A. Karaminova u.a. (Hrsg.): Visualisierungen des Umbruchs

Cover
Titel
Visualisierungen des Umbruchs. Strategien und Semantiken von Bildern zum Ende der kommunistischen Herrschaft im östlichen Europa


Herausgeber
Karaminova, Ana; Jung, Martin
Erschienen
Frankfurt am Main 2012: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
140 S.
Preis
€ 26,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Großmann, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Allgemein bekannt, aber selten thematisiert ist die Tatsache, dass Promovierende in allen Wissenschaften zu den „Early Adopters“ von inhaltlichen und methodischen Innovationen zählen. Dies trifft auch auf die Geschichtswissenschaften zu, wo Promovierende oft zu den ersten gehören, die neue Ansätze auch tatsächlich empirisch erproben und so zur Entwicklung des Fachs insgesamt beitragen. Diese wichtige Rolle nehmen Promovierende insbesondere dann ein, wenn sie über ihr eigentliches Forschungsprojekt hinaus Workshops ausrichten oder Publikationen herausgeben, die sich auf methodisch-inhaltliche Diskussionen beziehen.

In diesem Sinne sei der von Ana Karaminova und Martin Jung herausgegebene Band ausdrücklich positiv hervorgehoben. Karaminova und Jung sind Stipendiaten des DFG-Graduiertenkollegs 1412 „Kulturelle Orientierungen und gesellschaftliche Ordnungsstrukturen in Südosteuropa“ an den Universitäten Jena und Erfurt. Ihr Sammelband geht auf einen gleichnamigen Workshop zurück, der im Jahre 2011 in Berlin veranstaltet wurde, und enthält mit einer Ausnahme die dort vorgestellten Beiträge.1 Der Band schließt an die laufenden Debatten über einen „iconic turn“ in der Geschichtswissenschaft an und präsentiert Vorhaben aus dem Feld der ost- und südosteuropäischen Zeit- und Kulturgeschichte, die methodisch vom Ansatz der „visual history“ ausgehen.2 Im Zentrum steht die Frage, inwiefern Umbrüche auf eine spezifische Weise visualisiert werden, wobei es hier um die Umbrüche geht, die mit dem Ende der kommunistischen Parteidiktaturen in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa 1989/90 verbunden sind. Diese These einer spezifischen Visualität von Umbrüchen ist hochspannend und verweist auf ein Forschungsdesiderat, das weit über den Rahmen dessen hinausgeht, was ein kleiner Tagungsband abdecken kann. Der vorliegende Band soll daher, so der Wunsch der Herausgeber im Vorwort, auch nur „dazu beitragen, dass ‚Visualisierungen des Umbruchs‘ verstärkt in den Blick genommen“ und neue Forschungen angeregt werden (S. 10).

Inhaltlich ist der Bogen des Sammelbandes weit gespannt. Das Rückgrat des Bandes bildet zweifellos der Beitrag von Gerhard Paul (Flensburg) über „Bild und Umbruch. Gedanken aus der Perspektive der ‚Visual History‘“. Bilder, so betont Paul, vermögen wie jede Handlung oder Handlungsanweisung Realität zu prägen. „Bilder sind somit mehr als Quellen, die auf einen Sachverhalt oder ein Ereignis außerhalb ihrer eigenen Existenz verweisen.“ (S. 30) Sie seien auch mehr als nur Medien, die unter Nutzung ihres ästhetischen Potenzials Deutungen transportieren. Bilder besäßen auch, so Paul, die Fähigkeit, Realität erst zu erzeugen. Eine dem herkömmlichen Verständnis von Bildern als Abbildungen völlig entgegengesetzte Vorstellung, die den Kerngedanken des „iconic turns“ ausmacht.

