A. Keller: Cicero und der gerechte Krieg

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Titel
Cicero und der gerechte Krieg. Eine ethisch-staatsphilosophische Untersuchung


Autor(en)
Keller, Andrea
Reihe
Theologie und Frieden 43
Erschienen
Stuttgart 2012: Kohlhammer Verlag
Anzahl Seiten
249 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Must, Historisches Seminar, Universität Osnabrück

Die vorliegende Arbeit von Andrea Keller, eine von der Universität München 2011 angenommene Dissertationsschrift, stellt im Kern eine Untersuchung des Begriffs bellum iustum in der Definition und Verwendung Ciceros dar. Die Autorin untersucht hierbei sämtliche Werke Ciceros, in denen sich Erwähnungen dieses Begriffs finden, und behandelt diese in vier Hauptkapiteln: mit Hinblick auf De officiis, De re publica, De legibus und De inventione_, wobei auch einige Reden aus den Jahren 70–56 und 45–43 v.Chr. sowie Briefe aus den Jahren 49–46 v.Chr. einbezogen werden. Dabei bilden diese Kapitel jeweils in sich weitgehend eigenständige und abgeschlossene Untersuchungskomplexe, die stets nach einer einheitlichen Vorgehensweise aufgebaut sind: Nach einer kurzen Einleitung zu Entstehung und Aufbau der jeweiligen Schrift Ciceros mit Hinweisen auf Forschungsstand und Interpretationsansätze erfolgt die Herausarbeitung und Deutung wichtiger Kernelemente und deren Bezüge zur eigentlichen Suche nach Definition und Bedeutung des Begriffs bellum iustum innerhalb dieses Werks. Es zeigt sich darüber hinaus, dass Keller sich hierzu nicht nur auf das bellum iustum alleine konzentriert, sondern auch den jeweiligen Kontext der Schrift berücksichtigt und dabei vor allem die Deutungsansätze Ciceros hinsichtlich der Definition von Krieg und Gerechtigkeit untersucht. So wird der Begriff nicht nur als solches analysiert, sondern auch dessen Bestandteile betrachtet, wodurch die Untersuchung weit in die Tiefe ciceronischen Gedankenguts vordringt. Ein fünftes Kapitel ist der eigentlichen Erörterung angehängt, Keller widmet sich hier in sehr verkürzter Form der literarischen Tradition des ciceronischen Begriffs vor und nach dessen Schaffenszeit. Es handelt sich dabei allerdings um eine reine Darstellung vorciceronischer Gedanken zum gerechten Krieg und der Rezeptionsgeschichte sowie des Forschungsstandes, die der Vollständigkeit der untersuchten Thematik geschuldet sind.

Gemäß dem Untertitel dieses Werks legt die Autorin ihren Schwerpunkt auf eine ethisch-staatsphilosophische Betrachtung dieses auch in der modernen Forschung sehr umstrittenen Phänomens der römischen Geschichte. Mehr noch wird aber im Zuge ihrer Untersuchung der starke rechtshistorische Charakter ihrer Arbeit deutlich, der ohne Zweifel bei einem Thema zum antiken Kriegsrecht kaum wegzudenken ist. Das große Verdienst der Arbeit ist letztendlich aber weniger die philosophisch geprägte Perspektive ihrer Methodik, sondern vielmehr das Ergebnis einer der von ihr selbst gestellten Leitfragen: „Außerdem muss untersucht werden, ob bei Cicero ein einheitliches Konzept des bellum iustum zugrunde liegt oder ob zu verschiedenen Zeiten oder in den verschiedenen Textgattungen Unterschiede auszumachen sind“ (S. 18). Keller gelingt eine Monographie zum bellum iustum, die eine komplette Systematik sämtlicher Quellennachweise zum Begriff und dessen Bedeutung in den Schriften Ciceros liefert. Durch diese Analyse gelangt sie zu einem nachvollziehbaren Kernergebnis ihrer Untersuchung, in dem sie ihre genannte Leitfrage weitgehend zustimmend beantwortet, jedoch Einschränkungen daran knüpft: „Je nach Kontext werden verschiedene Aspekte betont, die sich zu einem, wenn auch nicht lückenlosen, Bild zusammensetzen lassen. Einen vollständigen Katalog an Kriterien für das bellum iustum zu entwickeln, lag wohl nicht in Ciceros Absicht.“ Keller hebt zudem hervor, „dass Cicero vor allem darlegt, unter welchen Bedingungen ein Krieg nicht gerecht ist. Dies deutet darauf hin, dass Cicero den Krieg eingrenzen wollte“ (S. 221). Von dieser Erkenntnis schließt sie auf die Intention der Betrachtungen Ciceros zum bellum iustum: „Cicero setzt den Römern, die aufgrund ihrer Macht und Stärke willkürlich Kriege führen können, ethische Grenzen, die er auch mit der römischen Tradition begründet. Dies passt insofern für ihn zusammen, weil er das idealisierte Rom der Vorfahren als ethischen Maßstab für die jetzigen Politiker nimmt“ (S. 223). Eine weitere, sehr wichtige Frage jedoch, die sich hinsichtlich dieser Erkenntnisse aufdrängt, wird von Keller nicht weiter thematisiert: Hat Cicero also an damals bereits bestehende kriegsrechtliche Normen im Sinne des bellum iustum appelliert oder derartige erst als Ideal für die Nachwelt formuliert? Hierin zeigt sich der stark an der ciceronischen Theorie orientierte Untersuchungsansatz Kellers. Die Einbeziehung der politischen Praxis steht (bis auf kurze Erwähnungen insbesondere in den Kapiteln I. 3.2.4.3 und V.) nicht im Fokus ihrer Betrachtung.

