A. Skordos: Griechenlands Makedonische Frage

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Titel
Griechenlands Makedonische Frage. Bürgerkrieg und Geschichtspolitik im Südosten Europas, 1945-1992


Autor(en)
Skordos, Adamantios
Reihe
Moderne europäische Geschichte 2
Erschienen
Göttingen 2012: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
440 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Heinz-Jürgen Axt, Institut für Politikwissenschaft, Universität Duisburg-Essen

Über Griechenland wird heute zumeist im Zusammenhang mit der Staatsschulden- und Eurokrise gesprochen. Nicht vergessen werden sollte, dass die bis heute ungelöste „Makedonische Frage“ Athen noch immer von seinem Nachbarn im Norden entzweit. Einem Nichtgriechen erscheint die von Griechenland seit 1991 verfolgte Politik als die reinste Hysterie, oder, wie der Sozialwissenschaftler Nikos Mouzelis, selbst Grieche, geschrieben hat, als „paranoide Einseitigkeit“. Den „Skopjotern“ – so die griechische Diktion – wird das Recht bestritten, sich ebenfalls auf Alexander den Großen zu berufen und das Wort Makedonien im Staatsnamen zu führen. Lebensmittelketten wurden Anfang der 1990er-Jahre boykottiert, weil sich Regierungen in deren Heimatländern nicht eindeutig genug die Haltung Athens zu eigen gemacht hatten. 1994 errichtete Griechenland eine Handelsblockade und schloss die Grenzen zu Makedonien. Ein 10-Millionen-Volk fühlt sich durch seinen 2 Millionen Einwohner zählenden Nachbarn bedroht. Den Beitritt Makedoniens zur NATO blockierte Griechenland 2008, obgleich das Interimsabkommen von 1995 die Aufnahme in internationale Organisationen ermöglichen sollte, sofern der provisorische Namen „Ehemalige Jugoslawische Republik Makedonien“ (EJRM) verwendet wird. Um nachvollziehen zu können, weshalb nicht nur Athener Regierungen eine so kompromisslose Haltung gegenüber dem nördlichen Nachbarn verfolgen, sondern dies auch von vielen Griechen insbesondere im Norden des Landes honoriert wird, sei die Lektüre des Buches von Adamantios Skordos empfohlen. Dort erfährt man, in welcher Weise die Makedonische Frage durch die griechische Geschichtspolitik konstruiert und verankert worden ist.

Skordos analysiert sein Thema in kulturhistorischer Perspektive und geht davon aus, dass sowohl die historischen Ereignisse per se, als auch die Art und Weise, wie diese aufgearbeitet oder nicht aufgearbeitet werden, von zentraler Bedeutung sind. Die griechische Makedonienhysterie der frühen 1990er-Jahre, so die Hypothese, sei nur unter Berücksichtigung von 40 Jahren griechischer Geschichtspolitik zu verstehen, die sich sowohl auf den Bürgerkrieg als auch auf die Makedonienfrage bezieht. Der Bürgerkrieg sei auf diese Weise „makedonisiert“, das heißt nicht entlang sozialer oder politischer, sondern ethnonationaler Linien interpretiert worden. Das „nationalgesinnte“ Lager habe in Griechenland den Bürgerkrieg als nationalen Kampf des Hellenismus zur Verteidigung Makedoniens gegen den „Panslawismus“ interpretiert. Als Quellen stützt sich der Autor, der kritischen Diskursanalyse verpflichtet, auf Printmedien aus Athen, Thessaloniki und Florina, die da, wo es notwendig erschien, um weitere Zeitungen, Parlamentsprotokolle und Propagandamaterialien ergänzt wurden. Theoretisch fühlt sich die Arbeit der Erinnerungskultur verpflichtet, die anders als die Geschichtskultur gegen Einflüsse aus der Geschichtswissenschaft resistent sei. Wie eingangs bereits angedeutet, wird der geschichtspolitischen Funktion der Makedonischen Frage eine besondere Bedeutung beigemessen. Dass es dabei zum großen Teil um Identitätsfragen von Gesellschaften geht, ist für Griechenland relevant. In größerem Maße vielleicht noch für das ehemals jugoslawische Makedonien, was Skordos zwar erwähnt (S. 43), aber (natürlich) nicht zum Gegenstand seiner Forschung macht. Es lohnte daher, parallel einschlägige Arbeiten zum Beispiel von Stefan Troebst zu lesen.

