R. Bucholz u.a.: London: A Social and Cultural History, 1550–1750

Cover
Titel
London. A Social and Cultural History, 1550–1750


Autor(en)
Bucholz, Robert O.; Ward, Joseph P.
Erschienen
Anzahl Seiten
413 S.
Preis
€ 22,18
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Margrit Schulte Beerbühl, Institut für Geschichtswissenschaften II, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Die vorliegende Studie der beiden amerikanischen Frühneuzeithistoriker befasst sich mit der Epoche zwischen 1550 und 1750, in der London zum führenden Wirtschafts- und Kulturzentrum des Empires und Finanzplatz der Welt aufstieg.

Eine Geschichte Londons zu schreiben, ist für jeden Historiker eine große, zugleich sehr reizvolle Herausforderung. Die Vielzahl von historischen und populären Arbeiten über London bezeugt die Faszination, die diese Stadt ausübt. London ist wiederholt als „Monster“,1 als „infernal wen“2 als „ungovernable city“3 charakterisiert worden. Die Herausforderung an die Geschichtsschreibung beginnt bereits mit der Frage, wo London anfängt und wo es aufhört. Noch heute besitzt die Millionenstadt keine einheitliche Verwaltungsstruktur. Sie war und ist eine Stadt der gewaltigen Gegensätze, von unvorstellbarem Reichtum und extremer Armut, Welthandels- und Finanzzentrum, Kulturmetropole, ein Zentrum von Gewalt, Krankheit und Seuchen.

Die Epoche mit der sich beiden Autoren befassen, ist eine der spannendsten und zugleich faszinierendsten der Geschichte der Hauptstadt. In den zwei Jahrhunderten zwischen 1550 und 1750 wandelte sich London von einer „verschlafenen Hafen- und Hofstadt“ eines peripheren Landes zu einer „imperial city“, zur Weltstadt und einem „Hort der Moderne“ (S. 31). Sie wurde zum Schmelztiegel von Zuwanderern, die moderne Lebensweisen von Freiheit, Gleichheit, Anonymität, schnellem sozialen Aufstieg und Fall vorwegnahmen.

Die Autoren Robert Bucholz und Joseph Ward präsentieren in ihrer Studie keine neuen Forschungsergebnisse, ihr Ziel ist vielmehr eine Synthese der historischen Literatur über London. Es handelt sich um eine durchaus gelungene Synthese. Die Autoren sind ausgewiesene Kenner auf dem Gebiet der frühneuzeitlichen Geschichte Englands und insbesondere Londons. Für die vorliegende Studie wählten sie einen ungewöhnlichen methodischen Ansatz, um die schillernde Gestalt der Stadt mit ihren vielen Facetten zu beleuchten. Sie beginnt wie ein Reiseführer, der den Fremden aus verschiedenen geographischen Richtungen in das historische London um 1550 einführt. Auf dem Weg durch die Vororte und die Stadt – durch die City und Westminster – erfährt der Leser nicht allein von der vergangenen und zeitgenössischen Bedeutung von Gebäuden oder Institutionen, von Wirtschaft und Gesellschaft, sondern auch Weiteres über deren wechselvolle Geschichte.

Durch das gesamte Buch hinweg machen die Autoren einerseits immer wieder auf die beharrenden traditionellen Elemente aufmerksam, die die Stadt prägten – die „Great Chain of Being“, der Gott gewollten hierarchischen Ordnung, die sich in der politischen und wirtschaftlichen Struktur der Stadt zeigte. Andererseits verweisen sie auf die soziale und politische Sprengkraft der demographischen Entwicklung, die diese Ordnung zunehmend infrage stellte. London war schon 1550 mit 120.000 Einwohnern die bei weitem größte Stadt. Durch Zuzug und mehrere Flüchtlingswellen stieg die Zahl bis 1750 auf 750.000 Einwohner. Für jeden Neuankömmling musste diese Stadt schon 1550 einem verwirrenden Labyrinth geglichen haben, da die nächst größere Stadt (Bristol) gerade einmal 8.000 Einwohner zählte.

In Kapitel 2 und 3 behandeln die Autoren die demographische, wirtschaftliche und politische Struktur Londons. Politisch blieb sie bis weit ins 19. Jahrhundert hinein in ihren mittelalterlichen Grenzen verhaftet, obwohl sie sich schon 1550 über die althergebrachten Stadtgrenzen ausgedehnt hatte. Eine Gemengelage von unterschiedlichen Zuständigkeiten, von City und angrenzenden Grafschaften, wirkte sich auch auf die traditionellen zünftigen Wirtschaftsverhältnisse aus, deren Kontrollmöglichkeiten außerhalb der Grenzen der City und ihrer Liberties (Außenbezirke) gering waren. London bot daher für viele Neuankömmlinge – auch für Frauen – zahlreiche Berufsperspektiven außerhalb zünftiger Wirtschaftsstrukturen. In knappen und leicht verständlichen Abschnitten werden in diesen Kapiteln der Aufstieg der Handelskompanien, die kommerzielle und die finanzielle Revolution behandelt, ebenso das Leben am Hof in Whitehall und das hauptstädtische London in Westminster mit Parlament und Regierung.

