A. Losfeld u.a. (Hrsg.): Reisejournal des Georg Heinrich von Berenhorst

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Titel
Die Grand Tour des Fürsten Franz von Anhalt-Dessau und des Prinzen Johann Georg durch Europa: Aufgezeichnet im Reisejournal des Georg Heinrich von Berenhorst 1765 bis 1768. Bd. 1: Einleitung, deutsche Übersetzung, Anmerkungen; Bd. 2: Französisches Original, Bibliographie, Personen- und Ortsregister


Herausgeber
Losfeld, Antje; Losfeld, Christophe
Reihe
Kataloge und Schriften der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz 32
Erschienen
Halle (Saale) 2012: Mitteldeutscher Verlag
Anzahl Seiten
2 Bände, 354 S. , 304 S.
Preis
€ 49,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Erb, Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Dessau

Das von der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz und Antje und Christophe Losfeld herausgegebene Tagebuch von Georg Heinrich von Berenhorst dokumentiert eine Reise, die dieser mit Fürst Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau, seinem Bruder Johann Georg, dem Architekten Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff und zehn weiteren Teilnehmern in den Jahren 1765 bis 1768 nach Italien, Frankreich und England unternahm. Berenhorst, natürlicher Sohn des Fürsten Leopold I. von Anhalt-Dessau und in dessauischen Diensten Kammerpräsident, Hofmarschall und Oberhofmeister, hat sich vor allem als Schriftsteller über militärische Fragen Bekanntheit erworben. Seine Teilnahme an der Reise war nicht zuletzt dieser engen Verwandtschaft geschuldet. Das ursprüngliche Tagebuch der Grand Tour hat er sechs Jahre später um Reisebriefe und nachträgliche Kommentierungen ergänzt. Diese Quelle ist nicht im Original, sondern nur in einem Typoskript überliefert, das seinerseits auf einer späteren Abschrift der Anhaltischen Landesbücherei Dessau beruht. Diese Abschrift muss als Kriegsverlust gelten. Auszugsweise liegt sie bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts im Druck vor1 und stellt die ausführlichste Quelle zu dieser Reise dar. Dass die in der Dessauer Abteilung des Landeshauptarchivs verwahrte Überlieferung des anhalt-dessauischen Fürstentums zum Themenkomplex in der Einleitung allerdings als „Totalverlust“ (S. IX) bezeichnet wird, ist nur teilweise richtig. Trotz einiger Verluste liegt speziell zu dieser Reise mit Briefen und Berichten der Reiseteilnehmer Kottowsky und Erdmannsdorff eine sehr dichte Beschreibung vor.2

An gedruckten Reisebeschreibungen deutscher Fürsten des Aufklärungszeitalters besteht wahrlich kein Mangel. Das Verzeichnis Erfahrungsraum Europa3 dokumentiert allein 235 Reisen der Jahre 1750-1800, die zu einem großen Teil in Abdrucken und/oder Editionen vorliegen. Dem Erforscher der Reisekultur dieser Epoche steht also eine so große Fülle von Quellen offen, dass die Frage aufkommt, ob eine weitere Edition von Reiseberichten erforderlich ist, zumal Reise und Reisebericht seinerzeit gängigen Mustern verpflichtet waren. Die gewählte Reiseroute folgte weitgehend den üblichen Vorstellungen von einer Grand Tour, und die literarische Qualität des Textes schätzte schon Berenhorst selbst als gering ein, auch wenn einzelne Passagen – wie etwa die Begegnungen mit dem britischen Autor Lawrence Sterne – sehr vergnüglich zu lesen sind. Auch seine Urteile sind aufklärerisch-protestantischen Wertvorstellungen verhaftet und in vielen anderen Reisetagebüchern mit geringen Variationen wiederzufinden. Einen gewissen Reiz erhält Berenhorsts Bericht dadurch, dass der mitreisende Architekt Erdmannsdorff ebenfalls ein Tagebuch führte, das vor einigen Jahren gedruckt wurde und so eine Reise in paralleler Lektüre mit den unterschiedlichen Interessen beider Schreiber nachvollziehbar macht.4

