I. Jander: Politische Verfolgung in Brandenburg

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Titel
Politische Verfolgung in Brandenburg 1949 bis 1953. Der Kampf gegen Ost-CDU, Bauern und Kirchen im Spiegel der Akten von SED und Staatssicherheit


Autor(en)
Jander, Ingrid
Reihe
Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte 59
Erschienen
Düsseldorf 2012: Droste Verlag
Anzahl Seiten
628 S.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Ulrich Weiß, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Wie die aktuellen Diskussionen der Enquete-Kommission „Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur und des Übergangs in einen demokratischen Rechtsstaat im Land Brandenburg“ zeigen, ist das Wissen über politische Verfolgung und Opposition zwischen 1949 und 1989 in der Region Brandenburg noch sehr unvollkommen. Das liegt nicht zuletzt auch am begrenzten wissenschaftlichen Forschungsinteresse, das diese Thematik bislang gefunden hat. In diese Lücke hinein stößt die vorliegende Dissertationsschrift von Ingrid Jander, die sich mit dem aggressiven Herrschaftsausbau der brandenburgischen SED in den ersten Jahren der DDR befasst. Die forschungsleitende Fragestellung ergibt sich aus einem Set an Einzelfragen, das um Verlauf, Akteure und Methoden der Sowjetisierung und damit verbundener politischer Repression in Brandenburg kreist und dafür drei Untersuchungsgegenstände in den Blick nimmt: die Partei CDU-Ost, die Institution Kirche und die soziale Schicht der Bauernschaft. Im Zentrum der Analyse stehen erklärtermaßen die außerpolizeilichen („weichen“) Mittel zur Einflussdurchsetzung, wobei die Autorin verspricht, einen „umfassenden Einblick in das Denken, Planen und Handeln des SED-und MfS-Apparates auf der Regional- und Lokalebene in Brandenburg“ zu geben (S. 13). Der Anspruch einer Gesamtschau spiegelt sich dann auch in der Auswertung sämtlicher 27 Landeskreise wider, in denen die SED gegen Christdemokraten vorging. Diese auf Vollständigkeit bedachte Herangehensweise begründet die Autorin unter anderem mit der Verschiedenartigkeit der Ausgangslagen und Verläufe in den einzelnen Kreisen (S. 13).

Sowohl mit ihrer Fragestellung als auch mit ihrer Quellenauswahl und Methode verfolgt Jander einen primär politikgeschichtlichen Ansatz. Die dreiteilige, nicht ganz übersichtlich gegliederte Untersuchung fokussiert auf die Verfolgungswellen von 1949/50 und 1952/53, die sich gegen die CDU bzw. gegen die Bauernschaft und die Kirchengemeinschaften richteten. Innerhalb dieser Jahre konstatiert Jander eine Entwicklung vom „Terror gegen bürgerliche Parteien“ hin zum „totalen sozialen Krieg gegen nahezu alle Bevölkerungsgruppen“ (S. 507). Im Zentrum der quellen- und fußnotengesättigten Studie steht die Auswertung von Verordnungen, SED-Maßnahmeplänen und Strategielegungen sowie konkreter Parteiaktionen gegen „reaktionäre Elemente“. Dabei erhält der Leser einen detaillierten Einblick in die regionale Akteursebene bzw. deren Wahrnehmung in den SED-Akten. Die Studie zeigt mittels mikrogeschichtlicher Sektion genau auf, wie die sogenannten liberalen Parteien und ihr Führungsapparat lokal erst geschwächt und dann im Sinne der SED domestiziert wurden. Zahlreiche Einzelbeispiele belegen eindrucksvoll die Vielfalt des Instrumentariums und die flächendeckende Wirksamkeit der repressiven Maßnahmen. Jander hebt insbesondere auf die „Strategie der Differenzierung“ ab, nach der die SED zwischen „reaktionären“, schwankenden und „progressiven Kräften“ innerhalb der gegnerischen Gruppen unterschied und entsprechend verschiedenartig verfuhr. Im Rahmen einer intensiven „Einzelbetreuung“ versuchte die SED (meist erfolgreich) mit den Mitteln der „Vereinnahmung“ und „Anpassung“, „Progressive“ auf ihre Seite zu ziehen und zur öffentlichen Distanzierung von den „Reaktionären“ zu bewegen (S. 519ff.). Anreize wurden dabei gleichermaßen durch Drohungen wie Versprechungen geschaffen.

Erklärtes Ziel der Säuberungsaktionen war die Bildung „fortschrittlicher“ Blockparteileitungen, die sich problemlos in die Struktur der Nationalen Front einpassten und die absolute Vorherrschaft der SED anerkannten. Als zentrale Handlungsträger agierten hier vor allem die SED-Instrukteure. Diese wurden zu Hunderten in die Kreise, Städte und Dörfer entsandt, um zunächst die politische, wirtschaftliche und soziale Lage sowie die lokalen Funktionsträger zu sondieren und dann die Demontage missliebiger Personen und Parteiverbände unter anderem durch Kampagnen, Verleumdungen und inszenierten Unruhen anzuleiten. Als besonders probates Mittel galt die öffentliche Entlarvung „reaktionärer Kräfte“, wofür SED-Agitationsgruppen und sogenannte Aufklärungsgruppen der Nationalen Front eingesetzt wurden. Das Szenario glich, so Jander, oftmals der abgemilderten Version eines Schauprozesses (S. 351). Die Vorgänge in den Kreisen Jänschwalde und Niederbarnim schält die Autorin als typische Modelle für den gezielten Funktionärsaustausch bzw. die Ausschaltung von „reaktionären“ CDU-Funktionären und -Mitgliedern heraus.

