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Titel
Marken und Markgrafen. Studien zur Grenzsicherung durch die fränkisch-deutschen Herrscher


Autor(en)
Stieldorf, Andrea
Reihe
Monumenta Germaniae Historica Schriften 64
Erschienen
Anzahl Seiten
CX, 623 S.
Preis
€ 85,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Yanick Strauch, Historisches Institut, Universität zu Köln

Die Grenzgebiete und Marken des fränkisch-deutschen Reiches werden von der Forschung heute vornehmlich als ein Raum des kulturellen und sozialen Austauschs begriffen.1 Die rigide Sicht vieler Historiker des 19. Jahrhunderts, die in den Randzonen der frühmittelalterlichen Herrschaftsgebiete starre Linien der ethnischen und politischen Abgrenzung zwischen Völkern zu erkennen glaubten, hat heute keinen Bestand mehr. Unter regionalgeschichtlichen Aspekten sind die Grenzgebiete dagegen stets im Fokus der Forschung geblieben.2 In ihrer Habilitationsschrift schickt sich Andrea Stieldorf an, die Thematik der (Grenz-)Marken des frühen und hohen Mittelalters ganzheitlich zu untersuchen, da die „politische Dimension solcher Grenzgebiete und ihre Bedeutung für den Herrscher [...] in der Mittelalterforschung etwas ins Hintertreffen geraten“ sind. So begreift sich die Arbeit als „Baustein“ (S. 5) mit dem dezidierten Ziel „an einem bestimmten Bezugsfeld die Möglichkeiten und Grenzen königlicher Herrschaft und Macht auszuloten.“ (S. 6). Anhand der gewählten Thematik wird der Versuch unternommen, neue Erkenntnisse zu liefern, indem die Randgebiete als singulärer Aspekt „mittelalterlicher Staatlichkeit“ (S. 5) aus der Perspektive des Herrschers heraus analysiert werden, wobei „die politische und militärische Bedeutung“ der Thematik ganz bewusst als ein Schwerpunkt dieser „verfassungsgeschichtlichen Studie“ (S. 9) eingebunden wird.

Stieldorf gruppiert ihre Arbeit in drei thematische Großabschnitte. Zu Beginn steht eine begriffstypologische Analyse des Wortes marc(h/i)a und dessen Gebrauch im Zusammenhang mit den peripheren Regionen des fränkisch-deutschen Reiches. Stieldorf stellt dabei eine interessante Eigenheit hinsichtlich des Begriffs marc(h/i)a fest, nach welcher sich der Terminus erstmals in merowingischer Zeit nachweisen lässt, allerdings nicht zur Bezeichnung einer Grenze, sondern vielmehr zur Definition eines bestimmten Gebiets. Erst im späten achten Jahrhundert findet sich ein erstes Zeugnis, welches den Begriff marc(h/i)a eindeutig zur Bezeichnung eines Grenzgebiets gebraucht, doch bleibt der polysemantische Sinngehalt des Terminus auch in den folgenden Jahrhunderten erhalten.

Unter den Karolingern wurde der Grenzschutz als dezidierte Aufgabe des Königtums betrachtet, wodurch der Gebrauch der Markenterminologie innerhalb der Quellen vornehmlich durch Überlieferungsträger wie Kapitularien vermittelt wird, die in einem hofnahen Kontext entstanden sind. Der Gebrauch des Wortes marca diente dazu, „den Anspruch des karolingischen Gesamtherrschers auf die zu sichernden Randzonen seines Reiches zum Ausdruck zu bringen“ (S. 589), wobei gerade im südfranzösischen Raum bereits im neunten Jahrhundert oftmals lokale Adelige eingebunden wurden. Ab dem zehnten Jahrhundert wurde der Grenzschutz durch das Königtum zunehmend an bestimmte adelige Familien delegiert – ein Prozess, der sich im Laufe des 11. Jahrhunderts intensivierte. Spätestens zur Stauferzeit definierte der Begriff marc(h/i)a nicht mehr vornehmlich ein Gebiet, in welchem der König direkt agierte, sondern begrenzte vielmehr den eigenen Herrschaftsraum eines bestimmten Markgrafen.

