Arnold Esch: Zwischen Antike und Mittelalter

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Titel
Zwischen Antike und Mittelalter. Der Verfall des römischen Straßensystems in Mittelitalien und die Via Amerina. Mit Hinweisen zur Begehung im Gelände


Autor(en)
Esch, Arnold
Erschienen
München 2011: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
208 S.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Florian Sonntag, Historisches Institut, Universität Stuttgart

Noch heute finden sich auf dem Gebiet des früheren Imperium Romanum imposante Reste antiker Straßen. Dieses Verkehrssystem der Römer zeichnet sich dadurch aus, dass die Straßen meistens schnurgerade angelegt wurden, was besonders für Italien zutrifft. Um diese Maxime der Geraden einzuhalten, war man bereit, imposante Tunnel oder mächtige Brücken zu konstruieren, um so auch Berge und Täler überwinden zu können.1 Was geschah aber mit den Straßen, nachdem das Imperium der Vergangenheit angehörte? Damit beschäftigt sich Arnold Esch in seinem Buch „Zwischen Antike und Mittelalter. Der Verfall des römischen Straßensystems in Mittelitalien und die Via Amerina.“

Die Monographie ist in zwei größere Kapitel gegliedert: Im ersten Teil untersucht Esch am Beispiel der großen Konsularstraßen, wie es um römische Straßen nach dem Ende der regelmäßigen Instandhaltung bestellt war (S. 7). Im zweiten Teil des Buches widmet sich Esch einer ganz bestimmten Straße, nämlich der via Amerina. Diese Straße wurde von der Forschung lange Zeit vernachlässigt; erst 1957 folgte eine erste wissenschaftliche Begutachtung (S. 8). Da das Buch sieben detaillierte Kartenausschnitte beinhaltet, ist es dem Leser möglich, die Straße selbst zu begehen und zu ergründen. In diesem Falle dient das Buch dann als eine Art „Wegweiser“. Besonders wichtige Punkte sind auf den Karten vermerkt worden und so – zumindest in der Theorie – für jedermann leicht auffindbar (S. 8). Wenn dies für die Auffindung der Punkte unzureichend ist, werden von Esch die Koordinaten für das GPS angegeben (so etwa S. 151). Ein umfangreicher Fußnotenapparat mit insgesamt 402 Anmerkungen sowie ein ausführliches Orts- und Personenregister beschließen das Werk. Auf ein Literaturverzeichnis wird aber leider verzichtet. Zwar findet man die wichtigsten Werke zweifelsohne im Apparat, aber ein kurzes Verzeichnis sollte eigentlich Bestandteil jeder wissenschaftlichen Arbeit sein.

Zu beanstanden ist außerdem die Aufmachung des Buches: So kommt es vor, dass Esch über eine bestimmte Sehenswürdigkeit, beispielsweise eine Grabruine, berichtet, deren Abbildung bereits einige Seiten zuvor zu sehen war. Diese Ruine findet sich dann auf einer Landkarte eingezeichnet, die jedoch erst ein paar Seiten später gezeigt wird. Das Ganze wird dann noch in einer Anmerkung am Ende des Buches kommentiert. Möchte man alle Informationen aufnehmen, dann ist man also gezwungen, sehr viel hin und her zu blättern. Vielleicht hätte man dieses Problem durch klassische Fußnoten anstelle von Endnoten und die Sammlung aller Landkarten am Ende des Werkes minimieren können. Der etwas unübersichtliche Aufbau hemmt so gelegentlich den Lesefluss, was aber dem ansonsten positiven Eindruck keinen Abbruch tut; inhaltlich ist das Buch überzeugend.

Esch wird seinem Vorhaben, den Übergang von der Antike zum Mittelalter an der Beschaffenheit der Straße darzustellen (S. 40), mehr als nur gerecht. Besonders der erste Teil des Buches ist ungemein informativ. So wird gezeigt, warum einige Straßen in Italien bald nach Ende des Weströmischen Reiches nicht mehr genutzt wurden, verfielen und in Vergessenheit gerieten, andere hingegen auch im Mittelalter noch bedeutend waren. Da die neuen politischen Gegebenheiten in Italien – das Imperium war in viele kleinere Räume zerfallen – zu neuen Bedingungen der Straßennutzung führten, war nicht mehr der Fernverkehr ausschlaggebend, sondern der Regionalverkehr gewann immer mehr an Bedeutung; die Straße verliert in dieser Zeit zunehmend das „Fernziel aus den Augen“ (S. 25). Außerdem gab es keine regelmäßigen Straßenwartungen mehr. Die letzten Meilensteine wurden bereits in der Regierungszeit Theodosius’ I. gesetzt, was aber nicht bedeutete, dass man die Straßen nun nicht mehr wartete (S. 13f.). Unter Theoderich dem Großen gab es wahrscheinlich die letzten Instandsetzungen der Straßen (S. 16), und noch Prokop (BG 1,14,6–11) lobt ein Jahrhundert nach Ende des Weströmischen Reiches den Zustand der via Appia.

