C. Torp: Wachstum, Sicherheit, Moral

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Titel
Wachstum, Sicherheit, Moral. Politische Legitimationen des Konsums im 20. Jahrhundert


Autor(en)
Torp, Claudius
Reihe
Das Politische als Kommunikation 4
Erschienen
Göttingen 2012: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
147 S.
Preis
€ 9,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Maren Möhring, Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF), Potsdam

Konsum und Konsumentenrechte sind im Laufe des 20. Jahrhunderts zu zentralen politischen Themen avanciert; Konsumentenorganisationen haben zunehmend die politische Bühne betreten und wirkungsvoll ihre Interessen artikuliert. Nicht zuletzt das Ende der DDR hat gezeigt, dass auch die Befriedigung von Konsumentenbedürfnissen zu einem Prüfstein für die Legitimität politischer Systeme geworden ist. Aus diesen Gründen hat sich die Analyse der Verbindungen zwischen Konsum und Politik zu einem bedeutenden Feld der geschichtswissenschaftlichen Konsumforschung entwickelt. Ausgehend von der Prämisse, dass der Konsum „für die Geschichte des Politischen im 20. Jahrhundert […] ein zentraler Wirklichkeitsbereich“ (S. 8f.) gewesen sei, fragt nun Claudius Torp danach, wie der Konsum seit dem späten 19. Jahrhundert politisch legitimiert worden ist.

In seiner knappen und gut lesbaren Abhandlung, die in der von Willibald Steinmetz herausgegebenen Buchreihe des Bielefelder Sonderforschungsbereichs 584 „Das Politische als Kommunikationsraum in der Geschichte“ erschienen ist, identifiziert Torp drei Bezugsgrößen, die seiner Ansicht nach für die politische Einbettung des Konsums eine maßgebliche Rolle spielten: Wachstum, Sicherheit und Moral. Am Beispiel der deutschen Konsumgeschichte, die aber immer wieder aus vergleichender und transfergeschichtlicher Perspektive betrachtet wird, geht Torp den Konsummodellen von Wachstum, Sicherheit und Moralisierung in ihren historisch spezifischen Verschränkungen nach. Unter einem Konsummodell versteht er dabei „die auf sozioökonomischen wie diskursiven Faktoren beruhende politische Zurichtung des Konsums“ (S. 9). Während das Wachstumsmodell durch Wohlstandsorientierung, das Leitbild des nutzenmaximierenden Konsumenten und die Trennung der Sphären von Wirtschaft und Politik charakterisiert ist, setzt das zweite Modell auf Sicherheit durch staatsinterventionistische Konsumregulierung und entwirft den Konsumenten in erster Linie als Träger bestimmter Rechte. Das Moralisierungsmodell zieht die Grenzen zwischen dem Politischem und dem Ökonomischen neu und fokussiert den Konsumenten als politischen Akteur, dem eine Macht bis hin zur Systemtransformation zugesprochen wird. Jedes dieser Konsummodelle verknüpft Konsumpraxis und politische Ökonomie also auf spezifische Weise und erachtet den Konsum dann als legitim, „wenn er mit grundlegenden Vorstellungen zur politisch-ökonomischen Ordnung in Einklang steht“ (S. 13). Die Deutungskämpfe um den legitimen Konsum zeichnet Torp chronologisch in vier Kapiteln vom Kaiserreich über die Weimarer Republik und das nationalsozialistische Deutschland bis zur Bundesrepublik nach. Die DDR bleibt weitgehend ausgeblendet.

Im Kaiserreich traten Konsum und Konsument noch kaum als politische Größen in Erscheinung; ein staatlicher Verbraucherschutz existierte nicht. Die SPD jedoch, so zeigt Torp, entwickelte sich zunehmend von einer „Arbeiter- zur Verbraucherpartei“ (S. 23), und zivilgesellschaftliche Kräfte begannen, den Konsum zu moralisieren. Besonders interessant ist hier Torps neuer Blick auf die Lebensreformbewegung: Er kristallisiert eine neue Konsumethik als genau dasjenige Element heraus, das die verschiedenen Strömungen der Reformbewegung miteinander verbunden habe – ein Aspekt, der in der bisherigen Forschung noch nicht ausreichend beachtet wurde, aber den Brückenschlag von der Lebensreform um 1900 zu den alternativen Bewegungen der 1970er-Jahre auf neue Weise untermauert.

Der Erste Weltkrieg führte laut Torp zur vollständigen Verdrängung der zuvor dominierenden liberalen Wachstumsmodelle durch eine auf Sicherheit ausgerichtete staatliche Regulierung des Konsums, die auch in den übrigen Krieg führenden Ländern zu beobachten war. Der im Krieg etablierte „Nexus von Verbraucheridentität und Versorgungsberechtigung“ (S. 48) sollte dann auch die Weimarer Republik prägen, deren konsumpolitische Interventionen Torp kenntnisreich darlegt1, um am Ende auf die einsetzende Marktforschung einzugehen. Dieser spricht er – im Einklang mit der aktuellen Forschung2 – eine bedeutende Funktion bei der „Einübung in die Rolle des dynamischen Konsumenten“ (S. 58) zu.

