E. Meyer: The Inscriptions of Dodona

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Titel
The Inscriptions of Dodona and a New History of Molossia.


Autor(en)
Meyer, Elizabeth A.
Reihe
Heidelberger althistorische Beiträge und epigraphische Studien 54
Erschienen
Stuttgart 2013: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
201 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Yves Löbel, Institut für Geschichte, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Seit den umfangreichen Studien von Franke, Hammond und Cabanes1 galten deren Ergebnisse – von Detailfragen abgesehen – als allgemein akzeptierte Kernpunkte der molossischen Geschichte des 4. und 3. Jahrhunderts v.Chr. Jedoch stützen sich die Erkenntnisse zu diesem Stamm in Epeiros in wesentlichen Punkten auf die keineswegs sichere Datierung einiger Inschriften aus Dodona. Dieses Problem ist der Autorin der vorliegenden Studie bewusst. Ihr Anliegen ist es daher, genau diese Datierungen erneut zu untersuchen und auf der Grundlage dieser Ergebnisse eine Neubewertung der Geschichte der Molosser im 4. und 3. Jahrhundert v.Chr. vorzunehmen. Dazu zieht Elizabeth A. Meyer in großem Umfang die epigraphischen Quellen, vor allem Freilassungs- und Weihurkunden aus Dodona, heran, lässt aber auch die Einbeziehung anderer Quellengattungen zur Untermauerung ihrer Aussagen nicht zu kurz kommen. Die Auswertung der neuesten Literatur, vor allem zu den epigraphischen Zeugnissen2, ist im geleisteten Umfang ebenfalls vorbildlich.

Meyer gliedert ihre Studie in vier Kapitel: Im ersten Kapitel wird die bisherige Sicht der Forschung kurz dargestellt (S. 13–17). Das zweite Kapitel widmet sich der Erstellung von Kriterien zur Datierung der molossischen Inschriften, welche auf dieser Grundlage dann neu datiert werden (S. 18–45). Danach werden im dritten Kapitel sieben wichtige Details der molossischen Geschichte unter Berücksichtigung der Neudatierungen untersucht (S. 46–113), bevor Meyer im abschließenden vierten Kapitel eine auf den gewonnenen Erkenntnissen beruhende Geschichte von Molossia verfasst (S. 114–135). Daran schließen sich ein umfangreicher epigraphischer Appendix und die üblichen Indices an (S. 136–201).

Die im ersten Kapitel umrissene Darstellung der bisherigen Sicht der Forschung auf die molossische Geschichte ist zwar überwiegend präzise, fällt aber leider recht knapp aus. Es fehlt an dieser Stelle die Betrachtung der Forschungsdiskussion zum Eidwechsel von Passaron3, der für die rechtliche Stellung der molossischen Könige von entscheidender Bedeutung ist. Im zweiten Kapitel präsentiert Meyer zunächst zwei Datierungskriterien für die vorliegenden Inschriften – ein starkes (Datierungsformel und Namen) und ein schwaches Kriterium (Buchstabenformen und Besonderheiten des bearbeiteten Materials). Insgesamt bietet Meyer eine präzise Analyse des vorhandenen Quellenmaterials, wenngleich das schwache Kriterium auch schwach bleibt, da nach der vorgenommenen Neudatierung fast aller Inschriften ins 3. Jahrhundert v.Chr. (siehe Tabelle S. 42) die dafür herangezogene Vergleichsgrundlage aus dem 4. Jahrhundert paradoxerweise verloren geht.4 Dieser Umstand führt dazu, dass auch epigraphische Entwicklungen außerhalb von Epeiros herangezogen werden müssen (S. 21), die allerdings keinesfalls einen sicheren Rückschluss auf die genaue Entwicklung von Buchstabenformen und anderen epigraphischen Merkmalen bei den Molossern zulassen.

Das dritte Kapitel widmet sich zunächst der Betrachtung des molossischen Staates und seiner Könige im 4. Jahrhundert. Meyer stellt dabei fest, dass der molossische Staat entgegen der herrschenden Forschungsmeinung in dieser Zeit ein Königreich und kein Föderalstaat gewesen sei (S. 60). Die dazu herangezogene Neuinterpretation zweier Beschlüsse zur Verleihung der Politeia mit anschließender Auflistung eines Damiourgenkollegiums ist fragwürdig (S. 47ff.). So handele es sich bei den vorliegenden Inschriften, die auf demselben Stein zu finden sind, um eine spätere Abschrift; widersprüchlich ist indes Meyers Annahme, dass die unterschiedliche Orthographie beider Beschlüsse jeweils unverändert übernommen, während der Inhalt durch Einfügung zeitgenössischer Begriffe angepasst worden sei. Zweifelhaft bleibt auch die These, dass das Heiligtum von Dodona die molossische Politeia ohne Beteiligung politischer Gremien habe verleihen dürfen und es sich somit um einen religiösen und nicht um einen politischen Akt gehandelt habe. Die spätere Behauptung, die Nichtexistenz eines molossischen Föderalstaates sei auch daran zu erkennen, dass die Spartaner einen solchen Staat bei ihrer Intervention gegen die Illyrer sicherlich aufgelöst hätten (S. 62), ist sogar schlichtweg falsch.5

