D. Münkel u.a. (Hrsg.): Das Bild des Bauern

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Titel
Das Bild des Bauern. Selbst- und Fremdwahrnehmungen vom Mittelalter bis ins 21. Jahrhundert


Herausgeber
Münkel, Daniela; Uekötter, Frank
Erschienen
Göttingen 2012: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
288 S.
Preis
€ 59,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Margareth Lanzinger, Historischen Seminar, Universität Siegen

Der Band geht auf eine Tagung des Arbeitskreises für Agrargeschichte, die im Herbst 2009 in Hannover stattgefunden hat, zurück und ist dem 2011 verstorbenen András Vári gewidmet. „Das Bild des Bauern“ mag griffig klingen, dem Anspruch der Beiträge entspräche viel mehr eine offene Formulierung im Plural, mit der auch Daniela Münkel ihre kurze Einleitung übertitelt. Die zentralen Fragestellungen sind auf das Wie des Konstruierens von solchen Bildern gerichtet, auf Differenzierungen zwischen Selbst- und Fremdzuschreibungen sowie auf die jeweils relevanten soziopolitischen, -ökonomischen und -kulturellen Kontexte. Der zeitliche Bogen der in vier Abschnitte gebündelten Artikel reicht vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Am produktivsten erweisen sich jene Zugänge, die Konstruktionsprozesse, semantische Praktiken, Modi und Logiken der Abgrenzung ausmachen und analysieren.

Letzterem spürt Dorothee Rippmann in ihrem Beitrag nach, der das Mittelalter und die beginnende Neuzeit in den Blick nimmt und auf unterschiedlichen – auch bildlichen und literarischen – Quellen basiert. Rippmann trifft weniger auf ‚reale‘ Bauern, sondern auf die „Präsentation von Typen“ (S. 35), die Adel und Bürgern zur Betonung sowie Legitimation von Standesunterschieden dienlich waren und damit nicht nur im Sinne der eigenen Profilbildung, sondern auch herrschaftsstabilisierend wirkten. So wie die Autorin für die Interpretation schriftlichen Materials eine intertextuelle Perspektive einfordert, betont sie die Mehrdeutigkeit und Ambivalenz, die „opacity“ (S. 34), von Bildaussagen, Objekten und deren Attributen, die nicht stabil waren, sondern je nach Kontext umgefärbt werden konnten. Frank Konersmann nimmt die Fülle frühneuzeitlicher Begriffe sowie deren noch nicht hinreichend geklärtes Verhältnis zum „vermeintlichen Oberbegriff Bauer“ (S. 63) zum Ausgangspunkt und leuchtet das entsprechende semantische Feld aus, das eine Vielfalt von Fremd- und Selbstbezeichnungen sowohl in Rechtsquellen als auch in der Hausväterliteratur und frühen Kameralistik zu Tage fördert. Deren Gehalt sei an den zeitspezifischen Erfahrungsraum rückzubinden, der sich nicht zuletzt über Ein- und Ausschlüsse, Umwertungen und Sprachsteuerungen konstituiert. In seinem Fazit meldet er „erhebliche Zweifel“ an, ob und wenn ja, für welchen Zeitraum im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit „von einem Bauernstand, einer Bauerschaft oder einem bäuerlichen Berufsstand die Rede sein könne“ (S. 83), weshalb die Analyse von Parallelbegriffen unerlässlich sei. Der Terminus „Landwirt“, den Konersmann als „Zukunftsbegriff“ der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wertet (S. 77), bildet im Beitrag von Niels Grüne den Schlusspunkt seiner semantischen Analyse, die bei sozialen Abstufungen ansetzt. Basierend auf einer breiten Palette an Quellenmaterial aus dörflichen Gesellschaften der badischen Rheinpfalz zwischen 1700 und 1850 fragt er nach den Logiken der Begriffspraxis in unterschiedlichen Zusammenhängen: in rechtlichen, besitzständischen, wirtschaftlichen, sowie nach deren argumentativem Einsatz in der politischen Rhetorik – wenn etwa in der 1848er Revolution der Begriff „Bauer“ von antiliberalen Intellektuellen und Beamten mit Treue und Stabilität konnotiert und ideologisch aufgeladen wurde. Prägend für den untersuchten Zeitraum war eine bipolare, entlang von Besitzhierarchien strukturierte Terminologie, so dass diese der zunehmenden „Auffächerung des Besitzspektrums“ (S. 90) hinterherhinkte: Für die neue semi-agrarische Mittelschicht fehlte in den Steuerkatastern ein entsprechender Begriff.

In dem auf die „Vormoderne[n] Bauern“ folgenden Abschnitt zum „Deutschen Bauern“ zeichnet Gesine Gerhard einen Bilderbogen für das 19. und 20. Jahrhundert nach, der bei der Agrarromantik und Stilisierung „des Bauern“ als moralischer Gegenpol zum ausschweifenden Stadtleben einsetzt und über die völkische „Blut und Boden“- und „Nährstand“-Ideologie, über das konservative Bauernbild der Zeit nach 1945 bis zur Aufwertung in den letzten Jahrzehnten angesichts von Umweltkrisen und Lebensmittelskandalen führt. Wie Daniela Münkel ergänzend dazu im Vergleich zwischen Nationalsozialismus und DDR-Regime aufzeigt, kam Bauern da wie dort die Funktion der Herrschaftslegitimierung und Identitätsstiftung zu. Doch waren die Leitbilder grundverschieden, zumal diese in der DDR nicht an jene des 19. Jahrhunderts anknüpften, sondern die „Werktätigen in der Landwirtschaft“ für den Arbeiter- und Bauernstaat erst gewonnen werden mussten. Anke Sawahn beschreibt in ihrem Beitrag das Selbstbild von Bäuerinnen, die sich seit 1900 in Landfrauenvereinen organisierten.

