Patronage und Freundschaft in historischer und interdisziplinärer Sicht

Descharmes, Bernadette; Heuser, Eric Anton; Krüger, Caroline; Loy, Thomas (Hrsg.): Varieties of friendship. Interdisciplinary perspectives on social relationships. Göttingen 2011 : V&R unipress, ISBN 978-3-89971-787-7 395 S. € 53,90

Asch, Ronald G.; Emich, Birgit; Engels, Jens Ivo (Hrsg.): Integration, Legitimation, Korruption. Politische Patronage in Früher Neuzeit und Moderne. Frankfurt am Main 2011 : Peter Lang/Frankfurt am Main, ISBN 978-3-631-59997-6 331 S. € 56,80

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Heiko Droste, Institutionen för genus, kultur och historia, Södertörns Högskola

Die Themen „Patronage“ und „Freundschaft“ beschäftigen die Forschung nunmehr seit einigen Jahrzehnten, die beiden hier vorzustellenden neuen Sammelbände dokumentieren ein anhaltendes Interesse.

Mit Blick auf Patronagebeziehungen erklärt sich dies zum einen aus ihrer offensichtlichen Alltäglichkeit in Früher Neuzeit und Moderne, zum anderen aus der Unbestimmtheit dessen, was Historiker/innen erst in der Retrospektive als soziale Institution, eine spezifische – in dem ersten zu besprechenden Band als „politische Patronage“ bezeichnete – Beziehung zwischen zwei sozial ungleichen Personen definiert haben. Diese politische Patronage ist weitgehend auf soziale Eliten beschränkt. Sie ist daher eng mit Staatsbildungs- und Modernisierungsprozessen verknüpft. Der von Ronald Asch, Birgit Emich und Jens Ivo Engels herausgegebene Band fragt in einer übergreifenden Perspektive nach dem Einfluss dieser Prozesse auf die konkreten Formen und Wahrnehmungen von Patronage und deren Wandel.

Das geschieht mit Hilfe von drei Stichworten: Integration, Legitimation und Korruption. Damit sind sozialfunktionale wie systemgefährdende Aspekte von Patronage gleichermaßen angesprochen. Der zeitgenössische Diskurs um Freundschaft und Patronage demonstriert eindeutig, dass diese Aspekte den Zeitgenossen stets gegenwärtig waren. Das macht die Arbeit für Historiker/innen nicht einfacher – nicht zuletzt, weil für die Analyse gerne in sich widerspruchsfreie Begriffe verwendet werden. Die analytische Kategorie der Patronage bietet diesen Vorteil allerdings ebenso wenig wie der zeitgenössische Freundschaftsbegriff. Die Herausgeber/innen haben sich folglich schwer damit getan, die genannten Perspektiven zu vereinen. Der Band zerfällt vielmehr in drei Teile, die Spezialstudien zu den genannten Stichworten bieten. Sie umgreifen zeitlich die gesamte Frühe Neuzeit und die Moderne bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Damit ist der Anspruch verbunden, Patronage langfristig zu untersuchen und die Veränderungen in der so genannten Sattelzeit einzubeziehen.

Im ersten Themenblock „Integration durch Patronage“ untersucht Steven G. Ellis deren Rolle bei der Eingliederung Irlands in die Tudorherrschaft. Die Anbindung peripherer Gebiete an die Herrschaftszentrale verweist auf die spezifische Funktionalität von Patronage – ähnlich auch im Aufsatz von Guy Rowlands über die Rolle der Armee unter Ludwig XIV.: Der König verlangte von allen Offizieren eine auf ihn gerichtete, persönliche Bindung; Patronage wurde als Kontrollinstrument benutzt, das den König stärkte (S. 65). Andreas Fahrmeir hat hingegen Mühe damit, die Rolle von Patronage in der Verwaltung der Stadt London im 19. Jahrhundert einzuschätzen. Kann die Kritik an Patronage und Korruption als Zeichen einer Modernisierung gelesen werden, und war Patronage im Hinblick auf das angestrebte Amt funktional (S. 96)?