Führende SED-Funktionäre, die sich in den Jahren 1949/50 „bewährt“ hatten, leiteten dann auch 1952/53 die Repressionskampagnen gegen Bauern und Junge Gemeinden. Die Rajk- und Slansky-Schauprozesse bildeten dabei in beiden Fällen den politisch-atmosphärischen Hintergrund, um die Parteifunktionäre auf Linie zu halten, denn in der Selbstwahrnehmung der brandenburgischen SED existierten noch zu viele „Sektierer“ und „Versöhnler“ in den eigenen Reihen. Der DDR-Geheimdienst wiederum, so Jander, spielte in dieser Zeit noch eine untergeordnete Rolle, seine Arbeit beschränkte sich zunächst auf das Sammeln von Informationen. Dagegen bewertet sie die Einflussnahme sowjetischer Offiziere und Berater auf die Vorgänge in Brandenburg trotz dünner Quellenlage als hoch (S. 526f.).

Aufschlussreich ist die Darstellung der nahezu zwanghaften Bemühungen um Aufrechterhaltung eines scheindemokratischen Parteiensystems. So ging die SED aggressiv gegen jegliche Selbstauflösungsversuche der CDU-Orts- oder -Kreisverbände vor. Dass es dennoch rund 100 Ortsgruppen „gelang“, ist in dieser Konstellation bereits als widerständiges Verhalten zu deuten – wenngleich die SED darauf mit Zwangsneugründungen und -besetzungen der Vorstände durch loyale Personen reagierte. Nicht zuletzt mangels gesellschaftlichen Rückhalts konnten sich CDU-Mitglieder wie auch Bauern kaum über längere Zeit den Drangsalierungen entziehen. Im Gegensatz dazu profitierten Pfarrer von den Schutzräumen und Abwehrmechanismen der noch gesamtdeutsch organisierten Kirche.

Auch wenn der erklärte Fokus auf den Repressionswellen 1949/50 und 1952/53 liegt und allgemeine Entwicklungen der Jahre 1945 bis 1955 in die Untersuchung einbezogen wurden, ist der gewählte Untersuchungsausschnitt – zumal unter regionalgeschichtlichem Blickwinkel – denkbar klein. Zwar geben die beiden „Momentaufnahmen“ anschaulich Auskunft über Formen und Praktiken des forcierten und rücksichtslosen Kampfes der SED um absolute Vorherrschaft. Zur Erhellung längerfristiger Prozesse wie zum Beispiel der Transformations- und Adaptionsvorgänge innerhalb der Kirchen und Blockparteien tragen sie jedoch nur wenig bei. So bedeutete der Frühsommer 1953 längst nicht die Zäsur, die ein Ende des kirchlichen oder christdemokratischen Widerstands gegen die SED-Herrschaft anzeigte. Doch erstaunlicherweise stoppt die Untersuchung ausgerechnet vor dem revolutionären Großereignis der 1950er-Jahre: dem Aufstand vom 17. Juni 1953.

In den auswertenden und bilanzierenden Passagen greift die Autorin wiederholt und dadurch manchmal fast phrasenhaft auf bereits bekannte, „großformatige“ Zuschreibungen zurück, die die DDR bzw. das SED-Regime als totalitäres System interpretieren. Dagegen bleiben die im empirischen Teil herausgearbeiteten regionalen Differenzierungen und Spezifika und, wenn man so will, die eigentliche Forschungsleistung, in der Auswertung auffällig blass. Eine Erläuterung oder Diskussion des eigenen Deutungsansatzes erfolgt ebenso wenig wie eine Reflexion über die Kategorisierung der „Akteure“ in „Täter“ und „Opfer“. So erscheint quasi selbstverständlich und in personalisierter Form die SED als handelndes Tätersubjekt, die CDU dagegen als verfolgtes Opferobjekt (S. 12f.). Verstärkt wird der holzschnittartige Charakter dieses Schemas durch den Duktus der Arbeit, der eine Parteinahme gegen die „Täter“ permanent erkennen lässt. Das blockiert unter anderem die Betrachtung der biografiegeschichtlichen Motivationslagen und Handlungsmuster der regionalen SED-„Hauptakteure“, die letztlich nur auf die Abbildung von brutal-gewissenlosen Hardlinern und Apparatschiks hinausläuft. Deren Erfahrungen im Nationalsozialismus bleiben dagegen beispielsweise weitgehend unberücksichtigt. Für eine Untersuchung der Denk- und Sinnhorizonte der „Täter“ wären sie aber zentral. Die historische Rekonstruktion ist insgesamt minutiös und überwiegend deskriptiv angelegt, sodass für den neutralen Leser mitunter die Gefahr besteht, sich in der Menge der Einzeldarstellungen und -beispiele zu verlieren. Für den regionalgeschichtlich interessierten Brandenburger hingegen kann diese mikrohistorische Ausführlichkeit aber genau die Qualität des Buches bedeuten.

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