Skordos untersucht eine Akteurskonstellation, die aus drei konzentrischen Kreisen besteht: Im inneren Kreis geht es um Royalisten, Kommunisten, „Slawophone“ und auch Liberale in Griechenland. Im Übergang zum zweiten Kreis erscheint „Makedonien“, im Kreis selbst agieren Jugoslawien, Bulgarien und auch Albanien. Im äußersten Kreis treten die Sowjetunion und Großbritannien als die entscheidenden Akteure auf. Da die „Makedonische Frage“ im Zeitverlauf unterschiedlich gestellt und auch interpretiert worden ist, ist die von Skordos gewählte chronologische Darstellungsweise gerechtfertigt. Die Phase von 1945 bis zum Ende des Bürgerkriegs ist nach Skordos durch die „Makedonisierung des Bürgerkriegs“ gekennzeichnet, die von den „Nationalgesinnten“ forciert wurde und Eingang in weite Teile des öffentlichen Diskurses gefunden hat. Dem „slawischen Drang nach Süden“ hätte man entgegenwirken wollen. Die Kommunisten werden als antinational delegitimiert, so dass statt vom Bürgerkrieg von der Verteidigung des Hellenismus gegen fremde Invasoren gesprochen werden sollte. Dass die Kommunisten in den 1990er-Jahren dem massiven Nationalismus in Griechenland nicht entschiedener entgegengetreten sind, wird dann auch überzeugend auf das „Trauma des Vaterlandsverrats“ zurückgeführt.

In der Zeit bis zum Ende der Obristenherrschaft (1974) macht Skordos einen manichäisch geprägten Erinnerungsdiskurs bei den Bürgerkriegsgewinnern aus. Angst und Hass sollten gegenüber den Kommunisten und ihren vermeintlichen slawischen Verbündeten geschürt werden. Gleichzeitig wurde die Makedonienfrage in zunehmendem Maße antikisiert, unter anderem dadurch, dass die hellenische Vereinnahmung von Alexander dem Großen durch die Gründung einer entsprechenden Gesellschaft und eines Instituts vorangetrieben wurde. Das änderte sich nach 1974 insofern, als die „Nationalgesinnten“ sowohl durch die Junta als auch die Hilflosigkeit angesichts der türkischen Invasion auf Zypern in die Defensive gedrängt wurden und die Bürgerkriegsverlierer in der Öffentlichkeit an Einfluss gewannen. Der „nationale Verrat“ wird in den Hintergrund gedrängt, das Bemühen Athens um gute Beziehungen zu Jugoslawien und Bulgarien vertrug sich schlecht mit antislawischer Propaganda. Die Türkei wurde zum eigentlichen Feind. Zugleich wird die „Hellenizität des antiken Makedoniens“ immer offensiver vertreten, was die nunmehr opulent staatlich geförderten Ausgrabungen zu unterstreichen hatten. Diese wurden zum herausragenden Instrument der Geschichtspolitik. Als dann 1991 die Unabhängigkeitserklärung Skopjes erfolgte, war man in Griechenland überrascht. „Neue Makedonologen“ traten in den Vordergrund, deren historische Kenntnisse bescheiden waren, was sie mit umso größerem propagandistischem und geschichtspolitischem Eifer zu kompensieren suchten. Anders als manche „alte Makedonologen“ schlossen sie kategorisch jeden Gedanken an Kompromisslösungen mit dem Nachbarn im Norden aus.

Skordos hat seine Arbeit 2009 der Universität Leipzig als Dissertation vorgelegt. Mit gutem Recht ist sie sehr positiv bewertet worden und hat in der Folge auch zwei Promotionspreise (Research Academy Leipzig sowie Fritz und Helga Exner-Stiftung) erhalten. In methodischer und theoretischer Hinsicht ist die Arbeit gut abgesichert und dennoch immer gut lesbar. Ein Register hätte es dem Leser erleichtert, sich in der dichten Argumentation zurecht zu finden. Die Publikation kann als mustergültig eingeschätzt werden, wenn der Wert einer an der Erinnerungskultur ausgerichteten Analyse aufgezeigt werden soll. In welcher Weise die „historische Meistererzählung“ konstruiert worden ist, und dass diese nicht unerheblichen Veränderungen unterlegen war, weist der Verfasser überzeugend nach. Der Leser begreift, warum Griechenland auch in der aktuellen Krisensituation so wenig Bereitschaft zeigt, bei all den sich stellenden Problemen wenigstens das Verhältnis zu Skopje zu normalisieren. Wenn der Verfasser die vielfältigen Bemühungen um die Hellenisierung des antiken Makedoniens behandelt, hätte er auch erwähnen können, welch ahistorisches Verständnis dabei vorherrscht, wird doch Makedonien in nationale Chiffren gepresst, obgleich es in „vornationalen“ Zeiten existiert hat. Wie bei guten Arbeiten üblich – und hier handelt es sich um eine solche – entstehen nach dem Lesen neue Fragen. Eine davon ist, warum die „neuen Makedonologen“ nach 1991 so dominant sein konnten. Eine andere betrifft, warum der Verfasser das Konzept der „Megali idea“, also der „großgriechischen Idee“ gar nicht diskutiert, die doch gleichsam die Staatsräson des modernen Griechenlands darstellt. Immerhin könnte es ja erinnerungskulturell geprägte Kontinuitäten geben. Skordos gebührt das Verdienst, die „Makedonische Frage“, soweit sie Griechenland betrifft, luzide und überzeugend in kulturhistorischer Perspektive aufgearbeitet zu haben.

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