Vergleichbare Schwierigkeiten hat Hillard von Thiessen im zweiten Teil zu „Legitimation und Selbstinszenierung“ bei der Bewertung des Günstling-Ministers Olivares in Spanien. Der Verweis auf das Gemeinwohl war ein zentrales Element der Herrschaftslegitimation. Er verlangte insbesondere von Herrschaftsträgern den Verzicht auf die Durchsetzung eigener Interessen. Das war die Theorie. Dahingegen zeigt das Beispiel von Olivares die durchaus übliche Praxis einer Begünstigung der eigenen Familie wie von Klienten. Dennoch konnte Legitimation über den Erfolg der eigenen Politik und die Einhaltung eines gewissen Maßes von Gemeinwohlorientierung hergestellt werden. Es fehlte zwar nicht an eindeutigen Maßstäben; sie widersprachen sich allerdings an vielen Stellen. Solche konkurrierenden Normen können in der historischen Analyse selten eindeutig gegeneinander gewichtet werden. Der Einzelfall entzieht sich einer Generalisierung.

Die Zeitgenossen waren sich dieser Unbestimmtheit bewusst, die ihre Stellung am Hof wie in der Politik jederzeit untergraben konnte. Sie verwendeten daher viel Mühe auf die Selbstinszenierung. Das war besonders für Favoriten von größter Bedeutung, deren Legitimität die zeitgenössische Debatte massiv bezweifelte. Sie endete regelmäßig mit ihrem Sturz. Ronald G. Asch untersucht dies für drei Favoriten in England zwischen 1590 und 1640. Sie hatten verschiedene politische Konzepte, suchten Rückhalt und Legitimität beim König, bei der eigenen Klientel und beim Adel – freilich in unterschiedlicher Gewichtung und mit ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Der Favorit als Sonderfall eines königlichen Freunds zeigt die Grenzen adliger Patronagekultur auf, verweist jedoch auch auf Probleme der Analyse. Die Macht des Favoriten bleibt unklar. Sie deutet vor allem auf strukturelle Schwächen frühneuzeitlicher Herrschaft hin – Stabilität scheint hier nur vorübergehend bzw. als Ausnahme möglich gewesen zu sein.

Der höfischen Patronagekultur ähnliche – funktionale, legitime, wenn auch umstrittene – Strukturen illustriert das Beispiel des „Bossism“ in amerikanischen Städten von 1870 bis 1920. James J. Connolly und Alan Lessoff beschreiben die politische Maschinerie der Zeit, in der Patronage allgegenwärtig war und von führenden Politikern intensiv legitimiert wurde. Die Parallelen zur Frühen Neuzeit sind auffallend. Patronage passt zu einem Typ politischer Strukturen, der gewisser persönlicher Beziehungsgeflechte zur internen Stabilisierung und Machterhaltung bedurfte: Politik wurde in den USA offen als Geschäft verstanden.

Das wirft die Frage nach der Andersartigkeit von Patronage in der Moderne auf. Sie wird von den Herausgeber/innen mehr postuliert und mit einer allgemeinen Modernisierung erklärt, als im Einzelfall belegt. Das zeigt im Abschnitt „Korruption und Korruptionskritik“ nicht zuletzt der Beitrag von Niels Grüne zur patronagekritischen Dimension der Korruptionskommunikation in der Frühen Neuzeit. Grüne dokumentiert überzeugend, dass es im 17. Jahrhundert klare Definitionen zur Korruption gab. Das wird von den Herausgeber/innen in der Einleitung bestritten, die vielmehr unter Verweis auf die Korruptionsforschung zum 19. Jahrhundert unterstellen, dass der heutige Begriff von Korruption erst im Übergang zur Moderne entstanden sei (S. 20). Dahinter steht ein Bild von der Frühen Neuzeit, dem zufolge Normenkonflikte im Umfeld von Korruption nicht aufgelöst werden könnten, wohingegen in der Moderne Normen vereindeutigt worden seien. Das ist kaum überzeugend, zumal es der Alltäglichkeit von Korruption in modernen, auch demokratischen Staaten einen anderen Stellenwert zuweist als in der Frühen Neuzeit. Korruption wird im Ergebnis für die Frühe Neuzeit als systemimmanent unterstellt, während sie in der Moderne durch strafrechtliche Regelungen eindeutig als abweichendes Verhalten kriminalisiert werde. Das Strafrecht ist aber keine notwendige Komponente einer politischen Kultur und kann diese nicht durch seine bloße Existenz verändern. Korruption ist daher auch heute noch Bestandteil nahezu aller politischen Systeme und selbst demokratischen Ordnungen immanent.

