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Titel
Michael Helding (1506-1561). Ein Bischof im Dienst von Kirche und Reich


Autor(en)
Seidel, Peter
Reihe
Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 157
Erschienen
Münster 2012: Aschendorff Verlag
Anzahl Seiten
XVIII, 429 S.
Preis
€ 59,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Hille, Philosophische Fakultät, Universität Passau

Seit den späten 1980er-Jahren erlebte die Biographie in den historischen Wissenschaften eine Renaissance, die bis in die Gegenwart anhält. Zugleich verflüchtigte sich das Stigma der Personalisierung und Unwissenschaftlichkeit, das diesem Genre lange Zeit anhaftete. Neue Wege und Methoden wurden beschritten, die über das reine Individuum hinaus dessen Einbettung in die vorwaltenden sozialen, kulturellen und politischen Zeittendenzen verfolgen. Es geht um die Erfassung jener modalen, soziokulturellen Dimension von Persönlichkeit und Geschichte, die dem aktiven Wirken und seinem Vermächtnis vorausgehen. Wenngleich dieses Postulat bis heute oft nur bedingt oder überhaupt nicht erfüllt wird, fehlt es nicht an Beiträgen, die das Wirken der historischen Persönlichkeit bewusst von ihrem „Erfahrungsrahmen“ her entfalten.

Nicht ganz so ambitionierte Ziele setzt sich die Arbeit von Peter M. Seidel über den altgläubigen Reichstheologen, Reformer und Prediger der Reformationszeit Michael Helding (1506–1561). Konzeptionell eine Kombination aus Biogramm und Werkaufriss, geht es vor allem darum, neue Facetten im Leben und Werk Heldings aufzuzeigen. Schon der Aufstieg Heldings vom schwäbischen Müllersohn zum Bischof von Merseburg im Jahr 1550 wird von Seidel als „ungewöhnlich“ eingestuft. Es war besonders die Gunst Kaiser Karls V. und seines Bruders Ferdinand, die Helding gegen Ende seines Lebens zu höchsten Ämtern am Reichskammergericht und beim Reichshofrat verhalf. Karl V. wusste Heldings Kompetenz gerade bei der Ausarbeitung des Augsburger Interims zu schätzen, und doch beantwortet dies noch nicht die Frage nach seinem konkreten Anteil an den einzelnen Formeln und Entwürfen. Seidel betont den hervorragenden Anteil Heldings am Interim und der Formula Reformationis, um daran anknüpfend seine zentrale Leitfrage zu stellen: Hält das bis in die jüngsten Studien über Helding einfließende Narrativ vom Protagonisten der „via media“ einer kritischen Überprüfung stand?

Seidel versucht, diese und andere Probleme im Spiegel einer kritischen Werkanalyse im zweiten, systematischen Teil der Arbeit zu klären. Ausgehend von einer Typologie, die zwischen Reformschriften, Predigten, Katechismen, postum veröffentlichten Schriften und Briefen differenziert, arbeitet er den Kirchenreformer Helding heraus, der an seinem entschieden altgläubigen Standpunkt keinen Zweifel lässt. Schon daher sei Helding kein Vermittlungstheologe im strengen Sinne gewesen, so Seidel, sondern ein Kirchenmann, der weder in die Koordinaten strikter Kontroverstheologie noch der „via media“ passte.

Insgesamt hinterlässt die Studie beim Leser einen zwiespältigen Eindruck. So plastisch die Kulisse von Kaiser, Reich und Reformation hinter dem theologischen Wirken Heldings hervorschimmert, so matt bleiben die Konturen seines Weltbildes sowie dessen Einfärbung durch die zeitgenössischen Diskurse und Meinungen. Die besonderen und typischen ebenso wie die überindividuellen Züge seiner Deutungen und Perspektiven bleiben somit unscharf. Das gilt etwa für Heldings „Reformatio“-Verständnis, die Frage der inneren und äußeren Reform der Ecclesia. So wird der Reformationsbegriff zwar einführend entfaltet, doch viel zu knapp und ohne Einbettung in jenen Diskurs, der seit der Reformatio Sigismundi nicht mehr abbrach. Die ausführliche Vorstellung der beiden wichtigsten Reformschriften Heldings, der Mainzer Provinzialstatuten von 1549 und des Liber Merseburgensis von 1558, hilft hierüber nur bedingt weg, da zwar wichtige Inhalte ausgebreitet, jedoch nicht eingehender analysiert und kontextualisiert werden. Besonders an dieser Stelle treten die Akzente eines Ansatzes hervor, der sich auf den Werkaufriss konzentriert, das geistig-mentale Umfeld dagegen nur streift.

Darin liegt zugleich eine der Stärken der sprachlich gut durchgebildeten Studie. Wenngleich diese dem Postulat moderner historischer Biographie nicht ganz gerecht wird, so doch umso mehr dem zentralen Anliegen kirchenhistorischer Grundlagenforschung. Und dieses besteht primär in der Erschließung, Bestandsaufnahme und Autopsie eines Oeuvres, das sehr viel mehr offenbart als theologische Lehrmeinungen oder die Genese bestimmter Vergleichs- und Reformformeln. Seidels Buch liefert insofern einen weiteren, nicht unwichtigen Baustein zum Corpus Catholicorum. Darüber hinaus ist das Werk all jenen zu empfehlen, die über die rein theologischen Kontroversen des Säkulums hinaus nach Autoren und Zeugnissen suchen, die leitende religionspolitische Diskurse und Zeitdeutungen spiegeln.

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