Daran schließt Paul Überlegungen über die Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit von Repräsentationen an. Bezogen auf die Repräsentation gesellschaftlicher Umbrüche führen diese Überlegungen zu drei fundamentalen Unterscheidungen. Paul differenziert erstens den „Umbruch etablierter Bildkulturen“ etwa in Form von „ikonoklastischen und denkmalstürzlerischen Tätigkeiten“ von der zweiten Frage, „ob und wie es in Umbruchsituationen durch Akteure selbst zur Entstehung neuer Bild- und Symbolwelten kommt“ (S. 31). Die dritte Frage richtet sich auf die Rolle, die visuelle (Massen-)Medien im Verlauf gesellschaftlicher Umbrüche wie dem Ende der kommunistischen Herrschaft in Europa spielten.

Anhand mehrerer Beispiele wie des berühmten Fotos des „Tank Man“, aufgenommen im Juni 1989 im Stadtzentrum von Peking, weist Gerhard Paul außerdem nach, dass die Herausbildung von Bildikonen, „die sich in unserem Bildgedächtnis heute mit Revolution und Umbruch verbinden,“ meist erst später und nicht am Ort der Ereignisse einsetzte (S. 43). Es sind meist Bildredakteure oder Fernsehjournalisten, die mit ihrer Auswahlentscheidung erheblich dazu beitragen, dass Bildikonen entstehen können. Die Bilder würden daher anderen Intentionen und Narrativen folgen als jenen der Akteure, die an den Ereignissen unmittelbar beteiligt waren.

Diese Komplexität des Themas Bilder und Visualisierung erfordert im Interesse der Leser von den Autoren der Beiträge, dass diese ihre Aussagen klar auf die untersuchten Ebenen beziehen und von einer präzisen Leitfrage ausgehen. Dies gelingt unterschiedlich gut. Besonders präzise erscheint in dieser Hinsicht der Beitrag von Martin Jung (Erfurt/Jena) über „Visualisierung als Vermeidungsstrategie. Die Armee und der Umbruch von 1989 in Rumänien“. Er analysiert einen Ausstellungsraum im Nationalen Militärmuseum in Bukarest, der die Revolution im Winter 1989 in Rumänien zum Gegenstand hat. Die Objekte des Raumes gehen im Wesentlichen auf Schenkungen von Armeeangehörigen zurück und bilden in ihrer Anordnung und inhaltlichen Aussage eine eigene Inszenierung der rumänischen Armee. Bereits 1990 entstanden, also unmittelbar nach den Ereignissen, scheint die Ausstellung durch das Ziel inspiriert, die Armee als revolutionäre Kraft an der Seite des Volkes darzustellen. Zugleich, so Jung, verhindern derartige Inszenierungen, dass die Rolle der Armee bei der blutigen Niederschlagung der Proteste Mitte Dezember 1989 thematisiert wird.3

Petra Mayrhofer (Wien) trägt einen Ländervergleich zur Bebilderungsstrategie von Tageszeitungen und Magazinen anlässlich der Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag des Mauerfalls bei. Sie untersucht österreichische, deutsche, tschechische und ungarische Zeitungen sowie die International Herald Tribune und die Neue Zürcher Zeitung. Dabei stellt sie fest, dass die Visualisierungen sehr unterschiedlich erfolgten und vor allem, dass der Mauerfall in Berlin nicht mit den politischen Umbrüchen in Ostmitteleuropa verknüpft wurde. Die Überlegungen von Susann Neuenfeldt (Berlin) zu „Mit den Wölfen heulen: Animalisierte Phantasien des politischen Umbruchs seit 1989“ führen auf eine sehr abstrakte Ebene. Die Autorin fühlt sich den aufkommenden „critical species studies“ verpflichtet4 und fragt, inwiefern zwischen dem Auftauchen osteuropäischer Wölfe in Brandenburg und Sachsen und der Entwicklung der Transformationsgesellschaft eine Koinzidenz besteht. Der Beitrag behandelt damit eher eine Projektionsfläche für gesellschaftliche Unsicherheiten und Bedrohungsgefühle nach den politisch-gesellschaftlichen Umbrüchen als eine Visualisierung des Umbruchs selbst.