Im weiteren Verlauf des Kapitels stellt Meyer zu Recht eine größere Expansion des molossischen Staates im 4. Jahrhundert infrage. So weist sie darauf hin, dass Theorodokenlisten keinesfalls politische Landkarten, sondern geographische Reiserouten darstellten und daher nicht als Belege für eine politische Expansion herangezogen werden können. Auch sei laut Meyer in Epeiros gegen 330 v.Chr. kein neuer Staat entstanden und die Könige, von denen in den Quellen berichtet wird, seien demnach molossische und keine epeirotischen Könige gewesen. In diesem Punkt seien Plutarchs Schilderungen denen Diodors vorzuziehen (S. 70f.). Bezüglich der Selbstwahrnehmung der Molosser stellt Meyer fest, dass sich diese spätestens ab etwa 340 v.Chr. gleichzeitig als Molosser und als Epeiroten betrachtet hätten und so auch von Außenstehenden wahrgenommen worden seien, wie etwa die Vermischung verschiedener Ausgaben von Münzen zeige (S. 77). In ihrer Untersuchung der Entwicklung des Staates der Molosser im 4. und 3. Jahrhundert v.Chr. zeigt Meyer zudem eine Veränderung des Kollegiums der Damiourgen hinsichtlich dessen Bezeichnung und Größe auf: So seien zunächst zehn Damiourgen, später neun Hieromnamones und in der Mitte des 3. Jahrhunderts dann 15 Synarchonten als Aufseher über religiöse Angelegenheiten, nicht jedoch als politische Amtsträger feststellbar. Zu Recht wird von Meyer weiterhin darauf hingewiesen, dass Thesproter und Chaonier Alliierte, aber keine Mitglieder des molossischen Staates im 4. und 3. Jahrhundert gewesen seien. Erst im epeirotischen Koinon ab 232 v.Chr. seien die drei großen epeirotischen Stämme politisch als Bundesmitglieder vereint gewesen, wobei die Identität der drei Stämme bis 167 v.Chr. zu jeder Zeit erhalten blieb (S. 104ff.).

Im vierten Kapitel wird von Meyer nunmehr eine Neufassung der Geschichte von Epeiros präsentiert, die auf den vorherigen Kenntnissen aufbaut. Dementsprechend wird ein Föderalstaat bis 232 v.Chr. abgelehnt und die übergeordnete Rolle der molossischen Könige betont. Erst im Zeitraum von 232 bis 167 v.Chr. habe dann mit dem epeirotischen Koinon, das die epeirotischen Stämme weitestgehend vereinte, ein Föderalstaat bestanden. Meyer zieht in diesem Kapitel neben den bereits untersuchten epigraphischen auch zahlreiche erzählende Schriftquellen heran, die konsequent das bisher vermittelte Bild der epeirotischen Geschichte unterstützen. Jedoch wirkt dieses Kapitel durch oftmals kommentarlose Übernahme der blumigen Schilderungen Plutarchs bisweilen romanhaft (S. 122f. u. 128).

Die vorliegende Studie hält in der Tat das ein, was der Titel verspricht. Dennoch bleiben einige Kritikpunkte: So fehlt etwa für die Frage, ob der molossische Staat Föderalstaat oder Königreich war, eine Merkmalsdefinition beider Staatsformen. Auch der Fakt, dass die Molosser ihren König durch Beschluss zumindest theoretisch absetzen konnten, wird bei der Beantwortung dieser Frage unterbewertet. Die vorgenommenen Neudatierungen der Inschriften sind hingegen akribisch herausgearbeitet, wenngleich die vorgebrachten Argumente – wie bei den zu Recht kritisierten älteren Datierungsversuchen der Forschung – teilweise in Konjunktiven und Vermutungen stecken bleiben. Dennoch zeigen diese Untersuchungen mögliche Alternativen zur bisherigen Forschung auf. Lobenswert ist in diesem Zusammenhang der epigraphische Appendix, der neben dem Text, der Übersetzung und einem textkritischen Apparat zu den Freilassungs- und Weihurkunden auch Abrisse oder Photographien der beschriebenen Steine und Metallplaketten bietet. Problematisch für eine unvoreingenommene Interpretation der Quellen ist Meyers übermäßige Glorifizierung der Könige des 3. Jahrhunderts v.Chr. (S. 11, 90 u. 128) und ihre gleichzeitige Abqualifizierung der Könige des 4. Jahrhunderts v.Chr. als außenpolitisch unfähige Monarchen (S. 62f. u. 123).

Insgesamt handelt es sich trotz einiger Kritikpunkte bei der Studie von Meyer um eine sehr wertvolle Arbeit, die zu Diskussionen bezüglich der Datierung und Interpretation der epigraphischen Quellen aus Epeiros anregt, indem sie hierzu meist neue Ansatzpunkte aufzeigt.

Anmerkungen:
1 Peter R. Franke, Alt-Epirus und das Königtum der Molosser, Kallmünz 1955; Nicholas G. L. Hammond, Epirus. The geography, the ancient remains, the history and the topography of Epirus and adjacent areas, Oxford 1967; Pierre Cabanes, L’Épire de la mort de Pyrrhos à la conquête romaine 272–167 av. J.C., Paris 1976.
2 Es seien hier nur allgemein die zahlreichen Arbeiten von Cabanes und Dakaris erwähnt, die Meyer auch vollumfänglich auflistet (S. 170ff.).
3 Diese Diskussion wird zwar von Meyer an anderer Stelle noch geführt (siehe S. 58f.), hätte aber an dieser Stelle zumindest angerissen werden müssen.
4 Von den beiden verbleibenden Inschriften fällt zudem die ältere noch als vermeintliche Abschrift aus dem 3. Jahrhundert v.Chr. als Vergleichsgrundlage aus (S. 47f., Anm. 92).
5 Vgl. Hans Beck, Polis und Koinon. Untersuchungen zur Geschichte und Struktur der griechischen Bundesstaaten im 4. Jahrhundert v. Chr., Stuttgart 1997, bes. S. 238–248.

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