Cover
Titel
Mittelalter Computer Spiele. Zur Darstellung und Modellierung von Geschichte im populären Computerspiel


Autor(en)
Heinze, Carl
Reihe
Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen/History in Popular Cultures 8
Anzahl Seiten
342 S.
Preis
€ 33,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Philipp Schwarz, Institut für Geschichte, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Computerspiele sind noch ein junges Medium und wurden erst seit Beginn der 1990er-Jahre zu einem weltweiten Massenphänomen. So stellt auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit ihnen ein Forschungsgebiet dar, das gerade mal seit etwas mehr als einem Jahrzehnt zunehmend in den Fokus rückt. Vornehmlich wurde und wird es von Pädagogen, Sozial- und Medienwissenschaftlern bearbeitet. „Historikerinnen und Historiker […] beginnen gerade erst, sich an dieser Erforschung zu beteiligen.“1 Dies erscheint erstaunlich, da Computerspiele mit historischem Setting ein wesentlicher Teil eben jenes von Jörn Rüsen und anderen konstatierten „Geschichtsbooms“ sind2, der seit einigen Jahrzehnten zu einem steten Bedeutungszuwachs von Geschichte in öffentlichen Diskursen geführt hat. In allen Arten von Medien und populären Unterhaltungsangeboten haben Geschichtsdarstellungen und -bezüge zugenommen. So erschienen bisher über 1.600 PC-Spiele mit historischem Inhalt, die meisten davon in den vergangenen sieben Jahren.3 Und obwohl sie eine interessante Quellengruppe für geschichtswissenschaftliche und -didaktische Untersuchungen sein können, ist dieses Potenzial bisher weitgehend ungenutzt geblieben.4

Mittlerweile werden Computerspiele als Thema für die Geschichtswissenschaft aber stärker entdeckt. Dazu trägt auch Carl Heinze mit seiner nun als Buch vorliegenden Dissertation bei. Er will „mit einer einschränkenden Konzentration auf das Mittelalter und unter besonderer Berücksichtigung der Situation in Deutschland klären, mit welchen präsentativen Strategien das Historische im Computerspiel erscheint und wie die Vergangenheitsbilder beschaffen sind, die dadurch evoziert werden“ (S. 13). Indem er Computerspiele mit explizit mittelalterlichen Referenzpunkten untersucht, betritt Heinze Neuland – auch innerhalb der geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Computerspielen. In ihrem Fokus standen bisher vor allem die so genannten Weltkriegsshooter (etwa die Spiele der überaus populären Serie „Call of Duty“) und epochenübergreifende Computerspiele wie diejenigen der Serie „Civilization“.

Wie bereits im Titel deutlich wird, befindet sich die Arbeit im Schnittpunkt der drei Themenbereiche „Mittelalter“, „Computer“ und „Spiele“, deren Grundlagen der Autor in der Einleitung anspricht. Zur Beantwortung seiner Frage nach der „Darstellung und Modellierung von Geschichte“ wählt Heinze einen explorativen und qualitativen Zugriff. Dieser werde der Vielfalt der verschiedenen Spielgenres und ihrer Möglichkeiten, Geschichte erleb- und spielbar zu machen, besser gerecht als etwaige quantitative Methoden – eine Annahme, die sich schon bei anderen Untersuchungen zum Thema bestätigt hat. Um sein Vorhaben in die Tat umsetzen zu können, benötigt Heinze jedoch geeignete Begriffe, die noch vor den einzelnen Analysen der Computerspiele erarbeitet werden sollen. Somit unterteilt sich die Studie in zwei große Themenblöcke.

