E. Isenmann: Die deutsche Stadt im Mittelalter 1150–1550

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Titel
Die deutsche Stadt im Mittelalter 1150–1550. Stadtgestalt, Recht, Verfassung, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft


Autor(en)
Isenmann, Eberhard
Erschienen
Köln 2012: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
1129 S.
Preis
€ 99,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Reichert, Themenverbund "Urbane Zentren und europäische Kultur in der Vormoderne", Universität Regensburg

Die Neuauflage eines Standardwerkes zu besprechen, ist selten eine leichte Aufgabe – im Falle von Eberhard Isenmanns „Die deutsche Stadt im Mittelalter“ sogar im wahrsten Sinne des Wortes: Auf stolze 1129 Seiten ist die Neubearbeitung des Buches angewachsen. Seit Erscheinen der ersten Ausgabe im Jahre 1988 gehört das Handbuch zu den bekanntesten Überblicksdarstellungen der mittelalterlichen Stadtgeschichte. Zwar erschienen in den vergangenen Jahren verschiedene Handbücher zum Thema, beispielsweise „Die Stadt im Mittelalter“ von Frank G. Hirschmann 1 oder „Die mittelalterliche Stadt“ von Felicitas Schmieder, Isenmanns „Stadt im Mittelalter“ wurde dadurch aber keinesfalls obsolet – zumal die jüngeren Publikationen gemäß der Vorgaben der jeweiligen Reihen einen deutlich geringeren Umfang aufweisen. Zudem hat ‚der Isenmann‘ auch den Charakter eines Nachschlagewerkes, gerade zu rechtlichen Aspekten der Stadt, was ihn nicht nur bei Studierenden unersetzlich machte.

Nicht nur im Aufbau, sondern auch thematisch bleibt Isenmann seinem ursprünglichen Konzept treu mit der Einteilung in neun große Themenfelder: Dem Kapitel „Stadt und ihre Bewohner“ (1) folgen die Aspekte „Recht“ (2), „Stadttypen“ (3), „Stadtregiment“ (4), „Stadt und Kirche“ (5), „Stadt-Umland“ (6), „Sozialstruktur“ (7), „Sozialformen“ (8) und „Wirtschaft“ (9); lediglich die Kapitelüberschriften wurden teilweise angepasst. Ob des hohen Bekanntheitsgrades des Buches soll im Folgenden weniger die Konzeption des Handbuchs ans sich im Vordergrund stehen als vielmehr nach dem Mehrwert der Überarbeitung gefragt werden. Der deutlich erweiterte Umfang wurde bereits angesprochen. Um fast zwei Drittel ist die 2012 im Böhlau Verlag erschienene Neufassung angewachsen. Dabei wurde auch der zeitliche Rahmen erweitert, der Untertitel lautet nun „1150 bis 1550“. Das Buch überschreitet damit die klassischen Epochengrenzen, die in der Erstausgabe zwar eingehalten, aber bereits in der Einleitung für die Stadtgeschichtsforschung als nur bedingt geeignet erkannt wurden.

Im Mittelpunkt steht nach wie vor die spätmittelalterliche Stadt im Sinne des Weberschen Idealtyps, doch war es sicherlich eine angemessene Entscheidung, das mittelalterliche Städtewesen aus der vermeintlichen Isolation des Spätmittelalters heraus zu lösen. Mit der größeren chronologischen Breite gelingt es Isenmann, sowohl die im ersten Band etwas vernachlässigten Entwicklungsstrukturen der früh- und hochmittelalterlichen Stadt zu beleuchten als auch die im 16. Jahrhundert teilweise gravierenden Veränderungen in der Verfassungsstruktur der Städte zumindest anzusprechen. Eine umfassende Betrachtung der Städte während der Reformationszeit und die vielen unterschiedlichen Ausprägungen jener Zeit kann allerdings nur punktuell erfolgen.

Die Erweiterung des zeitlichen Rahmens wirkt sich auch auf die inhaltliche Gestaltung aus, allerdings nicht in Form neuer Großkapitel, sondern in der erweiterten Spannbreite der behandelten Einzelaspekte. Die Gliederungskriterien der ersten Ausgabe wurden weitgehend übernommen: Auf eine kurze Einleitung folgen neun thematische Kapitel, die in kurze Unterkapitel geteilt sind. Um in der Fülle dieser Einzelaspekte nicht den Überblick zu verlieren, wurde der Neuauflage eine erste, die thematischen Großkapitel aufführende Inhaltsübersicht vorangestellt. Das eigentliche Inhaltsverzeichnis folgt dann auf immerhin 14 Seiten. Ein zehntes Großkapitel wurde angefügt, das gänzlich dem Überblick über Quellen und Literatur gewidmet ist. Die allgemein gehaltenen Literaturhinweise – wie schon in der Erstausgabe wurde ein möglichst schlanker Anmerkungsapparat angestrebt – stehen damit zwar nach den thematischen Kapiteln geordnet zusammen, bei der Lektüre einzelner Abschnitte führt dies jedoch teilweise zu etwas aufwändigem Blättern in dem nicht gerade kleinformatigem Buch. Ein ausführliches Sach- und Ortsregister rundet wie gewohnt den Band ab.