Im zweiten Untersuchungsabschnitt widmet sich Stieldorf der Frage, inwiefern der Begriff marchio von einem Bedeutungswandel betroffen gewesen ist, von einem rein funktionellen Titel, der eine militärische Kompetenz beinhaltete, hin zu einem Adelstitel, der eine soziale Rangerhöhung für den so benannten Amtsträger implizierte. Stieldorf vermag dabei deutlich die asynchrone Entwicklung je nach Region und Zeit zu verdeutlichen.

Als besonders interessant stellt sich die Entwicklung der lateinischen Vorlage des deutschen Begriffs ‚Markgraf‘ (marchio comes) heraus, der im späten 10. Jahrhundert erstmals Erwähnung in den Quellen findet. Parallel zu dessen Aufkommen beginnt der lateinische Terminus marchio eine sozial erhöhte Stellung seines Trägers innerhalb der Hierarchie des Adels zu beschreiben. Stieldorf attestiert dem Werk Thietmars von Merseburg eine gewisse exemplarische Autorität bezüglich der historiografischen Texte, da in dieser Quelle erstmals einer als marchio betitelten Person auch stets eine soziale Rangerhöhung zugestanden wird. So diente der Begriff fortan in genealogischen Zusammenhängen vermehrt dazu, besonders vornehme Vorfahren zu kennzeichnen.

Während der Herrschaft der Salier etablierte sich der Terminus marchio endgültig in der Liste der Adelstitel. Die mit dem Amt vereinte militärische Funktion des Grenzschutzes blieb dabei weitgehend erhalten und erreichte im Laufe des 11. Jahrhunderts einen sehr hohen Grad an geografischer Spezifizierung, wodurch diese Aufgaben oft nicht mehr durch das Königtum wahrgenommen werden mussten. Erst unter Heinrich IV. verlor sich diese Funktionalität langsam, und bald lassen sich auch Markgrafen im Innern des Reiches nachweisen ohne dezidierten Grenzschutzauftrag. Der Titel diente nunmehr als reine soziale Auszeichnung.

Zuletzt untersucht Stieldorf chronologisch die ereignisgeschichtliche „Sicherung der Grenzen“ (S. 350) des fränkisch-deutschen Reiches von den Karolingern bis hin zu Friedrich Barbarossa. Dabei muss vorab die Akribie vermerkt werden, mit welcher die Autorin die vielfältigen personellen und geografischen Quellenzeugnisse gesammelt und analysiert hat. Der bereits in den ersten beiden Großabschnitten postulierte Wandel der Auffassung des Grenzschutzes von einer dezidierten Aufgabe des Königtums hin zu einer Obliegenheit lokaler Autoritäten, wird anhand vieler Zeugnisse abermals verdeutlicht. Suchten die Karolinger und Ottonen häufig noch durch persönliche Präsenz ihren Anspruch auf Herrschaft und Sicherung der Grenzgebiete zum Ausdruck zu bringen, so „überwog nach 1050 die regionale Eigendynamik den herrscherlichen Einfluß“ (S. 595). Stieldorf gibt zwei wesentliche Gründe für diese Entwicklung an: Zum einen begannen ab der Mitte des 11. Jahrhunderts andere Regionen wie Polen oder Dänemark sich zunehmend als selbstständige politische Gebilde zu begreifen, die in eigenen Grenzkategorien dachten und handelten. Die langwierigen Auseinandersetzungen des Investiturstreits, in welchem die Ressourcen der Könige geradezu vollständig gebunden wurden, bedingen den zweiten Grund. Für das 12. Jahrhundert zeigt Stieldorf die Einflussnahme durch Schenkungen der Herrscher auf, die der königlichen Macht in peripheren Gebieten eine gewisse Autorität sichern sollten.