Sehr stark auf konkrete Medien bezogen sind die Beiträge von Marijana Erstić (Siegen) über den Musikclip „Miss Sarajevo“ von U2 und Luciano Pavarotti und Katarzyna Ruchel-Stockmans (Leuven) über den Dokumentarfilm „Videogramme einer Revolution“ von Harun Farocki. Hier überwiegen medienimmanente Fragen nach Visualisierungen von Krieg, Gewalt und Revolution und nach der jeweiligen Einbeziehung des Zuschauers. Das Wechselverhältnis von Kunst und Gesellschaft im Bulgarien der Jahre 1987 bis 1995 beschäftigt Galina Lardeva (Plovdiv) in ihrem Beitrag „The Art of Transition. From the Dragon to the Chameleon“. Darin zeigt die Autorin die Rolle von Künstlern als treibende Kräfte in den politischen Umbrüchen auf, die für mehrere staatssozialistische Länder typisch war. So besetzten im bulgarischen Fall Künstlergruppen mit großen Installationen den frei gewordenen öffentlichen Raum, um unter Beteiligung des Publikums die politischen Veränderungen zu thematisieren. Ein eindrucksvolles Beispiel ist die Installation der Gruppe „Gradat“, die 1990 in Sofia mit einer Holzkonstruktion und tausenden Ausweisen der kommunistischen Partei ein überdimensionales Chamäleon errichtete.

Ergänzt wird der Band durch übergreifende Überlegungen der beiden Herausgeber zu „Visualisierungen des Umbruchs“ und „Wirklichkeit und Fiktion der Bilder“, die die Einzelbeiträge zueinander in Beziehung setzen. Allerdings bleibt insbesondere die Frage (noch) unbeantwortet, inwiefern sich von einer spezifischen Visualisierung des Umbruchs von 1989/90 sprechen lässt. Dafür fehle es an weiteren Forschungsarbeiten, die die Herausgeber mit anstoßen wollen. Für dieses Anliegen wäre allerdings eine andere Publikationsform sicherlich besser geeignet gewesen. Denn die Tatsache, dass das schmale Paperback bei Peter Lang für den Preis eines viermal umfangreicheren Hardcoverbuches erschienen ist, dürfte die Zugänglichkeit für interessierte Leser und vor allem die Wahrnehmung der Aufsätze im Einzelnen durch die „community“ minimieren. Die Aufsätze wären gerade mit den hochinteressanten und weitgehend unbekannten Fotos in einer Onlinepublikation wesentlich besser aufgehoben und könnten eher zur Diskussion anregen. Es kann zwar nicht allein die Aufgabe von Promovierenden sein, akzeptierte Online-Publikationsorte zu entwickeln. Als Innovationsträger des Fachs sollten sie aber die Möglichkeiten dafür erwägen und ausloten.

Anmerkungen:
1 Vgl. Tagungsbericht Visualisierungen des Umbruchs. 02.06.2011-03.06.2011, Jena, in: H-Soz-u-Kult, 09.08.2011, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=3761 (15.01.2013).
2 Zum iconic turn und zur visual history vgl. grundlegend Gerhard Paul, Visual History, Version: 2.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 29.10.2012, URL: https://docupedia.de/zg/Visual_History_Version_2.0_Gerhard_Paul?oldid=85143 (15.01.2013).
3 Die zum Verständnis notwendigen Hintergrundinformationen zu den Umbrüchen in Ostmittel- und Südosteuropa bietet in besonders prägnanter Form György Dalos, Der Vorhang geht auf. Das Ende der Diktaturen in Osteuropa, München 2009.
4 Vgl. dazu die neue Zeitschrift „Tierstudien“, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/zeitschriften/id=601 (15.01.2013).

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