, die Weiterreise nach Prag länger zu unterbrechen. Dort wurden inzwischen mit sowjetischer Hilfe Verhältnisse und Strukturen festgezurrt, welche die Grundlage für die Kontrolle der KPČ über wichtige Gesellschaftsbereiche und Machtapparate legten.

Im Lande herrschte eine scharf antideutsche Stimmung. Die Furcht vor einer Wiederholung dessen, was man unter dem NS-Regime erlebt hatte, wurde von den Kommunisten mit großem Erfolg für ihre Zwecke instrumentalisiert. Die – sofort eingeleitete – Vertreibung der Deutschen aus dem Sudetenland galt allgemein als richtig und billig. Man könne doch mit Angehörigen dieses Volkes nicht länger in einem Staat zusammen leben. Ihnen gegenüber kam es zu nicht wenigen blutigen Ausschreitungen, denen nur die Amerikaner in den von ihnen besetzten Westgebieten Einhalt geboten. Botschafter Steinhardt hielt die Entfernung des deutschen Elements für richtig, bezeichnete in den Berichten nach Washington Presseartikel in den USA über tschechische Gräueltaten als gefälscht oder zumindest übertrieben und verhinderte die Weiterleitung eines Berichts, den ein amerikanischer Offizier als Augenzeuge verfasst hatte. Beneš spielte zwar nach außen hin die entscheidende Rolle und hatte mit seinen Stellungnahmen große Resonanz im Volk, konnte aber vom Hradschin aus nur wenig Einfluss auf die Tätigkeit der Parteien nehmen, unter denen sich die KPČ zunehmend selbstherrlich gebärdete. Die Erwartung, von welcher der Präsident beharrlich ausging, erfüllte sich nicht: Die UdSSR und die Kommunisten waren nicht willens, seine großen Zugeständnisse damit zu honorieren, dass sie die demokratische Ordnung im Innern nicht antasteten. Seine Politik lief faktisch darauf hinaus, dass er sein Land um seines Vertreibungszieles willen der Sowjetunion total auslieferte.

Das Werk von Lukes beruht auf einer Fülle von guten Quellen, ist einwandfrei recherchiert und klar formuliert. Diese Merkmale und die hervorragende wissenschaftliche Qualität der Untersuchung insgesamt machen es für jeden unerlässlich, der sich mit der Entwicklung der ČSR in den ersten Nachkriegsjahren, mit der damaligen Errichtung der kommunistischen Herrschaft und mit der Politik der USA an der Schwelle des Kalten Kriegs befasst. Fügt man den Forschungsergebnissen von Lukes die anderswo gewonnenen Erkenntnisse über das asymmetrische Zusammenspiel von Beneš mit Stalin hinzu, entsteht ein umfassendes Bild des tschechoslowakischen Sonderfalls bei der Entstehung des äußeren Imperiums der UdSSR.

Anmerkungen:
1 Pavel Sudoplatov, Specoperacii. Lubjanka i Kremľ, 1930–1950 gody, Moskau 1998, S. 140f., 367; V.V. Mar'ina, Čechoslovacko-sovetskie otnošenija v diplomatičeskich peregovorach 1939–1945 gg., in: Novaja i novejšaja istorija, 4/2000, S. 146.
2 Gerhard Wettig, Beneš, Stalin, die Vertreibung der Deutschen und die Sowjetisierung der Tschechoslowakei, in: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 2013, S. 57–89.
3 Donal O'Sullivan, Stalins "Cordon Sanitaire". Die sowjetische Osteuropapolitik und die Reaktionen des Westens, Paderborn 2003; Gerhard Wettig, Der Tjul'panov-Bericht, Göttingen 2012, S. 29–40.

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