K. Hanshew: Terror and Democracy in West Germany

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Titel
Terror and Democracy in West Germany.


Autor(en)
Hanshew, Karrin
Erschienen
Anzahl Seiten
X, 282 S., 10 SW-Abb.
Preis
$ 99.00 / £ 60.00 / € 76,20
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gabriele Metzler, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Wie wehren sich liberale Demokratien gegen den Terrorismus?1 Diese Frage stellt sich nicht erst heute. Schon in den 1970er-Jahren sahen sich die Gesellschaften Westeuropas und der USA einer Welle der politischen Gewalt ausgesetzt, die mit dem staatlichen Gewaltmonopol auch liberale Rechtsstaatlichkeit radikal in Frage stellte. Eine Reihe zeithistorischer Studien hat die Motivlagen, das Wirken und die Wirkungen terroristischer Gruppen jener „bleiernen Zeit“ ausgeleuchtet, und auch über die staatlichen Reaktionen sind wir bereits gut informiert.2

Die US-amerikanische Historikerin Karrin Hanshew hat sich dem Thema noch einmal aus demokratietheoretischer Perspektive gewidmet. Sie fragt, inwiefern die Erfahrung des Terrorismus zu einem nachhaltigen Wandel des Politischen und der Staatsauffassung in der Bundesrepublik führte. In einem „Prolog“ geht sie zurück in die Ideengeschichte des 19. Jahrhunderts, als politische Akteure und Intellektuelle in Deutschland angesichts der geostrategischen Mittellage des Landes die liberale Demokratie als eine unpassende Staatsform empfanden. Zugespitzt während des Ersten Weltkriegs, formte sich diese Position während der Weimarer Republik in eine radikal anti-westliche Haltung um. Republikanische Staatsrechtler wie Gerhard Anschütz, Hans Kelsen oder Hugo Preuß argumentierten, dass eine Demokratie nur gedeihen und überleben könne, wenn sie die Unterstützung des Volkes habe; und angesichts der Krise um 1930 durfte man Zweifel haben, ob diese Voraussetzung in Deutschland gegeben war. Entsprechend plausibel klang für viele Zeitgenossen die Alternative Carl Schmitts: Entscheidend für Wohl und Wehe der Nation (nicht der Demokratie) sei am Ende die Macht der Exekutive, des Präsidenten – desjenigen, der über den Ausnahmezustand gebieten konnte. Erst im Exil gelang eine Konzeption, die die latente Schwäche jeder Demokratie aufzuheben versprach: die Idee einer „wehrhaften Demokratie“, wie sie Karl Mannheim und Karl Loewenstein nun entwickelten. Während sich Loewenstein stärker an demokratischer Militanz orientierte, waren für Mannheim Sozialplanung und Erziehung der Bürger zu geregeltem Konfliktaustrag maßgeblich für das Überleben der Demokratie.

Waren sich die beiden großen Parteien nach 1945 zwar einig darüber, dass die junge Demokratie um jeden Preis zu stabilisieren war, blieben die Mittel dazu umstritten. Denn die SPD neigte eher Mannheims Konzeption zu, die CDU hingegen Loewensteins „militant democracy“. Institutionelle Vorkehrungen wurden im Parlamentarischen Rat getroffen, um eine Wiederkehr der Staatskrise von 1932/33 zu verhindern, doch die eigentliche Nagelprobe, die Regelung des Staatsnotstands, wurde zunächst vertagt und maßgeblich alliiertem Urteil überlassen.

Mit dem Grundgesetz waren konservative Staatsrechtler höchst unzufrieden. Ein künstliches Gebilde habe man erschaffen, hieß es aus dem Umfeld Carl Schmitts – einen Staat ohne wirkliche Souveränität, dessen Exekutive schwach, das Präsidentenamt eine reine Schaufunktion sei. Solch ein schwacher Staat sei immer ein gefährdeter Staat.

Mit der Wiederbewaffnung und dem Abschluss der Pariser Verträge rückte auch die Frage nach der Notstandsverfassung wieder auf die Agenda. Die Notstandsgesetze wurden nun zu einem Dauerthema der bundesdeutschen Innenpolitik, das, so Hanshew, von der Forschung bislang zu wenig im Kontext der Debatten um wehrhafte Demokratie diskutiert worden sei (S. 63). Stattdessen sei es reduziert worden auf ein Feld opportunistischer Parteipolitik, wo es quasi als Eintrittsbillet der Sozialdemokraten in die Große Koalition wirkte. Allerdings drang die SPD auf eine wesentliche Modifikation der ursprünglichen CDU-Pläne, indem sie das Widerstandsrecht als Artikel 20 (4) ins Grundgesetz mit aufnehmen ließ.