Im nationalsozialistischen Deutschland ist laut Torp ein „pervertierte[s] Wachstumsmodell“ (S. 59) verfolgt worden, das rassistischen Eroberungskrieg und konsumorientierte „Volksgemeinschaft“ miteinander verband. Im Gegensatz zu den Regierungen der Weimarer Republik arbeiteten die Nationalsozialisten mit einer Wohlstandsvision und nutzten den Konsum als umfassendes „Integrationsmittel einer völkischen Leistungs- und Erlebnisgemeinschaft“ (S. 130). Die nach außen wie innen rassenpolitisch verfasste Konsumförderung hatte keineswegs den freien Konsumenten als Leitbild, ließ aber gerade im Bereich der Massenkultur durchaus Freiheiten bestehen, so dass Torp von einer „paradoxe[n] Konstruktion einer kontrollierten Konsumfreiheit“ (S. 66) spricht. Zudem trat der Konsument – trotz der Orientierung an einer gesicherten „Volksernährung“ – nicht als Träger von Rechten (wie im Sicherheitsmodell der Weimarer Republik) in Erscheinung, sondern als Objekt einer nach rassistischen Kriterien erfolgenden Zuteilungspolitik.

In der Bundesrepublik setzte sich das Wachstumsmodell erstmals parteiübergreifend durch und wurde mit einem auf individuelle Rechte rekurrierenden Sicherheitsmodell verknüpft, das nicht mehr primär auf Grundsicherung, sondern auf den Schutz der Verbraucherinteressen abhob. Diese spezifische konsumpolitische Verschränkung von Wachstums- und Sicherheitsmodell machte den „westdeutschen Konsens der Sozialen Marktwirtschaft“ (S. 118) aus. Eine Moralisierung des Konsums setzte laut Torp erst in den 1970er-Jahren im Zeichen von Nachhaltigkeit und globaler Gerechtigkeit erneut ein – eine Entwicklung, die abermals von zivilgesellschaftlichen Kräften angestoßen wurde. Zu Recht betont Torp, dass auf dem Gebiet der Geschichte des ethischen Konsums und transnationaler Konsumentenboykotte noch viel Forschungsbedarf besteht. Dasselbe gilt für die vermeintliche Konvergenz von Politik und Konsum, wie sie derzeit unter dem Stichwort „citizen consumer“ verhandelt wird. Torp konstatiert, dass es in der (frühen) Bundesrepublik zu einer Überlagerung der Freiheit des Verbrauchers und derjenigen des Staatsbürgers gekommen sei (S. 92).

An neuralgischen Punkten wie diesen würde man sich eine ausführlichere Darlegung der aktuellen Forschungsmeinungen und vor allem -kontroversen wünschen. Für die USA ist betont worden, dass Konsumentenrechte einen zentralen Aspekt von „citizenship“ bildeten. Darüber aber, ob sich das US-amerikanische Modell des „Kundenbürgers“, wie Lizabeth Cohen es herausgearbeitet hat3, auf die Bundesrepublik übertragen lässt, scheiden sich die Geister. Von diesen Debatten erfährt man bei Torp wenig; er stellt lediglich fest, dass das Modell „in seinen Grundprinzipien auch im westdeutschen Wiederaufbau“ zu finden gewesen sei (S. 97). Die von Victoria de Grazia beschriebene Implementierung des US-amerikanischen Konsummodells in Europa nach 1945 sollte aber, wie unter anderem Frank Trentmann gefordert hat, durch den Fokus auf zeitlich frühere Bezüge, auch zu anderen Weltregionen, sowie auf wechselseitige Transferprozesse ergänzt werden4; auf diese Weise ließe sich die in der Konsumforschung nach wie vor dominante Amerikanisierungsthese kritisch überprüfen. Sicher bietet ein knapper Überblick nicht viel Raum für ausführliche Forschungsdiskussionen. Aber der Verzicht auf einige der vielen – stets interessanten und anschaulichen – Beispiele zugunsten einer stärker problemorientierten Darlegung der aktuellen Forschungskontroversen hätte das Buch noch prägnanter und thesenstärker gemacht. Es wäre dann auch deutlich geworden, in welchem Maße die Konsumforschung selbst als Teil der beobachteten (Ent-) Politisierung des Konsums zu betrachten und in die geschilderten Deutungskämpfe involviert ist. Angesichts der eingangs konstatierten Bedeutung des Konsums für die Geschichte des Politischen im 20. Jahrhundert hätte man sich schließlich gewünscht, dass neben der politischen Einbettung des Konsums noch stärker herausgearbeitet worden wäre, auf welche Weise gerade auf dem Gebiet des Alltagskonsums das Politische neu konzeptualisiert wurde, und zwar diesseits und jenseits von Moralisierungsstrategien. Hier bietet Torp interessante Ansatzpunkte, die es weiter zu verfolgen gilt.

Anmerkungen:
1 Ausführlich dazu: Claudius Torp, Konsum und Politik in der Weimarer Republik, Göttingen 2011; vgl. die Rezension von Heike Knortz, in: H-Soz-u-Kult, 23.01.2012, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2012-1-043> (18.04.2013).
2 Kerstin Brückweh (Hrsg.), The Voice of the Citizen Consumer. A History of Market Research, Consumer Movements, and the Political Public Sphere, Oxford 2011.
3 Lizabeth Cohen, A Consumers’ Republic. The Politics of Mass Consumption in Postwar America, New York 2003.
4 Victoria de Grazia, Irresistible Empire. America’s Advance through Twentieth-Century Europe, Cambridge, MA 2005; vgl. die Rezension von Kaspar Maase, in: H-Soz-u-Kult, 22.11.2006, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-4-144> (18.04.2013); Frank Trentmann, Consumer Society – RIP. A Comment, in: Contemporary European History 20/1 (2011), S. 27–31, hier S. 30.

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