Kapitel 4 ist der Geschichte der bildenden und darstellenden Künste gewidmet. Hier beschreiben die Autoren die Auswirkungen der Reformation und der puritanischen Revolution auf diese, ihre Zurückdrängung und Unterdrückung zugunsten des Wortes und der Schriftlichkeit. Erst nach 1660 nahmen die bildenden und darstellenden Künste einschließlich der Musik einen neuen Aufschwung.

In Kapitel 5 befassen sich die Autoren mit der Entwicklung des Pressewesens und der öffentlichen Freizeit- und Festkultur, mit Gaststätten, Kneipen, neuen Kaffeehäusern und Freizeitparks, ebenso wie den vergeblichen Versuchen der Obrigkeit, das Freizeitverhalten der Londoner zu ändern.

Kapitel 6 wendet sich den Menschen am Rande der Gesellschaft zu. Die Autoren beginnen mit einem Überblick über die Forschung zur Entwicklung der Armengesetzgebung und frühmodernen Fürsorgeeinrichtungen für Kinder und Erwachsene. Sie stellen die Frage: Was bedeutete es, in London arm zu sein? Der letzte Teil dieses Kapitel untersucht Kriminalität, Strafgesetzgebung und das Problem der Sanktionierung, aber auch die Weigerung der Richter, die harten vom Gesetz vorgesehenen Strafen zu verhängen.

Unruhen, Krawalle, Aufstände und Rebellionen gehörten zur Geschichte des frühneuzeitlichen London. Zunächst beginnen die Autoren in Kapitel 7 mit einer Definition von „riot“ und fragen nach der Häufigkeit der Krawalle sowie dem anhaltenden Interesse der Historiker an der Erforschung der frühneuzeitlichen Unruhen. Sie wenden sich den Rebellionen, etwa derjenigen gegen die Heirat Marys I. mit dem spanischen Prinzen Philip, dem späteren Philip II. von Spanien 1554 sowie der Beteiligung der Stadt am Bürgerkrieg und an der Glorreichen Revolution zu.

Kapitel 8 untersucht die Auswirkungen der letzten großen Pest von 1665 und des großen Feuers von 1666. Beide Ereignisse zusammen bildeten eine Zäsur in der Geschichte der Hauptstadt. Der Wiederaufbau nach 1666 läutete das moderne London und seinen Aufstieg als Wirtschafts- und Finanzmetropole ein.

Die Untersuchung schließt mit einem Spaziergang durch das London um 1750. Altes und Neues werden vorgestellt: wachsende Umweltprobleme durch fehlende Kanalisation, die neuen Gebäude, wie die Bank of England, die East India oder die Africa Company. Die Symbole der aufsteigenden Imperial- und Kolonialmacht werden beschrieben und auch das Westend mit den drei neuen großen Plätzen in Mayfair, den neuen Türmen der Westminster Abbey oder der neuen Brücke über die Themse etc. Probleme der Kriminalität, der hohen Sterberaten oder Armut und Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung waren geblieben. Zum Teil nahmen sie neue Formen an, wie die Gin Lane oder Coram’s Waisenhaus.

Abschließend ist festzuhalten, dass es sich bei der vorliegenden Publikation um eine ausgesprochen anregende Darstellung handelt. Sie ist mit Empathie und zugleich historischer Distanz geschrieben. Beeindruckend ist die Dichte der Beschreibungen, neben zeitgenössischen Kommentaren und literarischen Quellen finden sich in den Kapiteln jeweils kritische Auseinandersetzungen mit der vorhandenen wissenschaftlichen Literatur. Kleinere Ungenauigkeiten lassen sich bei der Fülle von Informationen, die dem Leser in einer sehr ansprechenden und leicht verständlichen Art vermittelt wird, nicht ganz ausschließen.4 Ein ausführlicherer Anmerkungsapparat wäre an manchen Stellen wünschenswert gewesen. Die weiterführende nach Sachgruppen gegliederte Bibliographie hebt diesen Mangel nur teilweise auf. Zahlreiche Bilder am Anfang des Bandes, auf die im Text immer wieder verwiesen wird, führen dem Leser auch visuell die Veränderungen Londons vor.

Insgesamt handelt es sich um eine sehr detailreiche, gewinnbringende und geradezu spannende Lektüre, die jedem, der sich mit der Geschichte des frühneuzeitlichen London beschäftigen will, zu empfehlen ist.

Anmerkungen:
1 Jack Lindsay, Monster City: Defoe’s London 1688–1730, London 1978.
2 Francis Sheppard, London 1808–1870, London 1971.
3 Tony Travers, The politics of London: governing an ungovernable city, Basingstoke 2004.
4 Bei der Russia Company handelt es sich nicht um eine joint-stock, sondern eine regulated company (S. 85). Die Auffassung der Autoren (S. 88), wonach die Handelskompanien (Russia, Levant und Royal African Companies) ihre Bedeutung nach 1689 verloren, kann so pauschal nicht aufrechterhalten werden: vgl. Alfred C. Wood, A History of the Levant Company, New York 1964. Die Reform von 1698 machte die Russia Company zu einer ähnlich mächtigen Handelsorganisation wie die East India Company: vgl. Norman C. Hunt, The Russia Company and Government 1730–1742, in: Oxford Slavonic Papers 7 (1959), S. 27–65.

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