Den Abschnitt zu den europäischen Bauern leitet Henning Türk mit einem Porträt des niederländischen und zugleich ersten EWG-Agrarkommissars Sicco Mansholt (1958–1972) und dessen agrarpolitischen Konzepten ein. Dieser plädierte für große Betriebe zwecks möglichst effizienter Bewirtschaftung und wollte die Bauern zu Unternehmern machen. Letztlich ging die Regionalpolitik gestärkt aus dieser über gewachsene Strukturen hinwegfegenden und von Protesten begleiteten agrartechnischen Linie hervor. Ulrich Schwarz wertet den niederösterreichischen Bauernbundkalender und eine an Agrarproduzenten adressierte Wochenzeitschrift der Nachkriegszeit bis in die 1980er Jahre aus. Er rekonstruiert die Form der Herstellung und Kommunikation von Bildern von Bauern auf Grundlage einer doppelten Differenz, die er als Prozess der selektiven Betonung und Einebnung interpretiert. Damit bekommt er sowohl den Wandel der Bildinhalte als auch jenen der Konstruktionsakte selbst in den Blick, die er in vier Zeitabschnitten – von Anknüpfungen an die Agarromantik nach 1945 bis zur Metapher für gesundes Leben – strukturiert. Nadine Vivier zeichnet für Frankreich ebenfalls kontrastierende Bilder nach, die im 19. Jahrhundert zwischen idealisiert-romantisierenden und in schwarzen Farben gemalten Darstellungen changierten, während die Bauern ab 1870, mit konservativen Werten konnotiert, eine gesellschaftliche Aufwertung erfuhren, die nach 1945 von einer Betonung der Modernität abgelöst wurde und die Bauern zuletzt – aus einer Kritik am Produktivismus – zu „Gärtnern des Raumes“ (S. 242) werden ließ. Dieses harmonische Bild geht allerdings nicht unbedingt mit der Einkommenssituation und den Zukunftsperspektiven konform. András Vári macht bezogen auf die ungarischen Bauern für die Zeit zwischen 1790 und 1919 sieben Bilder aus, deren Entstehung er in seinem Beitrag kontextualisiert. Er legt den Fokus auf jene Gruppen, die diese Bilder in diversen Genres, unter anderem in zeitgenössischer Belletristik, in Hand- und Fachbüchern, gezeichnet haben. Das Spektrum reicht vom Bauern als Erziehungsobjekt und „Rohmasse“ (S. 246) über den geknechteten beziehungsweise den aufzuklärenden Bauern, den Bauern als moralischen Kontrapunkt zum städtischen Leben und als den von einer exotischen Volkstümlichkeit getragenen Kernungar bis zum Bauern als Sinnbild der Antimoderne und schließlich als Sprengsatz in einer vom Kapitalismus aufgeriebenen Welt. Diese vornehmlich am bürgerlich-städtischen Kriterienkatalog bemessenen Zuschreibungen bringen, so der Befund des Autors, immer wieder die Entfremdung von der ländlichen Welt zum Ausdruck, die als „Projektionsfläche der eigenen Identität“ diente (S. 263) und zugleich den Überlegenheitsanspruch der Intelligenz legitimierte.

Der letzte Beitrag des Bandes führt über Europa hinaus und bleibt zugleich in Europa. Denn der von Frank Uekötter charakterisierte amerikanische Farmer bildete seit dem 19. Jahrhundert mit seinen vielen Gesichtern immer wieder eine vereinfachende Kontrast-, wenn nicht Negativfolie, auf jeden Fall aber und insbesondere in der deutschen Agrardebatte eine Vergleichsfolie. Diese sei – begründet durch Produktivität, Agrartechnik und die dadurch erzeugte Konkurrenz, aber auch durch vergleichsweise frühe Ökoargumente – bis heute von einer „Mischung aus Bedrohungsgefühl und Faszination“ geprägt (S. 272). Jedoch sei neben ständigen Krisenherden in der amerikanischen Landwirtschaft auch eine Diskrepanz zwischen dem suggerierten Bild eines freien Unternehmertums und einer gleichzeitig intensiven Regulierung festzustellen.

Einmal geschaffene Bilder, so András Vári, bleiben wie „Unrat im Weltall in dem geistigen Universum der Epochen“ (S. 267). Damit sind zwei wesentliche in den Beiträgen fokussierte Momente angesprochen: der Kontext der Erzeugung von Bildern und der Verortung von deren Protagonisten einerseits sowie Rückgriffe, Aktualisierungen in bestimmten historisch-politischen Zusammenhängen andererseits. Insgesamt dominieren in dem verdienstvollen und über weite Strecken sehr ambitionierten Band Fremdwahrnehmungen, Zuschreibungen und Klassifizierungen aus sozialer und lebensweltlicher Distanz. Welche Implikationen für Bilder und Diskurse hätte eine Sicht aus größerer Nähe, von Notabeln auf dem Dorf beispielsweise oder sozial aufgestiegenen, wie auch immer definierten „Bauern“-Söhnen und nicht zuletzt von schreibenden Bauern und Bäuerinnen?