Im ersten Teil schlägt Heinze zur theoretischen Fundierung und Einbettung seines Vorhabens einen weiten, aber notwendigen Bogen. Zunächst erläutert er die Grundlagen der Konzepte von Erinnerungs- und Geschichtskultur. In Anlehnung an Bernd Schönemann5 ordnet er die Computerspiele der medialen Dimension der Geschichtskultur zu. Dementsprechend folgt eine mehrteilige Annäherung an das Medium und seine Eigenschaften, die helfen soll, die Frage nach dem „Sitz der Geschichte im Computerspiel“ (S. 30) beantworten zu können. Dazu entwickelt Heinze in den Kapiteln „Spiele“, „Computerspiele“ sowie „Computerspiele und Geschichte“ ein gut nachvollziehbares Schema, das Computerspiele als Regelspiele beschreibt – erstens mit einem spiellogischen Bezugsrahmen als Interpretation eines formalen (computer- und datenverarbeitungsgestützten) Systems; zweitens mit einem lebensweltlichen Bezugsrahmen als Modellierung kollektiven Wissens. „Das Spielen findet also zwischen der formalen und der narrativen Ebene statt.“ Von einem „historischen Computerspiel“ könne man dann sprechen, „wenn eine funktional relevante Menge von Spielelementen ihre Bedeutung durch den historischen Diskurs erhält. […] Bedeutung durch den historischen Diskurs erhalten Spielelemente, wenn sie Modellierungen von historischen Wissensbeständen sind oder wenn sie deutlich auf Bestände des historischen Wissens verweisen.“ (S. 107) Damit bietet Heinze eine erste tatsächlich belastbare Definition historischer Computerspiele an. Unter „historischem Wissen“ ist dabei ein kollektives Konstrukt zu verstehen, eine „gesellschaftlich ausgehandelte Größe“ (S. 90) zwischen der Gesellschaft im Allgemeinen und den Experten (Historische Institute/Professionen et cetera).

Im abschließenden Kapitel des Theorieteils unternimmt Heinze eine quantitative Annäherung an die bisher veröffentlichten historischen Computerspiele und stellt heraus, welchen hohen Anteil die Computerspiele mit Referenzen zum Mittelalter dabei haben: nämlich rund ein Viertel. Er begründet die Auswahl der im zweiten Teil zu untersuchenden Spiele, die sich an den gängigen Genres und der Situation auf dem deutschen Computerspielemarkt orientiert. Schließlich betrachtet er die Rezipienten und Produzenten von Computerspielen, bei denen es sich in der Regel um historische Laien handelt. Daher bestimme nicht primär ein fachlich-inhaltliches, sondern ein ökonomisches Interesse die Produktionsbedingungen der meisten historischen Computerspiele – ein Umstand, der stets zu beachten sei (S. 124ff.).

Im zweiten Teil des Buches untersucht Heinze einige historische Computerspiele exemplarisch. Dies soll mit Hilfe der im ersten Teil herausgearbeiteten Begriffe und Definitionen sowie anhand ausführlicher Medien- und Inhaltsanalysen geschehen. Einen genauen Ablauf der Analysen legt der Autor vorab nicht fest und will sie stattdessen dem jeweiligen Spiel anpassen, ohne jedoch die spiellogischen und lebensweltlichen Bezugsrahmen außer Acht zu lassen – eine Vorgehensweise, die der Heterogenität der Untersuchungsobjekte sicher gerecht wird. Die analysierten Spiele sind das Adventure „The Abbey“ (Crimson Cow 2008), das Action-Adventure „Assassin’s Creed“ (Ubisoft 2008), das Rollenspiel „Drakensang: Am Fluss der Zeit“ (dtp entertainment 2010), die Aufbausimulation „Die Siedler – Aufstieg eines Königreichs“ (Ubisoft 2007), die Wirtschafts- und Handelssimulation „Anno 1404“ (Ubisoft 2009), die Wirtschafts- und Lebenssimulation „Die Gilde 2“ (JoWood 2006) sowie das Strategiespiel „Medieval II: Total War“ (Sega 2006). Mit dieser Auswahl sind die wichtigsten Genres für historische Computerspiele abgedeckt und sehr typische Vertreter ausgewählt.

