S. Schima: Papsttum und Nachfolgebeeinflussung

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Titel
Papsttum und Nachfolgebeeinflussung. Von den Anfängen bis zur Papstwahlordnung 1179


Autor(en)
Schima, Stefan
Reihe
Kirche und Recht 26
Erschienen
Freistadt 2011: Plöchl
Anzahl Seiten
XXVI, 466 S.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rainer Murauer, Historisches Institut beim Österreichischen Kulturforum in Rom

In einem Jahr, in dem scheinbar Undenkbares geschieht und ein Papst aus freien Stücken zurücktritt, gewinnt dieses 2011 in einem kleinen, im oberösterreichischen Mühlviertel beheimateten Verlag erschienene Buch, das auf einer im Wintersemester 2003/2004 an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien angenommenen Habilitationsschrift beruht, erst recht an Bedeutung. Denn in keiner anderen Konstellation kann ein Papst eher Einfluss auf seine Nachfolge nehmen. Maßgeblich ist ferner, dass es der Papst allein ist, der den Modus der Wahl festlegt und den Kreis der Wähler bestimmt, weil er die Kardinäle ernennt. Ein lange dauernder Pontifikat ermöglicht einem Papst die Erneuerung des gesamten Wahlkollegiums; durch gezielte Berufungen kann er wenigstens die Hoffnung haben, dass ihm nahestehende Persönlichkeiten auch einen Nachfolger wählen, der in seinem Sinn ist. Argumente für die Einsetzung eines Nachfolgers wären etwa die Vermeidung von Vakanzen und Schismen, dagegen spräche die drastisch erhöhte Gefahr des Nepotismus.

Das Thema wurde schon Ende des 19. Jahrhunderts in einer Schweizer Dissertation von Karl Holder1 aufgegriffen, die zu einer lebhaften Diskussion in der Scientific Community führte. Holder beschränkte sich nicht auf die im Titel seines Werks angeführte Designation, die er als Bestellung des Nachfolgers ohne Berücksichtigung der Wähler definierte, sondern ging über die selbst gesteckte Grenze hinaus und untersuchte auch die häufiger vorgekommenen Nachfolgeempfehlungen, die vom Designierenden an die Wahlberechtigten gerichtet waren. Während Holder, dessen Arbeit die Entwicklung bis Alexander VIII. (1689–1691) berücksichtigt, mit 113 Seiten auskommt, umfasst Schimas Band ohne Berücksichtigung von Quellen- und Literaturverzeichnis sowie Personenregister 403 Seiten. Er erweitert den Rahmen abermals und beschreibt ihn mit dem Terminus „Nachfolgebeeinflussung“. Zu neuen Einsichten gegenüber Holder kommt Schima etwa beim Wechsel von Stephan II. (III.) zu seinem Bruder Paul I. (757–767), den er als wesentlichen Bestandteil des karolingisch-päpstlichen Bündnisses begreift, wenn er auch vielleicht nie mit Pippin dem Jüngeren akkordiert war (S. 178–183). Verwandtschaftliche Beziehungen zwischen in kurzen Abständen aufeinander folgenden Päpsten sind aber kein eindeutiger Beleg für eine Nachfolgebeeinflussung durch den Vorgänger; vielmehr kam dem Familienoberhaupt die ausschlaggebende Rolle zu, so bei den Tuskulanerpäpsten des 11. Jahrhunderts.

Die Designationsfrage stellte sich übrigens schon am Beginn der Papstgeschichte, Clemens I. (88–97) soll laut dem apokryphen Clemens-Brief an Jakobus, den Paucapalea dem Decretum Gratiani beifügte (C. 8 q. 1 c. 2), von Petrus designiert worden sein; nichtsdestotrotz gibt es dafür keinen sicheren Beleg. Eine eindeutig belegbare und erfolgreiche Papstdesignation gab es übrigens nur einmal, als Felix IV. (526–530) Bonifaz II. (530–532) zu seinem Nachfolger bestimmte. Wie umstritten diese Vorgangsweise war, lässt sich daran ermessen, dass der Senat eingriff und der Klerus einen Gegenpapst (Dioskur) wählte. Bonifaz setzte sich durch – weniger wegen der Designation als vielmehr wegen des raschen Todes seines Kontrahenten. Eine Designation des Hormisdas (514–523) gilt zumindest als wahrscheinlich. Eventuell können die Ereignisse von 1045, als Benedikt IX. die Papstwürde an Gregor VI. gegen finanzielle Kompensation abtrat, noch dazugezählt werden.