Zu Recht wird von Keller bemängelt (S. 13f.), dass bisher kaum umfangreiche Arbeiten erschienen sind, die sich diesem antiken Phänomen mit Schwerpunkt auf der ciceronischen Überlieferung widmen – wenngleich die Masse an Aufsätzen zur Debatte weiter zunimmt. Einzig die wegweisenden Monographien von Sigrid Albert (1980) und Mauro Mantovani (1990) sowie die in der aktuellen Diskussion stark umstrittene Arbeit von Luigi Loreto (2001) zeugen von der Bedeutung solcher Untersuchungen zum bellum iustum.1 Im Gegensatz zu Keller jedoch haben diese Autoren die Schriften Ciceros lediglich in Teilen herangezogen und bei Weitem nicht derart ausgiebig und terminologisch präzise untersucht. Man muss aber diesem Vorwurf Kellers entgegenhalten, dass ihre Vorgänger eine zumeist andere Methodik verfolgten. Sie versuchten zu klären, inwiefern das Phänomen des bellum iustum eine reale Basis in der römischen Politik vor und nach Ciceros Epoche besaß, ohne dabei den Fokus allein auf Cicero zu legen. Albert, mit einem Schwerpunkt auf die republikanische Epoche, und Mantovani, mit Hinblick auf die römische Kaiserzeit, untersuchten den Begriff und seine Ausprägung anhand ausgewählter Ereignisse und Prozesse der römischen Geschichte. Loreto hingegen kommt einer umfassenden Untersuchung des Begriffs bei Cicero schon näher, jedoch ist er im Kern darauf fixiert, mit bisherigen Forschungsmeinungen abzurechnen, was ihm nicht wenig Kritik einbrachte.2

Keller aber scheint in ihrer Untersuchung keine Priorität auf die politische Praxis und die Möglichkeit der realen Umsetzung zu legen, denn Verweise auf die Bezüge zur römischen Geschichte bleiben durchgängig sehr knapp. Somit kann dieses umfangreiche Werk zwar keine neuen Erkenntnisse zur anhaltenden Diskussion in der modernen Forschung liefern, ob Theorien des bellum iustum in der römischen Politik zur praktischen Umsetzung gelangten; wohl aber liegt hiermit ein umfangreicher und thematisch orientierter Kommentar zu den Schriften Ciceros vor, der weiteren Untersuchungen zu literarischen Verknüpfungen der Tradition vor und nach Cicero sowie terminologischen Klärungen des bellum iustum einen wertvollen Beitrag leistet. Nicht zu verachten ist ebenfalls die umfangreiche Bibliographie zu den modernen Untersuchungen, die bereits für den Laien erahnen lässt, welche Bedeutung diesem Phänomen in der Erforschung der römischen Geschichte beigemessen wird.

Anmerkungen:
1 Sigrid Albert, Bellum iustum. Die Theorie des „gerechten Krieges“ und ihre praktische Bedeutung für die auswärtigen Auseinandersetzungen Roms in republikanischer Zeit, Kallmünz 1980; Mauro Mantovani, Bellum iustum. Die Idee des gerechten Krieges in der römischen Kaiserzeit, Bern 1990; Luigi Loreto, Il bellum iustum e i suoi equivoci. Cicerone ed una componente della rappresentazione romana del Völkerrecht antico, Napoli 2001. Einen Gesamtüberblick über die anhaltende Diskussion zum bellum iustum sowie Verweise zur Literatur und wichtigen Forschungskontroversen bietet Ernst Baltrusch, Außenpolitik, Bünde und Reichsbildung in der Antike, München 2008.
2 Vgl. Keller, S. 14. Hiervon zeugt vor allem die ausführliche Rezension von Klaus M. Girardet zu Loreto, bellum iustum, in: Gnomon 77 (2005), S. 427–434.

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