Innerhalb der einzelnen Analysen sind vor allem die Quervergleiche zu jeweils ähnlichen Spielen sehr aufschlussreich, da sie bestimmte Trends und immer wieder von den Programmierern benutzte Stereotype deutlich werden lassen. Die Fallbeispiele zeigen, dass es keine Darstellung „des“ Mittelalters im Computerspiel gibt. Stattdessen werden stets Teilaspekte modelliert, die sich aber zu einem Panorama der Mittelalterdarstellungen im Computerspiel zusammenfügen lassen (S. 298). Die Motive der Produzenten, verstärkt auf Geschichte im Computerspiel zu setzen, seien durch zwei sich ergänzende Konzepte zu erklären (S. 298f.): „Geschichte als Marke“ (im Sinne einer Vermarktung durch Wiedererkennungswerte) und „Geschichte als Universum“ (im Sinne eines fast unendlichen Reservoirs glaubwürdiger Erzählungen und audiovisueller Artefakte). In jedem Fall seien die in den Computerspielen entworfenen Geschichtsbilder stark beeinflusst von der Beschränkung des Computers, nur mit eindeutigen Datensätzen operieren zu können. Dies führe zu stark formalistischen und „dem Diktat der Tabelle gehorchenden Darstellungen“ (S. 300f.). Die Symbolik verweise stets auf kollektive Wissensbestände und in ihrer Bildlichkeit vorrangig auf materielle Dimensionen mittelalterlicher Geschichte. Grundsätzlich seien historische Computerspiele aber auch in der Lage, erzählend Geschichte zu vermitteln (S. 304).

Sein Vorhaben, die Möglichkeiten (und Grenzen) der „Darstellung und Modellierung von Geschichte im populären Computerspiel“ aufzuzeigen und solche Spiele in die postmoderne Geschichtskultur einzuordnen, hat Carl Heinze sehr gelungen umgesetzt. Die Arbeit ist klar strukturiert und die Argumentation stets nachvollziehbar. Heinzes Sprachstil und seine nützlichen Rekapitulationen des jeweils Vorangegangenen gewähren eine hohe Lesbarkeit und Verständlichkeit – auch für Leser, die selber keine passionierten Computerspieler sind. Einziger Wermutstropfen bleibt, dass auch Heinze – aus arbeitspragmatischen Gründen – noch nicht den nächsten konsequenten Schritt geht und auf eine Rezeptionsanalyse bewusst verzichtet. Diese wird jedoch zwingend notwendig sein, um die bisherigen Erkenntnisse der Untersuchungen einzelner Computerspiele in Hinblick auf das gesamte Medium und seine Spieler/innen überhaupt verifizieren (oder gegebenenfalls falsifizieren) zu können.

Anmerkungen:
1 Angela Schwarz, Computerspiele – ein Thema für die Geschichtswissenschaft?, in: dies. (Hrsg.), „Wollten Sie auch immer schon einmal pestverseuchte Kühe auf ihre Gegner werfen?“ Eine fachwissenschaftliche Annäherung an Geschichte im Computerspiel, Münster 2010, S. 7–28, hier S. 7. (rezensiert u.a. von Rainer Pöppinghege, in: H-Soz-u-Kult, 12.05.2011, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=15803> [10.01.2013].
2 Vgl. Jörn Rüsen, Was ist Geschichtskultur? Überlegungen zu einer neuen Art, über Geschichte nachzudenken, in: Klaus Füßmann / Heinrich Theodor Grütter / Jörn Rüsen (Hrsg.), Historische Faszination. Geschichtskultur heute, Köln 1994, S. 3–26.
3 Vgl. Schwarz, Computerspiele, S. 11.
4 Vgl. ebd., S. 23.
5 Vgl. Bernd Schönemann, Geschichtsdidaktik und Geschichtskultur, in: Bernd Mütter / Bernd Schönemann / Uwe Uffelmann (Hrsg.), Geschichtskultur. Theorie – Empirie – Pragmatik, Weinheim 2000, S. 26–58.