Um unterschiedliche Deutungen von Widerstand und Widerstandsrecht organisiert Hanshew den Fortgang ihrer Untersuchung. Für die SPD lautete nach der Erfahrung des schwachen Widerstands gegen das NS-Regime ein zentrales Ziel, die Gesellschaft zum Handeln gegen antidemokratische Kräfte zu motivieren. Dass sie damit auch die Verteidigung der liberalen Demokratie und der kapitalistischen Wirtschaftsordnung meinte, stellte die Partei 1959 auf dem Godesberger Parteitag klar. Die außerparlamentarische Linke deutete Widerstand schon in den 1950er-Jahren als Handeln gegen eine Gewalt, die vom Staat ausging (und nicht, wie die SPD annahm, den Staat bedrohte). Die Beobachtung der außereuropäischen Befreiungsbewegungen während der Dekolonisation, dann aber auch innenpolitische Ereignisse wie die „Spiegel“-Affäre sowie die Rezeption der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung ließen für die Neue Linke zivilen Ungehorsam und „direkte Aktion“ zur einzig erfolgversprechenden politischen Strategie werden. Weitere Dynamik gewann ihr Protest schließlich aus der Erfahrung der Polizeigewalt um „1968“. Nach der Erschießung Benno Ohnesorgs erklärten Vertreter der radikalen Linken den Widerstand gegen eine vermeintlich kryptofaschistische Staatsgewalt zur obersten Notwendigkeit (S. 97).

1968 trat die Gewaltfrage vollends in den Vordergrund der Auseinandersetzungen innerhalb der Außerparlamentarischen Opposition. Es gab deutliche Trennlinien zwischen jenen, die neue politische Betätigungsformen jenseits der revolutionären Strategie suchten (und ihren Weg in die SPD, in Neue Soziale Bewegungen oder K-Gruppen antraten), und denjenigen, die auf Gewalt als einzige Option setzten und die Kaufhausbrandstiftung als richtiges Fanal eines neuen Aufbruchs deuteten.

Die Bundesregierung begegnete der linken Gewalt durch den Ausbau von Polizeikräften und Bundesgrenzschutz sowie die Modernisierung des Bundeskriminalamts. Gleichzeitig beschwor sie freilich auch die „Gemeinsamkeit der Demokraten“ und suchte eine gesellschaftliche Abwehrfront gegen den Terrorismus zu bilden. Mannheims Ideal einer „Erziehung zur Demokratie“ erkennt Hanshew wieder in Aufklärungs- und Informationskampagnen, wie sie beispielsweise die Bundeszentrale für politische Bildung in den 1970er-Jahren durchführte.

Mochten sich Regierung und Opposition zwar einig sein in der Verurteilung linker Gewalt und sonstiger Kriminaldelikte, so divergierten sie doch stark in ihren Erklärungen der Situation. Aus Sicht der CDU manifestierte sich im Terrorismus ein Problem des (schwachen) Staats, der härter durchgreifen müsse, um seine Dignität und Handlungsfähigkeit zu bewahren. Für die sozialliberale Koalition spiegelte der Terrorismus hingegen eher ein gesellschaftliches Problem wider, dem man im Rahmen der bestehenden Verfassung zu begegnen habe.

Mitte der 1970er-Jahre hatte die radikale Linke mit den Vorwürfen der „Isolationsfolter“ ein Thema gefunden, mit dem sie weitere Anhänger gegen die „Staatsgewalt“ zu mobilisieren suchte, und auch die Linke innerhalb der SPD verurteilte die getroffenen Maßnahmen gegen den Terrorismus als überzogen. Allerdings zeichnete sich mit den erstarkenden Ökologie- und Frauenbewegungen eine Neuorientierung des linken Gewalt- und Widerstandsdiskurses ab. Aus den Reihen des 1972 gegründeten Bundesverbands Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) wurde Kritik am Konzept der „Gegengewalt“ gegen staatliche Gewalt laut, ebenso aus der Frauenbewegung, die mehrheitlich die gewaltlose Befreiung der Frauen von patriarchalischer Unterdrückung auf ihre Fahnen geschrieben hatte und Gewalt als männlich konnotierte. Mit dem Freitod Ulrike Meinhofs standen auch andere Linke vor der Frage, wie sich fortdauernde und (noch) nicht in Frage zu stellende Solidarität mit der Roten Armee Fraktion (RAF) vereinbaren ließ mit einer Ablehnung von Gewalt, die linke Kreise (wie die Frankfurter Spontis um Joschka Fischer) nun zunehmend teilten.