Das Designationsrecht scheint die römische Synode vom 1. März 499 unter Papst Symmachus (498–514) vorauszusetzen, da sie Vorkehrungen für den Fall trifft, dass ein plötzlich verstorbener Papst dieses ihm offenbar zustehende Recht nicht mehr wahrnehmen konnte. Nach Holder war die Synode von dem Wunsch motiviert, die Eingriffe der weltlichen Gewalt in die Papstwahl zu unterbinden. Das die Designation durch den Papst beschreibende Verbum decernere impliziert einen maßgeblichen Einfluss, zumal die Designierten in der Regel auch gewählt wurden. Zwar wurde dieser Kanon in das Decretum Gratiani aufgenommen (D. 79 c. 10), doch wurde er später von den Dekretisten zu einer bloßen Nachfolgeempfehlung an das Kollegium der Wähler umgedeutet (S. 396). Am Ausführlichsten behandelt Huguccio dieses Problem (Glosse zu C. 8 q. 1 pr., s. v. quidam): decernere bedeutet für ihn hier beraten, de electione nicht Wahl durch den Papst, sondern eine Wahl der Kardinäle nach dem Tod des Papstes (S. 396). Das Dekret enthält auch ein Dictum Gratians zu einem Kanon des Zweiten Lateranum (c. 16), das Bischöfen die Einsetzung eines Nachfolgers (instituere) untersagt, wohl aber in eine Nachfolgeempfehlung mündet. Auch wenn das Zweite Lateranum das decernere des Symmachus nicht aufgreift, so hat es zweifellos dem Vorschlag eines Amtsinhabers große Bedeutung zugemessen. In ähnlicher Weise argumentierten auch andere Dekretisten, deren Kommentare Schima ausgiebig referiert (S. 328–333). Die immer wieder als vermeintliche Tatsache erörterte Designierung des Clemens wird durchwegs – auch von den Dekretisten – als ungeeignetes Vorbild für künftige Nachbesetzungen verworfen, da es kaum möglich sei, einen Kandidaten mit dessen Vorzügen zu finden.

Nach Holder waren Designationen durch den Vorgänger immer dann wirksam, wenn der weltliche, vor allem kaiserliche Einfluss auf die römische Kirche gering war (so zur Zeit der Gregorianischen Reform). Im umgekehrten Falle, etwa unter den Ottonen oder unter Heinrich III., traten kaiserliche Designationen an die Stelle der päpstlichen. Das Papstwahldekret von 1059 begünstigte den Erfolg von Designationen, da es das Wahlrecht allein den Kardinälen übertrug, während die Einführung der Zweidrittelmehrheit auf dem Dritten Lateranum (1179) erfolgreiche Designationen erschwerte oder gar unmöglich machte. Die Durchsetzung der Exklusive machte schließlich der Designation endgültig den Garaus. ‚Starken‘ Päpsten mag man am ehesten den Versuch zutrauen die Nachfolge zu regeln. Der Nachweis im Einzelfall bleibt jedoch stets schwierig. Selbst über den letzten Willen Gregors VII., der von überdurchschnittlich vielen Quellen berichtet wird, lässt sich keine Klarheit gewinnen. Hat er Abt Desiderius von Monte Cassino, der schließlich als Viktor III. den Stuhl Petri bestieg (1086–1087), vor allen anderen Kandidaten genannt oder hat er gerade ihn von der Nachfolge ausschließen wollen? Letzteres wird wegen des zeitweise gespannten Verhältnisses zwischen Gregor und Desiderius von den meisten Forschern angenommen, auch Schima tendiert vorsichtig zu dieser Auffassung (S. 304–306). Da Gregor jedenfalls mehrere Kandidaten genannt hat, unter denen sich auch der spätere Urban II. (1088–1099) befand, hat er den Wahlakt als entscheidend für die Nachfolgeregelung nicht in Frage gestellt. Viktor III. schrieb den Kardinälen und Bischöfen gar vor (monuit atque praecepit), Oddo von Ostia (Urban II.) zu wählen, schränkte diese Anweisung nach dem Bericht der Chronik von Monte Cassino aber gleich wieder ein: quousque id facere possitis. Von der Designation bleibt also wiederum nichts übrig, auch Viktors Akt ist mit Schima als Empfehlung zu klassifizieren (S. 308f.).