Die fehlende Instandhaltung wirkte sich unterschiedlich auf die einzelnen Straßen aus. Besonders aufwendige Konstruktionen wie Brücken konnten ohne regelmäßige Wartung nicht lange bestehen, andere Straßenabschnitte weisen auch heute noch eine intakte Pflasterung auf (S. 22, Abb. 19). Dies hatte zur Folge, dass die Straßen die Maxime der Geraden nicht mehr befolgten und man Hindernisse einfach umging. Somit passten sich die Straßen wieder der Natur an. Zusätzlich änderten sich die Siedlungsbedingungen: Nach Ende des Imperiums und der pax Romana, die den Bewohnern Schutz gewährleistet hatte, verlagerten sich viele Siedlungen wieder in Gebiete, die durch ihre natürliche Lage Schutz boten, so etwa auf Anhöhen (S. 148, Abb. 155). Aufschlussreich ist die Wandlung der Funktion der Straße. So wurden manche Straßen eher als Bedrohung gesehen, da sie ein Einfalltor für die Feinde darstellten (S. 24), andere hingegen bildeten Grenzen bzw. Flurgrenzen (S. 60), und wieder andere dienten als Material für neue Bauten. So entstanden an den alten Konsularstraßen auffällig viele Kirchen, da man die antiken Gräber, die meist an den Straßen lagen, für den Bau nutzen konnte (S. 42, Abb. 33) – gelegentlich wurden die Straßen sogar als Fundament verwendet (S. 28, Abb. 23). In diesem Zusammenhang kommen die Fotografien des Buches sehr gut zur Geltung, da Esch besonders Spolien häufig abbildet und gut beschreibt (so etwa S. 43, Abb. 34). Des Weiteren geht Esch noch auf die Bedeutung der Straßen für die jeweiligen Machthaber (S. 56ff.), auf das Überleben der Straßennamen (S. 32) und viele weitere Details ein.

Im zweiten Teil des Buches widmet sich Esch der via Amerina. Diese Straße wurde wahrscheinlich um 241 v.Chr. angelegt und führte von Rom ins heutige südliche Umbrien. Sie wird mit dem Sieg über die Falisker in Zusammenhang gebracht und diente vermutlich primär lokalen Zwecken (S. 73). Mit einer beeindruckenden Beobachtungsgabe beschreibt Esch den heutigen Zustand der via Amerina in mehreren Etappen und gibt viele nützliche Hinweise für die Arbeit im Gelände. Neben intakter Pflasterung (S. 86), die auch ein Laie erkennt, wird unter anderem erklärt, wie man Steine zuordnet, die einst Bestandteil der Straße waren, heute jedoch nicht mehr sofort als ehemaliger Teil des Pflasters ersichtlich sind (S. 68, Abb. 57), und dass manche Teile der Straße nur in den vegetationsarmen Jahreszeiten, andere lediglich nach Buschbränden im Sommer zu sehen sind (S. 138f., Abb. 144). Esch erklärt, wie die vielen Kammergräber entlang der Straße in nachrömischer Zeit genutzt wurden und wie man die Straße wiederfindet, wenn diese nicht mehr zu erkennen ist (S. 157). Darüber hinaus hat Esch auch einen Blick für die Landschaft und weist auf diese hin, wenn sie besonders eindrucksvoll erscheint (S. 117 u. 120). Zusätzlich bietet Esch in diesem Kapitel auch einen Streifzug durch die italienische Geschichte. Er erzählt anhand von ausgewählten Straßenabschnitten von den historischen Veränderungen in Italien von vorrömischer Zeit bis in das Hier und Jetzt. Neben den Colonna, den Orsini und den Borgia begegnen dem Leser so auch allerhand Päpste, das Castel Paterno, in dem Kaiser Otto III. verstarb (S. 113), oder neuzeitliche Ruinen wie verlassene Bahnhöfe (S. 150).

Insgesamt hat Esch mit diesem Buch ein eindrucksvolles Werk geschaffen, welches ungemein informativ und lehrreich ist. Wer sich künftig mit dem antiken Straßennetz in Italien und seinem Verfall im Mittelalter befassen möchte, sollte auf dieses Buch nicht verzichten.

Anmerkung:
1 So berichtet Plutarch (C. Gracchus 7) vom Bau von imposanten Brücken über Schluchten und Flüsse.

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