H. Meller u. a. (Hrsg.): Königin Editha und ihre Grablegen in Magdeburg

Cover
Titel
Königin Editha und ihre Grablegen in Magdeburg.


Herausgeber
Meller, Harald; Schenkluhn, Wolfgang; Schmuhl, Boje E. Hans
Reihe
Archäologie in Sachsen-Anhalt, Sonderband 18
Anzahl Seiten
290 S.
Preis
€ 19,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Wozniak, Institut für Mittelalterliche Geschichte, Philipps-Universität Marburg

Der Inhalt eines 2008 im Magdeburger Dom bei einer bauarchäologischen Untersuchung entdeckten Bleikastens steht im Fokus des vorliegenden Bandes. Da jener in einem Prunksarkophag gefunden wurde und zudem zwei lateinische Inschriften, eine seit langem bekannte auf dem Sarkophag und eine neuentdeckte auf dem Bleikasten, darauf hinweisen, wird angenommen, dabei handele es sich um die sterblichen Überreste von Königin Editha (Edgitha/Eadgyth) aus Wessex, der ersten Ehefrau des Königs Otto des Großen. Der Band vereint 16 Beiträge von 40 Spezialisten.

Auf den 70 Seiten zu Beginn geben die ersten zwei Beiträge die grundlegende Einordnung und Befundlage aus archäologischer (Rainer Kuhn) und kunsthistorischer (Anke Neugebauer/Heiko Brandl) Sicht wieder. Dabei ist für die stark diskutierten Grabungsbefunde aus ottonischer Zeit eine Nord- von einer Südkirche zu unterscheiden. Die Baubefunde der letzteren liegen teilweise unter dem 1209, nach einem Brand 1207, begonnen gotischen Dom. Beide ottonischen Bauten wichen in ihrer Ausrichtung um 7,58 Grad gegenüber der Achse des Domes nach Süden ab. Bemerkenswert sind die Funde eines älteren Sarkophags (10. Jahrhundert) mit Maßwerkteilen (2. Viertel 13. Jahrhundert) und eines älteren mittelalterlichen Hochgrabes (S. 21, 44). Die wenigen überlieferten historischen Informationen zu Edithas Leben finden sich ausführlich im dritten Kapitel (Caspar Ehlers).

Die folgenden 200 Seiten widmen sich der Auffindung und Untersuchung, bei der ein reiches archäometrisches Methodenspektrum verwendet wurde. Vorbildlich werden die nicht unkomplizierte Bergung des Befundes, die erste Annäherung durch Röntgen und Computertomographie (S. 77) sowie die sorgfältige Öffnung und Entnahme der Funde dokumentiert. Das 50-seitige (14 Autoren) und mit Abstand umfangreichste Kapitel „Königin Editha – Ein Indizienbeweis zur Identifikation einer historischen Persönlichkeit aus dem Magdeburger Dom“ ist Herzstück und Achillesferse des Bandes zugleich. Denn im Gegensatz zu den restlichen Texten werden nicht die Befunde als solche dokumentiert (S. 96) und analysiert, sondern es wird versucht, Indizienbeweise als Antworten auf eine weitgehend positivistische Fragestellung zu erbringen. Trotz der umfassenden Palette von acht modernen Methoden gelingt dies letztlich nicht.