Es können hier nicht alle Erweiterungen angeführt werden, die ausführliche Umgestaltung einzelner Themenaspekte soll vielmehr exemplarisch vorgestellt werden. Die Erläuterung des Bürgerbegriffs kann hierzu dienen. Kapitel 2 der Erstausgabe umfasste 20 Unterkapitel, wovon knapp die Hälfte den mittelalterlichen Bürger bereits durch eine entsprechende Überschrift ins Zentrum rückte. Ausgehend von einer Definition des Bürgerbegriffs wurden Rechte und Pflichten des mittelalterlichen Stadtbürgers vorgestellt sowie auf die Grenzen des Bürgerbegriffs und die stadtansässigen „Nicht-Bürger“ verwiesen. Eingebettet waren diese Überlegungen in das Großkapitel 2 „Die Stadt und ihr Recht“. In der Neuausgabe ist dieses Kapitel nun „Stadtbürger, Stadtrecht und Stadtverfassung“ überschrieben und bringt es auf 63 Unterkapitel. Ausgangspunkt bleiben die gleichen vier aufeinander bezogenen Aspekte eines rechtshistorischen Stadtbegriffs. Die Neubearbeitung des Kapitels setzt dann allerdings die Definition des spätmittelalterlichen Bürgers an den Anfang. Damit wird dieser zentrale Begriff sofort erklärt und kann danach spezifiziert werden. Dies geschieht ausführlich mit Erläuterungen zur ursprünglichen Bedeutung des Haus- und Grundbesitzes (Kap. 2.1.1.2), der Voraussetzungen und Bedingungen für die Aufnahme in das Bürgerrecht (Kap. 2.1.1.3), der Formen eines geminderten Bürgerrechts und bürgerrechtliche Sondervereinbarungen (Kap. 2.1.1.4), der Bürgerrechtspolitik (Kap. 2.1.1.5), aber auch der Aufgabe des Bürgerrechts (Kap. 2.1.1.6). Ähnlich detailliert werden im nächsten Unterkapitel die Pflichten und Rechte des Bürgers und die Leistungen der Stadt (Kap. 2.1.2) sowie Sondergruppen im Bürgerrecht (Kap. 2.1.4) vorgestellt – beide Aspekte wieder in jeweilige Unterkapitel gegliedert. Den Abschluss bildet ein Kapitel zu den „Nicht-Bürgern“, was an dieser Stelle relativ kurz ausfallen darf. Die etwas problematische Überschrift „Fluktuierende und asoziale Elemente“ wurde dabei in der Neuauflage gestrichen.

Grundsätzlich ist festzustellen, dass „Die deutsche Stadt im Mittelalter“ allein aufgrund ihres Umfangs einen festen Platz in jedem Proseminar zur mittelalterlichen Stadt behalten wird. Bereits die ausgesprochen kleinteilige Inhaltsübersicht macht es zu einem praktischen Nachschlagewerk. Allerdings geht die thematische Breite nach wie vor auf Kosten einzelner Artikel. Diese umfassen auch in der Neuausgabe teilweise nur eine Seite oder wenige Spalten und können dabei nicht näher auf Forschungstendenzen oder neu erschienene Literatur eingehen. Auf beckmesserische Kommentare zu einzelnen fehlenden Literaturhinweise soll an dieser Stelle bewusst verzichtet werden – die Stadtgeschichtsforschung hat eine Fülle von neuen Titeln hervorgebracht. Ein Hinweis auf die zahlreichen turns der letzten Jahre sowie auf mittlerweile viel diskutierte Schlagworte wie beispielsweise ‚Öffentlichkeit‘ oder ‚Kommunikation‘ wäre allerdings dem studentischen Nutzerkreis entgegen gekommen. Vielleicht hätte ein entsprechendes Unterkapitel zu neueren Tendenzen der Stadtgeschichtsforschung in der Einleitung untergebracht werden können. Denn gerade das einleitende Kapitel hat gegenüber der Erstausgabe deutlich gewonnen durch die stärkere Berücksichtigung von Diskussionen um Idealtypen und Modelle, von topografischen Ansätzen aber auch im Hinblick auf die Einbindung der Stadt in den sie umgebenden Raum. Vor allem der neu hinzu gekommene Aspekt der zeitgenössischen Versuche einer Wesensbestimmung der Stadt schlägt den Bogen zwischen der Wahrnehmung mittelalterlicher Zeitgenossen und der modernen Stadtgeschichtsforschung.

In der Gesamtschau bietet der ‚neue Isenmann‘ nach wie vor ein detailliertes Grundlagenwerk, das durch seine übersichtliche Gliederung einen schnellen und fundierten Einstieg in einzelne Aspekte der spätmittelalterlichen Stadt ermöglicht. So wird er sicherlich trotz seines Umfangs und des damit verbundenen doch recht hohen Preises Verbreitung finden. Als Vertreterin einer jüngeren, internet-affinen Generation hätte sich die Rezensentin vielleicht eine Verbindung mit digitalen Medien, beispielsweise für Karten oder Abbildungen gewünscht. Dies ist aber eine Frage, die sich die Verlage stellen müssen und die keinesfalls dem Autor anzulasten ist.

Anmerkung:
1 Vgl. dazu Heidrun Ochs: Rezension zu: Hirschmann, Frank G.: Die Stadt im Mittelalter. München 2009, in: H-Soz-u-Kult, 01.06.2010, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2010-2-162> (13.06.2013).