K. Bozay u.a. (Hrsg.): Grauer Wolf im Schafspelz

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Titel
Grauer Wolf im Schafspelz. Rechtsextremismus in der Einwanderungsgesellschaft


Herausgeber
Bozay, Kemal; Rammerstorfer, Thomas; Schmidinger, Thomas; Schörkhuber, Christian
Erschienen
Grünbach 2012: Franz Steinmaßl
Anzahl Seiten
96 S.
Preis
€ 19,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hüseyin Cicek, Institut für Politische Wissenschaft, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg / Cluster für Anthropologie und Gewalt, Universität Innsbruck

In der österreichischen Forschungslandschaft finden sich nur wenige Bücher, die sich dem Thema des türkischen Rechtsextremismus widmen. Diese Tatsache spiegelt dabei die Relevanz dieses überaus wichtigen und ertragreichen Themas gänzlich unzureichend wider. Das Osmanische Reich gehörte unter anderem zu den wichtigsten Bündnispartner der k.u.k. Monarchie und die moderne Türkei, gegründet 1923, unterstützte trotz ihrer Neutralität das Regime der deutschen Nationalsozialisten im Dritten Reich. Ab 1938, dem Todesjahr Mustafa Kemal Atatürks, übernahm Ismet Inönü die Führung in der laizistischen Republik. Während dieser Periode unterstützte die türkische Politik teilweise offen die Kriegspolitik der NSDAP in Deutschland. Beispielsweise waren hohe türkische Regierungsmitglieder an der Zusammenstellung einer türkischen Division während des Zweiten Weltkrieges beteiligt. Darüber hinaus hätte sich Inönü laut Zehra Öder1 nach der Eroberung Stalingrads durch die Wehrmacht dazu bereit erklärt, aktiv auf deutscher Seite am Zweiten Weltkrieg teilzunehmen. Hinzu kam, dass die türkische Regierung während des letzten Weltkrieges ausschließlich deutsche Kriegsschiffe durch die Meerengen passieren ließen, während sie den Alliierten den Seeweg versperrte. Nicht zuletzt aufgrund dieser Behinderung wurde den USA in ihren Anstrengungen zur Unterstützung der Sowjetunion gegen die Nazis der ungleich aufwendigere Landweg aufgezwungen.

Weshalb hatte die Türkei ein Interesse an einer Niederlage der UdSSR? Diesbezüglich müssen wir einen Blick auf die Geschichte des Osmanischen Reiches und in weiterer Folge der Türkei werfen. An diesem Punkt setzt auch der Sammelband „Grauer Wolf im Schafspelz“ an. Kemal Bozay versucht im ersten und zweiten Kapitel den Leser über die historischen Wurzeln der türkischen Faschisten aufzuklären. Der ideologische Unterbau der Grauen Wölfe, der Genozid an den osmanischen Armeniern, der Massenmord an Alewiten und Kurden 1924/25 sowie das autoritäre System Mustafa Kemal Atatürks werden kurz und präzise aufgezeigt. Auch versucht Kemal Bozay die Entwicklungen während des Kalten Krieges aufzuzeigen. Zur Sprache kommen unter anderem die Militärputsche von 1960, 1970 und 1980. Der Autor schafft es, den Leser gut durch die komplexe und teilweise unüberschaubare Geschichte türkischer Faschisten zu führen.

Im Kapitel drei unternimmt Christian Schörkhuber den Versuch, den Leser über den verstorbenen (Alparslan Türkeş) und amtierenden Führer (Devlet Bahçeli) der Grauen Wölfe aufzuklären. Ersterer war mehr als dreißig Jahre an der Spitze der Bewegung. Der Autor zeigt darüber hinaus die Mythologie des Grauen Wolfes auf und geht geschickt auf das schwierige Verhältnis der Türkei zu den Menschenrechten ein. Weitere mitunter aktuelle Themen im Fokus des Autors sind die antidemokratische Haltung der MHP und BBP (S. 45) und deren Wahlerfolge während der Wahl von 2011. Zu Recht verweist Schörkhuber dabei auf die künstliche Verbindung zwischen der faschistischen Ideologie und dem Islam (S. 48). Ebenfalls Erwähnung finden bekannte „Wölfe“ wie Mehmet Ali Ağca oder einer der wichtigsten Denker der Bewegung, Nihal Atsiz (S. 48). Der Leser wird darüber hinaus auf die politischen Morde in den 1970er-Jahren aufmerksam gemacht und auf die anhaltende und kontinuierliche Gewalt gegen Kurden in der heutigen Türkei. „Die kurdische Identität wird von der nationalistischen Bewegung als eine andere, nicht gleichberechtigte angesehen. KurdInnen, die sich zum Kurdentum bekennen, werden undifferenziert als PKK-AnhängerInnen, bzw. als TerroristInnen und VerräterInnen angesehen und dementsprechend behandelt.“ (S. 51)