Zwar gewährleisten die Computertomographie und das beschriebene 3D-Druckverfahren (S. 109–115) gute, auch nach der Wiederbestattung verwendbare Kunststoffmodelle, und mit der Fourier-Transform-Infrarotspektroskopie (S. 117f.) konnte nachgewiesen werden, dass die Knochen sich teilweise in sogenanntes Brushit umkristallisiert haben. Auch erbrachte die physische Anthropologie mit morphologischer Altersbestimmung ein Alter zwischen 30 und 40 Jahren, eine Körperhöhe von circa 156 cm und eine nachgewiesene Reiterpfanne (aufgrund des Reitens im Männersattel) am Oberschenkelknochen, aber, wie viele Rippen eigentlich erhalten sind, verrät der Text nicht. Die mitgedruckten Fotos der ausgelegten Originalreste, die schematische Darstellung und die rekonstruierten Skelettelemente (S. 116, 120) zeigen nicht alle Knochenfunde, auch die sämtlich erhaltenen Einzelzähne des Unterkiefers nicht. Zumindest für die 234 Knochenfragmente wäre eine genauere Dokumentation wünschenswert gewesen, gerade in Bezug auf die vermutete Reliquiennahme (S. 121f.). Die histologische Altersbestimmung durch Zahnzementannulation (S. 119–129) ergab 14 oder 21 Linien, die addiert mit dem Zahndurchbruchsalter ein Alter von 25 oder 28 Jahren ergäben. Die Bearbeiter folgern deshalb, dass „die Ergebnisse der Zahnzementannulation als zu niedrig interpretiert werden [müssen]“ (S. 126). Die Ernährungsrekonstruktion mittels ausführlicher Analyse stabiler Isotope von Kohlenstoff und Stickstoff (S. 129–134) weist auf den Verzehr hochwertiger Nahrung mit hohem Anteil an tierischen Proteinen hin. Die molekulargenetische Untersuchung auf der Suche nach mitochondrialer und sonstiger aDNA (S. 135–137) konnte aufgrund des schlechten Erhaltungszustandes nicht angewendet werden. Eine Strontium- und Sauerstoff-Isotopenanalyse wurde in Mannheim/Mainz mittels Durchschnitts-Analyse und in Bristol mittels Laser-Ablations-Methode (S. 137–146) durchgeführt. Die Ergebnisse korrelieren und könnten von Ortskonstanz im 1. bis 3. Lebensjahr und dem 8. bis 15. Lebensjahr und von Ortswechseln zwischen dem 3. und 7. Lebensjahr zeugen. Die Verhältnisse beider Isotope zueinander sind das im gesamten Band stärkste Indiz für eine Herkunft aus Südengland (S. 145), wobei jedoch „die Ortsauflösung beider Isotopensysteme nicht hoch genug ist, um den Ursprung der Signale ausschließlich in Südengland zu verorten“ (S. 146). Bei der mikroskopischen Analyse der Haare nach morphologischen Kriterien (S. 147f.) wurde festgestellt, dass charakteristische „Veränderungen der Haarwurzel (Pfeilwurzel) sowie Fraßspuren von Milben, die normalerweise bei Leichenhaaren auftreten“, (S. 148) fehlen. Die gefundenen Haare scheinen daher eher rezenten Kontaminationen zu entstammen, denn schon auf den Fotos im Band (S. 17 Abb. 7b, S. 272) wird ersichtlich, dass bei der ansonsten sehr sorgfältigen Bergung (Abb. 3, S. 108) nicht immer ein Kopfschutz getragen wurde. Im Ergebnis wird festgehalten, „dass die biologischen Merkmale [...] kein Ausschlusskriterium repräsentieren“ (S. 107, 150).

Die folgenden Kapitel sind zwar aus archäologischer und historischer Sicht teilweise exotisch, sie führen aber methodisch korrekt die gesamten Befunde vor. Die in englischer Sprache vorgestellte 14-C-Analyse verschiedenster Funde von zwei Instituten (Leibniz Labor Kiel und Curt Engelhorn Zentrum Mannheim) unterscheiden sich in ihren Ergebnissen zwar, das ist aber nicht ungewöhnlich und gut nachvollziehbar (S. 157–168). Einzig eine Umrechnung der Before-Present-Datierungen hätte sich angeboten. Dafür, dass die 14-C-„results from the bone samples [...] significantly older“ (S. 163) seien, wird ein höherer Fischkonsum der Toten nahegelegt (S. 165). In den drei Kapitel zu den Textilien gelingt es, Muster der Textilien regional zuzuordnen (Westeuropa oder Naher Osten) und den teuren Textilfarbstoff Kermes nachzuweisen (S. 193–202). Zwei Kapitel zu den archäoentomologischen Untersuchungen der Fliegenpuparien (772 Reste) und der Käferreste (S. 203–244) überraschen vor allem hinsichtlich ihrer unglaublichen Vielfalt – 4828 Wirbellosenreste, deren siedlungsferne Arten sich seit 500, deren siedlungsnahe/synanthrope Arten sich seit 1000 Jahren erhalten haben; dies wird durch 14-C-Datierungen bestätigt (S. 241). So handelt es sich „um eine bisher einmalige Erhaltungssituation einer subfossilen Wirbellosenfauna. Deren gute Erhaltung [...] Transportvorgänge oder weitere Störungen vor oder nach der Umbettung von 1510 aus[schließt]“ (S. 230). Daneben fanden sich Pflanzenreste, besonders Moose im Bleisarg, aber auch erdähnliche Substanzen (S. 245–280). Bei den Pflanzenresten sei auf bespelzte Saat-Haferreste hingewiesen, die auf eine Sargpolsterung/Spelzkissen weisen könnten (S. 250). Weiterhin wurden 1400 Holzreste (Probe NDS 691 lässt bereits auf der Abbildung [Nr. 21, S. 253] 31 Jahrringe erkennen), 900 Holzkohlestückchen und 250 Samen/Früchte/Halmreste gefunden, deren blütentechnisch aufwendigste (Blumenschmuck) Kornblume und Hahnenfuß sind (S. 255). Die Pollenanalyse ergab je ein Viertel Baumpollen und Siedlungsanzeiger und 45 Prozent Nichtbaumpollen (S. 260f.). Auffällig und daher ausführlich besprochen sind Funde von Sadebaumresten aus dem 12. Jahrhundert (S. 261–268). Das heterogene Spektrum von sieben verschiedenen Moosen bei 21 Resten spricht gegen einen zufälligen Eintrag dieser Pflanzenreste (S. 276).