Die von staatlichen Akteuren geforderten Loyalitätsbekenntnisse nach dem „Mescalero“-Nachruf auf Siegfried Buback beurteilt Hanshew kritisch, hätten sie doch bei ihrer Empörung über die „klammheimliche Freude“ über den Buback-Mord nicht beachtet, dass „Mescalero“ sich eigentlich von Mord als Mittel der Politik distanziert habe (S. 199). Mit der Entführung und Ermordung Hanns Martin Schleyers erreichte das Ringen um die Legitimität von Gewaltausübung einerseits und um das Gewaltmonopol eines liberalen Rechtsstaats andererseits seinen Höhepunkt. Zwar verwahrte sich die SPD nach wie vor gegen Forderungen der Opposition, unnachgiebige Härte zu zeigen, doch suspendierte sie mit der Kooperation im Großen Krisenstab faktisch die Verfassung, wurde das Parlament doch umgangen. Die intensivierte Fahndung wie auch Ad-hoc-Maßnahmen (etwa das Kontaktsperregesetz) deuteten die Sozialdemokraten als notwendige gesetzliche Korrekturen, um loyale Bürger zu schützen; die Christdemokraten hingegen erkannten hier erste Schritte eines entschlosseneren Staats. Seit dem Erfolg der GSG 9 in Mogadischu machte die SPD, so Hanshew, ihren Frieden mit dem staatlichen Handeln gegen den Terrorismus; die Demokratie hatte sich als wehrhaft erwiesen.

Nach dieser Erfahrung gingen auch Vertreter der außerparlamentarischen Linken auf Distanz zur RAF. Abgesehen von einzelnen Gruppierungen wie den Autonomen erkannten sie die Bundesrepublik nun als legitimen Staat an, den es nicht mit Gewalt, sondern durch eine engagierte Gegenöffentlichkeit zu kritisieren und verändern gelte (S. 245). Bei den Konservativen waren ähnliche Lernprozesse zu beobachten, gerieten doch die Positionen der Hardliner um Franz Josef Strauß ins Hintertreffen (S. 256). Insgesamt lässt sich die Erfahrung und Nachgeschichte des „Deutschen Herbsts“ in Hanshews Lesart deuten als Aussöhnung der Bundesrepublik mit sich selbst – als wehrhafte Demokratie und als liberaler Rechtsstaat.

Karrin Hanshews Studie hat ihre Stärken besonders im Entwurf längerer historischer Bögen und in der Analyse der Kontinuitäten in Konzeptionen „wehrhafter Demokratie“ von den 1930er- zu den 1970er-Jahren. Mit ihrem Fokus auf das sich wandelnde Verständnis von „Widerstand“, auf seine Ummünzung zum politischen Mobilisierungsbegriff bei gleichzeitiger konstitutioneller Verankerung, gelangt sie zu neuen Einsichten. Wenig innovativ dagegen sind ihre Befunde hinsichtlich der Anti-Terror-Politik der sozialliberalen Regierung sowie zur Zivilisierung der Staatsgewalt durch die Auseinandersetzungen mit dem Terrorismus der 1970er-Jahre.3 Methodisch bewegt sie sich durchweg im Rahmen einer konventionellen Politik-, Ideen- und Diskursgeschichte. Kurz: Die Studie sensibilisiert uns sehr überzeugend dafür, Probleme der Terrorgeschichte der 1970er-Jahre in einen viel weiteren Rahmen des Ringens um die Stabilität liberaldemokratischer Ordnungen einzubetten – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Anmerkungen:
1 In der zeithistorischen Forschung besteht weithin Konsens darüber, dass „Terrorismus“ ein Quellenbegriff und entsprechend zu problematisieren ist. Aus Gründen der Lesbarkeit und weil sowohl in der Alltagssprache als auch in Hanshews Untersuchung ganz selbstverständlich von Terrorismus die Rede ist, verwende ich den Begriff hier ohne Anführungszeichen.
2 Als Einstieg siehe etwa die Bibliographie (mit Rezensionsnachweisen) unter <http://www.zeitgeschichte-online.de/thema/neue-buecher-zum-thema-raf-im-spiegel-der-kritik> (09.06.2013).
3 Dazu v.a. Stephan Scheiper, Innere Sicherheit. Politische Anti-Terror-Konzepte in der Bundesrepublik Deutschland während der 1970er Jahre, Paderborn 2010 (rezensiert von Dominik Rigoll, in: H-Soz-u-Kult, 16.03.2011, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2011-1-193> [09.06.2013]); Holger Nehring, The Era of Non-Violence: ‚Terrorism‘ and the Emergence of Conceptions of Non-Violent Statehood in Western Europe, 1967–1983, in: European Review of History 14 (2007), S. 343–371.

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