Im Kapitel vier – ebenso von Christian Schörkhuber verfasst – wird auf den verstärkten Einfluss „ultranationalistisch-islamischer türkischer Organisationen“ in Deutschland und Österreich verwiesen (S. 59). Zu dieser gehören die ADÜTDF (Föderation der Idealistenvereine in Europa), die ATB (Europäisch-Türkische Einheit) sowie die ATIB (Türkisch Islamische Union Europa). Letztere darf nicht mit der in Österreich aktiven und 1990 gegründeten ATIB (Türkisch Islamische Union) verwechselt werden. Die Radikalisierung der türkischen Jugend sowie die Kontakte zwischen deutschen Neonazis und Grauen Wölfen werden ebenso im oben genannten Kapitel besprochen und aufgezeigt. Gerade die Entwicklungen in der jüngeren Vergangenheit bzw. die Serienmorde der NSU an unter anderem türkischen Bürgern in Deutschland lassen eine Kooperation zwischen türkischen Faschisten und deutschen Neonazis auf den ersten Blick paradox erscheinen. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch klar, dass aufgrund der historischen Verflechtungen und ideologischer Übereinstimmungen eine solche „Zusammenarbeit“ (S. 61) keineswegs als ambivalent zu kategorisieren ist.

Die letzten Kapitel des Buches widmen sich dem Einfluss des türkischen Faschismus auf die in Österreich lebende türkische Gemeinschaft. Es gilt zu erwähnen, dass die Kapitel fünf und sechs von Thomas Schmidinger und Thomas Rammerstorfer verfasst wurden und dass das siebte und letzte Kapitel von den beiden oben genannten Autoren sowie Christian Schörkhuber verfasst wurde. Dabei ist es zu begrüßen, dass die Autoren im Kapitel fünf darauf aufmerksam machen, dass die türkischen Rechtsextremisten aufgrund der Ignoranz der österreichischen Politik gegenüber den „Gastarbeitern“ aus der Türkei für eine lange Zeit in Österreich relativ unbehelligt agieren konnten. Ebenfalls erfreulich ist es, dass die türkisch-faschistischen Organisationen in Österreich und deren gesellschaftliches und politisches Vorgehen innerhalb der türkischen Migranten-Community zur Sprache kommen. In diesem Zusammenhang werden Vereine im ganzen Bundesgebiet erwähnt sowie die Symbole und Mythologien der Grauen Wölfe nochmals unter die Lupe genommen (S. 74–75). Zu Recht weisen Thomas Schmidinger und Thomas Rammerstorfer darauf hin, dass in Österreich zumeist lediglich die FPÖ mit rechtsextremer Ideologie und Antisemitismus in Verbindung gebracht wird, während die rechtsextreme Szene der türkischen Migranten kaum Beachtung findet. Dabei sollten gerade hier die Entwicklungen viel aufmerksamer verfolgt werden, nicht zuletzt aufgrund der Verherrlichung der Nazi-Gewalt seitens der Grauen Wölfe (S. 77). Die Autoren zeigen ferner den anhaltenden Zuwachs von neuen Mitgliedern der Grauen Wölfe auf, welcher sich aus der zunehmenden Ethnisierung von Konflikten nährt (S. 83).

Im siebten Kapitel unternehmen die Autoren nachdrücklich den Versuch, Politik und Gesellschaft von der Notwendigkeit zu überzeugen, der Ausbreitung des rechtsextremen Gedankenguts unter türkischen Migrantinnen und Migranten entgegenzuwirken. Die Autoren plädieren dafür, dass die Vereine der Grauen Wölfe und diejenigen, die ihnen nahe stehen, nicht mehr von Österreich gefördert werden sollen. Darüber hinaus sollte der österreichische Staat Subventionen aus der Türkei, welche diesen Organisationen zu Gute kommen, nicht mehr zulassen. Ferner soll im Bildungsbereich explizit auf die türkische Geschichte und die Herausforderung durch die türkischen Rechtsextremen eingegangen werden. Auch sollen dem Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW) und anderen Vereinen bzw. Institutionen, die sich dem Kampf gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus widmen, zusätzliche finanzielle Unterstützung zukommen. Der türkische Staat wird aufgefordert, die Subventionen für rechtsradikale Bewegungen und Vereine einzustellen. Schließlich werden die antifaschistischen türkischen, kurdischen sowie armenischen Bewegungen aufgerufen, in ihrer Arbeit gegen die Grauen Wölfe zu kooperieren.

Das Buch bietet dem Leser eine gute Einführung in das Thema Rechtsextremismus in der Einwanderungsgesellschaft und ebenso einen detaillierten Blick auf die türkischen Rechtsextremen, deren Ideologie, Symbole, Mythen und Organisationen in Deutschland und Österreich. Es wäre von besonderer Bedeutung, dass die österreichische Forschungslandschaft das Thema aufgreift und sich intensiver im wissenschaftlichen Diskurs mit dem Thema auseinandersetzt.

Anmerkung:
1 Zehra Önder, Die türkische Außenpolitik während des Zweiten Weltkrieges, München 1977.

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