C. Lannert: „Vorwärts und nicht vergessen“?

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Titel
„Vorwärts und nicht vergessen“?. Die Vergangenheitspolitik der Partei DIE LINKE und ihrer Vorgängerin PDS


Autor(en)
Lannert, Christian
Reihe
Diktaturen und ihre Überwindung im 20. und 21. Jahrhundert 8
Erschienen
Göttingen 2012: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
292 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Carl-Friedrich Hoeck, Berlin

Keine andere demokratische Partei in Deutschland setzt sich so umfangreich mit ihrer Geschichte auseinander wie Die Linke. Zum einen, weil sie als Rechtsnachfolgerin der SED beständig von außen mit ihrer Vergangenheit konfrontiert wird. Zum anderen, weil ihre Identität und ihr politisches Programm zu großen Teilen durch ihre Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte geprägt sind. Ihr Umgang mit der Geschichte ist immer wieder Gegenstand aktueller politischer Debatten. Vor diesem Hintergrund verwundert es, dass seit vielen Jahren kein wissenschaftliches Buch mehr erschienen ist, das einen ausführlichen und umfassenden Überblick über die Geschichtspolitik der Partei Die Linke bietet. Zwar gibt es zahlreiche Studien zu Teilaspekten der linken DDR-Debatten1 und zum Extremismus der Partei.2 Hinzu kommen Bücher zur Parteigeschichte, die auch das Feld der Vergangenheitspolitik abdecken.3 Doch umfassende Werke zur Thematik sind seit dem 1996 veröffentlichten Sammelband „Halbherziger Revisionismus“4 nicht mehr erschienen. Diese Lücke füllt nun Christian Lannerts mit seiner Arbeit, mit der er am Lehrstuhl für Zeitgeschichte der Universität Heidelberg promoviert wurde.

In seiner Arbeit will Lannert klären, „inwiefern in den verschiedenen historischen Diskursen der PDS respektive Linken eine öffentliche, kritische Diskussion, eine Disqualifizierung der Positionen der alten Diktatur, strafende oder disziplinierende Konsequenzen gegenüber den Anhängern der alten Diktatur sowie Gesten der Wiedergutmachung gegenüber den Opfern der alten Diktatur stattgefunden haben“ (S. 20). Zu diesem Zweck hat er programmatische Texte, Erklärungen verschiedener Gremien und die parteinahe Publizistik ausgewertet. Sein Fazit fällt kritisch aus. So habe in der PDS nach 1989 zwar die ehrliche Absicht bestanden, eine kritische Geschichtsdiskussion zu führen, jedoch seien die Voraussetzungen hierfür nicht vorhanden. Einen Grund hierfür sieht Lannert in der pluralistischen Struktur der Partei. Der mächtige Parteiflügel der Reformer würde gar nicht erst versuchen, die orthodoxen DDR-Anhänger aus der Partei zu drängen. Schließlich seien sie wichtig für das sozialistische Profil der Partei. Diese wiederum nutzten ihren Einfluss, um „antikommunistische“ Äußerungen zu verhindern. Die Kritik der Partei an der DDR beschränke sich daher auf Aspekte, die sie als „nicht sozialistisch“ ansieht, wobei sie Zusammenhänge zwischen sozialistischer Ideologie und begangenen Verbrechen ausblende. Das Ergebnis sei der Versuch, die Schuld für alle Fehlentwicklungen einer „verbrecherischen Führung“ oder dem Westen anzulasten. Gleichzeitig verteidige die Partei die „Errungenschaften“ der DDR, ohne auf ihre Kehrseiten einzugehen – wie beispielsweise auf die fatalen ökonomischen Folgen der Sozialpolitik.

Zu den Debatten um den richtigen Umgang mit ehemaligen Stasi-Mitarbeitern schreibt Lannert, die Partei habe sich nach der Wiedervereinigung zwar zu Recht gegen die Tendenz gewendet, ein Schwarz-Weiß-Bild von Tätern und Opfern zu zeichnen. Sie selbst bagatellisiere aber die Verbrechen der Stasi, wenn sie diese beispielsweise mit westlichen Geheimdiensten gleichsetze. Auch auf anderen Themenfeldern liefere sie oft nicht die differenzierte Betrachtung, die sie von anderen einfordere. Dies wird an zahlreichen Beispielen deutlich, wenn der Autor die Debatten um Begriffe wie Unrechtsstaat, Antifaschismus oder Stalinismus darstellt. Als einseitig beurteilt der Autor auch das Bild, das die PDS respektive Linke von den frühen Jahren in der SBZ/DDR verbreitet, als die Diktatur noch im Aufbau gewesen sei. Die seinerzeit begrenzten demokratischen Ansätze überhöhe die Partei in der Rückschau zu einem „guten Anfang“ und zu einer echten Alternative zur parlamentarischen Demokratie der Bundesrepublik. Dies grenze an Legendenbildung.

