W. Hanak-Lettner: Die Ausstellung als Drama

Cover
Titel
Die Ausstellung als Drama. Wie das Museum aus dem Theater entstand


Autor(en)
Hanak-Lettner, Werner
Reihe
Kultur- und Medientheorie
Anzahl Seiten
247 S.
Preis
€ 26,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ariane Karbe, Berlin/Leicester

Werner Hanak-Lettners Publikation „Die Ausstellung als Drama“ stellt aufgrund der Konsequenz, mit der der Autor das Medium Ausstellung auf seine narrativen Qualitäten hin überprüft, einen bedeutsamen Beitrag zur museumswissenschaftlichen Forschung dar. Um die Charakteristika des Mediums näher zu bestimmen, so sein erklärtes Ziel, wählt er als Vergleichspunkt das Drama. Im Zentrum seiner Analyse steht dabei nicht die Inszenierung, sondern die Erzählstruktur. Dreh- und Angelpunkt seiner Betrachtungen ist die Rolle des Besuchers, womit er – wie er selbstkritisch anmerkt – aus Sicht eines „geistigen Kindes der performativen Wende“ argumentiert (S. 190). Als fruchtbar erweist sich seine zweifache Perspektive als Kurator – Hanak-Lettner ist Kurator am Jüdischen Museum Wien – und Ausstellungsbesucher mit professionell geschultem Blick.

Erstes Glied seiner Argumentationskette ist die Reflexion über die Dramaturgie von Ausstellungen. Anhand eines konkreten Beispiels – einem Paar weißer Handschuhe – verdeutlicht er, dass der Dialog zwischen Objekt und Besucher/in entscheidend dafür ist, ob in einer Ausstellung eine Kommunikation entsteht. Verantwortlich ist hierfür ein Unterschied zwischen Drama und Ausstellung: Während das Theaterpublikum für gewöhnlich eine sitzende Position einnimmt, betreten die Ausstellungsbesucher die „Bühne“. Indem sie den Ausstellungsraum durchschreiten und in einen inneren Dialog mit den Exponaten treten, treiben sie die Erzählung der Ausstellung, die Handlung voran.

Dieser Unterschied zwischen statischem und sich bewegendem Publikum hat Auswirkungen auf die Rolle der Dramatiker und Regisseure bzw. der Kuratoren: Während erstere die Hoheit über ihre Geschichte behalten, können letztere zwar ein Narrativ vorgeben, ob und wie die Besucher die Erzählung vollenden, liegt jedoch nicht in ihrer Hand. Warum in Bezug auf Ausstellungen überhaupt von „Dramaturgie“ gesprochen werden kann, begründet Hanak-Lettner folgendermaßen: „Der Besucher ist ein Suchender, auf der Suche nach den Dingen, die da kommen, aber auch auf der Suche nach einem Ablauf im Raum. Hier kommt die Dramaturgie ins Spiel: Denn alles, was einen Anfang und ein Ende hat, hat einen Ablauf. Und die Qualität dieses Ablaufs nenne ich Dramaturgie.“ (S. 106)

Der Verdacht, dass diese besondere Form des Ausstellungsdramas, die sich durch die aktive Rolle des Publikums auszeichnet, nicht in einem Vakuum entstanden ist, sondern in engem Zusammenspiel mit den am Theater geläufigen Formen, motiviert Hanak-Lettner zu einer historischen Entdeckungsreise. Anhand von vier Beispielen aus dem 16. bis 18. Jahrhundert geht er den Parallelen von Drama und Ausstellung bzw. Theater und Museum nach. Als erstes richtet er seinen Blick auf die Pariser Akademieausstellungen, die ab 1737 regelmäßig alle zwei Jahre stattfanden und mit der Zeit eine immer größere Öffentlichkeit fanden, wodurch sich die Künstler mit der Kritik des Publikums konfrontiert sahen. Die selbstbewusste Eroberung des Ausstellungsraumes durch das Publikum lässt sich nach Hanak-Lettner möglicherweise auf eine „Besucherschule“ durch die Pariser Theaterwelt zurückführen: im berüchtigten „parterre“ wurde über das Wohl und Wehe der Aufführungen entschieden. Schon zuvor war diese „Besucheridentität“ bei Prozessionen geprägt worden, denn auch hier verschwammen die Grenzen zwischen Akteur und Zuschauer. Das Publikum, das bei diesen Aufführungen gelernt hatte, sich aktiv einzubringen, übernahm dieses Verhalten nun auch beim Besuch der Akademieausstellungen.