Die Bedeutung der hier zur Diskussion stehenden Quelle liegt jedoch nur sekundär in ihrer literarischen Qualität oder in gattungsgeschichtlichen Implikationen. Ihr Interesse bezieht die Quelle vor allem aus der kulturgeschichtlichen Bedeutung dieser Reise. Die besuchten Orte und Sehenswürdigkeiten, aber auch die dortigen Kontakte und Erlebnisse und ihre Verarbeitung formten maßgeblich den ästhetisch-politischen Horizont, vor dem das Dessau-Wörlitzer Reformwerk entstand. Dazu sind natürlich in erster Linie die besuchten Gärten und Antiken als direkte Vorbilder zu zählen. Beispielsweise erweist sich Berenhorsts Vergleich der Isola Bella und der Isola Madre am Lago Maggiore als sehr erhellend für sein Verständnis von Gartengestaltung. So sind seine Einschätzungen der Turiner Politik unschwer als Spiegelungen des Regierungsstils seines eigenen Fürsten zu begreifen, und der häufige Besuch von Schlachtfeldern vor allem des Spanischen Erbfolgekrieges zeigt Fürst Franz als ganz und gar unpazifistischen Nachfolger seines Ahnen Leopold von Anhalt-Dessau und Berenhorst als späteren Verfasser der Betrachtungen über die Kriegskunst. Eben diese Spiegelungen machen einen Text, der sich vordergründig auf Süd- und Westeuropa bezieht, zu einer erstrangigen Quelle für die Geschichte des Fürstentums Anhalt-Dessau.

Die Einleitung bietet einen knappen Überblick über Berenhorsts Vita sowie Erläuterungen zur Genese des Tagebuchs und eine Nennung der Editionsprinzipien. Eine eingehende Einordnung in die Forschung zu adeliger Reisekultur und zur Gattung der Reiseberichte wird nicht gegeben, ist im Rahmen einer Edition aber auch nicht erforderlich. Sehr zu loben ist die umfangreiche und hochwertige Bebilderung, die durch die Aufnahme zahlreicher Veduten aus den Wörlitzer Anlagen zugleich die spätere Erinnerung an diese Reise in das Tagebuch integriert. Angesichts der Vielzahl der besuchten Orte und Personen und der Vielfalt der behandelten Materien haben die Herausgeber auf ausufernde biographische und sachliche Erläuterungen verzichtet, sondern sich häufig auf Rahmendaten und Literaturhinweise beschränkt. Dennoch ist es ihnen mit viel Fleiß und Sachkenntnis gelungen, einen gründlichen und instruktiven Kommentar zum Text zu erarbeiten.

Mit Rücksicht auf einen breiteren Leserkreis liegt der Reisebericht sowohl in der französischen Originalfassung als auch einer deutschen Übersetzung vor. Dass dabei das französische Original weder über das Personenregister noch über die Anmerkungen in den kritischen Apparat einbezogen ist, ist zu bemängeln, zumal eine solche Integration mit überschaubarem Aufwand hätte bewältigt werden können. Wer als Wissenschaftler mit dem französischen Originaltext arbeiten will, muss immer von neuem den beschwerlichen Umweg über die deutsche Übersetzung gehen. So werden selbst sprachliche Probleme der Wiedergabe des französischen Originaltextes in der deutschen Übersetzung angemerkt und müssen über die Datierung und Paginierung des Typoskripts verglichen werden. Dennoch bleibt zu bilanzieren, dass diese für die Vorgeschichte des Dessau-Wörlitzer Gartenreichs zentrale Quelle nunmehr vollständig einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden konnte.

Anmerkungen:
1 Aus dem Nachlass des Georg Heinrich von Berenhorst, Verfasser der Betrachtungen über die Kriegskunst, 2 Teile, Dessau 1845/47, S. 21-118.
2 Vgl. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abt. Dessau, Z 44 Abt. Dessau A 12 B 4 Nr. 1 und A 10 Nr. 187. Eine Übersicht über diese Quellen bietet Marlies Ross, Quellen zum Dessau-Wörlitzer Reformwerk im Staatsarchiv Magdeburg - Außenstelle Oranienbaum, in: Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff, Wörlitz 1987, S. 160-164.
3 Joachim Rees / Winfried Siebers, Erfahrungsraum Europa. Reisen politischer Funktionsträger des Alten Reichs 1750-1800. Ein kommentiertes Verzeichnis handschriftlicher Quellen, Berlin 2005.
4 Ralf-Torsten Speler (Hrsg.), Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorf, Kunsthistorisches Journal einer fürstlichen Bildungsreise nach Italien 1765/66, München 2001.