All dies bleibe nicht ohne politische Folgen für die Gegenwart, konstatiert Lannert: „Seit der Wiedervereinigung schürten Politiker der PDS bis hinauf in die Reihe ihrer höchsten Repräsentanten in breiten Kreisen der (ost-)deutschen Bevölkerung Misstrauen gegenüber der Rechtsstaatlichkeit der Bundesrepublik, ihrem parlamentarischen System, ihren Parteien und ihrer Wirtschaftsordnung oder billigten ein solch diskriminierendes Verhältnis zumindest“ (S. 244). Exemplarisch hierfür verweist er auf die linken Narrative zur Deutschen Einheit: „Die Schilderungen der Wiedervereinigung durch die PDS zeichneten trotz Unterschieden in der Nuancierung ein Bild, in dem die BRD durch ihr Wirken eine bessere, demokratischere DDR verhindert hat“ (S. 244). Diese Sichtweise kulminiere in Begriffen wie „Siegerjustiz“.

Kritisch nimmt Lannert auch die sozialistische Utopie der Linken in den Blick. Die Linke strebt erklärtermaßen einen „demokratischen Sozialismus“ an. Dieser ist allerdings kein konkret definiertes Staatsmodell, sondern vielmehr eine abstrakte Zielvorstellung. Dabei drücke sich die Linke um eine kritische Betrachtung der marxistisch-leninistischen Lehren, indem sie die stalinistischen Verbrechen pauschal als Missbrauch der sozialistischen Ideologie werte. Ihr Bruch mit dem Stalinismus sei jedoch inkonsequent. Dies wird mit einem Verweis auf ihre unkritische Solidarität mit sozialistischen Regimen wie Kuba belegt. Selbst der Zusammenschluss der PDS mit der WASG zur Partei Die Linke habe zu keinen vergangenheitspolitischen Veränderungen geführt. Zwar sei die Partei pluralistischer geworden – schließlich gesellen sich nun zur klassischen PDS-Klientel auch Gewerkschafter, enttäuschte Sozialdemokraten und linke Splittergruppen aus dem Westen –, doch in der Gesamtschau sei die Kontinuität zur PDS ungebrochen.

In seiner Arbeit bemüht sich der Autor um eine differenzierte Betrachtung. Zu Recht schreibt er: „Viele Studien über die Linke bzw. die PDS offenbaren mehr über die Gesinnung der Autoren als über den Gegenstand“ (S. 35). Allerdings bleibt auch seine eigene Darstellung streckenweise einseitig, da er den besonders geschichtsklitternden Aussagen der Orthodoxen wesentlich mehr Beachtung schenkt als den kritischen Erwiderungen innerhalb der Partei. Dennoch ist Christian Lannert ein wertvolles Buch gelungen, das in seiner Argumentation weitgehend überzeugt. Seine Thesen sind nicht neu, fassen aber den Forschungsstand zur Vergangenheitspolitik der Linken gut zusammen. Wünschenswert wäre eine ausführlichere Darstellung der „Neu-Linken“ aus der WASG gewesen: Welche Sichtweisen auf die DDR-Geschichte vertreten sie und wo rühren diese her? So bleibt die Frage leider unbeantwortet, warum der Mitgliederzustrom aus dem Westen kaum Auswirkungen auf das Geschichtsbild der Partei hatte. Auch fehlt ein Kapitel zu den Debatten um den Mauerbau – ein Thema, das 2001 in Berlin sogar in den Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und PDS auf die Tagesordnung rückte.5 Davon abgesehen geht das Buch ausführlich auf alle wichtigen Akteure und Themenfelder der linken DDR-Debatten ein. Es ist klar strukturiert und verständlich geschrieben. Damit überzeugt es insbesondere als aktuelles Handbuch für alle, die sich mit der Vergangenheitspolitik der Linken näher auseinandersetzen wollen.

Anmerkungen:
1 Manfred Agethen / Eckhart Jesse / Erhart Neubert (Hrsg.), Der missbrauchte Antifaschismus. DDR-Staatsdoktrin und Lebenslüge der deutschen Linken, Freiburg 2002.
2 Eckhart Jesse / Jürgen P. Lang, Die Linke. Der smarte Extremismus einer deutschen Partei, München 2008.
3 Andreas Malycha / Peter Jochen Winters, Geschichte der SED. Von der Gründung bis zur Linkspartei, München 2009.
4 Rainer Eckert / Bernd Faulenbach (Hrsg.), Halbherziger Revisionismus. Zum postkommunistischen Geschichtsbild, München 1996.
5 Vgl. Barbara Junge, PDS soll den Mauerbau verurteilen, in: Tagesspiegel, 17.12.2001, URL: <http://www.tagesspiegel.de/berlin/pds-soll-den-mauerbau-verurteilen/278514.html> (15.11.2012).

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