Um die Andersartigkeit der frühneuzeitlichen Korruption zu explizieren, entwerfen die Herausgeber/innen Idealtypen einer taktischen und strategischen Korruptionskommunikation (S. 22f.). Das verwischt Gemeinsamkeiten und Kontinuitäten, die gerade in der Funktionalität von Patronage begründet liegen. Patronage war und ist funktional – sie war und ist aber auch ein Verstoß gegen Vorstellungen von Gemeinwohl und Loyalität. Worin die behauptete Modernisierung in der so genannten Sattelzeit liegen soll, bleibt weiterhin unklar.

Insgesamt fehlt es dem Band an analytischer Schärfe. Grüne weist zu Recht auf die zeitgenössische Idee vom Fürsten als einem desinteressierten Vertreter des gemeinen Besten hin. Dieser Fürst kann damit nicht Patron sein. Das gilt auch für Ludwig XIV. Ausnahme von dieser Regel ist der Favorit, dessen Bedrohlichkeit für die frühneuzeitliche Herrschaft gerade darin liegt, dass der Fürst sein Interesse so deutlich durch die Begünstigung eines Dieners erkennen lässt. Das ist eben nicht Patronage, auch wenn der Favorit seinerseits Patronage einsetzen kann, um seine hochgradig gefährdete Position zu stützen.

In diesem Zusammenhang ist ebenfalls unklar, warum die Herausgeber/innen eine unspezifische Kritik an dem Konzept des Aushandelns von Herrschaft vornehmen, das „in jüngster Zeit überzogen worden“ (S. 9) sei. In vielen Beiträgen geht es gerade um ein solches Aushandeln von Normenkonflikten, Selbstentwürfen und Legitimationen. Der ganze Band ist von Fragen der Kommunikation und Erörterung von Patronage geprägt, hierin liegt gerade die Stärke eines Ansatzes, der die Zwiespältigkeit des Konzepts Patronage thematisiert. Die eingangs genannten Stichworte der Integration, Legitimation und Korruption werden freilich sowohl im Band als auch in der Einleitung weitgehend getrennt abgehandelt. Patronage als analytische Kategorie zur Untersuchung einer spezifischen Form von Freundschaft bleibt damit weiterhin offen für Debatten, was für die Lebendigkeit des Themas spricht. Das Buch liefert eine Vielzahl anregender Beiträge, die jedoch untereinander sowie in der Einleitung eine stärkere Verflechtung verdient hätten.

Der zweite Band „Varieties of friendship“ bietet laut Untertitel interdisziplinäre Perspektiven auf soziale Beziehungen, womit im weitesten Sinn personale Bindungen jenseits von Familie und Verwandtschaft gemeint sind (S. 9). Hier legen Doktorand/innen und ehemalige Mitglieder des Freiburger Graduiertenkollegs „Freunde, Gönner, Getreue“ einige Ergebnisse vor, die neben Beiträgen weiterer Historiker/innen auf der Abschlusstagung der ersten Förderphase 2009 präsentiert wurden.

Die Herausgeber/innen erwähnen im Vorwort die hohe Popularität des Themas der Freundschaft, dem sie sich interdisziplinär nähern wollen. Auf eine Diskussion, was mit dieser Freundschaft bezeichnet ist, verzichten sie freilich völlig. Die einzelnen Beiträge haben nicht den Anspruch, ein gemeinsames Konzept von Freundschaft zu erarbeiten. Vielmehr postuliert die Einleitung: „What they all have in common is that they understand friendship as an intimate relationship that is based on relatively free association“ (S. 13). Diese Definition wird nicht weiter erläutert, und dem Rezensenten fällt es schwer, sie mit den folgenden Beiträgen oder der gegenwärtigen Debatte zum Thema in Einklang zu bringen.