Im letzten Kapitel, einem kurzen Pressespiegel zu Königin Editha als Identifikationsfigur, wird die in den Lokalmedien geführte Provinzposse um eine entführte Prinzessin, einen vermeintlichen „Totenraub“ durch das Landesamt, zum Glück nur am Rande gestreift (S. 281). Gleichwohl vermitteln solche Kapitel und Teile des Bandes einen Eindruck von der Intensität des öffentlichen Interesses, mit dem die Untersuchungen begleitet wurden. Mit einem Autorenverzeichnis, aber ohne Register schließt der Band ab. Zwei sehr ausführliche Listen der Käferreste liegen im Anhang bei.

Am Ende der Lektüre bleibt der Wunsch nach weiterer Forschung, um den „fehlenden Ausschlusskriterien“ ein paar handfeste Argumente in Form von aDNA oder Vergleichbarem an die Seite zu stellen. Eine Stärke des Bandes sind seine 292 teilweise aufwändigen Illustrationen und farbigen Befundfotografien. Besonders hinzuweisen ist auf die dreidimensionale rot-grün-Dokumentation der Befunde (S. 88). Formal ist an dem Band nur wenig zu monieren: Aus historisch-hilfswissenschaftlicher Sicht nicht zufriedenstellend ist die Wiedergabe der neuentdeckten Inschrift auf dem Bleikasten, die zwar in vier verschiedenen Fassungen abgedruckt wurde (S. 18, 44, 72, 281), von denen aber keine die richtigen Umbrüche, Worttrenner und Ligaturen zugleich wiedergibt – ohne Foto (S. 20) wäre eine fachgerechte epigraphische Verwertung kaum gewährleistet. Auch über Buchstabenhöhen oder –formen erfährt man nichts.

Fazit: Die im Vorwort vorgestellten Ergebnisse und die Zuordnung der sterblichen Überreste zur historischen Person Königin Edithas sind teilweise methodisch problematisch, so dass weiterer Forschungsbedarf besteht. Die Dokumentation im Kapitel der Indizienbeweise zeigt zu wenig die Befunde und rekurriert zu stark auf mögliche „Beweise“. Dieser einem großen öffentlichen Interesse geschuldete Untersuchungsgang ist zwar keinesfalls ungewöhnlich – die Oberarmfraktur beim Ötzi wurde erst nach zehn Jahren entdeckt –, eine noch umfassendere Befunddokumentation wäre aber wünschenswert. Demgegenüber sind erstaunliche und unerwartete Befunde in Bezug auf die Textilreste, die zeitgenössische Käferfauna und die Pflanzenvergesellschaftungen vorgestellt worden, die neue Einsichten in mehrere mittelalterliche Horizonte zulassen. Insgesamt ist hier, mit einem sehr großen technischen, methodischen und personellen Aufwand, ein Grabbefund für die Forschung geöffnet und zeitnah vorbildlich publiziert worden, dessen weitere Auswertung wohl noch manche Überraschung bereithalten wird.