Den 1675 von Gottfried Wilhelm Leibniz verfassten Gedankenscherz, in dem dieser das Konzept eines „Theaters der Natur und Kunst“ entwarf, wertet Hanak-Lettner als Zeugnis dafür, dass Ausstellung und Theater bereits vor den Pariser Entwicklungen „in konzeptiver Hinsicht eine Symbiose eingegangen waren“ (S. 60). Nicht nur Leibniz betrachtete den Übergang zwischen Kunst- und Wunderkammern sowie Theater als fließend, auch andere Kunstinteressierte des 17. Jahrhunderts erkannten die Verwandtschaft dieser Orte an.

Diese These untermauert Hanak-Lettner durch die Untersuchung des Gedächtnistheaters von Guilio Camillo, das dieser um 1530 entworfen hatte und das vermutlich nur als begehbares Modell existierte. Das Theater, in dem Papiere zur Schau gestellt werden sollten, fußte auf den Prinzipien der klassischen Gedächtniskunst. Entscheidend für Hanak-Lettners Überlegungen ist, dass der Zuschauer dort stehen sollte, wo sich üblicherweise die Bühne befand, und von dort aus auf die auf den Rängen ausgestellten Exponate blicken sollte. Damit stellt Camillos Theaterentwurf für Hanak-Lettner eine Urform der Ausstellung dar, wie wir sie heute kennen.

Als letztes Beispiel für die gegenseitige Beeinflussung von Museum und Theater führt der Autor die 1565 von Samuel Quiccheberg verfasste Schrift an, in der dieser ein Gebäude, von ihm „Theater“ genannt, konzipierte, in dem eine Sammlung von Kunst- und Wunderwerken präsentiert werden sollte. Anders als bei Camillo, auf den Quiccheberg sich direkt bezog, und in dessen Entwurf dem auf der Bühne stehenden Besucher eine relativ statische Rolle zugedacht war, besteht das von ihm geplante Gebäude aus einer Art Amphitheater, das von einem beidseitigen rundumschließenden Zuschauerraum umgeben wird, den das Publikum, mit Blick auf die Exponate, wie eine Galerie durchwandern sollte.

Hanak-Lettner präsentiert mit den Beispielen überzeugende Beweise dafür, dass beide Medien sich im Laufe der Geschichte gegenseitig immer wieder beeinflusst haben. Dass er so weit geht, durch sie seine These bestätigt zu sehen, die Ausstellung sei gar aus dem Geist des Theaters entstanden, erklärt sich plausibel aus seiner Perspektive: Die Definition von Ausstellung hängt für ihn unauflösbar mit der aktiven Rolle der Besucher/innen zusammen.

Im zweiten Teil schickt sich Hanak-Lettner an, auch für das 20. Jahrhundert Parallelen zwischen Ausstellungen und Dramen aufzuspüren. So untersucht er neben der Rolle der Besucher, der Kuratoren, des Raumes und der Objekte, ob die narrative Struktur von Ausstellungen eher dramatischer oder epischer Natur ist. Sein Rückgriff auf die Dramentheorien von Aristoteles und Bertolt Brecht erweist sich dabei als besonders fruchtbar. Als dramatisch wertet er das Vorantreiben der Handlung durch den sich bewegenden Besucher, als episch bezeichnet er den Rahmen, in dem sich diese Handlung abspielt. Dieser Rahmen wird durch den Einsatz der Kapitel- und Raumtexte geprägt, die strukturell sowohl den Erzählstrategien Brechts als auch dem Chor der antiken griechischen Tragödie ähneln und somit für Distanz und Ordnung sorgen. Im Gegensatz zur Tragödie, wie sie Aristoteles idealerweise in seiner Poetik beschreibt, ist die Handlung in Ausstellungen aber keine geschlossene und die Besucher/innen verfolgen auch nicht das Bedürfnis „zu jammern und zu schaudern“. Jedoch lässt sich das von Aristoteles in Bezug auf Dramen formulierte Postulat: „Ein Ganzes ist, was Anfang, Mitte und Ende hat“ auch auf die Erzählstruktur von Ausstellungen anwenden. Einen Unterschied sieht Hanak-Lettner hingegen wieder darin, dass in Ausstellungen Fabel bzw. Plot nicht festgefügt ist wie in Theaterstücken, sondern sich die einzelnen Elemente eher collagenhaft zusammensetzen. Die Handlung ist folglich auch nicht zielgerichtet wie im von Aristoteles skizzierten Drama, vielmehr richtet sich im Brechtschen Sinne die „Spannung auf den Gang“.