Das beeinträchtigt die Qualität der einzelnen Beiträge nicht prinzipiell. Heather Devere untersucht einleitend politische Freundschaften, fraternities, wobei sie diese Form der Freundschaft aus feministischer Perspektive hinterfragt. Das ist sehr anregend, hat sich die Forschung doch weitestgehend auf männliche Formen der Freundschaft konzentriert, diese quasi zum Normalfall extrapoliert – hier schließt der Rezensent sich ausdrücklich ein. Devere stellt eine Reihe kluger Fragen, bietet einen Überblick zur Forschungslage aus ganz unterschiedlichen Perspektiven und löst damit den Anspruch der Interdisziplinarität überzeugend ein.

Im ersten von vier Teilen – „Semantics and Conceptions“ – schließt sich ein Beitrag von Julian P. Haseldine an, der nach der Bedeutung der Anrede amicus in mönchischen Briefen des 12. Jahrhunderts fragt. Hier werden konzeptionelle Fragen erörtert, die im Ergebnis vor allem die Andersartigkeit der Begriffsverwendung – im Vergleich zur Moderne – belegen. Simon Meier verweist auf ein weiteres Beispiel divergierender Freundschaftskultur, in seinem Fall der Gesprächskultur unter befreundeten Denkern des 20. Jahrhunderts. Diese baut auf einer Distanz des Denkers zur Gesellschaft und ihren Freundschaftsidealen auf, der ein re-aktualisiertes Verständnis empfindsamer Freundschaft aus dem 18. Jahrhundert entgegengestellt wird.

Interessant ist auch unter „Practices of Friendship“ der Beitrag von Laura Polexe über die Freundschaft zwischen den Sozialdemokraten Karl Kautsky und Pavel Aksel’rod. Der Artikel weist jedoch wie viele andere nicht über sich hinaus, verbleibt vielmehr auf einer deskriptiven Ebene. Das gilt im Bereich „Patronage and Corruption“ auch für den an sich spannenden Beitrag von Dietmar Neutatz zu den Freunden Stalins. Stalin legte großen Wert auf persönliche Freundschaftsbeziehungen zu seinen engsten Mitarbeitern, von denen er die meisten dann letztlich doch umbringen ließ. Neutatz begnügt sich mit einer Beschreibung, ohne eine überzeugende Antwort auf die Frage nach dem Sinn dieser Freundschaften bzw. auf die Frage zu bieten, ob es sich überhaupt um Freundschaft gehandelt haben kann.

Weitere Beiträge befassen sich mit Freundschaft und Nationalismus in der Kultur Israels, einem Vergleich der Freundschaftskulturen in Neuseeland und Indonesien, mit der Freundschaft zwischen Thatcher und Reagan im Vergleich zur Beziehung zwischen Blair und Brown. Es ist schwer, die Fülle dieser Beiträge auch nur stichwortartig wiederzugeben. Sie weisen auf eine große Spannbreite der Themen und Zugänge, die den Leser im letzten Feld „Limits and Transgressions of Friendship“ schließlich auch nach Brasilien, Afrika und in die Zeit der griechischen Tragödien mitnehmen.

Für den Leser ist es jedoch nicht leicht, Gemeinsamkeiten auszumachen. Keiner der Beiträge scheint auf die anderen zu verweisen. Es ist dem Band nicht anzumerken, dass er auf jahrelange gemeinsame Gespräche in einem Graduiertenkolleg zurückgeht. Dieser Eindruck wird durch das dürre Vorwort und den erklärten Verzicht auf eine abschließende Diskussion (S. 12) zusätzlich verstärkt. Einzelne erhellende Beiträge stehen unvermittelt neben unfertigen Versuchen zur frühneuzeitlichen Hofkultur oder zur Emotion in der Politik. Konzeptionelle Erwägungen fehlen, die Forschungslage wird allenfalls selektiv wahrgenommen. Die Herausgeber/innen haben es sich einfach gemacht und selbst von einer Sprachkorrektur der übersetzten Beiträge abgesehen. Dabei ist unklar, warum der Band überhaupt aus einer Mischung englischer und deutscher Beiträge besteht. Ein Graduiertenkolleg sollte mehr zu bieten haben als eine Reihe empirischer Untersuchungen.

Beide Bände belegen, dass das Thema der Patronage und Freundschaft uns wohl noch eine Weile beschäftigen wird. Beiden hätte eine intensivere Debatte über die Widersprüchlichkeit ihrer zentralen Begriffe gut getan.

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