Ferner beschäftigt sich Schima mit der Thematik des Nachfolgeausschlusses, den er als „negative Designation“ bezeichnet. Hierunter fällt etwa die Besetzung eines auswärtigen Bischofsstuhles mit einer dem Papst missliebigen Person, was zumindest so lange eine funktionierende Strategie war, als der Bistumswechsel in der Kirche verboten war (bis ins 10. Jahrhundert), der Betreffende also nicht zum Bischof von Rom gewählt werden konnte. Ein anderes Instrument war die Exkommunikation, die den Verlust des passiven Wahlrechts nach sich zog: Leo IV. (847–855) ging auf diese Weise gegen Anastasius Bibliothecarius vor (850, 853), ohne verhindern zu können, dass dieser nach Leos Tod doch zum Gegenpapst von Benedikt III. (855–858) gewählt wurde; Gregor VII. suchte so die allgemeine Anerkennung des Gegenpapstes Clemens III. (1080–1100) zu verhindern.

Die von etlichen Forschern, insbesondere Walter Ullmann, als institutionalisiert angenommene Anwartschaft des Archidiakons der römischen Kirche auf die Papstnachfolge widerlegt Schima unter Hinweis auf den häufig als Paradebeispiel genannten Leo I. (440–461), der zwar tatsächlich das Amt des Archidiakons innehatte, jedoch nicht nur unter seinem Vorgänger, sondern auch schon unter seinem Vorvorgänger, also mindestens bei einer Papstwahl (432) nicht zum Zuge kam. Auch wenn Archidiakone als Aspiranten auftraten, ist in den Quellen von deren Anwartschaft keine Rede. Zudem weist Schima nach, dass die Zahl der nachgewiesenen Archidiakone, die bei der ersten Gelegenheit zum Papst gewählt wurden, viel zu gering ist, um daraus etwas ablesen zu können (S. 113).

Von den Anfängen bis 1179 beschreibt der Autor die Entwicklung des Themas. Das Jahr 1179 bietet sich als naheliegender Endpunkt an, da auf dem Dritten Laterankonzil entscheidende, bis in die Gegenwart wirkende Weichenstellungen getroffen wurden. Das Kriterium der maior et sanior pars wurde ebenso verworfen wie die Unterscheidung von Wählern und Konfirmatoren. Da es bei einer Papstwahl keine höhere Instanz gibt, war und ist ein Rekurs nicht möglich, die Kardinäle fungieren zugleich als Wähler und Konfirmatoren. Die zeitliche Begrenzung hat zur Folge, dass der für die künftige Beurteilung der Abdankungsfrage maßgebliche Rücktritt Cölestins V. (1294) nach einem nur wenige Monate dauernden Pontifikat nicht mehr in Schimas Untersuchungszeitraum fällt. Somit fehlt auch eine Erörterung der oft diskutierten Frage, ob Cölestin mit diesem Schritt die Wahl Benedikt Caetanis (Bonifaz VIII.) beeinflusst hat.

Schima analysiert jeden einzelnen Pontifikat in chronologischer Reihenfolge im Hinblick auf die Weichenstellungen für die Nachfolge; Quellen und Literatur werden ausführlich, gelegentlich sogar erschöpfend referiert und erörtert sowie einer durchweg souveränen Beurteilung unterzogen. Bei den den Päpsten beigegebenen Ordnungszahlen wäre eine strikte Orientierung am offiziellen Verzeichnis im Annuario Pontificio hilfreich gewesen. Dort werden zum Beispiel den Päpsten des Namens Stephan seit dem erwähnten Stephan II. (III.) zwei Zahlen beigegeben, da dessen gleichnamiger Vorgänger, der nicht geweiht werden konnte, seit 1961 nicht mehr als Papst geführt wird. Manche Formulierungen Schimas bleiben auch nach intensiver Reflexion rätselhaft: Aus der Überschrift zu Decretum Gratiani D. 79 v. 10 (Si Papa de electione sui successoris decernere non poterit) will er apodiktisch „erkennen: Der Papst kann über die Nachfolge nicht entscheiden“ (S. 325), doch ist gerade dieser Kanon der einzige, der ein Designationsrecht zumindest andeutet; Schima widerspricht hier seiner eigenen Argumentation. Gelegentliche vielleicht im Journalismus, nicht aber in einer wissenschaftlichen Publikation tolerierbare saloppe Beschreibungen (schon auf S. 7 ist von einer „Pole-Position im Bewerb um die Nachfolge“ die Rede; im Zusammenhang mit kurzen Pontifikaten wird auf S. 181 von einer hohen „Säuglingssterblichkeitsrate“ unter Päpsten gesprochen) fallen unangenehm auf, können den überaus positiven Gesamteindruck aber nicht nachhaltig trüben.

Anmerkung:
1 Karl Holder, Die Designation der Nachfolger durch die Päpste, Freiburg 1892.

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