Hanak-Lettner arbeitet noch weitere Ähnlichkeiten heraus, die Ausstellungen mit dem Brechtschen Theater aufweisen und die den kritischen, nicht mitfühlenden Zuschauer fordern. Allerdings verweist er auch auf die gegenwärtige Tendenz, durch erlebnisorientierte Entwicklungen die Museumsbesucher und -besucherinnen zum Eintauchen in die Geschichten zu animieren, was die Ausstellungen wieder stärker in die Nähe des von Aristoteles definierten Dramas rückt. Schließlich folgert er: „Die Ausstellung ist kein geschlossenes, sondern ein weit offenes Drama. Es sind die BesucherInnen, die den Faktor Zeit in den Ausstellungsraum mitbringen und hier als Suchende die Handlung vorantreiben. Die Ausstellung und mit ihr das Museum sind daher Orte des offenen Ausgangs. Wenn wir diese Tatsache als Chance erkennen, steht der kritischen und experimentellen Sinnproduktion an diesem Ort nichts entgegen.“ (S. 234)

Dass Hanak-Lettners Untersuchung „über weite Strecken von assoziativem Charakter“ ist, wie er selbst in der Einleitung schreibt (S. 12), und er sich an Beispielen aus so unterschiedlichen Feldern wie Architektur, Designgeschichte, Wahrnehmungstheorie etc. bedient, macht die Lektüre zu einem aufschlussreichen und inspirierenden Abenteuer, erweist sich in einigen Passagen jedoch als problematisch. So vermag die Argumentation in dem Kapitel, das er explizit der Rolle der Museumsobjekte widmet (S. 139ff.), nur teilweise zu überzeugen. Beispielsweise hinkt der Vergleich der Exponate mit Charakteren in Spielfilmen, da nicht klar ist, was eine Figurenzeichnung durch widersprüchliche Eigenschaften, die die Person interessant und lebendig machen soll, mit den vielfältigen Attributen von einzelnen Museumsobjekten gemeinsam hat. Dass der Autor so manche Aspekte eher anreißt, wie zum Beispiel auch bei der Beschreibung des Ausstellungsraumes, ist ihm jedoch nicht anzulasten, da er mit vielen der von ihm, notwendigerweise, aufgeworfenen Fragen Neuland betritt. Zwar werden Ausstellungen im Zuge der „Neuen Museologie“1 schon lange als Narrationen, also als eine von unzähligen möglichen Wahrheiten, verstanden, bisher haben sich aber nur wenige Wissenschaftler bzw. Wissenschaftlerinnen der umfassenden und tiefgründigen Untersuchung der Erzählstruktur von Exhibitionen gewidmet, wobei hier Lisa C. Roberts2 und vor allem auch Mieke Bal3 zu nennen sind. Ein Grund hierfür mag sein, dass das Augenmerk seit den 1980er-Jahren stark auf dem Design von Ausstellungen lag und aufgrund der Vielschichtigkeit des Mediums und der Mehrdeutigkeit der Objekte die Erzählstruktur schwerer zu erkennen ist als zum Beispiel bei Film oder Drama und nicht so leicht zu „vertextlichen“ ist.

Seinen Ansatz, die Ausstellung als Drama zu begreifen, versteht Hanak-Lettner explizit als radikalen Gegenentwurf zu „spektakelhaften Raumgebilden in sogenannten Erlebnisausstellungen“ (S. 233) und tatsächlich hat er mit seiner Forschung einen wertvollen Beitrag dafür geleistet, dass sich das geschichtenerzählende Potential von Dingen, Besuchern, Designern und Kuratoren in der Ausstellung künftig noch optimaler entfalten kann.4 Denn dass er den Akteurstatus der Besucher so dezidiert in den Vordergrund rückt und Kuratoren deshalb eine „mächtige Machtlosigkeit“ (S. 232) attestiert, sollte auf keinen Fall darüber hinwegtäuschen, dass das sorgfältige und kreative Ausleuchten der Erzählstruktur von Ausstellungen seine Studie gerade für Ausstellungsmacher/innen zu einer hervorragenden Anregung zur Reflexion der eigenen kuratorischen Tätigkeit macht.

Anmerkungen:
1 Peter Vergo (Hrsg.), The New Museology, London 1989.
2 Lisa C. Roberts, From Knowledge to Narrative. Educators and the Changing Museum, Washington 1997.
3 Siehe z.B. Mieke Bal, Exhibition as film, in: Sharon Macdonald / Paul Basu (Hrsg.), Exhibition Experiments, Malden 2007, S. 71–94.
4 Als wichtiger Beitrag von Seiten der Ausstellungsdesigner zur narrativen Struktur von Ausstellungen ist zu nennen: David Dernie, Exhibition Design, New York 2006.

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