Die große Souveränität Stieldorfs bei der Sichtung und Analyse der äußerst ergiebigen und teilweise stark untereinander differenzierenden Literatur muss positiv hervorgehoben werden, wenngleich eine gelegentliche Fixierung auf die deutschsprachige Forschung festzustellen ist. Obschon sich diese Auswahl aufgrund des Schwerpunktes der Arbeit, die großen Entwicklungslinien des Mark- und Markgrafenbegriffs im ostfränkisch-deutschen Reich darzulegen, erklären lässt, finden doch einige zentrale Werke zum südfranzösisch-nordspanischen Raum, welcher immerhin bis zum Ende des 9. Jahrhunderts mit einbezogen wird, wenig oder keine Berücksichtigung.3 Das grundpositive Gesamtbild wird infolgedessen nur durch sehr begrenzt auftretende kleine Ungenauigkeiten getrübt, welche meist dann auftreten, sobald der Fokus der Arbeit diesen geografischen Raum streift. So ist es beispielsweise nicht Graf Gauzhelm, welcher im Jahre 820 „seiner Ämter enthoben wurde“ (S. 207, Anm. 73), sondern Berà von Barcelona, dessen Titelverlust an anderer Stelle fälschlicherweise ins Jahr 821 datiert wird (vgl. S. 377). Zudem wird man Bernhard von Septimanien schwerlich als „Lothars [I.] Parteigänger“ (S. 417) bezeichnen können, eingedenk des Umstandes, dass der älteste Sohn Ludwigs des Frommen einen Bruder Bernhards namens Heribert blenden, die Schwester Gerberga ertränken und einen weiteren Bruder – eben genannten Gauzhelm – enthaupten ließ.4 Doch sind solche kleinen Ungenauigkeiten letztlich nur Makulaturen.

In der Summe ist Andrea Stieldorf in beeindruckender Weise eine große und breit gefächerte Analyse gelungen, die viele strukturgeschichtliche Aspekte des Wandels und der Entwicklung eines früh- und hochmittelalterlichen Amtes sowie dessen Funktion und geografische Verortungen beleuchtet und die einschlägigen Termini intensiv diskutiert. Die starren verfassungsgeschichtlichen Kompetenzen, welche die ältere Forschung den Marken samt ihrer Grafen zuweilen attestierte, werden dabei oftmals relativiert. „Königsherrschaft an der Peripherie“ (S. 597) war stets geprägt und erschwert durch das personale Moment. Die Könige vermochten daher politisch in den Randzonen nur mit und nicht gegen diese autochthonen Kräfte zu herrschen. Damit offenbaren die Ergebnisse der Studie, wie einzelne Könige und Kaiser je nach Raum und temporärer Rahmenbedingung innerhalb ihres eigenen Herrschaftsverbandes immer wieder gezwungen waren, ihre persönliche Stellung neu zu definieren, um den Grenzschutz unter den spezifischen Aspekten ihrer jeweiligen Zeit gewährleisten und als politisches Mittel ihrer Herrschaft nutzen zu können.

Anmerkungen:
1 Vgl. allgemein Klaus Herbers / Nikolaus Jaspert (Hrsg.), Grenzräume und Grenzüberschreitungen im Vergleich, Berlin 2007.
2 Vgl. exemplarisch Michael Mitterauer, Karolingische Markgrafen im Südosten. Fränkische Reichsaristokratie und bayerischer Stammesadel im österreichischen Raum, Wien 1963; Josep Maria Salrach i Marès, Guillaume et Barcelone: la formation de la Marche Hispanique, in: Laurent Mace (Hrsg.), Entre histoire et épopée. Les Guillaume d'Orange (IXe–XIIIe siècles). Hommage à Claudie Amado, Université de Toulouse 2006, S. 25–44.
3 So werden die umfangreichen Arbeiten von Philippe Depreux, Claudie Duhamel-Amado oder Josep Maria Salrach i Marès lediglich durch jeweils eine einzige Publikation berücksichtigt. Das Werk des südfranzösischen Historikers Philippe Sénac, welcher ein ausgewiesener Experte des Grenzraums zwischen Karolingern und dem muslimischen Teil der Iberischen Halbinsel ist, findet überhaupt keine Verwendung.
4 Zu Heribert und seiner Blendung auf Befehl Lothars I. vgl. Philippe Depreux, Prosopographie de l’entourage de Louis le Pieux (781–840), Sigmaringen 1997, Nr. 146, S. 242. Zur Ertränkung der Schwester Bernhards von Septimanien, vgl. ebd. Nr. 50, S. 139, Anm. 38. Zur Enthauptung Gauzhelms auf Befehl Lothars I. vgl. ebd. Nr. 109, S. 207.

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